Auf irdische Eltern und auf himmlische Eltern hören

Einst wollte ein Junge das spirituelle Leben annehmen, doch die Mutter des Jungen war strikt dagegen. Sie protestierte ganz vehement dagegen. Aber der Sohn hörte überhaupt nicht auf seine Mutter. Der Junge ging zu einem sehr guten und sehr aufrichtigen Sucher, in der Hoffnung, dass ihm der Sucher einen Rat geben könne. Der Sucher sagte: „Du darfst deine Mutter nicht unglücklich machen.“ Der Sucher hatte seine eigene Mutter unglücklich gemacht, indem er das spirituelle Leben angenommen hatte.

Dann kam die Mutter des Jungen zu dem Sucher und sagte zu Ihm: „Du bist so ein guter Mensch. Ich erhalte so viel Freude, wenn ich dich sehe. Aber mein Sohn ist so schlecht! Er hört überhaupt nicht auf mich. Kannst du ihm nicht einen Rat geben und ihm sagen, dass es gut ist, auf seine Mutter und auf seinen Vater zu hören?“

Der Sucher sagte: „Da bin ich der Falsche.“

„Warum?“ fragte die Mutter.

„Ich folge dem spirituellen Leben entgegen den Wünschen meines Vaters und meiner Mutter. Wie kann ich deinem Sohn den Rat geben, den du erwartest, wenn ich selbst genau das Gegenteil tue?“

Die Mutter fragte: „Gibt es denn jemanden, der mir helfen kann?“

„ Ja“, antwortete der Sucher. „Bitte gehe zu meinem Lehrer. Er wird dir helfen können.“

Der Sucher brachte die Mutter und ihren Sohn zu seinem spirituellen Meister. Er trug dem Meister ihr Anliegen vor und fügte hinzu, dass sie sehr darunter litt.

Der Meister sagte: „Ich bin der Falsche, wenn es darum geht, deinem Sohn einen Rat zu geben. Meine Eltern waren dagegen, dass ich das spirituelle Leben angenommen habe, und ich habe nicht auf sie gehört. Was kann ich machen? Wie kann ich deinem Sohn sagen: ‚Du musst auf deine Eltern hören,‘ wenn ich selbst nicht auf meine Eltern gehört habe?“

Der betreffende Meister hatte eine alte Frau als Schülerin. Sie war ungefähr neunzig Jahre alt. Sie sagte: „Ich bin die Richtige, um dir zu helfen.“

Die Mutter fragte: „Wie kommst du darauf, dass du die Richtige bist?“

„Als ich siebzig Jahre alt war, trat ich in das spirituelle Leben ein; so brauchte ich damals keine Erlaubnis meiner Eltern.“

Alle begannen zu lachen. Sie war eine so alte Frau! Warum sollte sie die Erlaubnis ihrer Eltern brauchen, um in das spirituelle Leben einzutreten?

Sie sagte: „Ich hatte großes Glück, dass ich die Erlaubnis meiner Eltern nicht brauchte. Sie waren zu dem Zeitpunkt nämlich nicht mehr am Leben.“

Dann sagte der spirituelle Meister: „Nun gut. Ich sage dir, dass wir irdische Eltern und darüber hinaus auch himmlische Eltern haben. Wir müssen oft zwischen den irdischen Eltern und den himmlischen Eltern wählen.

Der Vater kann sagen: ‚Tue dies!‘ Die Mutter kann sagen: ‚Tue dies nicht!‘ Dann musst du dich entscheiden. Du kannst nicht beide gleichzeitig zufrieden stellen. Ähnlich verhält es sich, wenn unser innerer Vater uns etwas aufträgt. Hier auf der Erde mag es sein, dass unsere Mutter genau das Gegenteil davon sagt. In dem Fall wird es uns leider nicht gelingen, beide gleichzeitig zufrieden zu stellen.

Der innere Vater ist die innere Stimme deines Sohnes, die ihm sagt, dass er das spirituelle Leben annehmen soll. Du, seine äußere Mutter, sagst ihm: ‚Nein! Du darfst das spirituelle Leben nicht annehmen!‘

Dein Sohn will zweifellos seine innere Stimme zufrieden stellen, die Gott ist, sein Vater. Du musst ihm die Freiheit geben zu wählen. Er schwankt hilflos zwischen dir und seinem inneren Vater hin und her.“

Der spirituelle Meister fügte hinzu: „Als ich das spirituelle Leben angenommen habe, entschied ich mich bewusst für den göttlichen Vater in mir. Mein Schüler, der dich heute hierher gebracht hat, tat das Gleiche. Auch seine Eltern wollten nicht, dass er das spirituelle Leben annimmt. Aber innerlich erhielt er ständig Botschaften vom göttlichen Vater in ihm, und so verweigerte er seinen Eltern den Gehorsam und entschied sich für seine innere Stimme, für Gott.

Du beklagst dich darüber, dass dir dein Sohn nicht gehorcht. Das ist wahr. Wenn du fühlst, dass du im Recht bist, musst du zu Gott beten und es Gott überlassen, den Willen deines Sohnes zu ändern. Dies ist der einzige Weg. Nachdem du zu Gott gebetet hast, wirst du erkennen, dass der Ungehorsam deines Sohnes kein Ungehorsam ist. Dein Sohn hat die ganze Zeit auf seine innere Stimme gehört, die Gott selbst ist. Glaube mir, eines Tages wirst du überaus stolz auf deinen Sohn sein.“

From:Sri Chinmoy,Der Verstandes-Dschungel und der Herzens-Garten des Lebens, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2019
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/mjh