Prana und die Kraft der Chakren

Kundalini-Yoga ist der Yoga des Prana. Prana ist die Lebensenergie oder das Lebensprinzip des Universums. Es gibt drei Hauptkanäle, durch die diese Lebensenergie fließt. Diese Kanäle heißen Ida, Pingala und Sushumna. Auf Sanskrit werden diese Kanäle Nadis genannt. Ida, Pingala und Sushumna befinden sich in unserem subtilen physischen Körper, nicht im Grob-physischen. Durch Ida fließt der Strom der Lebensenergie auf der linken Seite des Körpers. Durch Pingala fließt der Strom auf der rechten Seite des Körpers. Durch Sushum­na fließt der Strom in der Mitte der Wirbelsäule.

Sushumna ist der wichtigste der drei Nadis. Er empfängt einen ununterbrochenen Strom von Lebensenergie aus dem universellen Bewusstseinslicht. Zwischen Ida und Pingala und den Tierkreiszeichen und den Planeten besteht eine innere Beziehung. Ida hat eine besondere Beziehung zum Mond und zum Planeten Merkur. Daher ist ihre Haupteigenschaft Kühle und Milde. Pingala steht mit Sonne und mit Mars in Verbindung, daher ist ihre Haupteigenschaft starke und dynamische Hitze.

Ida beherrscht das linke Nasenloch, Pingala das rechte. Wenn wir vorwiegend durch das linke Nasenloch ein- und ausatmen, wissen wir, dass Ida aktiv ist. Wenn wir durch unser rechtes Nasenloch ein- und ausatmen, ist Pingala aktiv. Und wenn beide Nasenlöcher gleichmäßig arbeiten, ist Sushumna aktiv. Manchmal geschieht es auch, dass Ida einatmet und Pingala ausatmet.

Ida, Pingala und Sushumna treffen an sechs verschiedenen Stellen zusammen. Jeder dieser Punkte bildet ein Zentrum und jedes Zentrum ist rund wie ein Rad. In der spirituellen indischen Philosophie werden diese Zentren Chakren genannt. Man nennt sie auch Lotus, weil sie wie eine Lotusblüte aussehen. Diese sechs Zentren, das wissen Sie vielleicht, heißen Muladhara, Svadhisthana, Manipura, Anahata, Vishuddha und Ajna. Ein weiteres Chakra im Gehirn nennt man Sahasrara. Weil es sich jedoch im Gehirn befindet und nicht entlang der Wirbelsäule, zählt man es nicht zu den anderen sechs Zentren. Außer diesen sechs Zentren gibt es noch viele andere Chakren im subtilen physischen Körper. Hier im Knie haben wir ein Chakra, selbst in den Zehen und den Fingerspitzen gibt es Chakren. Doch diese Chakren sind weniger wichtig und werden normalerweise nicht erwähnt.

Das Wurzelchakra oder der Lotus Muladhara hat vier Blütenblätter, deren Farben rot und orange sind. Das Milzchakra, Svadhisthana, hat sechs Blütenblätter. Die Blätter sind orange, blau, grün, gelb, violett und blutrot. Blutrot ist die dominierende Farbe in diesem Chakra. Das Nabelchakra, Manipura, besitzt zehn Blütenblätter, die rosa, orange und grün sind, wobei das Grün jedoch überwiegt. Das Herz­chakra, Anahata, ist zwölfblättrig. Seine Farbe ist ein leuchtendes Gold. Das Kehlkopfzentrum, der Vishuddha-Lotos, hat sechzehn Blütenblätter. Seine Farben sind blau und grün. Das Stirn-chakra, Ajna, hat nur zwei Blütenblätter. Doch innerhalb jeden Blütenblattes gibt es weitere achtundvierzig Blütenblätter. Hier ist die Farbe rosé. Das Scheitelzentrum, Sahasrara, besitzt 1000 Blätter oder um genau zu sein: 972. Es enthält alle Farben, doch die vorherrschende Farbe ist violett.

