Sri Chinmoy antwortet, Teil 4

Teil I

SCA 114-124. Am 2. April 1989 wurde Sri Chinmoy eingeladen, gemeinsam mit der Mutter Oberin und den Nonnen des Benediktinerklosters Heiligenkreuz in Cham, in der Nähe von Zug, Schweiz, zu meditieren. Anschließend beantwortete er ihre Fragen. Folgendes ist eine Niederschrift dieser Frage- und Antwortstunde.

Meditation im Benediktinerkloster Heiligenkreuz

Sri Chinmoy: Aus meinem tiefsten Herzen möchte ich der Mutter Oberin und den Schwestern dieses Klosters meine absolut seelenvolle Dankbarkeit anbieten, da sie mir diese segensreiche Gelegenheit geboten haben, hier in ihrer wunderschönen und seelenvollen Kapelle zu beten und zu meditieren. Mutter Oberin: Es erinnert mich an meinen Besuch in Südkore, wo wir ebenfalls Schwestern haben. Wir pflegten einen Kontakt zu buddhistischen Mönchen und versuchten, durch die gemeinsame Meditation eins zu werden.

Frage: Wie können wir den Frieden und die Freude, die wir in unserer Meditation empfinden, in unserem alltäglichen Leben besser manifestieren?

Sri Chinmoy: Durch unser Gebet und unsere Meditation erhalten wir soliden Frieden, Freude und Liebe. Wenn es uns gelingt, Gott, den Schöpfer, und Gott, die Schöpfung, als Einheit zu erkennen, wenn wir in jedem einzelnen Herzen denselben Vater wiederfinden können, werden wir die gesamte Welt als unser Eigen betrachten. Dann werden wir auf ganz natürliche Weise die Inspiration erhalten, unseren Brüdern und Schwestern den Frieden, die Freude und die Liebe anzubieten, die wir vom Himmel erhalten haben. Die Freude und den Frieden, die wir vom Höchsten erhalten, können wir dem Höchsten in den anderen Menschen durch unser hingebungsvolles und selbstloses Dienen anbieten.

Frage: Was ist der Unterschied zwischen Gebet und Meditation?

Sri Chinmoy: Wenn wir beten, bitten wir um gute und göttliche Eigenschaften und erhalten sie: Gottes Schutz, Sein Mitgefühl, Seine Liebe und Seinen Segen. Doch wenn wir meditieren, werden wir zu diesen Dingen selbst. Der Himmel schenkt uns Gottes Mitgefühl und Gottes Liebe und wir absorbieren sie. Wenn wir nun einmal zu diesen Dingen geworden sind, so ist es unsere Pflicht, sie unseren Schwestern und Brüdern in der Welt zu geben. Doch wir können sie nicht weitergeben, ohne diese Eigenschaften zuerst zu verkörpern. Gebet und Meditation sind beide gleicher­maßen notwendig. Wenn wir beten, empfangen wir; wenn wir meditieren, werden wir. Und dann, wenn wir zu diesen Dingen geworden sind, wenn wir diese Dinge verkörpern, beanspruchen wir Gott, die Schöpfung, als unser Eigen und geben Gott, der Schöpfung, all das zurück, was wir von Gott, dem Schöpfer, erhalten haben. Es ist, als ob wir in einen Garten gehen und ein paar Blumen pflücken. Wir arrangieren die Blumen in einer Vase, stellen sie auf den Altar und beten zu unserem Herrn Jesus Christus. Während wir beten, treten der Duft und die Göttlichkeit der Blumen in uns ein und in der Tiefe unseres Herzens werden wir zu diesem Duft und zu dieser Göttlichkeit. Wenn wir anschließend das Haus verlassen, werden die Menschen in uns etwas sehen und fühlen, obwohl sie vielleicht nicht wissen, was es ist. Und was sie in uns sehen und fühlen, das erhalten sie auch von uns. Wenn sie uns sehen, treten sie in unseren Herzensgarten ein, wo sie ebenfalls die Schönheit und den Duft all dieser wunderschönen Blumen erhalten.

Frage: Ich würde gerne Ihre Meinung über Jesus Christus hören.

