Sri Chinmoy antwortet, Teil 2

Teil I

SCA 32-42. Am 19. Dezember 1993 lud die Redaktion der internationalen Monatszeitschrift HINDUISM TODAY Sri Chinmoy ein, ihre Räumlichkeiten auf der Hawaii-Insel Kauai zu besuchen und zu segnen. Satguru Sivaya Subramuniya­swami und seine Schüler empfingen Sri Chinmoy und einige seiner Studenten herzlich in ihrem Ashram zu einer traditionellen Puja und zur Besichtigung der schönen Anlage, gefolgt von einem besonderen Mahl. Danach wurde Sri Chinmoy vom Herausgeber von HINDUISM TODAY, dem ehrwürdigen Sivasiva Palani­swami interviewt; des weiteren vom Chefredakteur, dem ehrwürdigen Arumuga­swami sowie anderen leitenden Redakteuren. Es folgen Auszüge aus Sri Chin­moys Antworten auf ihre seelenvollen Fragen.

Interview mit Redakteuren der Zeitschrift _Hinduism Today_

Sri Chinmoy: Sie säen überall die Saat des Lichtes. Ihre eigene Hingabe vermag es, das Herz des mensch­­lichen Strebens zu berühren.

Herausgeber: Glauben Sie mir, wir leben und existieren nur deshalb, weil es Menschen wie Sie gibt.

Der ehrwürdige Palaniswami sprach kurz über die monatlich international erscheinende Zeitschrift und anschließend sangen die Schüler Sri Chinmoys ein Lied, das von Sri Chinmoy für die Zeitschrift HINDUISM TODAY komponiert worden war.

Herausgeber: Wie schön das ist! Dies ist definitiv eine Premiere in unseren Redaktionsräumen. Es wäre schön, wenn Sie im Geist dieser wunderbaren Segnung ein paar Worte sagen würden, die uns in unseren Bemühungen lenken könnten. Jeder Orden der Hindumönche verfügt über eine besondere Einrichtung – etwa eine Augenklinik oder eine Schule für Kinder oder Waisen – um ein Gleichgewicht zu ihren kontemplativen Aktivitäten herzustellen. Sie, Sri Chinmoy, sind ein wunderbares Beispiel des ‘Zurück­gebens’. HINDUISM TODAY ist unser Beitrag, und von Ihnen würden wir gerne erfahren, was wir noch verbessern können -– was Sie gerne sehen würden. Was braucht das hinduistische Herz und die hinduistische Seele von uns allen?

Sri Chinmoy: Ohne übertreiben zu wollen muss ich sagen, dass Ihre Zeitschrift HINDUISM TODAY nicht nur das höchste Weisheitslicht der altehrwürdigen Vergangenheit verkörpert, sondern sie enthüllt und manifestiert ebenso das unendliche Mitleid, die unendliche Anteilnahme und den unendlichen Segen der indischen Trinität. Die indische Trinität Brahma, Vishnu, Shiva: Brahma, der Schöpfer, Vishnu, der Erhalter und Shiva, der Verwandler. Gemäß der indischen Theorie spielt Lord Shiva die Rolle des Zerstörers. Doch mein strebendes Herz sagt mir, dass Lord Shiva nie­mals etwas zerstört; er verwandelt nur. Er verwandelt unsere Unwissen­heitsnacht in Weis­heitslicht. Wenn ich Ihre HINDUISM TODAY lese, sehe und fühle ich nicht nur den Segen, das Mitleid und die Anteilnahme der Trinität, sondern auch den Segen der kosmischen Götter und Göttinnen Indiens.

Über die Jahre habe ich viele, viele Bücher über den Hinduismus gelesen, die von Gelehrten, von Professoren, von Wahrheits­suchen­den und Gottliebenden verfasst wurden, und bis ich sterbe, werde ich noch viele weitere lesen. Ich persönlich habe meinen kleinsten Strebsam­keitstropfen dem unendlichen Ozean des Hinduismus dargebracht. Doch unter all diesen Büchern ist Ihre Zeitschrift einzigartig. Ich nenne sie Zeitschrift, doch sie ist nicht einfach nur eine Zeitschrift. Es sind nicht nur ein paar bedruckte Seiten Papier. Es ist keine Zeitschrift, die gelesen wird, um unser Vitales zu stimulieren oder unsere Neugier zu befriedigen - weit davon entfernt. Ihr HINDUISM TODAY ist ein göttliches und luxuriöses Festmahl, das das nach Gott hungernde Herz der gesamten strebenden Menschheit nährt.

Wenn ich den HINDUISM TODAY lese, so sehe ich die göttlichen Tänze der indischen kosmischen Götter und Göttinnen und höre ihre himmlische Musik. Hin­ge­bungs­­voll und selbstlos bieten Sie die erhabenste Vision der indischen Götter und Göttinnen der gesamten Welt an, und zwar mit äußerster Demut, welche absolut die beste Eigenschaft ist, nach der wir Menschen jemals wagen können zu streben. Ihr HINDUISM TODAY ist mit überirdischer Demut überflutet.

Wir leben im technischen Zeitalter des Computers. Die armen vedischen Seher besaßen keine Computer, ja, sie träumten nicht einmal von ihnen. Ein weiterer Grund, warum ich Ihre Zeitschrift so schätze und bewundere, ist, dass sie das alte Wissen der vedischen Seher enthält, aber auf ultramoderne Weise verbreitet. Das zwanzigste Jahrhundert verlangt gewis­ser­maßen eine andere Behandlung, und Ihnen gelingt es vollkommen, die innere Welt der Stille mit der äußeren Welt des Klanges zu verbinden. Beide Welten bringen Sie zum Vorschein und halten sie zusammen.

Es freut mich sehr zu hören, dass diese Zeitschrift viele Teile der Welt erreicht und be­sonders Indien, wo ja der Hinduismus seinen Ursprung hat. Im Hinduismus betrachtet der Wahr­heits­suchende und Gottliebende jede Schöpfung Gottes als sein eigen, ganz sein eigen. Durch seine Gebete und Meditationen bietet er der gesamten Welt das Bot­schaftslicht und die Nektarwonne des ewig sich transzendierenden Jenseits an.

HINDUISM TODAY, vor deiner alles erleuchtenden Seele verbeuge und verbeuge ich mich.

HINDUISM TODAY, vor deinem all-liebenden Herzen verbeuge und verbeuge ich mich.

HINDUISM TODAY, vor deinem all-dienenden Leben verbeuge und verbeuge ich mich.

Herausgeber: Wir danken Ihnen, Guru. Unsere Mitarbeiter haben eine Liste mit Fragen vorbereitet. Ich denke, dass fast jeder von ihnen Fragen hat.

Sri Chinmoy: Ich würde mich äußerst glücklich schätzen, Ihnen dienen zu können. Nichts würde mir mehr Zufriedenheit geben, als anderen strebenden Menschen zu dienen, denn in unserem Herzen wachsen wir immer gemeinsam und in unseren Seele erstrahlen wir immer gemeinsam.

Frage: Unsere Zeitschrift trägt den Namen HINDUISM TODAY, zu dem Sie ein so wunderbares Lied gemacht haben. Es gibt eine Frage, die wir jedem zu Beginn stellen: Sind Sie ein Hindu?

Sri Chinmoy: Wenn ich mit meinem Verstand antworte, werde ich sagen, dass ich ein Hindu bin. Doch das Wirkliche in mir ist meine Strebsamkeit, meine Liebe zur Wahrheit, meine Liebe zu Gott. Aus diesem Grunde bin ich weder ein Hindu noch ein Christ; ich gehöre keiner Religion an. Wenn ich von ganzem Herzen strebe, bin ich nicht ein Mitglied einer Religion; zu diesem Zeitpunkt bin ich ein Kosmopolit, ein Weltbürger. Ich bin ein Wahr­heits­sucher und ein Gottliebender, und ich betrachte alle Religionen als meine eigene.

Jede Religion ist wie eine Heimat. Sie leben in Hawaii, jemand anders lebt in Kalifornien, und ich lebe in New York. Ihr Heim ist für Sie vollkommen passend, und mein Heim ist passend für mich. Doch sobald wir beten und meditieren, verlassen wir unser jeweiliges Zuhause und beginnen in derselben inneren Schule zu lernen. In den frühen Morgenstunden treffen wir uns in dieser inneren Schule, um zu beten. Wir erheben unsere Strebsamkeit und sehen den inneren Schrei unseres Herzens hoch, höher, am höchsten aufsteigen. Unser Lehrer ist kein Geringerer als der Absolute Höchste Herr, der Absolute Supreme.

Ich wurde in die Familie Ghose hineingeboren. Insofern bin ich ein Hindu. Doch wenn es sich um die Welt der Strebsamkeit handelt, benötige ich meinen Familiennamen nicht; ich bin einfach Chin­moy. Und genauso benötigen wir, wenn wir einmal das eigentliche spirituelle Leben betreten haben, weder Hinduismus noch Christentum, noch eine andere Religion. Wir dehnen einfach unser Einssein ständig aus. Durch den Schrei unseres Herzens und durch das Lächeln unserer Seele versuchen wir jeden Tag, Gott dem Schöpfer und Gott der Schöpfung zu dienen.

Andererseits müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der Hinduismus keine von Menschen erschaffene Religion ist, die uns bindet und uns blind macht, und die ihre Überlegenheit und Alleinherrschaft verkündet; der Hinduismus ist der Kodex des Lebens. Für mich bedeutet der Hinduismus die Einsseins-Herzens-Heimat der Göttlichkeit. In dieser Heimat erblüht in jedem Augenblick die Schönheit der Unendlichkeit, und der Duft der Unsterblichkeit segnet uns auf machtvolle und bedeutende Weise. Für mich ist jener ein wahrer Hindu, der andachtsvoll sagen kann, dass er kam, lebte, liebte und wurde. Er kam in die Welt, um die Absolute Wahrheit des Absoluten Höchsten Herrn auf Dessen eigene Weise zu verwirklichen. Er lebte nur, um Gott auf Gottes eigene Weise zu erfüllen. Er liebte Gott den Schöpfer und diente Gott der Schöpfung auf Gottes eigene Weise. Und er wurde zu einem vollkommen hingegebenen Instrument unseres Geliebten Höchsten Herrn. Um Gott auf Seine eigene Weise in jedem Augenblick zufrieden zu stellen, wird ein Hinduleben geboren.