Das universelle Bewusstsein verkörpert universelle Musik. Jedes Chakra, in dem sich die Lebensenergie aus dem universellen Bewusstsein sammelt, erzeugt einen musikalischen Ton.

Vom Sahasrara-Zentrum wird der Ton shadja oder sa gebildet. In der westlichen Musik heißt er ‚do’. Vom Ajna-Zentrum kommt der Ton rishaba oder ri – hier ‚re’ genannt. Vom Vishuddha-Zentrum wird gandhara oder ga erzeugt: das westliche ‚mi’. Im Anahata-Zentrum wird der Ton madhyama oder ma gebildet – hier ‚fa’ genannt. Das Manipura-Zentrum erzeugt panchama oder pa – hier heißt es ‚so’. Aus dem Svadhisthana-Zentrum entspringt dhaivata oder dha – das ‚la’; und aus dem Muladhara-Zentrum nishada oder ni – im Westen ‚ti’ genannt.

Den sieben Chakren entsprechen sieben Welten. Muladhara entspricht Bhurloka, Svadhisthana Bhuvarloka, Manipura Svarloka, Anahata Janaloka, Vishuddha Tapoloka, Ajna Maharloka und Sahasrara Satyaloka. Für jede Welt steht ein bestimmtes Symbol: für Bhurloka die Erde, für Bhuvarloka das Wasser, für Svarloka die Hitze, für Janaloka die Luft, für Tapoloka der Äther, für Maharloka Energie und für Satyaloka der unendliche Raum.

Zu jedem Zentrum gehört zudem eine bestimmte Mutterkraft, die eine Manifestation der höchsten Mutter darstellt. Diese Mutterkräfte heißen Brahmi, Parameshwari, Kaumari, Vaishnari, Varahi, Indrani und Chamunda.

Jede von ihnen hat ihren ganz bestimmten Ort. Brahmi ist die Mutter-Kraft, die den unendlichen Raum verkörpert und durchdringt. Sie herrscht über alle Chakren. Brahmi hat ihren Sitz im Sahashrara-Chakra, dem Scheitelzentrum oder tausendblättrigen Lotos. Von dort aus herrscht sie über die Zentren unter ihr: Ajna, Vishuddha, Anahata, Manipura, Svadhisthana und Muladhara. Parameshwari hat ihren Sitz im Ajna-Chakra, dem Stirn-Zentrum. Von dort herrscht sie über Ajna und die Chakren unter ihr. Kaumari wohnt im Vishuddha-Chakra, dem Kehlkopf-Zentrum und herrscht über Vishuddha und die darunter liegenden Chakren. Vaishnavi beginnt vom Anahata-Chakra, dem Herz-Zentrum aus zu wirken und beherrscht die anderen Zentren darunter. Varahi, mit Sitz im Nabel-Zentrum, regiert die niederen Ebenen: Manipura, Svadhisthana und Muladhara. Indrani herrscht über Svadhisthana, das Milz-Zentrum und Muladhara am unteren Ende der Wirbelsäule. Und Chamunda regiert nur über das Muladhara-Chakra.

Zu jedem Zentrum gehört darüber hinaus eine vorherrschende Gottheit, ein kosmischer Gott. Brahma wird dem Muladhara-Chakra zugeordnet, Rudra dem Svadhisthana-Chakra, Vishnu dem Manipura-Chakra, Ishwara dem Anahata-Chakra, Sadashiva dem Vishuddha-Chakra, Shambhu dem Ajna-Chakra und Parameshwari dem Sahasrara-Chakra.