Sri Chinmoy: Ich empfinde höchste Liebe und Demut für den Erlöser Christus. Der Vater ist im Himmel und der Sohn, der die Menschheit repräsentiert, ist auf der Erde. Der Sohn sagte aber auch: „Ich und mein Vater sind eins.“ In diesem Moment, wenn das Bewusstsein von Christus mit der Menschheit ist, ist er der Sohn. Im nächsten Augenblick, wenn Christus mit seinem Vater eins ist, ist er der Absolute Vater – der allmächtige Gott, der Herr des Universums.

Ich bin ein Inder, doch ich habe denselben Gott, den Sie haben. Er ist nicht der Gott der Schweiz und der Gott Indiens, sondern Er ist der Herr des Universums. Wenn nun Christus, der Erlöser, mit dem allmächtigen Gott untrennbar eins wird, ist er niemand anderer als mein Vater im Himmel, und mein Gebet und meine Meditation erreichen ihn ebenso wie die Gebete und Meditationen anderer Menschen. Wenn er andererseits mit der Menschheit eins ist, wenn er mit uns betet und meditiert und uns lehrt, wie wir in unsere höchste Göttlichkeit eintreten können, fühle ich ihn zu diesem Zeitpunkt als einen Bruder, der mich zum Vater emporhebt. Doch wenn er sich in seinem eigenen höchsten Bewusstsein befindet – wenn er untrennbar eins mit dem allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen Höch­sten ist – dann empfinde ich ihn als Herrn des Universums.

Es hängt von meinem eigenen Bewusstsein ab, auf welche Art ich mich ihm nähere: Nähere ich mich ihm als demjenigen, der dreiunddreißig Jahre auf der Erde lebte, oder als demjenigen, der schon durch alle Ewigkeit existierte. In einem Moment erhalte ich große Freude, wenn ich ihn als den Sohn betrachte, der mit dem intensiven Sehnen Menschheit eins wurde. Im nächsten Moment erhalte ich enorme Freude, wenn ich ihn als den Herrn des Universums erkenne, der untrennbar eins mit dem Vater ist.

Frage: Würden Sie bitte über den Heiligen Geist sprechen?

Sri Chinmoy: Für mich ist der Heilige Geist das Verbindungsglied zwischen Vater und Sohn. Einerseits repräsentiert der Heilige Geist den aufsteigenden Schrei der Erde. Dieser aufsteigende Schrei aus der Herzenstiefe des Sohnes geht durch den Sohn hindurch und trägt ihn zum Vater. Andererseits ist der Heilige Geist auch das herabkommende Lächeln des Himmels. Es bringt das höchste Bewusstsein des Vaters zum irdischen Bewusstsein des Sohnes herab. Der Vater und der Sohn sind durch den Heiligen Geist vereint.

Frage: Was ist die spirituelle Bedeutung der Farbe Blau?

Sri Chinmoy: Spirituell gesehen hat die Farbe Blau mehrere Bedeutungen. In erster Linie bedeutet Blau die Weite der Unendlichkeit. Die Menschen sind voller Sorgen, Eifersucht, Angst, Zweifel und vielen anderen negativen Eigenschaften, die uns fortwährend knechten. Doch zur gleichen Zeit besitzen wir tief in uns auch eine Weite. Wenn wir den weiten Himmel betrachten oder den weiten Ozean, fühlen wir unsere eigene innere Weite. Durch das Gebet und die Meditation können wir uns selbst von unseren Ängsten, Sorgen und anderen Begrenzungen befreien und mit der Weite, die in uns ist, eins werden.

Blau kann ebenso die vorherrschende Farbe der Aura einer Person sein. Jeder Mensch besitzt eine Aura. Durch diese Aura manifestieren wir unsere Göttlichkeit. Die gewöhnlichen Menschen, die weder beten noch meditieren, haben nur eine Aura. Doch jene Menschen, die beten und meditieren und sich spirituell weiter entwickeln, werden von Gott mit mehr als einer Aura gesegnet.

Ich bete und meditiere seit meiner Kindheit. So wurde ich von Gott in Seinem unendlichen Mitleid mit einer mehrfachen Aura gesegnet. Doch in meinem Fall ist Blau die wichtigste und bedeutendste Aura.

Besonders durch diese Farbe biete ich der Mensch­heit meinen Frieden, Freude, Liebe und guten Willen an.

Frage: Wuchsen Sie als Christ oder als Hindu auf?