Frage: Ein Thema, das Sie sehr oft in Ihren Schriften ansprechen, ist Selbsttranszendenz. Wir haben uns mit Ashrita über seinen Weltrekord im Ziegeltragen unterhalten, der sicherlich ein Beispiel der Selbsttrans­zendenz war. Er erzählte uns, dass er nahe am Zusammenbruch war, nachdem er einen neun Pfund schweren Ziegelstein vierzig Meilen weit auf einer Bahn getragen hatte. Dann kamen Sie, und Ihre Gegenwart und einige Dinge, die Sie ihm sagten, versetzten ihn in einen Zustand der Selbsttranszendenz. Was machen Sie da genau? Wie können Sie auf eine Person einwirken, oder wie kann jemand auf sich selbst einwirken, um das zu transzendieren, was er für seine normalen Grenzen hält?

Sri Chinmoy: Selbsttranszendenz ist nicht nur möglich, sondern sie ist auch praktisch anwendbar und durchführbar, vorausgesetzt, wir empfinden in den Tiefen unseres Herzens das aufrichtige Gefühl, dass nicht wir die Handelnden sind, sondern Jemand anderes. Wer ist dieser Andere? Es ist uns eigenes höchstes Wesen, es ist unser Absoluter Höchster Herr.

In unserer Bhagavad Gita, dem ‘Himmlischen Gesang’, lehrte uns Lord Sri Krishna: Nimitta matram bhava savyasachin – „Werde zu einem reinen Instrument“. In meinem Fall empfehle ich meinen Schülern, dass sie niemals, niemals denken sollen, dass sie die Handelnden sind, denn nur Gott ist der Handelnde. Sie sollten Ihm nur ständig ihre Dankbarkeit darbringen, weil Er in ihnen und durch sie wirkt, um etwas Besonderes für Ihn zu vollbringen.

Ashrita hat über die Jahre viele Höchstleistungen vollbracht, weit über meine Vorstellungskraft hinaus. Ihm gelang es, weil er einen unerschütterlichen Glauben an mich hat, und weil ich einen unerschütterlichen Glauben an den Höchsten habe, der der Guru meiner Schüler, mein eigener Guru und der Guru eines jeden ist. Ich sage immer zu meinen Schülern: Ich bin nicht euer Guru. Es gibt auf der Erde und im Himmel nur einen Guru, und das ist der Absolute Höchste Herr. Er ist das All unserer Ewigkeit.

Ich sage all meinen Schülern, dass ich wie der ältere Bruder in unserer spirituellen Familie bin. Als älterer Bruder weiß ich, wo sich unser Vater aufhält. Meine Aufgabe besteht darin, meine jüngeren Brüder und Schwestern zu unserem Vater zu bringen. Dann habe ich meine Aufgabe erfüllt und die Jüngeren können direkt mit dem Vater sprechen. Aufgrund meines inneren Er­wa­chens und meiner Verwirklichung kann ich sagen, dass ich viele Jahre, sogar Jahrhunderte lang gebetet habe. Deswegen weiß ich ein wenig mehr über Strebsamkeit und Verwirklichung als Ashrita und ich versuche, in ihm Glauben zu erwecken, damit er mit mir kommt und mir zum Vater folgt. Ich versuche, sein Vertrauen in sich selbst zu stärken, damit er fühlt und erkennt, dass er ein höchst auserwähltes Instrument Gottes ist.

Ich bete zu Gott, damit Er vor allem eine Eigenschaft in jedem Einzelnen hervorbringt: den Glauben, ein besonderes Mitglied von Gottes Familie mit einer besonderen Lebensaufgabe zu sein. Durch jeden Einzelnen versucht Gott, etwas Einzigartiges zu manifestieren. Gott will nicht, dass jeder Mensch auf dieser Welt ein und dieselbe Aufgabe ausführt. Nein, Er will Vielfalt in der Einheit. Ein Baum hat nur einen Stamm, hat jedoch viele Äste, Blüten und Früchte.

Unsere Philosophie ist – wie Sie freundlicherweise bereits erwähnten – die Selbsttranszendenz. Ich bin zufällig ein Sportler. Sagen wir einmal, ich habe ein bestimmtes Niveau erreicht und bin sehr stolz auf mich. Doch sobald ich mich umschaue, werde ich sehen, dass andere mich mit Leichtigkeit übertreffen können. Wenn wir in die Welt des Wettkampfes eintreten und versuchen, die ganze Welt zu besiegen, wird die Enttäuschung nicht lange auf sich warten lassen. In diesem Moment werden wir viel­leicht der Erste sein, doch schon im nächsten Augenblick wird ein anderer auftauchen, der unsere Leistung überbietet. Deswegen gibt es in der Welt des Wettkampfes keinen Frieden, es gibt immer jemanden, der besser ist. Doch wenn wir versuchen, nur uns selbst zu übertreffen und beständig unseren eigenen Standard verbessern, werden wir immer glücklich sein.

Auch im spirituellen Leben versuchen wir uns ständig zu transzendieren und über uns hinaus zu wachsen. Wenn ich heute zwanzig Fehler begehe, werde ich morgen versuchen, nur noch neunzehn Dinge falsch zu machen. Ich werde beständig versuchen, mich zu verbessern, und auf diese Weise erhalte ich ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit. Ich wetteifere mit niemand anderem als mit mir selbst. Auf diese Weise kann ich fühlen, dass ich Vollkommenheit erlange. Doch die Vollkommenheit von heute ist nur der Ausgangspunkt für eine höhere Vollkommenheit von morgen.

Frage: Ich habe erfahren, dass Sie einige Zeit im Sri Auro­bindo Ashram verbrachten. Ich war sehr beeindruckt, dass die meisten Mitglieder des Ashrams, ganz gleich welchen Alters, im Zölibat lebten. Selbst diejenen, die verheiratet sind, praktizieren _brahma­charya_, Enthaltsamkeit. Mir ist auch aufgefallen, dass viele Ihrer Schüler keine Kinder haben. Ich frage mich, wie Sie Ihre Schüler zu diesem Thema ‘brahmacharya’ in der Ehe unterweisen oder sie inspirieren bzw. darüber sprechen?

Sri Chinmoy: All das liegt in meiner persönlichen Erfahrung der inneren Welt begründet, die aus meinem Gebet und meiner Meditation gewachsen ist. Jeder spirituelle Meister ist völlig abhängig vom göttlichen Befehl, dem ‘adesh’. Im Alter von zweiunddreißig Jahren wurde mir von meinem Höchsten Herrn befohlen, nach Amerika zu gehen, um den Suchenden dort meine Dienste anzubieten. Die meisten meiner Schüler sind unverheiratet. Ich stelle ihnen die Frage, was sie wirklich vom Leben wollen: Freude oder Genuss. Zwischen diesen bei­den Dingen besteht ein großer Unterschied. Dem Leben des Genusses folgt stets die Enttäuschung und Frustration, und auf Enttäuschung folgt Zerstörung. Wenn wir einmal völlig frustriert sind, steht unsere Zerstörung unmittelbar bevor. Doch wenn wir auch nur einen Funken Seligkeit von unserem Gebet und unserer Meditation erhalten, schwimmt unser inneres Wesen augenblicklich in einem Meer von Licht und Wonne. Wenn wir während unserer Meditation nur einen Funken göttlichen Lichts erhalten, schweben wir den ganzen Tag im Himmel der Unendlichkeit und schwimmen im Meer der Glückseligkeit.

Ich sage meinen Schülern: „Ich habe nicht deine Füße berührt und dich gebeten, dich unserem Pfad anzuschließen. Nein, du hast etwas in mir gesehen und gefühlt, und ich habe etwas in dir gesehen und gefühlt. Es war nicht einseitig - in keiner Weise! Ich habe in dir einen echten inneren Hunger gespürt und du hast in mir einen wahren älteren Bruder gesehen, der dir tiefste Liebe und tiefstes Mitgefühl zeigen wird. Früher hast du in den Vergnügungen der Unwissenheit geschwelgt, aber jetzt strebst du und sehnst dich bewusst nach dem Licht. Und so ist das Einzige, das dich wahrhaft befriedigen und erfüllen wird, die innere Freude, die du von deinem Gebet und von deiner Meditation erhältst.

Vor fünfzehn oder zwanzig Jahren, bevor sie unseren Weg annahmen, konsumierten einige meiner Schüler Drogen. Als sie mich dann sahen, wie ich Vorträge hielt, Fragen beantwortete oder mit ihnen meditierte, gaben sie ihr Drogenleben auf, denn sie erkannten, dass ihnen diese Nahrung nicht mehr bekommt. Sie wollten etwas anderes. Ein Kind, das ein oder zwei Jahre alt ist, wird Schmutz und Staub als etwas zum Essen betrachten. Was immer es um sich herum erblickt, wird es in den Mund stecken. Seine Mutter wird es ausschimpfen, und sie wird dem Kind beibringen, nur richtige Nahrung zu essen. Wenn das Kind dann älter wird, wird es nur noch richtige Nahrung essen wollen. Auf dieselbe Weise hören wir im spirituellen Leben auf, den Schmutz und Staub des Ver­gnügungslebens zu essen, und statt dessen trinken wir nun den inneren Nektar der göttlichen Freude.