Diese Zentren können auf unterschiedliche Weise geöffnet werden. Die übliche Methode für diejenigen, die Kundalini-Yoga praktizieren, besteht darin, sich fest auf jedes Zentrum zu konzentrieren und die Mutter-Kraft oder die vorherrschende Gottheit dieses Zentrums sehr seelenvoll anzurufen. Allerdings weisen alle spirituellen Meister aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen darauf hin, dass es besser ist, zuerst das Herzzentrum zu öffnen versuchen. Wenn man zuerst das Herzzentrum öffnet, besteht praktisch kein Risiko. Es ist hingegen sehr gefährlich, mit dem Muladhara-, dem Svadhisthana- oder dem Ajna-Chakra zu beginnen. Andererseits gibt es auch Sucher, die eine ganz andere Methode anwenden. Ihnen liegt nichts an okkulter Kraft, sie wollen nur die Liebe, das Licht und die Wahrheit Gottes. Sie lernen, wie man höchst seelenvoll meditiert und wenn sie in ihrer Meditation sehr weit fortgeschritten sind, öffnen sich die Zentren von alleine. Durch die Gnade des Supreme können sich diese Zentren sogar ohne Meditation öffnen.

Wenn diese Zentren ohne entsprechende Reinigung geöffnet werden, wird es für den Sucher eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein. Es ist, wie wenn man mit dem Feuer oder mit einem scharfen Messer spielt. Der Sucher kann dabei andere zerstören oder selbst zerstört werden. Wir müssen uns bewusst sein, dass die wunderbaren Kräfte, die man durch die Öffnung dieser Zentren erhält, in der inneren Welt keineswegs wunderbar oder außergewöhnlich sind. Die Kräfte, die in diesen Zentren ruhen, sind völlig normal und natürlich. Nur wenn sie auf der physischen Ebene gebraucht werden, scheinen sie ungewöhnlich oder übernatürlich.

Jeder wirklich spirituelle Meister besitzt diese Kräfte. Auf der anderen Seite jedoch braucht man kein spiritueller Meister höchster Ordnung zu sein, um diese Kräfte zu besitzen. Man braucht nicht einmal ein großer Sucher zu sein. Selbst jemand, der ein normales, gewöhnliches, gottloses Leben führt, kann diese Kräfte entwickeln.

In Indien begegnete ich einigen Suchern – ich kann sie nicht einmal aufrichtige Sucher nennen –, die etwas okkulte oder Kundalini-Kraft besaßen. Doch sie missbrauchten sie die meiste Zeit. Sie öffneten zum Beispiel ihr drittes Auge, um zu erfahren, was ihre Freundinnen über sie dachten. Das ist völlig lächerlich! Sie hätten das dritte Auge genauso gut dazu benutzen können, ihre eigenen dunklen, unreinen Gedanken zu zerstören. Obwohl sie die Fähigkeit dazu hatten, machten sie keinen Gebrauch davon. Jemand anderes benutzte seine okkulte Kraft dazu, nachts seine Feinde zu bedrohen und sie zu zwingen, am nächsten Morgen zu tun, was immer er von ihnen wollte. Mit Hilfe seiner okkulten Kraft, seines dritten Auges, machte er seine Feinde zu seinen Sklaven. Doch er hätte sein drittes Auge dazu benützen können, Gottes Willen in seinem eigenen Leben und im Leben anderer zu erfahren. Wenn es Gottes Wille gewesen wäre, jemandes spirituellen Fortschritt zu beschleunigen, hätte er sein drittes Auge benutzen können, um dem Betreffenden zu helfen. Wenn es richtig gebraucht wird, hat jedes Zentrum etwas Besonderes anzubieten. Dann wird es zu einem wirklichen Segen für den inneren Führer und die ganze Menschheit.

