Parvati wird die Tochter eines Fischers1

Ich bin inspiriert, eine Geschichte zu erzählen, die mit dem Berg Kailash zu tun hat, denn Kailash massiert mich gerade. Wie ihr wisst, ist der Berg Kailash unser heiligster Berg.

Lord Shiva kann schnell, sehr schnell zufrieden gestellt werden. Man kann ihn mit einem einfachen Blatt, dem Tulasi-Blatt, anbeten, das in Indien überall verfügbar ist. Wenn man nur ein wenig Wasser auf das Blatt spritzt und es dann zu Füßen von Lord Shiva legt, wird er einem alles geben. Manchmal gibt er den Menschen Segnungen, doch manchmal schafft er sich auch selbst Probleme!

Lord Shivas Gefährtin ist Parvati, und ihr Wohnort befindet sich auf dem Gipfel des Berges Kailash. Lord Shiva pflegte jeden Tag Parvati sehr schwierige Texte aus den Veden zu erläutern. Viele Dinge in unseren heiligen Büchern sind sehr schwer zu verstehen, daher hat er sie ihr sorgfältig erklärt. Das ging jahrelang so.

Eines Tages fand Parvati die Erklärung von Lord Shiva langweilig und verlor ihre Konzentration. Als Lord Shiva bemerkte, dass sie ihre Konzentration verloren hatte, verfluchte er sie mit seinem dritten Auge – welches sein Zerstörungsaspekt ist. Er sagte: „Du hörst mir nicht zu, daher verfluche ich dich. Du musst eine menschliche Inkarnation als Fischerin annehmen!“

Ein Fluch ist ein Fluch. Daher musste Parvati auf die Erde herabkommen. Sie nahm die Form eines vierjährigen Mädchens an und erschien am Fuße eines Baumes. Das kleine Kind war sehr schön.

Der Chef der Fischer dieser Gegend fand das hilflose Kind und brachte es in seine Hütte. Er adoptierte sie und begann, ihr all seine Zuneigung, Liebe, Süße und Zärtlichkeit zu schenken. Er selbst hatte keine Kinder. Das Lustigste ist, dass der Fischer ihr auch den Namen Parvati gab. Ihr ursprünglicher Name auf dem Berg Kailash war Parvati, und als sie die Rolle der Tochter spielte, erhielt sie denselben Namen.

In der Zwischenzeit fühlte sich Lord Shiva recht elend. Er weinte kläglich: „Was habe ich getan? Was habe ich getan? Warum habe ich meine Wut hochkommen lassen? Schau mich an! Ohne sie kann ich nicht einmal einen Augenblick lang existieren.”

Lord Shivas hauptsächlicher Begleiter ist ein weißer Stier namens Nandi. Obwohl er ein Stier ist, kann Nandi sprechen. Er fühlte sich elend, dass Lord Shiva litt, und sagte: „Warum bringst du Parvati nicht hierher zurück? Du hast so viel okkulte Kraft. Du musst nur dein drittes Auge benutzen und sie zurückbringen.“

Lord Shiva antwortete: „Nein, das kann ich nicht tun. Ich sehe sehr deutlich, dass sie einen Fischer heiraten wird. Jetzt ist sie erst dabei, erwachsen zu werden. Leider weiß ich nicht, wann sie zu mir zurückkehren kann.“

Nandi sagte: „Ich kann dich nicht so leiden sehen. Es ist unerträglich! Ich werde dein Problem lösen.“

Lord Shiva war so überrascht. „Du willst mein Problem lösen?“ Es war, wie wenn ein Sklave sagt, dass er das Problem des Herrn lösen wird. Dann fuhr Lord Shiva fort: „In Ordnung, bitte löse mein Problem.“

Nandi nahm die Form eines Wals an und ging dort ins Wasser, wo die Fischer dieses Dorfes gewöhnlich auf Fischfang gingen. Jeden Tag fuhren sie in ihren kleinen Booten hinaus, um Fische zu fangen und verkauften sie später auf dem Markt. Dieser riesige Wal begann den Fischern das Leben schwer zu machen. Außerdem fraß er die kleinen Fische, die sie zu fangen pflegten. Die Fischer fühlten sich so hilflos. Sie fingen keine Fische mehr, und ihre Boote wurden oft vom Wal umgeworfen. Sie wurden alle recht traurig und fühlten sich elend.