In jedem Augenblick erhalten wir die Gelegenheit, höher hinaufzusteigen oder tiefer zu fallen, je nachdem, was wir sehen, was wir tun und in was wir eintreten. Ich gehe oft in indische Restaurants und esse gerne scharfe Speisen; das Menschliche in mir genießt diese Speisen. Doch das heutige Mahl stellte das Göttliche in mir immens zufrieden, weil es so sattvisch war. Vom heutigen Mahl erhielt ich wahre, göttliche Nahrung, nicht nur weil alles so rein war, sondern auch, weil ich mich hier mit Gurudeva und seinen engsten Anhängern aufhalte. In anderen indischen Restaurants hört man keine vedischen Gesänge; man bekommt Rock´n Roll oder andere un­gött­­liche Musik zu hören. Ich versuche zu essen, doch die niederen vitalen Kräfte und schlechten Schwingungen versuchen, mich herabzuziehen, und so fühle ich mich ständig, als würde ich auf heißen Kohlen sitzen. Doch hier muss ich mir keine Sorgen darum machen, denn wer sollte hier wen herabziehen? Im Gegenteil, hier helfen wir uns nur gegenseitig, um höher hinauf zu steigen.

Herausgeber: Wollen Sie damit auf subtile Weise ausdrücken, dass Sie brahmacharya für die Spiritualität als wichtig betrachten?

Sri Chinmoy: Ja, absolut. Doch von manchen Schülern kann ich es nicht sofort erwarten. Wenn jemand die Universität besucht, kann ich von ihm nicht erwarten, dass er sofort einen Doktortitel erhält. Außerdem leben wir im 20. Jahrhundert und ich versuche mit meinen Schülern praktisch zu sein. Denjenigen, die verheiratet sind, sage ich: „Versucht nicht von heute auf morgen, enthaltsam zu sein. Verringert euren körperlichen, irdischen Hunger langsam, aber stetig.“

Es gibt aber auch Schüler, die bereit sind, in ihrem spirituellen Leben sehr schnell zu laufen. Viel­leicht wurden sie in eine spirituelle Familie hineingeboren, und ihre Eltern und ihre älteren Geschwister praktizieren bereits die Spiritualität, und so haben sie den Erfahrungshinter­grund. Menschen, die bereits erwacht sind, sind mehr als bereit, der strengen Disziplin eines enthaltsamen Lebens zu folgen. Ihnen sage ich: „Es liegt an dir, wie schnell du auf der Straße der Ewigkeit laufen willst. Wenn du so schnell wie möglich vorankommen willst, wenn du nach dem Licht dürstest, dann musst du die Dinge tun, die absolut unerlässlich sind, um deine Geschwindigkeit zu erhöhen.“

Redakteur: Welche Dinge sind das?

Sri Chinmoy: Unsere Philosophie lautet:

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Asato ma sad gamaya

tamaso ma jyotir gamaya

mrityor ma amritam gamaya

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Führe mich vom Unwirklichen zum Wirklichen.

Führe mich von der Dunkelheit zum Licht.

Führe mich vom Tod zur Unsterblichkeit.

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Ich für mich selbst weiß, was mich bindet, Sie wissen, was Sie bindet, er weiß, was ihn bindet. Wir können es Versuchung oder Unwissenheit nennen, oder noch einen weiteren Namen dafür finden, doch es offenbart sich auf die unterschiedlichste Weise. Was den einen Menschen davon abhält Fortschritt zu machen, ist nicht dasselbe wie das, was einen anderen am Fortschritt hindert. Der eine leidet an Eifersucht, der andere an Unsicherheit oder Unreinheit. Doch was auch immer unser Problem sein mag, wir können immer eine Lösung finden, indem wir Gott, unserem inneren Führer, dieses Problem übergeben.

Nehmen wir an, jemand leidet an Unreinheit. Ich rate dieser Person: „Betrachte dich selbst als ein Kind von sechs oder sieben Jahren. Du warst draußen und hast im Schmutz gespielt, und nun bist du über und über mit Schmutzflecken bedeckt. Doch du weißt, dass es jemanden gibt, der dich sofort wieder sauber machen kann, und das ist deine Mutter. Deshalb läufst du zu deiner Mutter, und sie wäscht dich.“ Wenn ein Kind zu seiner Mutter läuft, schämt es sich nicht und ist auch nicht verlegen. Es geht einfach zu ihr hin und ist augenblicklich wieder sauber.

Auf die gleiche Weise gibt es auch für uns immer Jemanden, zu dem wir gehen können, um gereinigt zu werden – ganz gleich wie viele unreine oder ungött­liche Dinge wir unternommen haben; und dieser Jemand ist Gott, unser geliebter Supreme. Er ist stets bereit, uns zu helfen, denn das ist Seine heilige Pflicht. Gott kann nie zufrieden sein, wenn Sein Kind, Sein auserwähltes Kind, mit Schmutz bedeckt ist. Wenn ich also etwas falsch gemacht habe, so werde ich zur richtigen Person gehen, um gerettet zu werden, und Gott wird mich augenblicklich reinigen. Wenn eine Mutter bemerkt, dass ihr Sohn etwas falsch gemacht hat, bringt sie es sofort heimlich wieder in Ordnung, denn sie will, dass die Nachbarn über ihren Sohn sagen: „O ja, er ist so ein netter Junge.“

Wir versuchen uns vor Gott zu verstecken, doch wie können wir uns vor jemandem verstecken, der allgegenwärtig ist? Gott ist voller Zuneigung und Mitleid, doch Er versucht es zu verbergen. So spielt Er Sein Kosmisches Spiel. Doch wir müssen uns bewusst sein, dass Gott in jedem Moment versucht, uns zu vervollkommnen. Das ist die Aufgabe, die Er Sich gestellt hat. Wir können uns niemals, niemals Gottes Mitgefühl würdig erweisen, doch Er hat die Herausforderung angenommen. Nicht wir haben Gott herausgefordert; Gott hat Sich selbst her­aus­ge­fordert. Unsere Aufgabe besteht einzig und allein darin, völliges Vertrauen in Ihn zu haben sowie Dankbarkeit und Selbsthingabe.

Wir alle beten – Sie und ich, wir alle hier. Kann es ein besseres, höheres, erleuchtenderes oder erfül­len­deres Gebet geben als: „Dein Wille geschehe“? Dieses Gebet berührt die höchsten Höhen. Frieden beginnt, wenn Erwartung endet. Ich tue Ihnen einen Gefallen und sofort erwarte ich eine Gegenleistung. Und wenn Sie sich nicht erkenntlich zeigen, beginne ich, Sie dafür zu kritisieren. Doch wenn wir zu Gott beten, muss unser Gebet bedingungslos sein. Es ist dieses bedingungslose Gefühl, das uns retten wird. Ich sage meinen Schülern, dass es ihre heilige Pflicht ist, früh am Morgen zu beten und zu meditieren, doch alles weitere müssen sie Gott überlassen, denn Er weiß am besten, was wir für unseren schnellsten Fortschritt brauchen.

Nehmen wir an, ein Kind findet eine fünfzig Cent Münze auf der Straße, und es läuft zum Vater, um ihm diese fünfzig Cent zu schenken. Sein ganzer Besitz ist diese eine Münze, doch voller Glück gibt es sie seinem Vater. Was wird nun der Vater tun? Der Vater weiß, dass das Kind diese fünfzig Cent hätte ausgeben können oder die Münze wie ein Geizhals verstecken. Doch es gab die fünfzig Cent voller Freude seinem Vater, weil es soviel Liebe und Vertrauen in ihn hat. Der Vater ist so erfreut darüber, dass er dem Kind zehn Euro geben wird. Weil das Kind zur richtigen Person ging, erhielt es viel mehr, als es sonst bekommen hätte.

Wenn wir unsere Gebete seelenvoll, liebend und bedingungslos anerbieten, erhalten wir unendlich viel mehr, als wir uns je erträumen können. Doch unser Gebet muss bedingungslos sein. Wir werden das Richtige tun, aber ohne Erwartungen. Ich frage meine Schüler: „Warum erwartest du etwas? Bist du ein Bettler? Wenn du weißt, dass dein Vater ganz auf deiner Seite steht, und wenn du deinen Vater als dein eigen, ganz dein eigen betrachtest, wie kann es dann sein, dass du nicht darauf vertrauen kannst, dass Er dir alles geben wird, was auch immer du brauchst? Ein Baby kann nur schreien. Wenn es hungrig ist, schreit es und die Mutter eilt herbei, ganz gleich, wo sie sich gerade aufhält. Das Kind benutzt nicht das Wort ‘Milch’; es fragt nicht nach etwas Bestimmten, seine einzige Aufgabe besteht darin zu schreien. Dann kommt seine Mutter mit der Milchflasche herbei, denn sie weiß, was das Kind braucht.

Auf die gleiche Weise sollten wir nur nach Gott schreien, damit Er aus uns ein gutes Instrument macht. In unserem Gebet werden wir sagen: „Ich setze mich Dir zu Füßen. Verwandle mich in ein gutes Instrument.“ Um aus mir ein gutes Instrument zu machen, lässt mich Gott einfach, aufrichtig, rein und hingebungsvoll werden. Wie könnte ich ohne diese Eigenschaften ein gutes Instrument sein? Doch ich muss in meinem Gebet diese guten Eigenschaften nicht ausdrücklich erwähnen – ganz und gar nicht. Ich werde nur danach schreien, Sein gutes Instrument zu werden, und Gott wird mir die Dinge, die dazu nötig sind, definitiv geben.

Wir müssen aber auch wissen, dass es so etwas wie die Stunde Gottes gibt. Wir säen einen Samen und erwarten sofort einen Baum, aber das braucht Zeit. Wir müssen den Samen aufgehen lassen. Zuerst muss er zu einer kleinen Pflanze heranwachsen, bevor er ein riesiger Banyan-Baum wird. Spirituelle Sucher machen oft den Fehler, dass sie sofort ein Ergebnis sehen wollen. Doch uns muss klar sein, dass alles Zeit braucht. Es ist mit dem Anzünden einer Flamme auf dem Gasherd vergleichbar. Man kann lange am entsprechenden Knopf herumdrehen, aber erst wenn man einen bestimmten Punkt erreicht, entzündet sich die Flamme. Deswegen sage ich meinen Schülern, dass sie auf Gottes auserwählte Stunde warten müssen. Diese Stunde schlägt erst dann, wenn Gott uns die Fähigkeit schenkt. Ich werde beten, doch Er wird Sich erst zu Seiner auserwählten Stunde in mir und durch mich erfüllen.

