Es gab einst einen sehr, sehr berühmten König, der inkarnierte Güte, inkarniertes Mitgefühl und inkarniertes Selbst-Geben war.
Normalerweise ist es für einen Menschen unmöglich, alle zu erfreuen, aber in seinem Fall waren alle seine Untertanen äußerst zufrieden mit ihm, sie waren ihm sehr dankbar und immens stolz auf ihn. Der Name dieses Königs war Ambarish.
Der König war ein sehr großer und sehr aufrichtiger Verehrer Lord Vishnus. Einmal beschloss er, drei Tage lang ohne Unterbrechung zu fasten, zu beten und zu meditieren, um Segen von Lord Vishnu zu empfangen. Es war ein besonderes religiöses Ritual, das er ausführen wollte.
Drei Tage lang fastete, betete und meditierte Ambarish. Dann fühlte er sich so beschwingt und dankbar, dass er ihm gelungen war, seinen Wunsch zu erfüllen, dass er beschloss, die Wünsche all seiner Untertanen zu erfüllen.
„Da es für mich schwierig sein wird, alle meine Untertanen in meinen Palast zu bringen, möchte ich mit den Priestern beginnen“, sagte Ambarish. „Wir haben so viele Priester. Da es sich um spirituelle Menschen handelt, möchte ich sie zuerst zufrieden stellen.“
Der König lud alle Priester zu einem aufwendigen Bankett ein. Nach dem Bankett wollte er jedem Gast Gaben geben. Ambarish selbst wollte nicht einmal ein Stückchen Essen oder einen einzigen Tropfen Wasser nehmen. Nichts von alledem! Er fastete nicht bis zum Tod; es gab keine Bedrohung. Ambarish versuchte, den besonderen Segen von Lord Vishnu zu erlangen, indem er diese Buße ausführte.
Die Priester waren alle bereit, mit dem Festmahl zu beginnen. Plötzlich erschien der große Weise Durvasha. Durvasha war bekannt für sein sehr schnelles Temperament. Innerhalb einer Sekunde konnte er einen jeden zerstören. Er besaß diese Art okkulter Macht und hatte sie millionenfach missbraucht.
Alle waren schockiert, Durvasha zu sehen. König Ambarish begrüßte ihn äußerst respektvoll. „O großer Weiser“, sagte er, „wir fühlen uns durch deine Anwesenheit sehr geehrt. Ihr seid unser Ehrengast. Bitte erlaubt mir, Euch zuerst zu bedienen.“
„Nein, Ambarish“, antwortete Durvasha, „ich werde in einem nahe gelegenen Fluss baden. Nachdem ich mich vollständig gewaschen habe, werde ich zum Essen kommen.“
Durvasha ging zum Fluss. Eine halbe Stunde verging, dann eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Er genoss es, im Wasser zu sein. Auch nach vier Stunden gab es keine Anzeichen für seine Rückkehr. Für die besondere Art der Anbetung, die König Ambarish vollbrachte, muss man zu einer bestimmten Stunde wieder mit dem Essen beginnen, nachdem man das Fasten beendet hat. Einer der Priester sagte zu Ambarish: „O König, wenn du in dieser besonderen Stunde nicht isst, begehst du entsprechend unseren Shastras eine Sünde.“
„Was soll ich tun?“ fragte der König. „Wenn ich nicht auf Durvasha warte und ihm zuerst Essen anbiete, wird er mich verfluchen. Und wenn ich in dieser bestimmten Stunde nicht esse, begehe ich eine Sünde.“
Die Priester beratschlagten sich und rieten dem König anschließend: „Du bist ein so guter, warmherziger König. Wir wollen nicht, dass du leidest. Dieser von Wut durchdrungene Weise sollte leiden! Trink nur einen Tropfen Wasser. Dann kannst du Durvasha sagen, dass du noch nicht gegessen hast, aber gleichzeitig ist es dir möglich, Gott zu erfreuen, weil du etwas zu dir genommen hast.”
Ambarish gab einen kleinen Tropfen Wasser auf seine Handfläche und war dabei, es zu trinken, als Durvasha plötzlich erschien. Er war wutentbrannt. „Was für eine Kühnheit ist das?“, rief er. „Ich bin so ein großer Weiser. Wie kannst du es wagen, etwas zu trinken, ohne mir vorher Essen zu geben? Ich verfluche dich!“
Er nahm ein paar Strähnen von seinem verfilzten Haar und verwandelte sie in ein Chakra, eine Wurfscheibe. Er ließ die Scheibe los, und sie flog sehr schnell auf Ambarish zu, um ihn zu töten. Ambarish betete zu Lord Vishnu: „O Lord Vishnu, was habe ich getan? Ich wollte nicht trinken, aber meine Priester sagten, ich solle es tun. Sie sagten, dass ich sonst eine Sünde begehen würde, weil ich mein Gelübde nicht erfüllen würde. Jetzt muss ich mich Durvashas Zorn stellen.“
Lord Vishnu schickte sofort sein Sudarshan-Chakra um einzugreifen. Dieses Chakra kam von oben herab und zerbrach Durvashas Chakra in Stücke. Aber das war nicht alles. Vishnus allgegenwärtiges Sudarshan-Chakra begann Durvasha zu verfolgen – hierhin, dorthin, überall hin. Durvasha rannte um sein Leben. Er rannte sogar in den Fluss und dachte, dass die Scheibe ihm dorthin nicht folgen würde, aber ganz gleich, wohin er sich wendete, Vishnus Sudarshan jagte ihn. Jeden Moment war er dabei, sein Leben zu verlieren.
