Er sage sich: „Nun, da ich diese Bücher geschrieben habe, will ich sie den Mächtigsten unter den Tieren, den Höchsten unter dem Menschen, dem Besten meiner selbst und Gott vorlesen.“
So machte er sich auf in den Wald und kletterte auf einen hohen Baum. Nachdem er sich dort bequem niedergelassen hatte, begann er den Teil seines Tierbuches vorzulesen, der über den Löwen handelte. „Löwe, du bist der König der Tiere. Du bist am mächtigsten und zugleich am schönsten. Du bist immer majestätisch. Du tötest andere Tiere nicht, außer wenn du hungrig bist.“ Sein Buch pries die vielen guten Eigenschaften des Löwen, für den er große Bewunderung verspürte. Zu seinem großen Schrecken begann in der Nähe ein Löwe zu brüllen.
Der Schriftsteller rief: „Schau dieses undankbare Tier an. Ich lobe es in den höchsten Tönen, doch statt zufrieden und dankbar zu sein, will es mich töten.“
Der Schriftsteller-Sucher war enttäuscht und unzufrieden mit dem so undankbaren Tier. Er verharrte bewegungslos im Baum bis der Löwe nach einer vollen Stunde wegging. Als er sicher war, dass der Löwe ihn verlassen hatte, kletterte er hinunter und ging weg, indem er murmelte: „So ein völlig undankbares Tier!“
Als er sich davon wieder etwas erholt hatte, sagte er sich: „Wer ist der Höchste unter den Menschen? Der König.“ So machte er sich auf und ging zum Palast des Königs. Er sagte: „O König, ich möchte dir etwas vorlesen. Ich habe vieles über Menschen geschrieben, doch ich weiß, das du der Höchste bist, dass du der Größte unter den Menschen bist. Deshalb möchte ich dir nun vorlesen, was ich über dich geschrieben habe.“
Der König nickte im Einverständnis und der Schriftsteller begann in seinem Buch zu lesen. „Du bist der Mächtigste und hast alle anderen Könige besiegt. Wir sind sehr stolz auf dich. Dich zu sehen heißt das Gesicht Gottes zu sehen. Weil du unter den Menschen der Höchste bist, stellst du Gott auf Erden dar.“ Er fuhr fort aus seinem Buch vorzulesen und schmeichelte dem König mehrere Minuten lang.
Nachdem der König angehört hatte, was der Schriftsteller geschrieben hatte, sagte er kurz: „Danke schön.“
Der Schriftsteller ärgerte sich und war erbost. Er sagte zu sich selbst: „Ich habe ihm in meinen Schriften so viel Lob, Bewunderung und Verehrung ausgesprochen und er sagt einfach ‘danke schön’. Welch ein undankbarer König!“ Er wagte dies jedoch nicht laut zu sagen. Er sagte nur zu sich selbst: „Was für ein undankbarer Mensch!“
Als er nach Hause kam, sage er sich: „In mir ist die Seele mein größter Besitz. Deshalb möchte ich nun zu meiner Seele sprechen.“ Er begann seiner Seele vorzulesen: „O Seele, du bist das Reinste, du bist das Beste in mir. Du bist am schönsten. Ohne dich würde ich nicht existieren. Du bist unerlässlich. Dich brauche ich stets, nicht den Körper.“
Die Seele schenkte ihm ein breites Lächeln.