Sri Chinmoy: Bis zu meinem elften Lebensjahr wurde ich als Hindu erzogen. Dann trat ich in eine spirituelle Gemeinschaft ein, wo ich höchst aufrichtig und seelenvoll meditierte. Nach ein paar Jahren überschritt ich die Grenzen der Religionen und sagte: „Nun besitze ich nur meine aufrichtige Liebe zu Gott!“ Hinduismus, Christentum, Judentum, Islam und all die anderen Religionen sind wie Häuser. Jeder wurde in einem bestimmten Haus geboren. Doch nach einer gewissen Zeit verlassen wir unser Haus, gehen in die Welt hinaus und treffen auf unsere Brüder und Schwestern. Wenn mich jetzt jemand nach meiner Religion fragen würde, werde ich nicht den Hinduismus nennen. Ich werde meine beständige, bewusste und schlaflose Liebe zu Gott als meine Religion nennen. Unsere Liebe zu Gott ist der lebendige Atem in uns,, und das ist die eine universelle Religion.

Frage: Ist Christus in diesem Fall für Sie eher ein Prophet oder eher wie Gandhi?

Sri Chinmoy: Christus und Gandhi können nicht auf dieselbe Stufe gestellt werden. Sie können nicht einmal im selben Atemzug genannt werden. Gandhi war ein Führer für das leidende Indien, ein Heiliger; Christus ist der Erlöser der gesamten Welt. Christus mit Gandhi zu vergleichen hieße, den gesamten Ozean mit einem einzigen Tropfen Wasser zu vergleichen. Für mich sind Christus, Buddha, Krishna und ein paar Weitere alle eins; sie haben nur verschiedene Namen. Vor mehr als siebentausend Jahren sandte Gott Seinen Sohn auf die Erde und nannte ihn Krishna. Dann, nach einer gewissen Zeit, sandte Er denselben Sohn auf die Erde und nannte ihn Buddha. Vor etwa zweitausend Jahren sandte Er Seinen Sohn wieder auf die Erde und nannte ihn Christus. Doch sie sind absolut eins. Nur erschienen sie zu unterschiedlichen Zeiten, um die Menschen zu retten und um ihr Bewusstsein zu erhöhen. Der Himmlische Vater sandte sie herab, um die Menschheit zu Seiner höchsten Höhe empor zu tragen.

Frage: Glauben Sie an die Reinkarnation?

Sri Chinmoy: Ja, ich glaube an die Reinkarnation. Gott will, dass wir Ihn verwirklichen. Doch in nur einer Inkarnation können wir nicht das Höchste verwirklichen oder vollkommen werden. Nehmen wir ein­mal an, dass wir vor dreißig oder vierzig Jahren sehr viele Dinge begehrten. Dann traten wir in das Leben der Strebsamkeit ein und begannen zu beten und zu meditieren. Zuerst stellten sich ein biss­chen Friede, Freude und Liebe ein. Schritt für Schritt steigerten sie sich. Zur gleichen Zeit begannen unsere Begierden uns zu verlassen. Wir begannen, unser Begehren einzuschränken und unsere Strebsamkeit nach Licht, Frieden und anderen göttlichen Eigenschaften zu vermehren. Doch in einem einzigen Leben kann dieser Prozess nicht abgeschlossen werden. Um Gott zu verwirklichen und um vollkommen zu werden, müssen wir oft, sehr, sehr oft auf die Erde zurückkommen. Deswegen ist die Reinkarnation von Bedeutung.

Frage: Der christliche Glaube besagt, dass wir alle nach unserem Tode erlöst werden, weil Christus am Kreuze gestorben ist. Was sagen Sie dazu?

