Vor vielen Jahren besuchte ich einmal eine Kapelle in Puerto Rico. Die Nonnen dort wussten, dass ich Hindu bin. Leider entsprach meine Kleidung nicht ihren Vorstellungen oder Richtlinien, und darüber waren sie wirklich aufgebracht! Die Ordensleiterin beschimpfte mich, weil ich kein Christ bin. Doch als ich vor Jesus Christus die Hände faltete, vergab sie mir.
Und was geschah zwanzig Jahre später? Eine Ordensleiterin in der Schweiz lud mich persönlich ein, eine Meditation für eine große Zahl von Nonnen abzuhalten! Ich meditierte vor ihnen und dann stellten sie und die Nonnen viele Fragen über Jesus Christus und das Christentum. Sie alle folgen dem christlichen Pfad, doch ich war es, dem sie die Fragen stellten! Und sie wollten mich dabei nicht auf die Probe stellen und herausfinden, ob ich die Bibel gelesen oder irgendwelche persönliche Erfahrungen mit Jesus Christus gemacht habe. Ihre Fragen waren absolut aufrichtig und sie schenkten mir Liebe und Hochachtung. In dem einem Kloster wurde ich also von der Ordensleiterin auf ihre besondere Weise ‘gesegnet’, im anderen hingegen besaßen die Nonnen einen wirklichen inneren Hunger. Sie fühlten, dass hier jemand zugegen war, der etwas weiß. Dieses Treffen dauerte ungefähr zwei Stunden.
Mahatma Gandhi ist bekannt als Vater der indischen Nation. In Irland gibt es eine vergleichbare Person. Sein Name ist de Valera. Als ich ihn traf, war er bereits in fortgeschrittenem Alter und ich war um die vierzig. Sobald er mich sah, faltete er die Hände und bombardierte mich förmlich mit Fragen über Jesus Christus und die Bibel. Dabei hatte er keinerlei Absicht, mich zu prüfen. Er besaß einen aufrichtigen inneren Hunger und wollte nur sehen, ob ich ihm weiterhelfen kann.
Einige Menschen spüren etwas in mir, andere nicht. Wenn Menschen etwas Besonderes in mir sehen, bin ich mehr als bereit, ihnen mit ganzem Herzen zu dienen. Andernfalls müssen sie nach jemand anderem Ausschau halten, vorausgesetzt natürlich, sie verspüren überhaupt einen inneren Hunger. Jeder Mensch muss seinen Hunger stillen. Wenn ich hungrig bin und mir ein bestimmtes Restaurant nicht zusagt, steht es mir frei, so lange das Restaurant zu wechseln, bis mich eines zufrieden stellt.Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sie müssen wissen, ob Sie fähig sind, die Sucher anzuleiten und zu führen. Eine Person sollte immer die Rolle des Gruppenleiters innehaben, sonst wird daraus nichts wachsen. Dieser Gruppenleiter hat den Suchern Licht, Freude, Glückseligkeit, Energie und Frieden zu vermitteln und sie auf die höheren und inneren Welten hinzuweisen. Ist der Leiter jedoch nur ein Gruppenmitglied wie jedes andere, wird die Sache nicht funktionieren. Verzeihen Sie bitte, wenn ich das so unverblümt sage. Wir leben hier in einer Demokratie; wir sind alle gleichberechtigt. Aber das Bewusstsein eines Gruppenleiters muss höher und tiefer sein als das der anderen Gruppenmitglieder, sonst kann er ihnen nicht dienen. In jeder Klasse gibt es einen Lehrer. Gäbe es nur Schüler, die wahllos beginnen würden, sich gegenseitig zu unterrichten, würde das völlige Chaos ausbrechen. Es muss eine Person geben, die über mehr Wissen, innere Weisheit und inneres Licht als die anderen Sucher verfügt, um diesen dienen zu können.
Ich übe keine Kritik an Ihnen, doch wenn eine Gruppe von Menschen auf Ihre Initiative hin regelmäßig zusammenkommt, dann sollte es auch jemanden geben, der fähig ist, die Mitglieder zu führen, sie anzuleiten und zu motivieren. Wenn die Leute nämlich bemerken, dass es keinen wirklichen Leiter gibt, wird die Gruppe nicht wachsen können. Die Mitglieder müssen entweder in dich oder in jemand anders Vertrauen haben. Um in einer spirituellen Gruppe die Rolle eines Gruppenleiters übernehmen zu können, muss man spirituell weiter fortgeschritten sein als die anderen. Was geschieht nämlich, wenn dann Menschen zu Ihnen kommen, die nach der Wahrheit hungern und viele Fragen haben? Sie werden vielleicht sagen: „Lest doch einfach die Bibel, dort steht alles geschrieben.“ Dann werden sie antworten: „Wir lesen ja die Bibel, aber wir finden dort keine ausreichenden Antworten auf unsere Fragen. Das ist genau der Grund, warum wir zu Ihnen gekommen sind.“ Was werden Sie dann tun? Wie können Sie diese Sucher zufrieden stellen, oder sie Sie?
Bitte missverstehen Sie mich nicht. Das soll keine persönliche Kritik sein. Ein Gruppenleiter muss spirituell einfach schon weiter fortgeschritten sein als die anderen Mitglieder, sonst kommt es zu einem Durcheinander. Niemand wird gehorchen. Die Menschen werden die Stimmen gegeneinander erheben und sagen: „Was verstehst du schon davon?“ Jemand mit Autorität jedoch, der über Spiritualität Bescheid weiß, wird antworten: „Folge entweder meinem Weg oder einem anderen. Es gibt viele Wege. Das Wichtigste ist, überhaupt einen Weg zu gehen.“ Alle Wege führen nach Rom“, doch um dorthin zu gelangen, muss man einem folgen. Man soll seinen Weg aber auch nicht jeden Tag wechseln. Das würde nirgendwo hinführen. Wenn Sie heute diesem Meister folgen, morgen einem anderen und übermorgen wieder einem anderen, wird Ihr Ziel in weiter Ferne bleiben.From:Sri Chinmoy,Sri Chinmoy antwortet, Teil 9, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2007
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/sca_9