Einmal mehr war der Schriftsteller aufgebracht. Fünfzehn Minuten habe ich dich gelobt, bewundert und gesagt, du seiest bei weitem das beste Mitglied in meiner Familie, und du lächelst mir nur zu. Er wurde noch wütender und sagte: „Die Seele ist nutzlos. Sie hat keine Ahnung, wie man ein Lob entgegen nimmt und Dankbarkeit anerbietet.“
Der Schriftsteller-Sucher ging anschließend zu Gott, stellte sich vor Ihn und sagte: „O Gott, du bist so freundlich. Betrachte nur Deine weite Schöpfung. Du bist reines Mitgefühl. Nur weil Du auf der Erde existierst, sind wir alle auf der Erde. Überall herrscht Dein erhabenes Mitgefühl.“
Gott sage einfach: „Gut.“
„O Gott! So lange habe ich Dich gepriesen, und Du sagst einfach, es sei gut. Was bist du für ein undankbarer Gott. Du hättest mich segnen und etwas Nettes über mich sagen sollen. Ich habe Dich gepriesen, ich habe Dich gelobt, ich habe dich bewundert, ich habe Dich verehrt, doch du bist wie ein weiterer undankbarer Mensch auf der Erde.“
Verwirrt und enttäuscht sage sich der Schriftsteller: „Da die Höchsten und Überlegenen so undankbar sind, will ich zu Einfacheren gehen, die den anderen ein bisschen unterlegen sind. Ich werde Überlegene etwas über Anerkennung lehren, indem ich zu jenen gehe, die unter ihnen stehen.“
So ging er noch einmal in den Wald. Er sagte sich: „Dem Löwen am nächsten kommt der Tiger.“ Er kletterte auf einen hohen Baum und sobald er es sich dort bequem gemacht hatte, begann er den Tiger zu loben: „O Tiger, du besitzt solch große Stärke. Meiner Meinung nach bist du zu bescheiden. Du kannst den Löwen leicht besiegen. Wenn ich dich betrachte, erhalte ich große Freude, denn dein Gesicht zeigt solide Stärke. Der Löwe hat keine Stärke verglichen mit dir. Der Löwe kann nur brüllen.“ Auf diese Weise spottete er über den Löwen. Der Tiger hörte dies und war sehr glücklich. Er erhielt soviel Lob, während der Löwe nur Kritik erhielt. Der Tiger begann herumzuschweifen und fühlte sich stolz und glücklich. Er bewegte sich hierhin und dahin und sah plötzlich einen Ring. Er nahm ihn in seinen Mund und entdeckte das er etwas Ungenießbares war. Er wusste natürlich nicht, dass es ein goldener Ring war oder auch nur, was Gold war. Alles was er wusste, war, dass man den Ring nicht essen konnte. So ließ er den Ring auf den Boden fallen und lief in den Wald hinein. Zufällig ließ er ihn unter dem Baum fallen, auf dem der Schriftsteller saß. Als der Tiger gegangen war, kam der Schriftsteller vorsichtig herab und sah den goldenen Ring. Voller Freude rief er aus: „Schau nur die Anerkennung dieses Tieres. Der Tiger hat meinem Lob zugehört und mir diesen wunderschönen Ring gegeben. Ich kann ihn für Hunderte von Rupien verkaufen. Endlich habe ich ein dankbares Wesen gefunden.“
Als nächstes ging er zum Minister im Palast des Königs, denn der Minister steht dem König in Wichtigkeit am nächsten. Der Schriftsteller begann den Minister hoch zu loben. Er sagte: „Weißt du, bald wirst du zum König werden, doch du bist bereits jetzt der größte Mensch auf der Erde. Du hast so viele Dinge für den König getan, doch der König beansprucht den ganzen Ruhm für sich. Du hast so hart gearbeitet, doch weil er über dir steht, beansprucht der König allen Ruhm. Eigentlich verdienst du das alles.“ Der Schriftsteller schenkte dem Minister solch große Anerkennung und Bewunderung.
Der Minister fühlte sich tief geschmeichelt. Er schaute umher, um sich zu vergewissern, dass der König nicht anwesend war und überreichte dem Schriftsteller dann tausend Rupien. Der Schriftsteller war entzückt und sagte zu sich selbst voller Freude: „Schau nur, die obersten Leute sind so undankbar, während jene, die ihnen nur ein wenig unterlegen sind, so dankbar sind.“
Nachdem er nach Hause gekommen war, sage er sich: „Nach meiner Seele kommt mein Herz“, und er begann zu seinem Herzen zu sprechen: „O mein Herz, du bist so nett, du bist so freundlich, du fühlst immer mit anderen mit. Wir sprechen so viel über die Seele, doch wo ist die Seele? Dich kann jedermann auf der Erde sehen und fühlen. Ärzte können dich sehen und dich fühlen. Wenn wir atmen, können wir dein Schlagen fühlen. All dies geschieht in dir. Du bis so nett, zuneigungsvoll und mitleidsvoll. Ohne dich können wir nicht existieren. Wenn dir etwas zustößt, wenn du aufhörst zu schlagen, sterben wir. Du allein bist in meinem Leben unersetzlich.“
Zu seiner Bestürzung begann das Herz zu weinen.
