Wie viele Menschen denken schon täglich an ihre Seele, ganz davon zu schweigen, dass sie deren Existenz fühlen, was noch viel schwieriger ist. Viele Menschen betreten einen Tempel oder eine Kirche, doch wie viele davon schenken dem Altar die gebührende Aufmerksamkeit? Einige Menschen kommen in den Tempel um zu arbeiten, andere wiederum nur, um ihn gesehen zu haben; doch wie viele schauen sich den Altar an? Der Körper ist unser Tempel und im Körper befindet sich die Seele, der Altar. Doch wir messen der Seele nicht die geringste Bedeutung bei. Viele meiner Schüler, ganz zu schweigen von anderen Menschen, sind sich ihrer Seele nicht bewusst oder denken nicht einmal eine Sekunde am Tag an sie. Und doch ist unsere Seele unser kostbarster innerer Reichtum; sie ist der kostbare innere Reichtum unseres Körpers, unseres Vitalen, unseres Verstandes und unseres Herzens.
Die meiste Zeit handeln wir wie die Krähe. Wenn die Krähe frisst, hält sie ihre Augen geschlossen. Sie fühlt, wenn sie selbst niemanden sieht, können die anderen sie auch nicht sehen. Wir Menschen handeln genauso. Da unser drittes Auge geschlossen ist und wir unsere Seele nicht sehen können, hegen wir den Glauben, dass uns niemand beobachted. Doch wir werden vom jemandem mit weit geöffneten Augen beobachtet und dieser Jemand ist unsere Seele. Die Seele schläft nicht. Die Seele beobachtet uns jeden Augenblick. Wenn wir ein bisschen an die Existenz der Seele glauben, können wir behaupten, die Seele beobachte uns insgeheim. Doch die Seele beobachtet uns nicht insgeheim; sie beobachtet uns ganz offen; nur wir erkennen sie nicht.
Da wir nicht empfinden, dass ein Beobachter in uns ist, erlauben wir unserem Verstand oder unserem rastlosen Vitalen uns zu beherrschen. Wir erlauben unserem physischen Bewusstsein, uns zu allerlei ungöttlichen Handlungen anzustiften und wir fühlen, dass sich nur unser Verstand und unser Vitales unseres Benehmens bewusst sind. Doch ganz gleich, was der Körper, das Vitale, der Verstand und das Herz in und durch uns tun wollen, wenn wir fühlen, dass eine dritte Partei existiert, die unendlich höher und besser ist und die uns beobachtet, werden wir uns gezwungen fühlen, uns zu benehmen. Wenn im gewöhnlichen Leben ein Kind merkt, dass sein Vater es beobachtet, wird es nicht so schnell etwas Unrechtes tun. Es weiß, dass der Vater es bestrafen könnte, wenn es unrecht handelt. Doch wenn das Kind glaubt, dass der Vater in seinem Büro oder sogar verreist sei, wird es tun, was immer es will.
Es kann sich auch jemand vormachen, dass sein schlechtes Benehmen völlig geheim ist und die Seele ihn nicht sehen kann. Doch er hält sich nur selbst zum Narren. Die Seele beobachtet ihn ständig, doch sie wird nicht sogleich handeln; sie wartet auf den richtigen Augenblick, um ihn zu erleuchten oder zu bestrafen. Aber selbst die Bestrafung ist eine Erleuchtung.
Wenn wir also an die Existenz der Seele glauben, werden wir unser äußeres Leben zwangsläufig ernster nehmen, weil wir wissen, dass wir keine Erlaubnis besitzen, gewisse Dinge zu tun. Doch wenn wir nicht an die Seele glauben, wenn wir nicht die Notwendigkeit verspüren, die Seele zufrieden zu stellen, dann gibt es für uns kein spirituelles Leben.
Dieser Körper wird gehen, dieses Vitale wird gehen, dieser Verstand wird gehen – alles wird uns verlassen, bis auf die Seele. Die Seele nimmt den Körper an, um ihn zu transformieren und um das göttliche Licht zu manifestieren. Dann, nach vierzig, fünfzig, sechzig, siebzig oder achtzig Jahren kehrt die Seele in ihre eigene Region zurück. Wenn der Körper, das Vitale und der Verstand gute Dienste geleistet haben, nimmt die Seele die Quintessenz ihrer Errungenschaften mit. Doch wenn sie nichts Gutes geleistet haben, nimmt die Seele weder vom Körper noch vom Vitalen noch vom Verstand etwas mit. Das Herz vollbringt normalerweise einige gute Dinge, deshalb kann die Seele vom Herzen etwas mitnehmen. Später, nach einer gewissen Zeit, nimmt die Seele einen neuen Körper, ein neues Vitales, einen neuen Verstand und ein neues Herz an.From:Sri Chinmoy,Sri Chinmoy antwortet, Teil 7, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2006
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/sca_7