So hielt auch Duryodhana ein Swayamvara für seine Lieblingstochter ab und viele Prinzen von königlichen Familien anderer Königreiche kamen. Jeder Prinz kam mit der Hoffnung, dass sie ihn als ihren Ehemann auserwählen würde.
Auch Krishnas Sohn Samba besuchte die Feier. Doch statt abzuwarten, ob die Prinzessin ihm die Girlande um den Hals legen würde, entführte er sie gewaltsam vor den Augen aller. All die anderen Prinzen wie auch die Familienmitglieder der Prinzessin waren empört, dass Samba es gewagt hatte, so etwas zu tun. Es war unfassbar, dass sich Krishnas eigener Sohn so benahm. In ihren Streitwagen jagten sie Samba hinterher und schließlich wurden sie seiner habhaft. Samba wurde gefangen genommen und im Königreich der Kauravas ins Gefängnis geworfen. Durch seine unbesonnene Tat war er nun vielen Demütigungen ausgesetzt.
Unterdessen wurde Duryodhanas Tochter gebeten, jemand anderen zu erwählen, zumal die meisten Prinzen noch auf dem Fest waren. Die arme Prinzessin war bereits so traurig und unglücklich, dass dies in ihrer gegenwärtigen Gemütsverfassung eine unmögliche Aufgabe für sie darstellte. Außerdem hegte sie tief in ihrem Herzen eine Zuneigung für Samba.
Angesichts ihrer Notlage schlugen einige Anwesende vor, den Swayamvara auf einen anderen Tag zu verschieben. „Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt“, sagten sie. „Die Prinzessin steht noch zu sehr unter Schock. Sie soll sich erst von dieser Strapaze erholen, bevor sie einen Ehemann erwählt.“
So kehrten die Prinzen enttäuscht in ihre Königreiche zurück und Samba blieb im Gefängnis. Die Neuigkeit von seiner Gefangennahme erreichte bald seinen Vater Krishna, der sehr traurig und bestürzt war. „So etwas muss mir mein Sohn antun!“ rief er aus. „Er weiß, dass die Kauravas unsere schlimmsten Feinde sind. Ich werde mich nicht aufmachen, um ihn zu befreien.“
Doch Krishnas Bruder Balarama war gerade von diesem Neffen sehr angetan. Er sagte zu Krishna: „Ich werde nicht erlauben, dass mein Neffe Samba im Königreich der Kauravas gefangen gehalten wird. Ich werde hingehen und ihn zurückbringen.“
Krishna erwiderte: „Tue, was immer du willst. Das Verhalten meines Sohnes hat mich in eine äußerst peinliche Lage gebracht. Gehe und tue, was du für richtig hältst.“
Balarama begab sich zum Königreich der Kauravas. Er sagte zu Duryodhana: „Ich bin gekommen, um meinen Neffen mit nach Hause zu nehmen.“
Duryodhana und seine Brüder begannen sich über Balarama lustig zu machen. „Dein Neffe ist so schlecht!“ sagten sie. „Warum willst du mit ihm in Verbindung gebracht werden?“
Balarama antwortete: „Es spielt keine Rolle was er getan hat, mein Herz ist voller Liebe zu ihm. Nun lasst ihn bitte frei.“
Aber Duryodhana wollte nicht erlauben, dass Samba frei gelassen wurde. Das machte Balarama wütend. Seine wichtigste Waffe war die Pflugschar. Er begann die Pflugschar zu schwingen und die Mauern des Gefängnisses niederzureißen. Die Soldaten, die das verhindern wollten, wurden alle vernichtet.
Als die Kauravas sahen, wie mächtig Balarama war, wurden sie ängstlich und ließen Samba frei. Dann sagte Balarama: „Ich verlange das Mädchen, Duryodhanas Tochter. Nun, da ich euch alle besiegt habe, will ich, dass Lakshmana meinen Neffen heiratet.“
Wieder begannen die Kauravas über Balarama zu lachen. „Sie hat die Girlande nicht um den Hals deines Neffen gelegt“, behaupteten sie. „Wie kannst du verlangen, dass sie ihn heiratet?“
Balarama sagte: „Nein, doch ich weiß, dass sie ihn liebt.“
Duryodhana wusste, dass Balarama die Fähigkeit besaß, alle Kauravas zu vernichten und war daher sehr besorgt. Er sagte zu sich: „Das Beste ist, meine Tochter wegzugeben. Andernfalls wird Balarama jeden töten, wenn ich sie behalte. Meiner Tochter wegen würde das ganze Königreich zerstört werden.“ Aus Angst ließ er Lakshmana mit Balarama und Samba ziehen. Er fragte sie nicht einmal, ehe er seine Entscheidung traf. Er sagte nur zu ihr: „Geh nun.“ Als Mitgift gab Duryodhana Tausende von Pferden und Wagen sowie Hunderte von herrlichen Elefanten.
Balarama kehrte mit Samba, Duryodhanas Tochter und all diesen Reichtümern von den Kauravas zurück nach Dwaraka, der Hauptstadt von Krishnas Königreich. Wieder einmal war Krishna sehr glücklich.
Kann man sich das vorstellen! Musste Krishnas Sohn Samba von allen Prinzessinnen ausgerechnet die Tochter von Krishnas ärgstem Feind, Duryodhana, für die Entführung aussuchen?
Natürlich sperrte Duryodhana den Knaben ein und warf ihn ins Gefängnis. Doch Balaramas Liebe zu seinem Neffen war so groß, dass er sich selbst auf den Weg machte und für Sambas Freiheit kämpfte. Als sich die Kauravas unterwarfen, gaben sie Balarama nicht nur Samba, sondern auch Duryodhanas Tochter und zusätzlich unermesslichen Reichtum.
Krishna, Arjuna und Duryodhana gehörten alle drei der Krieger-Kaste an. Sie waren Kshatriyas. Zu jener Zeit war es den Kshatriyas erlaubt, eine Frau zu entführen, doch es geschah gewöhnlich mit der gemeinsamen Zustimmung beider Parteien. Als Arjuna Krishnas Schwester Subhadra entführte, geschah dies mit Krishnas vollem Einverständnis, weil Krishna wusste, dass sich beide liebten. Aber als Balarama bemerkte, dass Arjuna Krishnas Schwester entführt hatte, wollte er Arjuna mit seinem Wagen folgen und ihn töten. Krishna musste Balarama beruhigen, indem er sagte, dass Arjuna der beste Krieger sei und es keine Schande wäre, ihn als Familienmitglied zu haben.
Der Brauch, eine Frau zu entführen, begann mit Vishma. Er entführte drei Schwestern für seinen Neffen Vichitravirya, den Großvater der Pandavas. Die Namen dieser drei Schwestern waren Amba, Ambalika und Ambika. Weil er sie gegen ihren Willen mitnahm, wurde Vishma verflucht und von diesem Tag an lief alles bei ihm schief.From:Sri Chinmoy,Die Erd-Erleuchtungs-Trompeten der göttlichen Heimat, Teil 1, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/eit_1