Ich möchte ganz deutlich darauf hinweisen, dass das Öffnen der Zentren nicht bedeutet, dass man Gott verwirklicht oder unmittelbar vor der Gottverwirklichung steht. Das Öffnen der Zentren ist nicht notwendigerweise der Vorbote der Gottverwirklichung, weit davon entfernt! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ganz gleich, wie viele Zentren man geöffnet hat – selbst wenn alle sieben Zentren geöffnet sind, ist das kein Zeichen dafür, dass man kurz vor der Gottverwirklichung steht oder verwirklicht ist. Vom höchsten spirituellen Gesichtspunkt aus ist das Öffnen der Zentren wie die Spiele, die eine Mutter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz spielt. Kinder lieben Spiele und die Mutter zeigt dabei ihre Fähigkeiten. Sie tut es keineswegs aus Stolz oder Eitelkeit. Nein! Die Mutter weiß einfach, dass die Kinder Spaß daran haben. Sie kann ihnen auf diese Weise etwas Freude, etwas Vergnügen bereiten, daher spielt sie diese Spiele. Normalerweise sind es Shiva auf der Sahashrara-Ebene und seine Gefährtin Shivani von der Muladhara-Ebene, auf der die Kundalini fest schläft, die spielen. Wenn sie mit ihren Kindern in der inneren Welt spielen, beginnen die okkulten Kräfte aktiv zu werden.

Beginnen wir nun am Anfang:

beim Muladhara-Chakra, dem Wurzelchakra.

Wenn man die Herrschaft über das Muladhara-Zentrum erlangt, kann man sich nach Belieben unsichtbar machen. Man kann alle Krankheiten überwinden. Man kann erfahren, was immer man erfahren will und entdecken, was immer man entdecken will. Wenn man Gottes Mitgefühl, Gottes Licht, Gottes Liebe für sich entdecken will, kann man das tun. Wenn man jedoch mit derselben Kraft zu erfahren versucht, was jemand anderes denkt oder was sich in dessen äußerem Leben abspielt, oder wenn man sie gebraucht, um aus Neugierde herauszufinden, ob ein dritter Weltkrieg ausbrechen wird, dann missbrauchen wir diese Kraft.

Wenn jemand, der das Muladhara-Zentrum beherrscht, sieht, dass ein anderer an einer bestimmten Krankheit leidet, muss er wissen, ob der Betreffende die Krankheit verdient hat oder ob sie auf einen feindlichen Angriff zurückzuführen ist. Wen der Kranke etwas Falsches getan hat, muss er natürlich nach dem Gesetz des Karma die Strafe dafür bezahlen. Wenn die Krankheit jedoch nicht vom karmischen Gesetz herrührt, sondern vom Angriff einer feindlichen Kraft und wenn es Gottes Wille ist, dass die Krankheit geheilt wird, dann sollte ein spiritueller Mensch mit dieser Fähigkeit die Krankheit natürlich heilen. Wenn er es jedoch nach eigenem Gutdünken tut oder auf ungöttliche Weise handelt und nur angeben will, dann verstößt er gegen das kosmische Gesetz. Er heilt dann zwar den Kranken, aber diese Heilung wird sich letzten Endes sowohl gegen den Heiler als auch gegen den Kranken selbst wenden. Sie wird die unwissenden und selbst zerstörerischen Eigenschaften nur noch vergrößern. Der Heiler sollte also wissen, ob es der Wille Gottes ist, dass ein Kranker geheilt wird. Nur dann wird er heilen, andernfalls wird er schweigen und nichts tun. Sie fragen jetzt vielleicht, wie kann er jemanden leiden sehen und dennoch untätig bleiben? Wenn sein Herz sehr groß ist, dann soll er nach innen gehen und sehen, wer es ist, der in dem Kranken und durch den Kranken leidet. Er wird sehen, dass es Gott ist, der in dem Betreffenden eine Erfahrung macht.