Sri Chinmoy: Als Christus an das Kreuz genagelt wurde, wurde er mit dem Leiden, der Knechtschaft und der Unwissenheit der Menschheit untrennbar eins. Die Menschheit befand sich zu jener Zeit auf einer bestimmten Entwicklungsstufe. Doch die Schöpfung ist noch nicht zu Ende. Gott erschafft weiterhin. Solange eine Schöpfung stattfindet, erscheint weiterhin die Unwissenheit. Wenn wir von der Erlösung durch Gott sprechen, so meinen wir die Erlösung von den Sünden. Nehmen wir an, wir seien erlöst und hätten keine Sünden mehr. Doch das ist nicht genug, denn die Sünde ist nicht die einzige falsche Kraft, die wir in uns haben. Sie stellt nur einen Aspekt der Unwissenheit dar. Wir haben viele schlechte Eigenschaften und sie alle müssen in gute Eigenschaften umgewandelt werden. Wir müssen von unserem erdgebundenen Be­gierdeleben in die Weite unseres wahren Selbst wachsen. Doch dazu müssen wir von der Unwissenheit völlig befreit sein. In unserer Philosophie findet der Begriff Sünde gar keine Verwendung. Wir sprechen nur von Knechtschaft oder von Unwissenheit. Weil wir die Unwissenheit in uns tragen, müssen wir beten und meditieren, damit das Christusbewusstsein in uns herabkommen und uns befreien kann.

Mutter Oberin: Morgen treffen Sie mit unserem Bundesratsvorsitzenden Herrn Flavio Cotti zusammen. Als letzte Frage würde ich gerne wissen, ob Sie zu diesem Treffen als eine Privatperson oder als ein spiritueller Führer gehen?

Sri Chinmoy: Ich gehe nicht als spiritueller Führer dorthin. Ich bin ein Schüler des Friedens. Wohin ich auch immer gehe, versuche ich jene Lehre anzubieten, die ich durch mein Gebet und meine Meditation erhalten habe. Ich gehe als ein Sucher der Wahrheit und als Gottliebender zu diesem Treffen. Da ich bete und meditiere, würde ich gerne mit ihm gemeinsam für den Weltfrieden beten und meditieren.

Mutter Oberin, ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mir gestattet haben, hier zu sein. Vor dreiundzwanzig Jahren besuchte ich eine Kapelle in Puerto Rico. Einige Schwestern sahen mich und fühlten sich durch einen Hindu in ihrer Kapelle gestört und belästigt. Sie riefen die Mutter Oberin. Zuerst war sie wütend, dass ein Hindu in ihre Kapelle gekommen war, doch als sie mich mit gefalteten Händen vor einem Abbild Jesus Christus beten sah, sagte sie: „Dieser Mann erweist unserem Herrn Demut. Lasst uns ihm vergeben.“ Dann sagte sie zu mir: „Sie dürfen niemals wieder diesen Ort hier aufsuchen, denn Sie sind ein Hindu.“

Schauen Sie sich den Edelmut Ihres Herzens an. Sie wurden als eine Christin geboren und ich als ein Hindu, und doch gewährten Sie mir Einlass in Ihr Herz. Sie luden mich ein, damit ich hier meinen mit Gebeten erfüllten Dienst anbieten konnte. Schauen Sie sich den Fortschritt der Welt an. Eine Mutter Oberin wies mich zurecht und beleidigte mich, und Sie baten mich, meine seelenvollen Gebete zu sprechen. So machen wir Fortschritt und stellen unseren Himmlischen Vater zufrieden.

Teil II

SCA 125-134. Am 11. Juli 1994 traf sich Dr. Josephine Davis, Dekan des York College – einem Zweig der Stadtuniversität von New York mit Sitz in Queens – mit Sri Chinmoy im Restaurant Annam Brahma. In der Folge finden Sie Auszüge ihres Gespräches.

"Diese Statue verkörpert den mächtigsten Frieden, den man sich jemals vorstellen oder empfinden kann."

Dr. Davis: An unserem College hier unternehmen wir ernsthafte Anstrengungen, um den Geist des Friedens, der Gemeinschaft, des Respekts und der Würde zu fördern. Und zur Zeit fühle ich mich sehr ermutigt, denn die Menschen, mit denen ich momentan in Berührung komme, hegen ähnliche Gedanken und haben ähnliche Vorstellungen; in unseren Herzen empfinden wir alle eine Art Einssein.

Es ist so interessant zu sehen, wie wir alle dieselbe Ebene erreichen, auf der alle der Überzeugung sind, dass wir die Unwissenheit wirklich erleuchten müssen. Und der einzige Weg, auf dem wir das erreichen können, ist der Weg des Gebetes und der Meditation. Ich achte Ihre Arbeit sehr und hege tiefen Respekt für alles, was Sie tun.