Wir alle brauchen und wollen Freiheit. Doch hierbei handelt es sich nicht um die Freiheit eines Julius Cäsars oder eines Napoleon, die die Welt erobern wollten, sondern um die Freiheit eines Jesus Christus, eines Lord Krishna oder eines Lord Buddha, die die Welt nur lieben und ihr dienen wollten. Es ist die Einsseins-Freiheit, die wir erlangen wollen. Wir müssen fühlen, dass die ganze Welt zu uns gehört, dass wir ein Teil dieser Welt sind und dass es unsere Bestimmung ist, der Welt zu dienen. Wenn wir das fühlen und wenn wir seelenvoll und bedingungslos zu Gott beten, werden wir zweifellos zu einem guten und vollkommenen Instrument Gottes heranwachsen.

Herausgeber: Wir bitten Sie um Ratschläge für eine Durchschnittsperson, oder sagen wir, für einen Anfänger, der die Meditation gerade erst kennen lernt. Wie kann er die Meditation besser in sein Leben integrieren?

Sri Chinmoy: Gebet ist eine Straße und Meditation ist eine andere Straße. Im Osten, in Indien ist die Meditation ein fester Bestandteil im Leben der Menschen, während es im Westen das Gebet ist. Wenn wir beten, sprechen wir zu Gott; und wenn wir meditieren, hören wir Gott zu. Im Westen finden es die Menschen einfach, zu Gott zu sprechen, doch die Meditation empfinden sie als höchst schwierig. In der Meditation tritt Gott in uns ein und überflutet uns mit Seinem Frieden, Seinem Licht und Seiner Wonne. Doch wenn es für uns schwierig ist, die Gegenwart Gottes zu fühlen, sollten wir mit Gebet beginnen. Wenn es für uns schwierig ist, Gott zuzuhören, sollten wir beginnen, indem wir zu Gott sprechen. Wenn wir einmal eine Kommunikation eröffnet haben, können wir auch bald eine beidseitige Konversation führen.

Wenn wir hinaufgehen und mit unseren Gebeten an die Türe Gottes klopfen, wird Er unweigerlich mit Seinem Segen, Seiner Liebe und Seinem Mitleid herabkommen. Sobald wir beginnen Seinen Segen, Seine Liebe und Sein Mitleid in unserem Leben zu erfahren, werden wir sofort in die Meditation eintreten können, ohne zuvor durch das Stadium des Be­tens gehen zu müssen. Doch manche Menschen finden sogar das Beten schwierig. Diese Menschen sollten mit ‘Japa’ beginnen. Wenn sie Shiva mögen, werden sie „Shiva, Shiva, Shiva“ chanten. Oder sie können auch den Namen Gottes – Supreme – wiederholen. Nachdem sie dieses Mantra einige hundert Male wiederholt haben, werden sie sehen, wie viel Nutzen sie davon erhalten.

Wenn ‘Japa’ zu schwierig ist, sollten Sucher einige Zeit mit Menschen verbringen, die Japa durchführen, die beten und meditieren können. Wenn sie es alleine nicht können, dann lasst sie doch zum Beispiel hierher kommen und einfach zu Füßen Guru­devas sitzen. Sucher können überall beginnen, wo immer sie wollen, je nach ihrem eigenen Standard. Wenn sie für Japa geeignet sind, wird Guru­deva sie darin unterweisen. Wenn sie für das Gebet bereit sind, wird er sie lehren, wie sie beten sollen. Er kann im Kindergarten sowie an der Universität unterrichten.

Wenn jemand direkt mit Meditation beginnen will, ohne zuvor Japa oder Gebet zu praktizieren, so sollte er wissen, dass es auf dieser Leiter drei Sprossen gibt: Konzentration, Meditation und Kontemplation. Wenn es für jemand zu schwierig ist zu meditieren, (Sri Chinmoy demonstriert Meditation.) dann soll er mit der Konzentration beginnen. (Sri Chinmoy demonstriert Konzentration.) Die meisten Menschen können deshalb nicht gut meditieren, weil unschöne und un­inspi­rierende Gedanken in sie eintreten. Wir denken an unser gestriges Frühstück oder an unser morgiges Mittagessen. Konzentration ist wie ein nacktes Schwert, das keine Ablenkung erlaubt. Lasst uns daher den Weg durch Konzentration ebnen. In der Konzentration erlauben wir nicht einmal dem Schatten eines Gedankens, ob er nun gut oder schlecht ist, in unseren Verstand einzutreten. Jemand klopft an die Türe unseres Verstandes, doch wir wissen nicht, ob es ein guter Gedanke oder ein schlechter Gedanke ist, ob es ein Freund oder ein Feind ist. Deswegen ist es am besten, die Türe verschlossen zu halten.

Wenn wir sehen, dass auch nicht der kleinste Gedanke versucht, in uns einzutreten, wenn wir unsere eigene Prüfung aufgrund unserer Aufrichtigkeit bestanden haben, sind wir bereit zu meditieren. Nach einiger Zeit schließlich, wenn wir schon weiter fortgeschritten sind, werden wir in die Kontemplation eintreten. In der Kontemplation sind der göttlich Liebende und der Höchste Geliebte eins. Wir betrachten unser Höchstes, und zur selben Zeit sind wir unser eigenes Höchstes, uns selbst betrachtend. In einem Augenblick bin ich der Gottliebende, und mein geliebter Herr steht unmittelbar vor mir. Im nächsten Augenblick tauschen wir die Rollen, und Er ist der Liebende, während ich der Geliebte bin. (Sri Chinmoy demonstriert Kontemplation.)

Frage: Es würde uns interessieren, etwas mehr darüber zu erfahren, warum Sie in den Westen gekommen sind?

Sri Chinmoy: Für mich gibt es kein Indien, kein Amerika, kein Europa; für mich gibt es nur das Haus Gottes, Gottes Heimstätte, den Palast Gottes. Einmal bittet mich Gott in dem Raum Seines Hauses zu verweilen und zu arbeiten, der Amerika genannt wird. Im nächsten Augenblick kann Gott mir ohne weiteres auftragen, in einen anderen Raum zu gehen, der Indien genannt wird, um dort zu arbeiten. Und einen Augenblick später kann Er mich nach England, nach Deutschland oder in ein anderes Land schicken. Meine Aufgabe ist es, jederzeit Seinen Befehl fröhlich, freiwillig und bereitwillig anzunehmen. Meine Aufgabe besteht einzig darin, mich Ihm zu Füßen zu setzen und Ihm meine gesamte Existenz bedingungslos hinzugeben.

Ich gehorche Gott nicht, weil ich Seine Bestrafung fürchte. Nein, ich befolge Gottes Befehle, weil ich Ihn liebe. Seine Liebe zieht mich an wie ein Magnet. Wenn Gott mich bittet, irgendwo für Ihn zu arbeiten, werde ich aus Liebe dorthin gehen. Für mich ist Gott Gott, weil Er die All-Liebe ist, nicht weil Er die All-Macht ist. Gottes Macht-Aspekt verzaubert mich nicht. Was kann denn mächtiger sein als die Liebe selbst? Für die Menschen ist immer die Macht von großer Bedeutung. Doch sobald wir das spirituelle Leben annehmen, entdecken wir, dass wir nur die Macht der Liebe brauchen.

So gibt es für mich weder ein Indien noch ein Amerika. Für mich gibt es nur eines: den Befehl Gottes. Wenn ich bete und meditiere, empfange ich Seinen Befehl oder Seine Botschaft in der Tiefe meines Herzens. Dann versuche ich, glücklich, fröhlich, bereitwillig und – das Wich­tig­­­­ste – bedingungslos meinem Höchsten Herrn zu Diensten zu sein. Nur wenn wir Gott bedingungslos dienen, können wir wirkliche Erfüllung erfahren. Ganz gleich, was wir besitzen, ganz gleich, was wir werden, ganz gleich, was wir sind, wir können niemals Erfüllung finden, solange wir nicht fähig sind, Gott bedingungslos zu lieben und zu dienen.

Auf der physischen Ebene leben Sie hier in Hawaii, doch Gott bittet Sie, von hier aus der ganzen Welt zu dienen. In meinem Fall ist es ähnlich. Genauso bin ich, physisch gesehen, in New York zuhause, doch in spiritueller Hinsicht bin ich dank meiner Strebsamkeit nicht auf New York beschränkt. Meine Strebsamkeit trägt mich überall hin. Wenn wir in der Welt der Strebsamkeit leben, sind wir überall. Doch wenn wir in der Welt der Begierde leben, sind wir nirgendwo, denn das Begehren begrenzt uns ständig und schränkt uns ein.

Als ich geboren wurde, waren mein Vater und meine Mutter meine ganze Welt. Als ich dann ein wenig älter wurde, war unser kleines Dorf meine ganze Welt. Dann wurden meine Stadt, meine Provinz und mein Land zu meiner ganzen Welt. Jedes Mal, wenn ich ein Stückchen mehr erwachte oder mich ein Stück weiter entwickelte, dehnte sich mein Bewusstsein aus. Wenn Sie mich nun fragen: „Wo leben Sie?“ wird das Menschliche in mir antworten: „Ich lebe in New York.“ Doch das Göttliche in mir wird antworten: „Nein, ich lebe im Herzen der strebenden Menschheit. Meine wirkliche Heimat ist im Herzen meiner spirituellen Brüder und Schwestern, genauso wie auch sie in meinem Herzen leben.“

Frage: In Jamaica, Queens, haben Sie eine Gruppe von ganz besonderen Seelen um sich versammelt. Etwas, das uns immer beeindruckt, ist, dass sich jeder ihrer Schüler, den wir treffen, dem spirituellen Leben vollkommen verschrieben hat. Das ist ein wunderbarer Unterschied zu der Halbherzigkeit, die wir bei anderen Gruppen be­obachten konnten. Wie betrachten Sie selbst die kleine Enklave spiritueller Sucher, die sich um Sie versammelt hat? Sie leben selbständig in der Welt, aber sie sind doch auch sehr nahe, ohne in Ihrem Ashram oder in Ihrem Haus zu leben. Ich glaube nicht, dass es eine andere Gruppe gibt, die der Ihren ähnlich ist.

