Krishnas Sohn verspottet die Weisen

Drei große Weisen kamen einmal nach Dwaraka zu Lord Krishnas Palast. Krishna ruhte gerade, als man ihn von der Ankunft der Weisen unterrichtete. Er sagte: „Bitte sagt ihnen, dass ich in Kürze bei ihnen sein werde. Heißt sie in der Zwischenzeit mit angemessenem Respekt und mit Ehrfurcht willkommen.“

Unglücklicherweise waren über die Jahre Krishnas Verwandte und andere, die ihm nahestanden, sehr un­göttlich geworden. Weil sie Krishna lieb waren, erhielten sie gewöhnlich alles, worum sie baten. Die Folge davon war, dass sie durch das vergnügungssüchtige Leben verdorben wurden. Sie tranken, stritten sich und taten die un­möglichsten Dinge.

Einige Mitglieder von Krishnas unmittelbarer Familie zeigten keinerlei Respekt vor den Weisen und Heiligen, die gekommen waren, um Krishna zu huldigen. Diese Verwandten fühlten, dass solange sie Krishna hatten, dies ausreichend sei. Allen anderen spirituellen Menschen gegenüber zeigten sie keinerlei Achtung.

Krishnas Sohn Samba war fünfundzwanzig oder sechs­­­undzwanzig Jahre alt. Obwohl er kein Kind mehr war, beschlossen er und einige andere junge Männer, den drei Weisen einen Streich zu spielen. Sambas Freunde banden einen irdenen Krug an seinen Bauch und zogen ihm einen schönen Sari an. Dann brachten sie ihn zu den Weisen.

Die jungen Männer sagten zu den Weisen: „Könnt ihr uns eine Frage beantworten bevor Krishna kommt? Diese Frau bekommt ein Kind. Könntet ihr uns vielleicht sagen, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird?“

Die Weisen, die okkulte Schau besaßen, sahen sofort, dass diese jungen Männer sie verspotteten. Sie wurden wütend: „Ihr seid Krishnas Verwandte! Du, Samba, bist sein einziger Sohn! Du wagst es, uns einen Streich zu spielen? Ja, diese Frau wird gebären, und zwar eine eiserne Stange. Diese Stange wird Zerstörung über Krishnas ganze Sippe bringen. Du hast keinen Respekt vor spirituellen Leuten. Wir sind große Weise und du verspottest uns.“

In diesem Augenblick trat Krishna in die Halle. Er war zutiefst traurig, als er den Fluch der Weisen hörte. Aber er wusste, dass seine Verwandten es verdienten. Den Weisen tat es auch leid, dass sie einen so schrecklichen Fluch ausgesprochen hatten, aber sie besaßen nicht genug Fähigkeit oder Vergebungskraft, um ihn zu widerrufen. Trotz dieses unglücklichen Vorfalls blieb Krishna und unterhielt sich lange mit den Weisen; sie erhielten seinen Segen. Krishna war über allem erhaben. Er gab ihnen Ratschläge; dann reisten die Weisen ab.

Im Laufe der Jahre wurde der Fluch Wirklichkeit und Krishnas Sohn gebar eine schwere, keulengleiche Eisen­stange. Samba und seine Cousins erkannten, dass ihre Zerstörung bevorstand. Sie gingen zu Krishna und baten um Rettung. Krishna sagte: „Du hast etwas absolut Unverzeihliches getan.“ „Was soll ich tun?“ „Nun gut, zermahle die ganze eiserne Stange zu Pulver. Das wird sehr, sehr lange dauern. Wenn alles zu Pulver geworden ist, musst du das Pulver ins Meer werfen.“

Mit großem Enthusiasmus und Eifer begannen die jungen Männer, die Stange zu zermahlen. Doch nach kurzer Zeit hörten sie auf und warfen die Stange einfach ins Meer. Sie hatten nicht die ganze Stange zu Pulver zerrieben, wie Krishna es ihnen aufgetragen hatte.