Svadhisthana, das Milz-Chakra:

Wenn man Meisterschaft über dieses Chakra besitzt, erlangt man die Macht der Liebe. Man liebt alle und wird von allen geliebt, von den Menschen wie von Tieren. Hier fallen Sucher sehr oft vom Pfad des Lichts und der Wahrheit ab. Göttliche Liebe ist Ausdehnung und Ausdehnung ist Erleuchtung. Liebe kann als Ausdehnung unseres göttlichen Bewusstseins zum Ausdruck kommen oder sie kann sich als Vergnügen ausdrücken. Wenn das Svadhisthana-Zentrum geöffnet wird, versuchen die niederen Kräfte, die sexuellen Kräfte, das Bewusstsein des Suchers herabzuziehen. Wenn der Sucher an diesem Punkt Reinheit in großem Maße vom Anahata-Zentrum, dem Herzzentrum, herabbringen kann, dann wird diese Unreinheit in Reinheit verwandelt. Und Reinheit wird letzten Endes zu ewig-erfüllender und immerwährender Göttlichkeit. Doch wenn es ihm nicht gelingt, Reinheit herabzubringen, dann bedeutet dies wahre Zerstörung, die Zerstörung des Lebens des Suchers. Das niedere Vitale beginnt auf äußerst leidenschaftliche und machtvolle Weise zu wirken und manchmal wird es schlimmer als das niedere Vitale eines gewöhnlichen Menschen. Ein gewöhnlicher Mensch verfällt dem vitalen Leben nicht in dem Maße, wie es gewisse Sucher tun, nachdem sie ihre Svadhisthana-Zentrum geöffnet haben.

Manipura, das Nabelchakra:

Wenn man die Meisterschaft über dieses Zentrum erlangt, besiegt man Kummer und Leiden. Was immer auch im Leben passieren mag, man wird sich nie mehr traurig oder schlecht fühlen. Aber dieses Zentrum kann genau wie das Svadhisthana-Chakra Probleme schaffen; es ist ebenfalls gefährlich. Wenn man die Macht des Manipura-Zentrums missbraucht, kann man anderen Leid zufügen und sich den Fluch der Welt aufladen. Wie das Ajna-Chakra kann dieses Zentrum dem Sucher zeigen, wohin ein Verwandter oder ein geliebter Mensch nach seinem Tod gegangen ist. Es ermöglicht uns zu sehen, wie ein Mensch die vitale Welt durchschreitet und in die subtile Welt und die höheren Ebenen eintritt. Es zeigt uns, wie jemand nach dem Tod von einer Hülle in die andere übergeht. Dieses Zentrum gibt uns auch die Macht der Verwandlung. Man kann mit seiner Hilfe einen Gegenstand vergrößern oder ihn unendlich verkleinern. Darüber hinaus besitzt dieses Zentrum heilende Kraft. Wie ich schon sagte, ist diese Kraft ein echter Segen, wenn man sie richtig, das heißt in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen, gebrauchen kann. Ansonsten ist sie ein Fluch.

Anahata, das Herzzentrum:

Seine Macht ist unglaublich. Ein Sucher, der die Herrschaft über das Anahata-Zentrum besitzt, hat freien Zugang zu den sichtbaren und unsichtbaren Welten. Zeit unterwirft sich ihm, Raum unterwirft sich ihm. Wenn er dieses Zentrum benutzt, kann er in seinem subtilen Körper in wenigen Sekunden an jeden Ort der Erde reisen. Dabei geht er jedoch ein großes Risiko ein. Angenommen er möchte okkult und spirituell von Amerika nach Europa reisen um zu sehen, was sich dort ereignet. Wenn er von den anderen Zentren nicht die notwendige Zustimmung oder Unterstützung dazu erhält, kann es geschehen, dass sie die Seele bei der Rückkehr nicht wieder in den Körper eintreten lassen. Ich kenne eine ganze Reihe von Fällen in Indien, in denen Yogis ihren Körper durch ihr Herzzentrum verließen ohne die Unterstützung oder die Zustimmung der anderen Zentren erhalten zu haben und ohne sie wenigstens vorher zu informieren. Da die anderen Zentren nicht die besondere Fähigkeit des Herzzentrums besitzen, fühlen diese Yogis, sie bräuchte nur das Herzzentrum zu benützen. So werden die anderen Zentren eifersüchtig. Eifersucht gibt es überall, in der inneren Welt genauso wie in der äußeren Welt. Selbst unter den kosmischen Göttern gibt es Eifersucht. Weil sie eifersüchtig sind, lassen die anderen Zentren nun die Seele nicht mehr zurückkommen. Wenn man diese Kraft gebraucht, sollte man zuerst die Erlaubnis des inneren Führers einholen. Wenn der innere Führer seine Zustimmung gibt, können die anderen Zentren keinen Schaden mehr anrichten, da der innere Führer unendlich viel mehr Macht hat als sie.