Sri Chinmoy: Sie sind sehr liebenswert. Wenn wir bessere Bürger dieser Welt werden wollen, fühlen wir, dass wir mehr zusammenwachsen müssen. Meine Schüler haben mich als ihren spirituellen Vater angenommen, und ich habe sie als meine spirituellen Kinder angenommen, deswegen gehören wir zusammen. Ich glaube fest daran, dass meine Schüler den Willen und den Drang haben, mit mir gemeinsam auf der Straße der Ewigkeit entlang zu gehen, zu marschieren und zu laufen. Meine Schüler wiederum vertrauen darauf, dass ich ihnen helfen, sie leiten und zu ihrem Ziel führen kann. Alles gründet also auf gegenseitigem Vertrauen.

Ich gebe meinen Schülern, was ich bin und was ich habe. Und sie geben mir ebenfalls, was sie sind und was sie haben. So sieht meine Beziehung zu meinen Schülern aus, sowohl individuell als auch im Kollektiv - und nicht nur in Jamaica, sondern überall auf der ganzen Welt. Ich rate meinen Schülern, immer das Gute in den anderen Menschen zu sehen und zu versuchen, diese Eigenschaften zu stärken. Wenn ich der Morgendäm­merung, dem erwachenden Tag Wichtigkeit beimesse, dann wird mein gesamtes Bewusstsein mit Licht überflutet werden. Doch wenn ich an die Dunkelheit denken will, die der Morgendämmerung vorangeht, dann wird mein Verstand von Dunkelheit völlig eingehüllt sein.

Ich ermuntere meine Schüler immer dazu, den positiven und nicht den negativen Aspekt des Lebens zu betrachten. Ich rate ihnen, die anderen Menschen zu lieben und zu versuchen, nicht nur ihre eigenen guten Qualitäten hervorzubringen, sondern auch die der anderen. Ich sage zu meinen Schülern: „Wenn ihr seht, dass jemand zwei gute und eine schlechte Eigenschaft besitzt, so schätzt und verehrt ihn wegen seinen guten Eigenschaften. Dann wird es ihm peinlich sein, diese schlechte Eigenschaft zu haben und er wird versuchen, diese abzulegen. Doch wenn ihr zu ihm geht und ihm sagt: „Ach, du hast diese schlechte Eigenschaft“, wird er sich nicht ändern. Ihr macht euch selbst nur zu seinem Feind.

Frage: Haben Ihre Schüler die Möglichkeit, privat zu Ihnen nach Hause zu kommen?

Sri Chinmoy: Sie können zu mir kommen, um mit mir ein kurzes privates Gespräch zu führen, entweder bei mir Zuhause oder auf dem Tennisplatz, wo ich einen privaten Raum zur Verfügung habe. Ich spiele leidenschaftlich gerne Tennis und ich erlaube meinen Schülern ebenfalls, dort Tennis zu spielen, denn die Botschaft des Tennis lautet: „Love and Serve“ - liebe und diene. Tennis beginnt mit „Love“ (= null Punkte) und geht über zum Serve (Aufschlag). Bei einem guten Aufschlag erhältst du einen Punkt. Ebenso machst du genau das Richtige, wenn du den Supreme liebst (love), und Ihm in der Menschheit dienst (serve).

Viele Male haben mich meine Schüler um eine Unterredung gebeten, und ich sagte sie ihnen zu. Doch häufig musste das vereinbarte Gespräch nicht stattfinden, weil die Probleme der Schüler bereits innerlich gelöst waren.

Erst vor zwei Wochen starben die Eltern von fünf meiner Schüler, und die Schüler kamen zu mir, um Trost zu suchen. Sie kamen einzeln und saßen vor mir, um zu beten und zu meditieren. In tiefer Liebe und voller Mitleid sagte ich zu ihnen: „Leben und Tod sind zwei Räume, die nebeneinander liegen. Diesen Raum, in dem wir physisch und mental aktiv sind, nennen wir Leben. Hier halten wir uns während des Tages auf. Am Abend, gehen wir dann in den anderen Raum, um uns auszuruhen. Wenn du betest und meditierst, wirst du die Tür erkennen, die die beiden Räume miteinander verbindet.

Im Augenblick kannst du den anderen Raum noch nicht betreten, doch es gibt Jemanden, der dorthin gehen kann, und das ist Gott. Bete zu Ihm, dass Er segensreich das Notwendige für eure Mutter und euren Vater unternimmt. Gott wird eure Gebete erhören. Gott hat eure Mutter und euren Vater erschaffen, und Er trägt die volle Verantwortung für sie. Es ist Seine Pflicht, für sie Sorge zu tragen; deine einzige Aufgabe ist es, Ihn um Seine innere Führung zu bitten.

Deswegen lasst uns zusammen beten und unserem Höchsten Herrn unsere Dankbarkeit darbringen, dass Er unseren Vater und unsere Mutter sechzig oder siebzig Jahre lang im Raum des Lebens behalten hat. Nun hat derselbe Höchste Herr euren Vater und eure Mutter gebeten, im anderen Raum etwas für Ihn zu tun. Im Moment habt ihr keinen Zugang zu diesem Raum, doch eure Gebete werden zu Gott gelangen, und Er wird sie segnen und alles Notwendige für euren Vater und eure Mutter unternehmen.“ Mit diesen Worten habe ich sie getröstet.

Frage: Warum geben Sie jetzt nur noch so selten Vorträge?

Sri Chinmoy: Über die Jahre hinweg habe ich so viel gesprochen. Ich habe mein Soll mehr als erfüllt! Über neunhundert Bücher habe ich geschrieben, und viele davon beruhen auf meinen Vorträgen. Doch nun fühle ich, dass die stille Meditation der beste Weg ist, denn das Ergebnis meiner stillen Meditation ist außerordentlich vielversprechend. Da die Menschen nur selten zwei Stunden ohne Unterbrechung meditieren können, spiele ich auch seelenvolle und andachtsvolle Musik. Wenn ich still meditiere und auf einer Reihe von Instrumenten spiele, fühle ich, dass die Gesichter der Menschen im Publikum buchstäblich strahlen.

Herausgeber: Beim Weltparlament der Religionen in Chicago drückten Sie mit Ihrer Stille mehr aus als all die anderen Redner.

Sri Chinmoy: Glauben Sie mir, mindestens sieben- oder achtmal baten mich die Organisatoren, ein paar Worte zu sprechen, doch ich wollte nicht. In Indien habe ich sehr viel über Swami Vivekananda geschrieben, und es wäre ein Leichtes gewesen, über ihn eine Rede zu halten. Doch anstelle zu sprechen, veranstaltete ich neununddreißig Friedenskonzerte, um damit die Anzahl seiner Lebensjahre, die er auf dieser Welt verbrachte, zu würdigen. Stille ist um ein Vielfaches produktiver als eine äußere Rede.

Herausgeber: Wie gelang es den Leuten in Hawaii, Sie zum Sprechen zu bewegen, nachdem das den Leuten in Chicago misslang? Nach Ihrem jüngsten Konzert an der Universität im Hawaii-Manoa-Campus hielten Sie für das Matsunaga Friedensinstitut einen Vortrag, bevor Sie vom Zentralrat mit einem Friedenspreis geehrt wurden.

Sri Chinmoy: Manchmal bin ich meinen Schülern ausgeliefert und den Versprechen, die sie den offiziellen Stellen geben. Sonst hätte ich die Auszeichnung in Stille übernommen und hätte auch meine Dankbarkeit in Stille angeboten. Doch wenn meine Schüler jemandem versprechen, dass ich eine Rede halten werde, oder wenn ich auf irgendeine Weise überrumpelt werde, dann öffne ich meinen großen Mund und sage: „Ja, ich werde sprechen.“ Später dann erhalte ich davon aber keine Freude, denn ich weiß, dass die Menschen im Publikum von meiner Stille viel mehr erhalten hätten.

Wenn jemand eine Rede hält, so empfindet er, dass er ein besserer Mensch ist als seine Zuhörer. Er fühlt: „Ich besitze alle Weisheit, und du kamst hierher, um etwas von dieser Weisheit zu erhalten. Wenn du mir nicht zuhörst, wirst du weiterhin ein Gefangener der Unwis­sen­heitsnacht bleiben.“ Wenn jemand einen Vortrag hält, fühlt er sich überlegen. Niemals denkt er daran, dass eigentlich das Publikum ihm einen Gefallen erweist, indem es ihm hilft, seine guten Qualitäten zum Vorschein zu bringen. In der Theorie mag ein Lehrer behaupten, dass er, wenn er lehrt, ebenso lernt. Doch insgeheim fühlt der Lehrer, dass er sein überlegenes Wissen mit seinen Schülern teilt. Er glaubt, dass seine Zuhörer Bettler sind und er ihnen alles geben muss.

Wenn ein Lehrer aber mit seinen Schülern meditiert, so empfindet er weder seine Schüler als Bettler noch halten sie sich selbst dafür. Der Lehrer hebt seine Schüler empor und sie erheben ihn ebenfalls. Wer wird in der stillen Meditation schon sagen, der eine sei überlegen und der andere unterlegen? Es ist eine Einsseinsfamilie. Wenn ein Vater eine Straße entlang geht, und sein kleiner Sohn ihm folgt, so denkt der Vater nicht: „Ach, du bist so ein kleiner Junge. Was willst du hier? Mit mir kannst du nicht gehen.“ Nein, der Vater ist sehr glücklich und stolz darauf, dass sein kleiner Sohn ihm folgt. Und das Kind hat vor der Größe und der Stärke seines Vaters keine Angst, denn es weiß, dass es eines Tages erwachsen sein wird und ebenso stark und groß sein wird wie sein Vater.

