Das Ende der Kshatriya-Linie

Wie du weißt, stellen wir uns in Indien die Gesellschaft als eine große Familie vor. In dieser Familie gibt es vier Klassen oder Kasten, welche im Idealfall zusammenarbeiten, um eine harmonische Familienfunktion zu erreichen. Die vier Klassen sind Brahmin, Kshatriya, Vaishya und Shudra. Brahmins schützen die Familie kraft ihrer Gebete und Meditationen vor schlechten Kräften. Kshatriyas sind Krieger. Sie schützen die Familie mit ihrer körperlichen Tapferkeit vor Feinden. Vaishyas sind Geschäftsleute und Kaufmänner. Sie unterstützen die Familie finanziell. Und Shudras dienen anderen. Sie besitzen weder Geld noch Intellekt, aber mit ihren starken Händen dienen sie dem Rest der Familie.

Die spirituellen Meister der indischen Vergangenheit kamen entweder aus der Brahmin-Klasse oder der Kshatriya-Klasse. Sri Ramachandra, Sri Krishna, Sri Chaitanya, Sri Ramakrishna und Sri Aurobindo, um nur einige zu nennen, waren alle entweder Brahmins oder Kshatriyas.

Sowohl Brahmins als auch Kshatriyas sind ungeheuer stolz auf das Ansehen, das sie in der Gesellschaft genießen. Obwohl Vaishyas die Familie unterstützen, besitzen sie nicht so viel Stolz. Sie fühlen, dass sie nicht die Andacht der Brahmins oder die Stärke und Tapferkeit der Kshatriyas besitzen. Die Shudras sind als Diener-Kaste völlig frei von Stolz.

Diese Geschichte handelt vom Zorn des Sohnes eines Brahmins auf die ganze Kshatriya-Klasse.

Es war einmal ein König, der zu Brahma betete, damit er ihn äußerst mächtig macht. Brahma gab ihm zahllose Waffen und der König war wahrlich allmächtig auf der Erde. Eines Tages ging der König mit seinem Gefolge jagen. Nachdem er einige Zeit auf der Jagd war, wurde der König müde. Er entdeckte in der Nähe eine kleine Hütte und ging hin, um ein Glas Wasser zu trinken.

Die Hütte war von einem Weisen namens Jamadagni bewohnt. Dieser Weise sagte zum König: „Du hast mich nur um etwas Wasser gebeten. Aber du bist der König. Wenn du und deine Soldaten auch essen wollt, bin ich in der Lage, euch allen Essen zu geben.“

Der König war vollkommen überrascht. „Du bist bettelarm! Wie kannst du uns allen Essen geben? Siehst du nicht, wie viele Soldaten mich begleiten?“

Der Weise gab nicht nach. „Ich kann euch bestimmt alle verpflegen“, sagte er. „Bitte lasst eure Soldaten kommen.“

Auf den Befehl des Königs kamen die Soldaten und setzten sich nieder. Jamadagni servierte ihnen ein köstliches Mahl. Unterdessen wurde der König neugierig, wie der Weise so viele Menschen bewirten konnte. Der König sah, dass der Weise nichts besaß außer einer Kuh. Der Name dieser Kuh war Kamadhenu. ‚Dhenu’ heißt Kuh und ‚Kama’ heißt Wunsch. Diese Kuh konnte jeden Wunsch erfüllen.

Der Weise hatte die Kuh gebeten, ein Festessen für die Armee des Königs bereitzustellen und sie hatte Essen und Trinken in Fülle hervorgebracht. Der König sagte zu dem Weisen: „Eine Kuh wie diese sollte allein einem König gehören. Bitte gib sie mir.“

„Auch wenn du der König bist, ich kann mich von der Kuh nicht trennen“, erklärte der Weise.

Der König war sprachlos über die abschlägige Antwort des Weisen. Er flehte den Weisen an, ihm die Kuh zu überlassen, aber der Weise wollte sie nicht hergeben. Letztendlich beschloss der König, der ein Kshatriya war, Gewalt anzuwenden, um in den Besitz der Kuh zu gelangen. Er und seine Soldaten kämpften mit dem Weisen, aber der Weise war sehr mächtig. Mit seinen göttlichen Waffen tötete er viele Soldaten des Königs und besiegte den König.

Wutentbrannt kehrte der König in sein Reich zurück und stellte eine stärkere Armee zusammen. Ein paar Monate später kehrte er zurück, um den Weisen nochmals anzugreifen und die Kuh in seinen Besitz zu bringen. Unglücklicherweise wurde der Weise während des folgenden Kampfes getötet und die Kuh wurde gestohlen.

Es begab sich, dass Jamadagnis Sohn Parashuram während des Kampfes nicht im Hause seines Vaters war. Als er zurückkam, seinen Vater tot auffand und entdeckte, dass die Kuh weg war, wurde Parashuram wütend. Er legte ein Gelübde ab, dass er alle Kshatriyas töten werde. „Jeden aus dieser Kaste, der mir unter die Augen kommt, werde ich töten“, sagte er.

Gemäß unserer indischen Mythologie wurden alle Kshatriyas einhundertzwanzigmal von Parashuram getötet, weil der König seinen Vater getötet hatte. Nachdem er die ganze Kshatriya-Linie ausgelöscht hatte, sagte Para-shuram: „Nun ist es Zeit für mich zu meditieren.“ Er begann zu meditieren und gab seinen Lebensatem im Trancezustand auf.

Doch irgendwie war unsere Kshatriya-Linie wiedererweckt worden und so wurden selbst sehr hochstehende spirituelle Meister in Kshatriya-Familien geboren.

From:Sri Chinmoy,Die Erd-Erleuchtungs-Trompeten der göttlichen Heimat, Teil 2, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/eit_2