Ich fühlte, dass ich mich selbst einer friedlichen Existenz vollkommen verschreiben muss, nachdem ich Nagasaki, Hiroshima, Berlin und das Lager in Dachau, Deutschland, besichtigte habe, wo die Juden verfolgt wurden. Wenn man die Brutalität und den Horror dieser Plätze sieht, so darf man keine schlechten Gefühle unter den Menschen mehr nähren. Ich versuche des öfteren mit den Schülern über die Erfahrungen zu sprechen, die ich an diesen vier Schauplätzen hatte, weil sie die belastendsten Erfahrungen in meinem Leben waren.

Sri Chinmoy: Ich war nie in Dachau, doch ich war schon oft in Nagasaki, Hiroshima und in Berlin. Waren Sie jemals in Kamakura, in Japan?

Für mich zählt es zu den friedvollsten Plätzen dieser Erde. Es existieren tausende Statuen von Lord Buddha, doch die riesige Statue in Kamakura verkörpert grenzenlosen Frieden. Wenn man dort ist, ist es ganz egal, wie rastlos man ist, wie viele Gedanken einen den ganzen Tag über gequält haben und wie tief man im ewigen Auf und Ab des Lebens drinnen steckt, denn sobald man vor der Statue steht, ist der Aufruhr wie weggewaschen. Diese Statue verkörpert den mächtigsten Frieden, den man sich jemals vorstellen oder empfinden kann.

Dr. Davis: Auf dieser Stufe meines Lebens fühle ich die Notwendigkeit, mehr zu meditieren. Im letzten Monat übte ich mit Mantren, während ich auf das Herz meditierte.

Sri Chinmoy: Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, dass Sie noch ein paar mehr Dinge tun könnten, wenn Sie auf Ihr Herz meditieren. Ganz gleich, zu welcher Tageszeit Sie meditieren, stellen Sie sich für ein paar Minuten die aufgehende Sonne vor. Stellen Sie sich vor, wie die Sonne in Ihrem Herzen aufgeht und dort ihr Licht erstrahlen lässt. Oder Sie können sich auch eine schöne und reine Blüte vorstellen, die Blatt für Blatt in Ihrem Herzen erblüht.

Sobald Sie entweder die aufgehende Sonne oder die Blume sehen, werden Sie das Licht oder die Reinheit Ihres Herzens fühlen. Und dann, wenn Sie ein- und ausatmen, werden Sie fühlen, dass sich das Licht oder die Reinheit in Ihrem Herzen vergrößert. Je mehr Licht und Reinheit Sie in Ihrem Herzen spüren, desto heller wird die Sonne oder die Blüte sein. Anschließend versuchen Sie bitte zu fühlen, dass Sie selbst die aufgehende Sonne sind, oder versuchen Sie, die Reinheitsblume in Ihrem Herzen als voll erblüht zu empfinden, und betrachten Sie sich selbst als diese schöne Blume. Fühlen Sie, dass Ihre gesamte Existenz – von der Fußsohle bis zum Scheitel – zur Blume selbst wurde, und dass die Schönheit, die Reinheit und der Duft der Blume ganz Ihnen gehört.

Dann werden von der aufgehenden Sonne oder von der wunderbaren Blume, zu der Sie geworden sind, Licht und Reinheit ausstrahlen. Wenn sich das Licht und die Reinheit ausbreiten, werden Sie in Ihre Mitmenschen eintreten.

Dr. Davis: Ist es in Ordnung, beziehungsweise macht es etwas aus, wenn ich Ihnen mitteile, welches Mantra ich verwende?

Sri Chinmoy: Es macht etwas aus, wenn Sie es mir vor anderen sagen. Andere Menschen sollten nicht hören, welches Mantra Sie verwenden. Wenn Sie es einem spirituellen Lehrer wie mir privat sagen, ist es in Ordnung, denn ich vermag immer, mit Ihnen in Übereinstimmung zu sein; doch andere können das nicht. In Indien ist man der Überzeugung, dass ein Mantra seine innere Kraft verliert, wenn man es anderen mitteilt. Das Mantra, das Sie wiederholen, ist wie Ihr eigener Lebensatem. Sie wiederholen es Millionen Mal oder Milliarden Mal. Es bildet einen wesentlichen Bestandteil Ihrer göttlichen Wirklichkeit. Dieser, Ihr höchster und heiligster Besitz, repräsentiert Ihre reine Existenz auf Erden; er sollte nicht mit anderen geteilt werden. Nur Sie selbst und Gott und jene Person, die Sie mit dem Mantra gesegnet hat, sollten es kennen.