Wenn Ihre Strebsamkeit stärker ist als meine – was macht das schon? Wenn ich einen Tropfen Strebsamkeit besitze, so biete ich diesen Tropfen dem Ozean an. Wenn Sie zehn, zwanzig oder hundert Tropfen besitzen, werden Sie diese ebenfalls in den Ozean fließen lassen. Wenn ein Tropfen in den Ozean eintritt, verliert er seine Identität und wird eins mit dem unendlichen Ozean. Wenn Sie daher Ihre Tropfen anbieten und ich die meinen, so werden wir beide ein Teil des Strebsamkeits-Ozeans.

Frage: Glauben Sie, dass jene Art von Großfamilie, wie sie in Indien existiert, wo die Väter, die Mütter, Tanten und Onkel alle zusammenleben, eine stabilere Gesellschaft im Westen schaffen könnte?

Sri Chinmoy: Das hängt völlig vom Bewusstsein der einzelnen Mitglieder ab. Allerdings kann etwas für einen bestimmten Teil der Welt geeignet sein, für einen anderen Teil der Welt mag es sich jedoch als absolut unpassend erweisen. Aufgrund der Art und Weise, wie die westliche Gesellschaft entstand, fühle ich, dass die erweiterte Familie hier nicht unbedingt notwendig ist. Amerika muss auf seine Art wachsen, indem es mehr Liebe entwickelt. In der indischen Gesellschaft leben die Familienmitglieder zusammen und wachsen zusammen; dort existiert eine Zusammengehörigkeit. In Amerika führt der Freiheitsdrang die Familienmitglieder auseinander. Zuerst leben vier Men­schen in einer Familie, dann, wenn die Kinder ausziehen, werden daraus drei und dann zwei. Manchmal lassen sich diese zwei verbleibenden Mitglieder dann auch noch scheiden. Sie sind mit dem, was sie haben, und mit dem, was sie sind, nicht zufrieden. Durch die Trennung versuchen sie Freude zu erhalten, doch Freude finden wir nur im Einssein. Ein Familienmitglied klagt über das andere: „Er steht mir nicht mehr nahe; sie steht mir nicht mehr nahe.“ Irgendwann erreichen sie dann einen Punkt, wo sie niemanden mehr in ihrem Leben haben.

Ich behaupte nicht, dass die Inder mit ihrer Großfamilie zufriedener sind – nein, bei weitem nicht. Doch im allgemeinen stehen in Indien die Qualitäten des Herzens mehr im Vordergrund als im Westen. Den Indern unterlaufen genügend Fehler, doch gleichzeitig versuchen sie zu fühlen, dass sie alle einer Familie angehören. Wenn in Amerika ein Vater achtzig oder neunzig Jahre alt wird, so hat sein Sohn nichts mehr mit ihm zu tun. Der Sohn sollte den Vater vielleicht einmal pro Woche besuchen, doch an diesem Tag wird er ins Kino oder zu einem Picknick gehen. In Indien jedoch betrachtet ein Sohn es als seine absolute Pflicht, für seinen Vater zu sorgen, ganz gleich, wie schlecht dieser Vater auch sein mag. Auch wenn die Kinder bettelarm sind, werden sie sich entsprechend ihren Fähigkeiten immer um ihre Eltern kümmern.

Die Eltern geben ihren Kindern über so viele Jahre hinweg alles, was sie besitzen. Sie überhäufen ihre Kinder mit Zuneigung und ermöglichen ihnen eine Schulausbildung. Wenn aus den Kindern heute etwas geworden ist, verdanken sie es der elterlichen Hilfe. Doch sehr oft zahlen es die Kinder ihren Eltern mit Gleichgültigkeit zurück. Die Eltern werden in ein Altersheim geschickt und die Kinder leben ihr eigenes Leben.

Wir besitzen den Körper, die Lebenskraft, den Verstand, das Herz und die Seele. Wenn ich heute meinen Körper aufgebe, morgen meine Lebenskraft und übermorgen meinen Verstand, was bleibt mir dann? Wenn mir mein Arm schmerzt, soll ich ihn dann amputieren? Auf diese Weise wird von mir bald nichts mehr übrig bleiben. Genau das aber macht die westliche Welt: sie schneidet ab und schneidet ab und schneidet ab! Doch der positive Ansatz wäre zu sagen, wenn etwas beschädigt ist, so werde ich versuchen, es zu reparieren, zu heilen und zu vervollkommnen. Wenn meine Lebenskraft und mein Verstand schlecht sind, werde ich sie verwandeln und erleuchten.

Teil II

SCA 43-50. Folgende Texte sind Auszüge eines Fernsehinterviews in Apia, Westsamoa, vom 21. April 1993.

Interviewer: Sri Chinmoy, welche Botschaft versuchen Sie der Welt zu vermitteln?

Sri Chinmoy: Ich versuche, der gesamten Welt eine einfache und von Gebeten erfüllte Botschaft anzubieten, und diese Botschaft ist die Botschaft des Friedens. Solange wir keinen Frieden erlangt haben, werden wir auch nicht glücklich sein. Wir können materielle Dinge in grenzenlosem Maße besitzen, wir können die reichsten Menschen auf der Erde sein, wir können in den Vergnügungen des Lebens schwel­­gen, doch solange wir keinen Frieden besitzen, können wir dennoch nicht glücklich sein. Wir müssen gemeinsam arbeiten und gemeinsam beten, damit Gott uns mit Frieden segnet.

Interviewer: Wenn Sie über Frieden sprechen, meinen Sie damit, keine Kriege zu führen oder individuellen Frieden?

Sri Chinmoy: Der individuelle Friede steht an erster Stelle. Wenn ich in meinem Verstand Frieden fühle und Sie in ihrem Verstand ebenfalls Frieden fühlen, kann es keinen Krieg geben. Doch wenn ich in meinem Verstand keinen Frieden besitze, dann bin ich ständig unsicher, eifersüchtig und habe Angst vor Ihnen. Ich glaube dann, dass Sie mich jeden Moment angreifen könnten, deswegen will ich Sie zuerst angreifen. Oder ich fühle mich Ihnen überlegen und will Ihnen meine Überlegenheit demonstrieren; ich will beweisen, dass ich größer und stärker bin als Sie, und somit erkläre ich Ihnen den Krieg.

All das entspringt dem Verstand. Doch wenn ich im Herzen lebe und mein Einssein mit Ihnen fühle, dann plagen mich weder Unsicherheit noch Eifersucht. Dann existiert nur Einsseins-Frieden. Deswegen sage ich der Welt: „Lasst uns im Herzen leben und nicht im Verstand. Krieg ist im Verstand, doch Liebe und Frieden sind im Herzen.

Die Welt lebt unglücklicherweise noch immer im Verstand. Jedes Land versucht, entweder seine Überlegenheit zu demonstrieren, oder es hat vor anderen Ländern Angst, und aus diesem Grunde mangelt es der Welt sehr an Frieden. Wie kann die Welt Frieden erlangen? Durch Gebet und Meditation. Wenn ich durch mein Gebet und meine Meditation Frieden erlange, werde ich weder Sie noch jemand anderen angreifen. Und mein Frieden im Verstand wird Sie ebenfalls dazu inspirieren, zu beten und zu meditieren, um Frieden im Verstand zu erlangen. Wir gehen somit vom individuellen Frieden zum kollektiven Frieden.

Meine seelenvolle Botschaft an die Welt ist folgende: Lasst uns zuerst individuellen Frieden finden und lasst uns dann zum kollektiven Frieden weitergehen. Wenn in einem Garten eine wunderschöne Pflanze wächst, werden aus dieser einen Pflanze allmählich weitere Pflanzen entstehen. Doch ich kann von einer einzigen Pflanze nicht urplötzlich Hunderte und Tausende anderer wunderschöner Pflanzen erhalten; das ist unmöglich. Wenn eine Person Frieden im Verstand hat, dann wird sie eine andere dazu inspirieren, ebenfalls Frieden im Verstand zu haben. Wenn ein Land auf dieser Welt Frieden besitzt, so wird dieses Land ein weiteres dazu inspirieren, Frieden zu haben.

Interviewer: Über welche Themen sprechen Sie, wenn Sie sich mit den führenden Persönlichkeiten dieser Welt treffen?

Sri Chinmoy: Heute hatte ich ein Treffen mit Ihrem Staatsoberhaupt. Er war sehr, sehr freundlich, mitfühlend und liebenswürdig zu mir. Wir alle beten zu Gott um Frieden für diese Welt, und wenn ich mich nun mit den führenden Persönlichkeiten dieser Welt treffe, sprechen wir nur über ein Thema: wie wir eine friedvolle Welt schaffen können. Viele dieser Persönlichkeiten sind Politiker, doch von Politik verstehe ich gar nichts. Ich komme zu ihnen als ein Student des Friedens und als Friedenslie­bender. Sie wissen, dass ich mich in der Politik nicht auskenne, doch sie sind trotzdem so freundlich, sich mit mir zu treffen, denn sie wollen voller Aufrichtigkeit Frieden auf der Erde errichten, und so sprechen wir über unseren seelenvollen Dienst für die Menschheit und über Frieden und Einssein.

Interviewer: Wie fügt sich die Meditation in das Ganze ein?

Sri Chinmoy: Die Meditation ist von größter Wichtigkeit. Wenn wir nicht meditieren, können wir nicht einmal einen Funken Frieden besitzen. Meditation lässt den Verstand still und ruhig werden. (Sri Chinmoy demonstriert Meditation.) Bei dieser Meditation bringe ich Frieden von oben herab. Wenn man täglich fünfzehn Minuten, eine halbe oder ein ganze Stunde lang meditieren kann, wird der Verstand ruhig, still, ausgeglichen und friedlich.

Interviewer: Denken Sie an etwas Bestimmtes, während Sie meditieren?

Sri Chinmoy: Während wir meditieren, sollten wir an gar nichts denken; wir sollten nur den Verstand ruhig und still halten. Der Verstand ist von Natur aus rastlos, so wie die Oberfläche des Meeres. Doch wenn wir tief nach innen gehen, wenn wir auf den Grund des Meeres tauchen können, werden wir sehen, dass dort reiner Frieden ist. Wir können diesen Frieden entweder durch Gebet oder durch Meditation erhalten.

