Der alte Mann sagte: „Warum weinst du? Ich werde dir gerne Geld geben, wenn es das ist, was du brauchst.“
„Ich brauche kein Geld. Ich bin ganz außer Fassung, weil ich so eitel bin. Da ich der Ansicht bin, dass ich sehr schön bin, betrachte ich mich jeden Tag im Spiegel. Ich liebe meine Schönheit und bewundere mich. Das ist überhaupt nicht gut!“
Der alte Mann sagte: „Bitte mach dir keine Sorgen!“
„Aber ich weiß, dass es eine Sünde ist, seine eigene Schönheit über die Maßen zu bewundern. Ich verbringe so viel Zeit damit, in den Spiegel zu schauen. Ich betrachte meine Augen, mein Haar und alles. Ich betrachte, wie schön ich bin! Aber es ist eine solche Sünde, so eitel zu sein wie ich.“
Der alte Mann erwiderte: „Nein, nein! Es ist keine Sünde. Es ist lediglich ein Fehler. Wiederhole einfach den gleichen Fehler nicht mehr.“
Das Hausmädchen sagte: „Ich kann von dieser Gewohnheit nicht lassen. Ich muss jeden Tag sehr viel Zeit damit verbringen, meine Gliedmaßen, Haare, Nase, Ohren, Augen – alles zu bewundern. Was kann ich tun?“
Der alte Mann bot ihr seinen Rat an. „Du weißt, dass ich ein alter Mann bin. Ich habe all meine Haare verloren, und ich bin überhaupt nicht schön. In wenigen Jahren werde ich sterben. Ich bin sehr alt! Du liebst mich sehr, und ich liebe dich sehr. Was du tun kannst, wenn du in den Spiegel schaust, ist sofort an mich zu denken. Stell dir vor, dass mein Gesicht auf der anderen Seite ist. Stell dir mein Gesicht vor, das überall Falten hat. Betrachte meinen kahlen Kopf und denke an meine Augen und an mein Gesicht.“
Sie sagte: „Meine Liebe zu dir und meine Bewunderung für dich ist sehr groß. Du bist mein Chef. Du weißt, wie sehr ich dich liebe und bewundere. Wie kann ich da so etwas tun?“
„Nein, du kannst es tun. Wenn du mit deiner ganzen Liebe an mich denkst, wirst du mich und nicht dich selbst im Spiegel sehen können.“
Das Hausmädchen sagte: „Das kann ich einfach nicht tun.“
Der alte Mann sagte: „Das passt schon. Hör nicht auf mich. Geh nur und bewundere deine Schönheit stundenlang. Es ist mir aber unbegreiflich, wie du jeden Tag pünktlich hierher kommen kannst.“
„Ich stehe jeden Morgen sehr früh auf, damit ich genügend Zeit habe, um in den Spiegel zu schauen, einfach um zu sehen, wie schön ich bin; dann komme ich zu dir ins Haus. Jeden Tag habe ich bereits so viele Sünden begangen!“
Ihr Chef sagte: „Ich habe dir bereits gesagt, dass dies lediglich ein Fehler ist. Mach dir keine Sorgen. Wenn du dein Problem wirklich lösen willst, dann tue genau das, was ich dir vorgeschlagen habe.“
Sie sagte: „In Ordnung. Morgen werde ich es versuchen.“
Am darauf folgenden Morgen schaute das Hausmädchen in den Spiegel und dachte an ihren Chef. Da sah sie ein altes Gesicht mit faltiger Haut und ohne Haare. Sie sagte zu sich: „Das ist schrecklich! Ich möchte das nicht sehen!“
Als sie zur Arbeit kam, sagte das Hausmädchen: „Chef! Chef! Du hast mich gerettet! Heute habe ich keine Zeit vor dem Spiegel verbracht. An anderen Tagen habe ich für normalerweise mindestens eine halbe Stunde damit verbracht, meine Schönheit zu bewundern. Heute, sofort als ich in den Spiegel sah, habe ich dich sehen können. Da verlor ich jegliche Lust, in den Spiegel zu schauen. Wenn wir hier zusammen sind, sehe ich, wie nett, mitfühlend und liebenswert du bist. Aber als ich in den Spiegel sah, konnte ich dem, was ich sah, nichts abgewinnen!“
Der Chef sagte: „Das freut mich. Ich habe dir die Medizin gegeben. Jeden Tag, wenn du in den Spiegel schaust, werde ich dein Problem lösen. Du wirst mich dort sehen – einfach wie hässlich ich bin – und musst nicht deine wertvolle Zeit vergeuden. Es wird dir mit Sicherheit gelingen, deine Eitelkeit ganz abzulegen.“From:Sri Chinmoy,Der Verstandes-Dschungel und der Herzens-Garten des Lebens, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2019
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/mjh