Erstaunt fragte der Schriftsteller: „Weshalb weinst du?“
Das Herz sagte: „Ich weine, weil du ein Narr bist. Ich bin nicht unersetzlich. Du musst der Seele die ihr gebührende Wichtigkeit beimessen. Du musst wissen, dass die Seele unendlich viel schöner ist als ich. Die Seele hat einen göttlichen Kern, ein göttliches Licht. Deine Dummheit tut mir leid. Du lobst die falsche Person. Die Seele verdient diese Art von Lob und Bewunderung, nicht ich!“
Der Schriftsteller sagte: „Schau nur, wie nett das Herz ist. Ich lobe es über alle Maßen und es macht die Seele für alles verantwortlich, die Seele, die sich so unverschämt benahm.“
Er war tief gerührt und schätzte den Edelmut und die Großzügigkeit des Herzens zutiefst.
Als nächstes ging er zu einem der niederen kosmischen Götter. Er stellte sich vor ihn und sagte: „Ach, wer kümmert sich um Gott? Wir gehen zu Ihm, wir schätzen und bewundern Ihn, wir loben Ihn und er sagt nur: ‘Gut’. Was ich gesagt habe, ist alles falsch. Es scheint mir, dass Gott alt geworden ist und nicht mehr vernünftig sprechen kann. Er weiß nicht einmal , wie man einen gewöhnlichen Menschen würdigt. Gott tut nichts gut. O niederer Gott, deine Schönheit übertrifft Gottes Schönheit und du bist viel weiser als Gott. In ein paar Jahren wirst du Gott transzendieren und Ihn ersetzen und du wirst die gegenwärtige Schöpfung viel besser regieren können als Gott.“
Während der Schriftsteller den kosmischen Gott in alle Himmel lobte, lege er ihm eine Blume zu Füßen. „Ich habe keine Blume zu Gottes Füßen gelegt. Doch du verdienst mein Lob, meine Bewunderung und Verehrung wahrhaftig. Deshalb anerbiete ich dir eine Blume.“
Der kosmische Gott sage: „Du Narr, verdiene ich so etwas? Er ist der Herr, Er ist der Supreme.“ Dann nahm der kosmische Gott die Blume, legte sie zu Füßen Gottes und verbeugte sich vor dem allmächtigen Gott, dem Supreme.
Der Schriftsteller war zutiefst beeindruckt und sagte zu sich selbst: „Schau nur den Edelmut des kosmischen Gottes. Alle meine Wertschätzungen und Verehrung hätte er leicht für sich beanspruchen können. Er hätte leicht sagen können: ‘Es freut mich, dass du meine Fähigkeit erkannt hast.’ Doch nein! Er anerbot alle Wertschätzung, Bewunderung und Verehrung, die ich ihm anerboten hatte, zu Füßen Gottes, dem Supreme. Die Leute glauben, er sei Gott unterlegen, doch schaut nur die Größe seines Herzens. Für mich ist er derjenige, der wirklich überlegen ist.
Ich bin nun zur Erkenntnis gelangt, dass alle Unterlegenen ihren so genannten Überlegenen weit voraus sind. In jedem Fall habe ich den Beweis bekommen. Der Tiger zeigte Dankbarkeit, der Minister zeigte seine Wertschätzung mit Geld, das Herz zeigte seine Aufrichtigkeit und seinen Edelmut und der kosmische Gott anerbot all meine Verehrung dem höchsten Gott. Dies beweist, dass jene, die groß sind, nicht wirklich groß sind und jene, die nicht groß sind, eigentlich wirklich groß sind.“
Der Schriftsteller-Sucher ging mit seiner Entdeckung äußerst zufrieden nach Hause. Nachdem er in dieser Nacht eingeschlafen war, sah er plötzlich einen wunderschönen Menschen vor sich stehen. Das Wesen schien ein Heiliger zu sein. Der Sucher fragte: „Was willst du von mir?“
Der Heilige antwortete ihm: „Ich bin nur gekommen, um dich zu besuchen.“
Der Sucher sagte: „Heute bin ich schrecklich enttäuscht worden. Ich habe immer gedacht, dass die Vorgesetzten in jeder Art und Weise überlegen seien. Doch jetzt sehe ich, dass die Untergebenen eigentlich ihren Vorgesetzten überlegen sind.“
Der Heilige sagte: „Sag mir doch, wie werden die Überlegenen unterlegen und die Unterlegenen überlegen?“ So erzählte der Schriftsteller die ganze Geschichte.