Im Anahata-Zentrum kann man die tiefste Seligkeit des Einsseins genießen, man kann reine Freude erfahren. Jeder Mensch kann eine Blume betrachten und sich daran erfreuen, doch die Intensität der Freude, die die Blume verkörpert, kann nicht jeder fühlen. Wenn jedoch jemand, dessen Herzzentrum geöffnet ist, eine Blume betrachtet, wird all die Freude und all die Schönheit, die die Blume besitzt, sein eigen werden. Wenn der Sucher den weiten Ozean betrachtet, wird er unweigerlich in seinem Herzen die Weite des Ozean fühlen. Wenn er den weiten Himmel betrachtet, tritt er in den Himmel ein und wird zum Himmel. Alles Weite, Reine, Göttliche, Erhabene, das er betrachtet, kann er unmittelbar als sein Ureigenstes erfahren und dazu werden. Es gibt keinen gähnenden Abgrund mehr zwischen dem, was er sieht, und dem, was er ist. In seinem Bewusstsein wird er zu dem, was er betrachtet.

Das ist keinesfalls nur Einbildung! Dieses Herz ist ein göttliches Herz, welches das universelle Bewusstsein in sich trägt. Das spirituelle Herz ist nicht das Herz, das wir in unserem physischen Körper finden. Das spirituelle Herz ist größer als das Größte. Es ist weiter als das universelle Bewusstsein selbst. Wir sagen immer, es gebe nichts, das dem universellen Bewusstsein überlegen sei, doch das ist ein Irrtum. Das Herz, das spirituelle Herz, umfasst das universelle Bewusstsein. Dieses Zentrum ist völlig gefahrlos, wenn wir es dazu benützen, uns mit der Weite, mit der Schönheit der Natur zu identifizieren. Wenn wir es jedoch dazu gebrauchen, außerhalb unseres Körpers zu reisen, gehen wir ein Risiko ein.

Vishuddha, das Kehlkopf-Chakra:

Wer das Vishuddha-Chakra beherrscht, hat die Fähigkeit, der Welt göttliche Botschaften zu geben. Ihm enthüllt die universelle Natur uralte verborgene Geheimnisse. Die Natur verbeugt sich hier vor dem Sucher. Er kann ewige Jugend bewahren. Die äußere Welt unterwirft sich ihm. Die innere Welt umarmt ihn. Wir erhalten ständig Botschaften von verschiedenen Bewusstseinsebenen, doch wenn man eine Botschaft vom Vishuddha-Zentrum erhält, ist diese Botschaft erhaben und ewig. Wenn dieses Zentrum geöffnet ist, erhält man unmittelbare Botschaften vom Supreme und wird zum Sprachrohr des Supreme. Man wird ein Dichter, ein Sänger oder ein Künstler. Alle Kunstformen kommen durch dieses Zentrum zum Ausdruck. Es ist in vielen Menschen geöffnet, doch seine Aktivität hängt vom Grad seiner Öffnung ab, vom Entwicklungsstand eines Menschen. Das Kehlkopf-Chakra birgt kaum irgendeine Gefahr; es ist ein sehr mildes Zentrum. Es greift nicht in das Wirken anderer Zentren ein und die anderen Zentren lassen es ebenfalls in Ruhe.