Die Fischer kamen zum Oberhaupt der Fischer ihrer Gemeinde, dem Adoptivvater von Parvati, und berichteten ihm von ihrem gegenwärtigen Pech. Er sagte: „Auch ich bin hilflos. Was können wir gegen diesen Wal machen?“

Da kam ihm eine brillante Idee. Er sagte: „Wer den Wal töten kann, dem werde ich meine Tochter als Ehefrau geben. Das ist mein Versprechen. Und meine Tochter ist außerordentlich schön.“

Viele Fischer versuchten vergeblich, den Wal zu töten. Leider wurden viele, anstatt den Wal zu töten, von ihm verschlungen. Sie scheiterten alle! Inzwischen hatten die Menschen Angst vor dem Wal. Die Fischer, die noch übrig blieben, wagten es nicht, in seine Nähe zu gehen. Sie wollten keine weiteren Versuche mehr wagen, den Wal zu töten. Jetzt fühlten sie sich noch elender als zuvor. Sie konnten keinen Fisch fangen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und sie wussten, dass sie auch keine Chance bekommen, dieses schöne Mädchen zu heiraten.

Eines Tages kehrte Nandi mit einer Botschaft zu Lord Shiva zurück. Er sagte: „Das Oberhaupt der Fischer sagt, dass derjenige, dem es gelingt, den Wal zu töten – womit er mich meint –, seine schöne Tochter als Ehefrau bekommt. Das ist sein Versprechen. Kannst du nicht die Form eines Fischers annehmen und dort als der stärkste und mächtigste Mann erscheinen? Du kannst den Wal töten, und anschließend ist es dir möglich, deine wunder-schöne Frau zurückzubringen.“

„Oh, das ist eine großartige Idee!“ sagte Lord Shiva. „Ich gehe.”

Lord Shiva nahm die Gestalt eines jungen Mannes an, der in jeder Hinsicht stark und gut aussehend war. Dann erschien er den Fischern dieses Dorfes. Sie hatten noch nie einen so starken und gut aussehenden Mann gesehen. Sie waren so glücklich, ihn in ihrer Mitte willkommen zu heißen. Der Chef der Fischer sagte: „Ich freue mich sehr! Wer bist du?“ Lord Shiva antwortete: “Ich möchte nicht sagen, wer ich bin. Sag mir nur, wirst du dein Versprechen halten, wenn ich den Wal töte?“

Der Hauptfischer sagte: „Auf jeden Fall! Wenn du den Wal tötest, dann werde ich mein Versprechen halten. Du wirst meine Tochter bekommen.“

Lord Shiva ging ins Wasser und tötete diesen Wal. Auf diese Weise wurde Nandi von seinem eigenen Herrn getötet. Anschließend vermählten sich Shiva und Parvati auf der Erde und kehrten wieder auf den Berg Kailash zurück. Nandi kam auch zurück und wurde erneut Lord Shivas engster Begleiter.

Danach sagte Lord Shiva, dass er seiner Frau nie wieder die Veden beibringen würde. Er wollte Parvati nicht ein zweites Mal verlieren!


POK 21-22. Sri Chinmoy erzählte seinen Schülern diese beiden Geschichten am 29. November 2004 in Sanya, China, wo sie während ihres jährlichen Christmas Trips zusammengekommen waren.

From:Sri Chinmoy,Die Kraft der Güte und andere Geschichten, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2020
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/pok