Viele, viele Jahre später, nach der Schlacht von Kurukshetra, wurde die eiserne Stange an die Oberfläche des Meeres geschwemmt; die Vorhersage der Weisen wurde wahr. Krishnas Familienmitglieder begannen heftig zu trinken und untereinander zu kämpfen. Krishnas allerliebster Freund, Satyaki, der so tapfer während der Schlacht an der Seite der Pandavas gekämpft hatte, wurde in einem Streit getötet. Alle großen Krieger aus Krishnas Familie, einer nach dem anderen, wurden in solchen Raufereien getötet.

Als Krishna sah, dass sein geliebter Satyaki getötet worden war, sagte er: „Es gibt für mich keinen Grund mehr, noch länger auf der Erde zu bleiben.“ Krishnas Bruder, Balarama, hatte das ganze Gerangel beobachtet. Er sah das Niveau, auf das sich die großen Helden herabgelassen hatten und war angewidert. „Genug, genug!“ sagte er, „unsere Familie ist so verdorben!“ Er ging in den Wald und in seiner Meditation gab er seinen Lebensatem auf.

Als Krishna hörte, dass Balarama seinen Körper verlassen hatte, sagte er: „Auch meine Zeit ist gekommen. Ich will gehen und mich ihm anschließen.“ Krishna begab sich an einen wunderschönen Ort. Dort setzte er sich unter einen Baum und begann zu meditieren; er wollte sein Leben aufgeben.

Ein Jäger kam vorbei. Er sah Krishnas Gestalt und dachte, es sei ein prächtiger Hirsch. Ihm erschien Krishnas linker Fuß aus wie das Ohr eines Hirsches. Der Jäger richtete seinen Pfeil auf das Ohr und schoss. Der Pfeil drang durch die linke Fußsohle in Krishnas Körper ein – dies war die einzige Schwachstelle an Krishnas Körper. All seine anderen Glieder und Körperteile waren unverwundbar, nur sein linker Fuß war verwundbar. Wann immer er gekämpft hatte, hatte er diesen Fuß gut geschützt, denn er wusste, dass es seine Schwachstelle war und auch Bala­rama wusste es.

Als der Jäger kam, um den Hirsch an sich zu nehmen, sah er Krishna, dessen Fuß der Pfeil getroffen, am Boden liegen. Der Jäger weinte bitterlich und bat um Vergebung. Krishna jedoch antwortete ihm: „Nein, es ist nicht deine Schuld. Meine Zeit ist gekommen. Deshalb hat es sich so zugetragen.“

„Weshalb ist es vorherbestimmt?“, fragte der Jäger.

„Dies ist der Fluch von Gandhari“, erzählte ihm Krishna.

Während der Schlacht von Kurukshetra wurden Gandharis einhundert Söhne von den Pandavas getötet. Ihr Herz war gebrochen. Nach der Schlacht sagte sie zu Krishna: „Du weißt nicht, durch welches Leid ich gehe! Ich verfluche dich. Dasselbe wird deinen Liebsten widerfahren. Sie werden streiten und untereinander kämpfen bis alle tot sind.“

Krishna sagte zu Gandhari: „Mutter, ich bin nicht für den Tod deiner Söhne verantwortlich. Ich bat sie, nicht zu kämpfen. Ich bat sie nur darum, den Pandavas fünf Dörfer zu überlassen, aber sie wollten nicht auf mich hören. Von Anfang bis Ende waren deine Söhne ungöttlich.“

Gandhari antwortete ihm: „Nein, nein! Ich weiß, du bist Gott. Du hättest den Krieg abwenden können, wenn du gewollt hättest. Du hättest meine Kinder und alle meine Lieben retten können. Aber wegen deiner Vorliebe für die Pandavas hast du es unterlassen. Deshalb verfluche ich dich. Genau dasselbe wird dir widerfahren. Alle deine Lieben werden sich gegenseitig töten.“

Gandharis fürchterlicher Fluch wurde wahr und Krishnas Sippe wurde völlig ausgelöscht. Man kann sich fragen, wie Gandhari eine Persönlichkeit wie Krishna verfluchen konnte. Tatsache ist, dass Krishna den Fluch hätte aufheben können, aber er beschloss ihn anzunehmen. Seine Haltung war: Wenn du mich schlagen willst, dann schlage zu.

From:Sri Chinmoy,Die Erd-Erleuchtungs-Trompeten der göttlichen Heimat, Teil 2, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/eit_2