Ajna, das Stirnchakra:

Wer dieses Chakra beherrscht, zerstört seine dunkle Vergangenheit, beschleunigt die goldene Zukunft und manifestiert die Gegenwart in einer höchst erfüllenden Weise. Seine seelischen und okkulten Kräfte kennen keine Grenzen, sie sind endlos. Das Ajna-Chakra, das etwas oberhalb der Nasenwurzel liegt, ist das machtvollste Zentrum. Wenn das dritte Auge sich öffnet – sofern dies auf die richtige Weise geschieht – zerstört man damit als erstes seine unstrebsame und ungöttliche Vergangenheit. Wenn wir im Augenblick etwas sehen oder erfahren, besteht ein Unterschied zwischen unserer Erfahrung und dem Gegenstand, den wir erfahren. Wenn das Stirnchakra jedoch geöffnet ist, erfahren wir den Gegenstand selbst, wir werden eins mit dem Gegenstand unserer Erfahrung. Jetzt gehren Sehen und Werden zusammen. Sehen selbst ist Werden und Werden ist Sehen. Aus diesem Grund will der Sucher, der sein drittes Auge geöffnet hat, die Vergangenheit aus seinem Gedächtnis löschen. Nehmen wir einmal an, jemand wurde in dieser Inkarnation ein Yogi. Wenn er auf seine vorhergehenden Inkarnationen zurückblickt, sieht er vielleicht, dass er ein Dieb oder etwas noch Schlimmeres gewesen ist. Da er jetzt nicht mehr in diese Erfahrung eintreten möchte, wird er versuchen, diesen Teil seiner Vergangenheit auszulöschen. Jetzt hat er die Macht dazu.

Wenn man Gott verwirklicht, wird die Vergangenheit automatisch gelöscht. Wie ich schon sagte – wenn man das dritte Auge oder irgendein anderes Zentrum öffnet, bedeutet das noch nicht, dass man Gott verwirklicht hat. Wenn man Gott jedoch verwirklicht, wird die dunkle, unreine oder ungöttliche Vergangenheit auf einen Schlag erleuchtet und ausgelöscht. Im Augenblick der Gottverwirklichung findet Erleuchtung statt. Es ist als trete man aus einem dunklen Raum in einen erleuchteten Raum. Wo vorher alles dunkel war, wird es jetzt hell. Gottverwirklichung bedeutet unmittelbare Erleuchtung.

Mit dem Ajna-Chakra kann die Vergangenheit gelöscht und die Zukunft in die Unmittelbarkeit des Heute gebracht werden. Wenn man weiß, dass man in zehn Jahren etwas vollbringen oder zu etwas werden wird, kann man mit Hilfe des dritten Auges dieses Ergebnis schon heute erreichen. Man braucht keine zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre zu warten.

Doch wenn man solche zukünftigen Ereignisse zum Vorschein bringt, kann das bisweilen sehr gefährlich sein. Es gab viele, viele Fälle, wo die Zukunft eines Suchers sehr hell und leuchtend war. Doch wenn die Zukunft unmittelbar in die Gegenwart gebracht wird, erschreckt und verwirrt das Ausmaß des Ergebnisses den Sucher. Der Sucher ist wie ein junger Elefant. Mit den Jahren wird er immer stärker und nach zehn Jahren wird er gewaltige Kraft besitzen. Doch wenn diese Kraft jetzt zum Vorschein kommt, kann die innere Empfänglichkeit dafür fehlen. Die Kraft kommt hervor, aber sie kann nicht unter Kontrolle gebracht oder in einem sicheren Gefäß eingeschlossen werden. Zu diesem Zeitpunkt wirkt diese Kraft wie ein Gegner und zerstört die Person, die sie herbeigerufen hat. Daher ist es sehr gefährlich, die Zukunft in die Gegenwart zu bringen.

