Wenn zwei Länder einen Kompromiss schließen, dann ist das mehr ein Scherz. Dieser Kompromiss entsteht aus Angst. Zuerst kämpfe ich viele, viele Jahre mit dir und jetzt, da ich schwach geworden bin, sage ich: „Wir hören mit dem Kämpfen auf!“ Doch mein Herz brennt und insgeheim werde ich an einer neuen Waffe oder an einer neuen Strategie basteln, um dich zu besiegen. Und schon morgen, wenn ich mich gestärkt fühle, werde ich wieder kämpfen wollen. Meine Befürchtung, dass du ebenfalls stärkere Waffen gebaut hast, ist der einzige Grund, weshalb ich dich dann nicht angreife. Und so beruht der von uns geschlossene friedliche Kompromiss auf beidseitiger Angst und nicht auf beidseitiger Weisheit. Insgeheim wollen wir nur einige Jahre oder einige Monate lang friedfertig sein, um uns auf eine zukünftige Schlacht vorbereiten zu können.
Wenn man sich im spirituellen Leben mit der höchsten Göttlichkeit einer Person beschäftigt, dann steht ein Kompromiss außer Frage. Für den spirituellen Fortschritt meiner Schüler habe ich die volle Verantwortung übernommen. Jedesmal, wenn ich einen Kompromiss eingehe und jemandem gestatte, etwas Unrechtes zu tun, verzögere ich damit den Fortschritt dieser Person. Mein Ziel lautet, jeden Einzelnen schnellstmöglich zu dem ihm bestimmten Ziel zu bringen. Wenn ich ihm gestatte, seinen Fortschritt zu verzögern und etwas Unrechtes zu tun, dann wird er mir später, wenn er sich in einem göttlichen Bewusstsein befindet, deshalb Vorwürfe machen. Er wird sich elend fühlen, wenn er erkennt, dass diese und jene Person wesentlich schnelleren Fortschritt gemacht hat als er selbst. Er wird sagen: „Ach Gott, sie waren weit langsamere Läufer als ich. Nun haben sie mich alle überholt. Warum hast du zugelassen, dass ich diesen Kompromiss eingegangen bin?“
Mit Kompromissen verhält sich folgendermaßen: Wenn du um fünf Uhr zur Meditation aufstehen willst, sagt dein Verstand: „Ach, es ist noch zu früh.“ Auch um sechs, sieben, sogar um acht Uhr sagt der Verstand, es sei noch immer zu früh. Wenn du dann letztlich um neun oder um zehn Uhr aufstehst, sagt der Verstand: „Du Narr, jetzt ist es schon zu spät, um zu meditieren! Wer hat dir gesagt, dass du auf mich hören sollst?“
Manchmal zwingen mich auch die Schüler, einen Kompromiss einzugehen. Ich weiß, dass jemand falsch handelt, doch aus Mitleid oder wegen verschiedenster anderer Gründe muss ich es dulden. Dann bin ich derjenige, der wirklich leidet, denn ich muss diese Person auf meine Schultern setzen und sie tragen, da der Meister in seiner göttlichen Verantwortung sicherzugehen hat, dass jeder seiner Schüler am schnellsten läuft.From:Sri Chinmoy,Sri Chinmoy antwortet, Teil 5, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2004
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/sca_5