Schließlich ging der Weise zu Brahma, dem Schöpfer, und flehte: „O Brahma, bitte, bitte, rette mich, rette mich! Vishnus Chakra ist dabei, mich zu töten.“
„Du Narr!“, antwortete Brahma. „Wie kann ich es wagen, Vishnus Chakra herauszufordern? Ich werde nichts tun.“
Dann ging Durvasha zu Lord Shiva. Shiva liebt Vishnu so sehr. Shiva wurde wütend auf Durvasha. „Lauf einfach von hier weg!“, sagte er. „Sonst werde ich dich vernichten! Du wirst nicht auf Vishnus Chakra warten müssen. Ich werde dich hier und jetzt zerstören! Was für eine undenkbare Sache, die du mit Vishnus Verehrer gemacht hast! Unsere Verehrer sind uns teurer als unser Leben selbst.“ Shiva schimpfte und beleidigte Durvasha gnadenlos.
In unserer indischen Philosophie ist ein Meister, wenn er einen sehr aufrichtigen und ausgezeichneten Anhänger hat, bereit, sein eigenes Leben für den Anhänger zu opfern.
Darauf ging der hilflose, hoffnungslose und nutzlose Durvasha zu Lord Vishnu, um bei ihm um Vergebung zu bitten. „Werde ich dir verzeihen?”, sagte Vishnu. „Ambarish ist mir lieber als der Liebste. Er ist teurer als mein Leben selbst. Ich werde dir nicht helfen. Wie konntest du einem so guten König so etwas Undenkbares antun? Geh und bitte Ambarish um Vergebung!“
Der arme Durvasha musste zu Ambarish gehen und um Vergebung bitten. „Bitte, vergib mir, vergib mir, vergib mir, vergib mir! Rette mich!” schluchzte er.
Ambarish sagte zu Durvasha: „Ich habe keine Macht. Ich kann nur zu Lord Vishnu beten. Er ist derjenige, der dabei ist, dich zu töten.“ Ambarish betete zu Vishnu: „Mein Herr, bitte, bitte, vergib ihm.“
Vishnu sagte: „Nur wegen dir vergebe ich ihm. Weil du mir so lieb bist, werde ich immer auf deine Bitte hören, aber nicht auf seine Bitte.“
Daraufhin vergab Vishnu Durvasha und Vishnus Chakra hörte auf, ihn zu verfolgen. Durvasha fragte Ambarish: „Wie ist das möglich? Brahma wagte es nicht, sich Vishnus Chakra entgegenzustellen. Auch Shiva hat es nicht gewagt. Im Gegenteil, sie beleidigten mich beide und schimpften mich gnadenlos. Vishnu selbst hat mir nicht verziehen, aber deine Vergebung hat sofort zu einem Erfolg geführt.“
„O Durvasha, du weißt, dass es nicht meine Macht ist“, antwortete Ambarish. „Es ist die Mitgefühls-Kraft meines Lord Vishnu. Ich betete zu ihm nur, um ein besserer König zu werden. Aus diesem Grunde habe ich diesen besonderen religiösen Ritus des Fastens drei Tage lang durchgestanden. Es war nichts. Jeder könnte es tun – nur drei Tage Fasten. Ich habe nichts getrunken, ich habe nichts gegessen. Aber das Mitgefühl meines Lord Vishnu ist unendlich. Seine Liebe zu mir ist unendlich. Es ist seine Liebe zu mir, die dich bestrafen wollte. Es ist sein Mitgefühl für mich.“
In Indien gibt es Millionen von mythologischen Geschichten über diese Art von Ungerechtigkeit und Vergeltung. Wenn jemand einem aufrichtigen Verehrer etwas antut, dann kommt die Bestrafung von oben, und zwar nicht nur von diesen drei großen kosmischen Göttern – Brahma, Vishnu und Shiva – auch andere Götter bestrafen den Täter. Wann immer ihre superexzellenten Verehrer in Schwierigkeiten sind, stehen die kosmischen Götter sofort auf ihrer Seite.
Dies ist eine authentische Geschichte darüber, wie Lord Vishnu Ambarish verherrlichen wollte, denn als König war Ambarish inkarnierte Güte, inkarniertes Mitgefühl und inkarniertes Selbst-Geben.From:Sri Chinmoy,Die Kraft der Güte und andere Geschichten, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2020
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/pok