8. AKT 1. SZENE

(Der Tag von Sri Ramakrishnas Hinscheiden. Seine Schüler und seine Gefährtin, Sarada Devi, stehen neben seinem Bett. Drei Schüler stehen etwas abseits von den anderen.)

ERSTER SCHÜLER: Es schmerzt mich, unseren Meister so zu sehen. Seine gebrechliche Hülle scheint weniger verlässlich als ein vom Sturm gepeitschtes Floß.

ZWEITER SCHÜLER: Und dennoch, wenn man tief in sich geht, kann man immer noch seine göttliche Persönlichkeit entdecken. Selbst jetzt kann man unmöglich an seiner Größe zweifeln. Seiner Lehre wohnt ein gewaltiger Wille inne, der die Welt erzittern lassen kann.

DRITTER SCHÜLER: Kein junger Inder der sich erhebenden Generation kann davon träumen, dem subtilen Einfluss von Sri Ramakrishna Paramahansa zu entgehen.

ERSTER SCHÜLER: Ramakrishna wird dem einen als ein Mann überschäumender Gefühle erscheinen, dem zweiten als ein Mann glühenden Strebens, dem dritten als ein Mensch voll philosophischer Weisheit, und dem vierten als ein Mensch von einmaliger Aufrichtigkeit.

ZWEITER SCHÜLER: Es ist unvermeidlich, dass verschiedene Personen unterschiedliche Auffassungen über seine Persönlichkeit haben. Denn in einem Fall wie diesem ist eine fehler-hafte intellektuelle Analyse unmöglich und all unsere menschliche Urteilskraft wird kläglich darin versagen, eine brauchbare Antwort zu liefern.

DRITTER SCHÜLER: Doch niemand wird jemals zögern, ihn als das meist geliebte Kind der göttlichen Mutter Kali zu bezeichnen. Das einzige Ziel in seinem Leben war nichts zu haben außer einem ständigen Einssein mit Mutter Kali. Dieses Ziel erfüllte er. Wir können die Botschaft seines Lebens in einem Wort zusammenfassen: Mutter.

ERSTER SCHÜLER: Es ist auch Ramakrishna, der die größte Achtung für Frauen gezeigt hat, die die Welt jemals gekannt hat. Er fühlt, dass die Frauen die Verkörperung der göttlichen Mutter sind, und er behandelt sie als göttlich. Seine eigene Partnerin, Sarada Devi, verehrt er als die Göttliche Mutter selbst.

ZWEITER SCHÜLER: Das höhere Bewusstsein, das ständig durch den Verstand und durch das Herz von Ramakrishna fließt, übt nicht nur einen einzigartigen Einfluss auf uns, seine Schüler aus, sondern auch auf alle Personen um ihn herum. Es hebt alle über die gewöhnliche Ebene hinaus, um uns an der Süße des Himmels teilhaben zu lassen. Sein Leben selbst ist die wirkungsvollste Widerlegung des Halb-Gläubigen und des Nicht-Gläubigen an das Göttliche.

DRITTER SCHÜLER: Hier ist der Mann, dessen entschiedene Stimme erklärt hat, dass er nicht nur den Allmächtigen gesehen hat, sondern dass er Ihn auch seinem geliebten Schüler, Naren, zeigen kann.

(Narens Namen hörend, öffnet Ramakrishna leicht seine Augen.)

Sri RAMAKRISHNA (pathetisch): Naren ... Naren, warum bist du still? Du schaust verwirrt aus, fast wie vor den Kopf gestoßen. Ich habe deine Gedanken gelesen. Naren, zweifelst du noch immer an mir?

(Naren kommt näher zu seinem Meister heran, doch er verharrt in Stille.)

Sri RAMAKRISHNA: Derjeniger, der Rama ist, derjenige der Krishna ist, ist in einer Form Ramakrishna.

(Tränen vergießend verbeugt sich Naren vor Sri Ramakrishna und berührt seine Füße.)

NAREN: Ich werde dich nicht mehr anzweifeln, Thakur. In deiner Gegenwart habe ich herausgefunden, dass ein Mensch selbst in diesem Körper vollkommen sein kann. O Meister, der Zweck der Herabkunft von Avataren wie dir ist für das Emporheben und den weiteren Fortschritt der Menschheit im Prozess der Evolution. Du fährst fort, in deinem weltlichen Körper Gutes für die Menschheit zu tun, solange es dem Interesse der Menschheit dient. Du bist frei von den Ergebnissen deiner Handlungen, gut oder schlecht, groß oder klein.

SARADA DEVI: Nun, da meine Kali-Ramakrishna dabei ist, hinter den Vorhand der Ewigkeit zu treten, quält ein entsetzlicher Schmerz mein Herz.

(Sie beginnt bitterlich zu weinen.)

(Zur Überraschung von allen erhebt sich Ramakrishna leicht.)

RAMAKRISHNA: Warum weinst du so bitterlich? Ich lasse deinen Naren hier bei dir zurück.

SARADA DEVI: Ja, mein Göttlicher Herr, es ist wahr. Du bist der Same, der im Nährboden der Erde gesät wurde, und unser Naren ist die reife Frucht, welche die Menschheit ernten wird. Thakur ist die Inspiration, sein Naren ist ihr Ausdruck. Und so wird die Menschheit beides, Inspiration und Ausdruck, als ihre einzigartigen Besitztümer haben. (Sie verbeugt sich vor Ramakrishna.) Ehre sei dir, Thakur. In dir sehen wir ein triumphierendes lebendes Beispiel der Wahrheiten, die du verkündest. Dir bringen wir unsere tiefste Ehrerbietung dar. Unsere Herzen fühlen, dass das, was du besitzt, die Unendlichkeit ist, und dass die Unendlichkeit das ewige Heim deines Herzens ist.

(Sri Ramakrishna verlässt den Körper.)

From:Sri Chinmoy,Trinkt, trinkt den Nektar meiner Mutter, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2018
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/dm