Der Heilige sagte: „Leider hast du Unrecht. Du bist ein Narr!“
„Was sagst du, ich sei ein Narr? Warum glaubst du, ich sei ein Narr?“
Der Heilige sagte: „Als der Löwe brüllte, war es nicht aus dem Grund, weil er dich verschlingen wollte. Im Gegenteil, er brüllte mit großer Freude und Inspiration. Der Löwe fühlte, dass ihn dein Lob stärker gemacht hatte. Dein Lob hatte dem Löwen soviel Energie geschenkt, dass er seinen Mut und seine Stärke zeigen wollte. Deshalb zeigte er dir durch sein donnergleiches Gebrüll seine eigene Dankbarkeit. Er sagte zugleich den anderen Tieren: ‘Schaut, hier werde ich sogar von Menschen hoch geschätzt.’ Er schenkte dir also seine Dankbarkeit, doch du hast ihn falsch verstanden.“
Der Heilige fuhr fort: „Du hast einige Dinge über den König geschrieben und ihn in den Himmel gelobt. Im Anschluss an deine Lobeshymne sagte der König ‘danke’. Doch du musst verstehen, dass sich der König nicht um ein solches Lob kümmert. Jeden Tag erhält er die Anerkennung und Bewunderung von Menschen, die viel wichtiger sind als du. Du bist nur ein gewöhnlicher Mensch, doch der König gab dir die Erlaubnis, zu seinem Palast zu kommen, er hörte dir zu und sagte freundlich danke. Du musst dir vor Augen halten, dass er ein großer Mann ist und viele, viele Dinge tun muss. Könige sagen gewöhnlich nicht einmal danke. Sie nicken nur mit dem Kopf. Doch dein generöser König hat dir seine wertvolle Zeit geschenkt und zudem danke gesagt. Was kannst du von einem großen König mehr erwarten? Ein ‘Danke’ von einem König zu erhalten, ist wirklich etwas.
Nach einer Pause sagte der Heilige: „Kommen wir nun zur Seele. Als du der Seele dein Lob vorgelesen hast, lächelte dir die Seele mit größter Schönheit und Göttlichkeit zu. Ein Lächeln von der Seele zu erhalten ist nichts Alltägliches, denn schließlich repräsentiert die Seele Gott hier auf Erden. Als deine Seele dir ein gutmütiges Lächeln schenkte, anerbot sie dir ihre eigene Göttlichkeit. So hast du die Göttlichkeit deiner Seele in der Form eines Lächelns gesehen und erhalten. Nun sagst du, die Seele hätte dich nicht gewürdigt oder hätte dir nichts gegeben. Du Narr!“
Einmal mehr schwieg der Heilige und fuhr dann fort: „Kommen wir nun zu Gott. Du hast Gott gelobt, bewundert und verehrt und Gott sagte zu dir: ‚Gut‘. Wenn Gott dir ‘gut’ sagte, bedeutet das, dass alles vollkommen ist was du gesagt hast. Wir Menschen sagen normalerweise alles falsch. Wir schreiben alles falsch, wir tun alles falsch. Die Tatsache dass Gott dir gesagt hat, was du geschrieben hast sei gut, bedeutet, dass Gott all deine Schriften gänzlich anerkannt hat. Es bedeutet, dass alles was du geschrieben hast korrekt und völlig richtig ist. Du Narr, Gott hat dich viel mehr gewürdigt als du eigentlich verdient hast. Wenn Gott mir sagen würde, dass etwas was ich gesagt oder getan habe gut gewesen sei, wäre ich unheimlich stolz und zutiefst erfreut. Wir sind alles unwissende Menschen. Etwas richtig zu tun und von Gott zu hören, dass es richtig ist, ist für uns der Höhepunkt der Ehre. Was mehr brauchen wir, was mehr können wir verdienen?
Er fuhr fort: „Die Überlegenen sind immer überlegen und werden es bleiben. Doch wir sind nicht fähig, sie zu verstehen. Wenn wir nichts verstehen, gehen wir zu jenen, die weniger hoch stehen und versuchen, zwischen den beiden Probleme zu stiften. Wenn wir jedoch aufrichtig sind, wenn wir ernsthaft sind, werden wir zur Einsicht gelangen, dass die Überlegenen immer überlegen sind. Und sie werden auch ihre Wertschätzung in einer anderen Art zeigen als jene, die unter ihnen stehen. Wenn wir uns unter normale Menschen mischen, verstehen wir ihre Wertschätzung vollkommen, denn wir stehen auf derselben Stufe. Wenn wir uns jedoch unter wirklich Überlegene begeben, verstehen wir ihre Art der Wertschätzung nicht.From:Sri Chinmoy,Aufstieg und Fall der Schüler, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2007
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/add