Lassen Sie die Gegenwart wachsen und ihre Rolle spielen. Die Vergangenheit hat ihre Aufgabe erfüllt, jetzt ist die Gegenwart am Zug. Nur in wenigen Fällen, wenn Gott will, dass ein Sucher sehr schnellen Fortschritt macht, kann man sehr schnell laufen anstatt systematisch voranzugehen. Es ist genau wie bei einem Schüler in der Schule. Manchmal durchläuft ein Schüler nicht alle Stufen vom Kindergarten über die Grundschule zum Gymnasium, manchmal lässt er eine Stufe aus. So ist es auch im spirituellen Leben – wenn Gott will, dass die Zukunft in die Gegenwart gebracht wird, besteht keine Gefahr. Wenn dies nicht der Fall ist kann es außerordentlich gefährlich sein.

Mit dem dritten Auge kann man sehr vieles vollbringen. Das dritte Auge besitzt, was Gott, die höchste Macht, ist. Wenn diese höchste Macht vom dritten Auge missbraucht wird, dann bedeutet das Zerstörung, völlige Zerstörung. Doch wenn das dritte Auge die höchste, transzendentale Kraft richtig und göttlich gebraucht, dann wird sie ein großer Segen sein, der größte Segen, den die Menschheit sich vorstellen kann.

Sahasrara, das Scheitelchakra:

Das Sahasrara-Chakra ist das stille Chakra., das sich nirgendwo einmischt. Es ist wie das älteste Mitglied der Familie; es stört niemanden und möchte auch von niemandem gestört werden. Wenn dieses Zentrum dauerhaft geöffnet ist, genießt man unendliche Seligkeit und wird untrennbar eins mit dem ewig sich transzendierenden Jenseits. Man erkennt, dass man frei von Geburt und Tod ist. Man lebt nur noch in Unendlichkeit, Ewigkeit und Unsterblichkeit. Das sind jetzt keine vagen Begriffe mehr, sondern Wirklichkeiten. In diesem Augenblick sieht man sich als Ewigkeit und wächst in die Ewigkeit hinein, im nächsten Augenblick sieht man sich als Unendlichkeit und wächst in die Unendlichkeit hinein; einige Augenblicke später sieht man sich als Unsterblichkeit und wächst in seinem Bewusstsein in die Unsterblichkeit hinein. Und manchmal geschieht es, dass Unendlichkeit, Ewigkeit und Unsterblichkeit sich im eigenen Bewusstsein vereinen.

Wenn das Sahasrara-Zentrum geöffnet ist, wird der innere Führer zu einem echten Freund. Hier werden das Unendliche und sein auserwählter Sohn die besten Freunde, um ihre besondere Mission für ihre gegenseitige Manifestation zu erfüllen. In einem Sekundenbruchteil verraten sie einander zahllose Geheimnisse, Millionen von Geheimnisse. Auf der einen Seite genießen Vater und Sohn unendlichen Frieden und unendliche Seligkeit, auf der anderen Seite unterhalten sie sich über die Probleme der Welt, universelle Probleme, und das alles im Bruchteil einer Sekunde. Doch ihre Probleme sind keine wirklichen Probleme. Ihre Probleme sind lediglich Erfahrungen in ihrem kosmischen Spiel.

Von allen Zentren ist Sahasrara das höchste, das friedvollste, das seelenvollste, das fruchtbarste. Dort sind Unendlichkeit, Ewigkeit und Unsterblichkeit eins geworden. Die Quelle wird eins mit der Schöpfung und die Schöpfung wird eins mit der Quelle. Hier werden der Wissende und das Gewusste, der Liebende und der Geliebte, der Sohn und der Vater eins. Gemeinsam transzendieren der Schöpfer und die Schöpfung ihren Traum und ihre Wirklichkeit. Ihr Traum lässt sie fühlen, was sie sind, und ihre Wirklichkeit lässt sie fühlen, was sie tun können. Wirklichkeit und Traum werden eins.

Kundalini Yoga

Zweiter Vortrag 21. Februar 1973

From:Sri Chinmoy,Kundalini - die Kraft der göttlichen Mutter, The Golden Shore Verlagsges. mbH, Nürnberg, 2018
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/kmp