Indra verliert sein Königreich

Indra ist der König der kosmischen Götter. Eines Tages packte ihn der Stolz und während er erhaben im Himmel weilte, vernachlässigte er Mutter Erde, Prakriti. Darüber wurde Prakriti so aufgebracht, dass sie Indra verfluchte. Sie sagte zu ihm: „Du wirst alles verlieren, was du hast – deinen Thron, dein Königreich, alles. Selbst dein Lehrer Brihas­pati wird dich strafen.“

Nachdem er von Prakriti verflucht worden war, wurde Indra sehr traurig und niedergeschlagen. Er verfiel buchstäblich der Verzweiflung. Wer sollte da zu ihm kommen, wenn nicht sein eigener Lehrer Brihaspati, welcher der Guru aller kosmischen Götter ist? Da Indra so niedergeschlagen war, zeigte er seinem Guru gegenüber keinerlei Respekt; er stand nicht einmal auf. Brihaspati wurde wütend. Er sagte: „Warum ist es unter allen kosmischen Göttern ausgerechnet dir nicht möglich, mir Respekt entgegenzubringen? Weißt du nicht, wer vor dir steht? Es ist dein eigener Guru! Ich verfluche dich! Du wirst dein Königreich verlieren, du wirst deinen Thron verlieren, du wirst all deinen Besitz verlieren. Alles, was du hast, wirst du verlieren. Du wirst zum Bettler werden.“

Prakritis und Brihaspatis Flüche wurden Wirklichkeit. Indra wurde zu einem wirklichen Bettler. Da hatte Brihaspati Mitleid mit Indra und er änderte seinen Fluch ein wenig. Er sagte zu Indra: „Nach sechzigtausend Jahren werde ich dir dein Königreich zurückgeben.“ So betete und meditierte Indra sechzigtausend Jahre lang und danach wurde ihm sein Königreich zurückgegeben. Leider entdeckte er, dass sein Königreich nicht mehr so schön war, wie es früher gewesen war. Sein Palast bedurfte einer Umgestaltung und viele andere Orte bedurften ebenfalls einer Restaurierung. Indra war von Traurigkeit erfüllt, weil sein Königreich nicht so vollkommen war wie früher. Deshalb beauftragte er den himmlischen Architekten Vishwa­karma damit, das Nötige zu erledigen.

Vishwakarma arbeitete viele Monate daran. Aus den Monaten wurden Jahre, aber Indra war noch immer nicht zufrieden. Er fand stets Fehler an Vishwakarmas Arbeit. Jeden Tag musste sich Vishwakarma Indras Beschimpfungen und Beleidigungen anhören. Außerdem blieb Vishwa­karma keine Zeit für seine anderen wichtigen Arbeiten und er fühlte sich deshalb unglücklich.

Eines Tages ging Vishwakarma zu Vishnu und sagte: „O Vishnu, bitte rette mich, rette mich! Indra hat mich damit beauftragt sein Königreich wieder aufzubauen. Ich habe so hart daran gearbeitet, um ihn zufrieden zu stellen, aber er ist mit meiner Arbeit nicht zufrieden. Er beschimpft und beleidigt mich ständig.“

„Ich will sehen, was ich für dich tun kann“, antwortete ihm Vishnu.

Vishnu nahm die Form eines sehr bemerkenswerten jungen Knaben an und erschien vor Indra. „Dieses Königreich ist dein Königreich?“ fragte er.

„Genau, es ist mein Königreich!“, sagte Indra. „Wer sonst könnte solch ein Königreich besitzen? Es ist meine Schöpfung. Da es so schön ist, bewunderst du es.“ Der Knabe sprach weiter: „Kein anderer Indra hat ein solch schönes Königreich oder einen solch glänzenden Palast. Hast du von jemandem Hilfe erhalten?“

„Ja“, sagte Indra „Vishwakarma hat mir ein wenig geholfen, aber er hat so gut wie nichts gemacht.“

„Kein anderer Vishwakarma kann bei der Umgestaltung eine Hilfe sein, kein anderer“ sagte der Junge geheimnisvoll.

„Was meinst du damit?“, schrie Indra. „Du sagst, kein anderer Indra und kein anderer Vishwakarma. Heißt das, es gibt mehr Indras und mehr Vishwakarmas?“

„Ja, ja, es gibt andere“, begann der Knabe. Indra wurde wütend. Als er sich vorstellte, dass es mehr als einen Indra gab, verlor er das ganze Interesse an seinem Königreich. Es machte ihm überhaupt nichts aus, dass es anscheinend noch andere Vishwa­karmas gab. Aber der Gedanke, dass es noch weitere Indras gab, war für ihn zu viel.

„Ich möchte dieses Königreich nicht länger“, sagte Indra mit trauriger Stimme. „Was soll ich jetzt tun?“

Vishnu nahm seine Form als kosmischer Gott wieder an. Er sagte zu Indra: „Geh und bade im Fluss und du wirst gereinigt werden. Nachdem du rein geworden bist, wirst du sehen, dass dein Königreich, dein Palast und all dein Besitz genauso vollkommen sind, wie sie es waren, bevor Prakriti dich verfluchte.

So erhielt Indra sein Königreich zurück und war vollkommen zufrieden.

From:Sri Chinmoy,Die Erd-Erleuchtungs-Trompeten der göttlichen Heimat, Teil 1, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/eit_1