Interviewer: Was halten Sie von friedfertigen Gedanken?

Sri Chinmoy: Nachdem wir den Verstand beruhigt haben, werden gute, inspirierende und reine Gedanken zu uns kommen. Doch wenn wir mit dem Verstand versuchen, gute Gedanken zu denken, werden sie nicht kommen.

Interviewer: Inwiefern hat der Sport etwas mit Ihrer Mission zu tun?

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Sri Chinmoy: Körperliche Fitness ist enorm wichtig. Wir üben den Sport nicht aus, um die besten Läufer oder Athleten dieser Welt zu sein. Wir beten zu Gott, Er möge unseren Körper physisch fit erhalten, damit wir früh am Morgen beten und meditieren können und damit wir den Tag mit einem seelenvollen Herzen beginnen. Wenn wir keinen Sport treiben und keine Übungen machen, um den Körper fit zu halten, können wir schwach und kränklich werden und unter allen möglichen Formen von Schmerzen und Beschwerden leiden. Dann werden wir kaum inspiriert sein, morgens aufzustehen, um zu beten und zu meditieren. Wenn wir deshalb an Sport denken, denken wir in erster Linie an körperliche Fitness, nicht an körperliche Überlegenheit. Das Wichtigste in unserem Leben sind Gebet und Meditation, und diese können wir nicht verrichten, wenn wir körperlich nicht fit sind.

Interviewer: Aber was sagen Sie zum Wettkampf-Aspekt im Sport? Ist das nicht auch eine Form, Überlegenheit zu demonstrieren?

Sri Chinmoy: Wenn wir noch nicht dazu bereit sind, die höchste Philosophie anzunehmen, sagen wir zu uns selbst: „Wenn ich nicht fit bin, werde ich unfähig sein, andere zu besiegen.“ Mit diesem Gedanken im Kopf versuchen wir wenigstens, unseren Körper fit zu halten. Doch vom höchsten Standpunkt aus betrachtet ist unser Ziel nicht, jemand anderen zu besiegen, sondern nur mit uns selbst zu wetteifern. Wenn wir gegen andere wettstreiten, sind wir nie glücklich. Heute mag ich jemanden im Laufen besiegen, doch morgen blicke ich mich um und sehe, dass es jemanden gibt, der viel besser ist als ich. Ganz gleich, was wir tun, es wird immer jemanden geben, der besser ist. In diesem Moment kann ich der Beste sein, doch schon im nächsten Moment wird ein anderer kommen und meinen Stolz brechen, und ich werde mich elend fühlen. Wenn ich aber nur mit mir selbst wetteifere, werde ich stets enorme Freude erhalten. Gestern erreichte ich ein gewisses Niveau, doch heute habe ich dieses Niveau verbessert. Gestern hatte ich eine bestimmte Anzahl von Schwächen oder Fehlern in meinem Wesen, doch heute werde ich mein Bestes versuchen, um einige Fehler weniger zu haben. Auf diese Weise mache ich ständig Fortschritt und bin stets glücklich. Dabei gibt es keine dritte Person, die die beiden Wettkämpfer beurteilt. Ich selbst bin mein Richter. Ich weiß, wie viele Lügen ich gestern erzählt habe, und so werde ich die Anzahl heute verringern. Und wenn ich gestern fünf Minuten lang gebetet habe, werde ich heute versuchen, zehn Minuten lang zu beten. Ich werde versuchen, mehr gute und weniger schlechte Dinge zu tun. So wetteifere ich nur mit mir selbst. Im Sport ist es ebenso; unser Ziel ist es, unser Bestes zu geben und ständig zu versuchen, nur gegen uns selbst zu kämpfen. Doch wie auch immer das Resultat aussieht, wir müssen es fröhlich annehmen. Wir werden unser Bestes geben und dann werden wir jedes Resultat, das Gott uns geben will, annehmen.

Interviewer: Wie denken Sie über die Olympischen Spiele?

Sri Chinmoy: Ich schätze und bewundere die Olympischen Spiele, denn sie heben den Standard der Welt. Momentan versuchen die Athleten sich gegenseitig zu übertreffen. Und zum jetzigen Zeitpunkt ist das auch in Ordnung. Hätten sie nicht diesen Wettbewerbsgeist in sich, würden sie zu Hause im Bett liegen und schlafen. Es ist besser, aktiv und dynamisch zu sein, als faul und nutzlos. Sich vor­wärts zu bewegen ist besser als still zu stehen. Es ist nicht schlimm, wenn sie dabei die anderen, die mit ihnen unterwegs sind, überholen. Obwohl es nicht der höchste Ansatz ist, so ist es doch weitaus besser, als inaktiv und lethargisch zu bleiben.

Nach einer gewissen Zeit werden sie erkennen, dass es eine höhere Betrachtungsweise des Sportes gibt. Wenn der Sieg das einzige Ziel ist, können die Athleten niemals glücklich werden, denn auch wenn sie heute gewinnen sollten, wird morgen ein anderer kommen und ihnen ihre Herrlichkeit streitig machen. Wahres Glück finden wir nie­mals, indem wir uns von den anderen absondern. Wahres Glück erhalten wir nur durch unser Gefühl des Einsseins mit anderen, selbst wenn sie uns im Sport eventuell besiegen.

Wir alle sind Mitglieder einer Familie. Wenn dein Bruder dich im Laufen besiegt, fühlst du dich nicht schlecht, denn er ist dein Bruder. Und wenn du ihn im Schwimmen besiegst, weil du darin größere Fähigkeiten besitzt, fühlt sich dein Bruder nicht schlecht. Er wird sich sagen: „Es ist mein Bruder, der mich besiegt hat, und deswegen ist es in Ordnung.“ Wenn auf die gleiche Weise alle Athleten fühlen können, dass sie alle einer Familie angehören, dann werden sie glücklich sein, ganz gleich wer gewinnt.

Unabhängig davon, wer auf dem Sportplatz gewinnt, sollte jeder Einzelne versuchen, sich selbst in seinem eigenen Leben zu übertreffen, indem er gegen sich selbst wettstreitet und entsprechend seinen Fähigkeiten vorangeht, auf das ihm bestimmte Ziel. Auf diese Weise wird jeder Einzelne ständig Fortschritt machen und eine immer größer werdende Vollkommenheit erlangen. Wahres Glücklichsein erhalten wir nur durch unser wachsendes Gefühl von Vollkommenheit, das wir wiederum nur durch Selbsttranszendenz erlangen können. Doch zum jetzigen Zeitpunkt hat die Welt diesen Standard noch nicht erreicht.

Interviewer: Welche Rolle spielen ihre Schüler in Ihrer Mission?

Sri Chinmoy: Meine Schüler tun alles. Sie nehmen an Sportveranstaltungen teil und haben sich selbst völlig der Friedensbewegung verschrieben. Alle zwei Jahre veranstalten wir einen Friedenslauf. Bei dem letzten Lauf beteiligten sich sechsundsiebzig Länder und Millionen von Menschen, die den Frieden wahrhaftig lieben – von Kindern bis hinauf zu Achtzigjährigen – hielten unsere Friedensfackel in ihren Händen. Meine Schüler versuchen, der Menschheit zu dienen, jenen Menschen, die sich aufrichtig nach Frieden sehnen und die nach etwas Ausschau halten, das ihnen bleibende Erfüllung geben wird. Interviewer: Haben Sie vielen Dank.

Teil III

SCA 51-54. Nachfolgend ein Interview, das Sri Chinmoy dem Koordinator von Japan Overseas Cooperation Volunteers (JOCV), Mr. Shin Inoue im Januar 1994 in Suva City, Fiji, gab.

Mr. Inoue: Woher erhalten Sie Ihre Energie?

Sri Chinmoy: Meine Energie erhalte ich aus einem Gefühl des Einsseins. Wenn ich ein Mensch bin, der von Ihnen, von ihr, von ihm getrennt ist, dann ist meine Energie sehr beschränkt; sie ist nur ein Tropfen. Wenn ich ein Tropfen bin, Sie ein Tropfen sind und er ein Tropfen ist, dann verfügt jeder von uns nur über eine sehr geringe Menge an Energie. Doch wenn ich mit Ihnen eins werde und mit ihr und mit ihm, dann werden aus meinem Tropfen vier Tropfen. Der Ozean ist so weit und doch besteht er aus unzähligen Tropfen. Es sind diese unzähligen Tropfen, die dem Ozean seine Weite geben. Wenn wir mit anderen eins werden, werden wir wie der Ozean, mit grenzenloser Stärke und grenzenloser Energie.

Wir erhalten nicht nur Energie, sondern auch Freude, einzig und allein aus dem Einssein. Wenn ein Baum nur eine einzige wunderschöne Blüte hervorbringt, oder nur eine einzige köstliche Frucht, freuen wir uns nicht über diesen Baum. Wir erhalten nur dann Freude, wenn der Baum viele Blüten und viele Früchte hat. Wenn es hingegen keinen Baum gibt, gibt es auch keine Blüten und keine Früchte. Deswegen ist der Baum selbst ebenso notwendig. Aber nur wenn auch Früchte und Blüten wachsen, ist der Baum vollkommen, und dann erhalten wir wirkliche Freude.

Wir werden unser Einssein mit anderen nicht festigen können, indem wir nur daran denken, das ist nicht genug. Wir müssen zum Allmächtigen beten; wir müssen zu unserem himmlischen Vater beten, der unendlich ist, dass Er uns mit jedem Menschen eins werden lässt. Wenn Gott unser Gebet erhört, werden wir sofort grenzenlose Energie erhalten.

Wenn unser Herz Einssein mit anderen erlangt hat, werden wir enormen Frieden im Leben erfahren. Und dieser Friedens birgt grenzenlose Energie in sich, die uns befähigt, viele Dinge zu vollbringen. Doch wenn unser Handeln nicht auf wahrem Einssein und Frieden gründet, dann wird es wenig Wert haben. Die Politiker reden ständig über Frieden, doch in den meisten Fällen ist dieser Frieden ein Frieden des Verstandes. Solange sie keine wahrhaftigen Sucher und Gottliebenden sind, die beten und meditieren, sind all ihre Reden über den Frieden nichts als leere Worte. Ich werde behaupten, dass mir der Frieden am Herzen liegt, doch insgeheim versuche ich, Ihnen völlig überlegen zu sein. Ich behaupte, dass ich friedlich vorwärts gehen werde, doch in Wirklichkeit werde ich mich nur dann bewegen, wenn Sie hinter mir bleiben.

Wenn Suchende und Gottliebende über Frieden sprechen, dann tun sie es aus einem Gefühl des Einsseins; es kommt von ihrem Herzen. Diese Art von Frieden basiert nicht auf einem Gefühl der Trennung, sondern auf dem Gefühl wahrer Liebe und Anteilnahme. Mir liegen Ihr Erfolg, Ihr Fortschritt und Ihre Vollkommenheit aufrichtig am Herzen und umgekehrt ist es ebenso. Ich versuche nicht, über Ihnen zu stehen oder Ihnen voraus zu sein. Nein, ich fühle, dass Sie in meinem Herzen sind und ich in Ihrem. Wohin ich auch gehe, werde ich Sie immer in meinem Herzen des Gebetes mit mir tragen; und wo immer Sie hingehen, werden Sie mich in Ihrem Herzen des Gebetes tragen. Frieden entsteht also durch Gebet und Meditation, nicht durch äußeres Reden.

Mr. Inoue: Sie haben soeben über die Wichtigkeit des Gebetes und der Meditation gesprochen. Ich frage mich, ob es auch noch andere Dinge in unserem täglichen Leben gibt, die wichtig sind und denen wir Aufmerksamkeit schenken sollten.

Sri Chinmoy: Gebet und Meditation beinhalten alles, doch wir müssen wissen, dass es zwei Arten des Gebetes gibt. Ein Gebet ist nur für mich: ich bete zu Gott, damit ich ein guter Mensch werde, ich bete zu Gott, damit ich dieses und jenes erhalte. Letzten Endes wird mich aber diese Form des Gebetes nicht zufriedenstellen können. Sogar wenn Gott mir alles gibt, um das ich bitte, werde ich um mich herum zahllose Menschen erblicken, die all das nicht haben – Menschen, die hungrig, arm und unglücklich sind. Wenn ich sehe, dass andere unglücklich sind, werde ich von meinem Gebet keine Freude erhalten, ganz gleich, welche Ergebnisse es mir sonst geben mag. Doch wenn ich zu Gott darum bete, Seine Liebe, Sein Mitleid und Seinen Segen allen Menschen zu geben, dann werde ich wirklich glücklich sein, wenn Gott mein Gebet erhört. Lasst uns daher zu unserem himmlischen Vater beten, Er möge allen Menschen innere Nahrung geben, und wenn Er unser Gebet erfüllt, wird es wahrlich ein göttliches Festmahl sein. Wenn die Eltern einer Familie nur einem Kind etwas geben und nicht allen, dann werden sich die Eltern schlecht fühlen und die anderen Kinder werden weinen und eifersüchtig werden. Wenn es zehn Familienmitglieder gibt und der Vater bringt nur eine Frucht mit nach Hause, dann gehen neun Familienmitglieder leer aus. Wenn sie dann ein trauriges Gesicht machen, wie kann der eine, der die Frucht erhalten hat, diese dann auch genießen? Aus dem gleichen Grund werde ich zu Gott beten, dass Er allen Seinen Segen, Seine Liebe und Anteilnahme schenken möge. Nur dann werden wir alle wahrhaft glücklich sein. Wenn ich nur für mich alleine bete, kann mich das niemals zufriedenstellen. Wenn wir etwas tun, müssen wir es für alle Menschen tun.

Mr. Inoue: So wie ich es verstanden habe, legen Sie großen Wert darauf, den physischen Körper in gutem Zustand zu halten. Würden Sie mir bitte die Gründe dafür nennen?

Sri Chinmoy: Sie kommen aus Japan. Nehmen wir an, irgendwo in Japan steht ein Shinto-Tempel mit einem wunderschönen Altar. Wenn Sie den Altar schätzen und alles, was sich sonst noch im Tempel befindet, werden Sie dafür Sorge tragen, dass der Tempel gut gewartet wird, so dass er nicht beim nächsten Sturm davon getragen wird. Wenn der Tempel in einem schlechten Zustand ist, hat auch der Altar keine lange Lebensdauer. Ähnlich verhält es sich mit dem Körper, der das Herz und die Seele in sich birgt. Der Altar ist in uns. Wir müssen den Körper in ein fähiges Instrument verwandeln, damit er den Altar beherbergen kann; wir müssen die Tempelanlage gut pflegen, wenn uns das, was sich im Innern des Tempel befindet, wichtig ist. Ich versuche gut, besser, am besten zu sein - nicht, um Sie zu besiegen, sondern um Sie besser lieben zu können. Je mehr Fortschritt ich auf der physischen, vitalen, mentalen und psychischen Ebene machen kann, desto mehr Liebe, mehr Freude und mehr guten Willen kann ich Ihnen entgegenbringen. Wenn ich ein besserer Mensch werde, kann ich Ihnen meine guten Eigenschaften geben. Doch wenn ich ein schlechter Mensch bleibe, habe ich nichts, das ich Ihnen geben kann. Wenn mein Körper in schlechter Verfassung ist, wenn ich Kopf- und Magenschmerzen habe, kann ich am Morgen nicht aufstehen, um zu beten und zu meditieren. Wenn ich meinem physischen Körper keine Aufmerksamkeit schenke und ihn nicht fit erhalte, wird mein spirituelles Leben darunter leiden, und ich werde unfähig sein, Ihnen meinen guten Willen, meine Liebe und Freude in meinem Gebet und meiner Meditation anzubieten. Somit ist physische Gesundheit von großer Bedeutung.

Mr. Inoue: Sri Chinmoy, welchen Weg empfinden Sie als den natürlichsten und besten Weg, um zu leben? Früher arbeitete ich in der Landwirtschaft auf einem Feld, doch jetzt muss ich Projekte in einem Büro koordinieren. Ich fühle mich traurig, weil ich denke, dass das reine Leben vielleicht draußen bei der Feldarbeit stattfindet.

Sri Chinmoy: Als Sie auf dem Feld arbeiteten, erhielten Sie den Segen von Mutter Natur. Zu dieser Zeit erhielten Sie Freude und behielten diese für sich. Jetzt, da Sie Projekte organisieren und koordinieren, sind Sie mit vielen Menschen verbunden und schenken ihnen Weisheit und Freude. Als landwirtschaftlicher Feldarbeiter waren Sie begrenzt; Sie arbeiteten nur für Ihre Gruppe. Jetzt helfen Sie allen Gruppen; Sie geben Ratschläge und helfen den Menschen, die in einem Krankenhaus arbeiten, aber Sie helfen auch Menschen, die auf dem Feld arbeiten; Sie helfen jenen, die etwas aufbauen und auch jenen, die mit den Ärmsten zusammenarbeiten. Sie sollten sich als einen Baum mit vielen Früchten betrachten. Eine Person nimmt Ihre Frucht an und verteilt sie im Krankenhaus; eine andere nimmt Ihre Frucht ebenfalls an und isst sie auf dem Feld. Sie sind die Quelle, die zahlreichen Menschen auf mannigfaltige Weise Hilfe gibt.

Als ich jung war, betete und meditierte ich viele, viele Stunden lang. Nun habe ich Tausende von Schülern auf der ganzen Welt und ich habe nicht mehr die Zeit, stundenlang zu beten und zu meditieren. Damals erwartete Gott von mir, dass ich etwas für mich selbst tat; doch jetzt will Gott, dass ich mich unter die Menschen begebe und ihnen anbiete, was Er mir gab. Früher betete ich zu Gott, Er möge mich höher und höher hinauftragen. Nun spricht Gott: „Ich will, dass du Meine Liebe, Meine Zuneigung und Meinen Segen verbreitest.“ Deswegen reise ich nach Japan, nach Deutschland, nach Frankreich und an viele andere Orte, um Gottes Befehl zu folgen. Und ich tue es voller Freude, weil ich weiß, dass es Sein Wille ist.

Genauso bittet Sie Derjenige, der damals von Ihnen wollte, dass Sie auf dem Feld arbeiten, um Freude zu erhalten, dass Sie nun diesen Menschen Ratschläge geben. Ihre frühere Aufgabe war gut, doch sie war überwiegend für Sie selbst - so wie mein Leben in Indien, als ich betete und meditierte. Doch ihre gegenwärtige Aufgabe ist viel wichtiger, denn Sie versuchen so vielen Menschen gleichzeitig zu helfen. Gott bat Sie damals, in Ihrem Wohnzimmer zu arbeiten, und Sie waren dabei glücklich. Nun bittet Er Sie, in der Küche zu arbeiten, um ein köstliches Mahl für viele Menschen zuzubereiten, damit sie gestärkt werden und Ihm ebenfalls dienen können

Sie sollten all Ihre Aufgaben, die Ihnen gegeben werden, fröhlich erledigen. Dann werden Sie Gott am meisten zufrieden stellen. Zuerst wollte Gott, dass Sie in Japan leben. Jetzt hat er Sie nach Fiji gebracht. Nach ein paar Jahren kann Er Sie woanders hin schicken, damit Sie Ihm dort dienen. Sie sollten glücklich sein, wo auch immer Sie hingehen. Denken Sie nicht: „Ach, in Japan hatte ich so viele Freunde und Verwandte. Dort war ich sehr glücklich, doch hier habe ich keine Freunde.“ Nein, fühlen Sie, dass Sie in Japan glücklich waren, indem Sie Ihren Freunden dort dienten, und hier werden Sie glücklich sein, indem Sie den Freunden dienen, die Sie hier erhalten werden. Indem Sie so der Menschheit auf mannigfaltige Weise dienen, dienen und dienen, werden Sie gut und vollkommen werden.

From:Sri Chinmoy,Sri Chinmoy antwortet, Teil 2, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2004
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/sca_2