Dr. Davis: Doch ich entnahm das Mantra einem Buch. Trifft dann das Ganze ebenfalls zu?

Sri Chinmoy: Es ist dasselbe. Auch wenn Sie es von einem Buch haben, das Mantra ist heilig für Sie. Sie geben dem Mantra die angemessene Bedeutung in Ihrem Leben, und das macht es von selbst heilig. Alles, was wir ernst nehmen, wird in unserem Leben früher oder später heilig. Ernsthaftigkeit und Heiligkeit gehen zusammen. Es gibt so vieles, das Sie gelesen haben, das Sie sich aber nicht gemerkt oder immer wieder rezitiert haben. Doch dieses Mantra haben Sie sich ausgewählt. Sie erhalten da­von eine immense Freude und ein Gefühl der Befriedigung und Erfüllung. Aus diesem Grunde muss dieses Mantra in Ihrem Herzen heilig gehalten werden; sonst verliert es seine Kraft.

Sobald Sie es jemandem mitteilen, ganz gleich, wie freundlich Ihnen diese Person gesinnt ist, können Eifersucht und andere negative Kräfte sofort eintreten. Wenn die Person, der Sie es sagen, es nicht verdient, kann diese Person das Mantra zerstören. Es ist, als hätte man es mit einem Äffchen zu tun. Nehmen wir einmal an, Sie hätten eine wunderschöne Blume und Sie erfreuten sich an der Schönheit und dem Duft dieser Blume. Wenn Sie nun Ihre Blume einem Äffchen geben, wird es einfach die Blätter abreißen, denn das liegt in seiner Natur. Ebenso verhält es sich mit Menschen, denen Sie Ihr Mantra verraten. Menschen, die weder beten noch meditieren, die unter Rastlosigkeit und Selbstzweifel leiden, werden die Heiligkeit des Mantras zerstören. Sobald sie es berühren, werden seine Schönheit, seine Reinheit und seine Göttlichkeit verschwinden.

Dr. Davis: Das habe ich nicht gewusst. Ich meinte, eher das Gegenteil wäre der Fall. Ich dachte, ich könnte wachsen, wenn ich es mit jemandem teilen würde.

Sri Chinmoy: Es gibt einige Dinge, die man mit anderen teilen kann; es gibt aber auch ein paar Dinge, die man nicht mit anderen teilen sollte. Wenn Sie innerlich ständig Gottes Liebe, Gottes Zuneigung, Gottes Mitleid und Gottes Gnade erhalten, wenn Sie einen freien Zugang zu diesen göttlichen Reichtümern haben, dann sollten Sie diese gemäß der Notwendigkeit mit Ihren Lieben teilen. Sie können ihnen innerlich Ihre reinste Liebe und Freude anbieten. Doch Sie sollten ihnen Ihren geheimen Weg, wie Sie diesen Reichtum erhalten, nicht äußerlich mitteilen. Das muss sehr geheim und heilig gehalten werden; das geht die anderen nichts an. Die Menschen brauchen das, was Sie ihnen geben. Doch wie Sie in der inneren Welt zum Multi-Millionär werden, müssen sie nicht unbedingt wissen.

Sie müssen sich auch dessen bewusst sein, wie viel Empfänglichkeit jemand besitzt. Ein fünfjähriges Kind kann nur mit einem Dollar umgehen. Wenn man ihm fünfzig oder hundert Dollar schenkt, weiß es wahrscheinlich nicht, was es damit machen soll und wirft das Geld vielleicht weg. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnte der spirituelle Standard Ihrer Schüler noch sehr begrenzt sein. Vielleicht sind sie noch nicht dazu bereit oder reif dafür, Ihr Weisheitslicht aufzunehmen. Sie können für ein Kinder­gartenkind keinen Universitätskurs abhalten. Nein, zuerst muss es das Alphabet lernen, das ABC. Sonst können Sie ihm nicht weiterhelfen, und Sie würden das Kind nur verwirren.

Dr. Davis: Das ist sehr interessant. Der Pfad der Spiritualität ist sehr komplex.

Sri Chinmoy: Der Pfad der Spiritualität ist nicht komplex. Es gibt nur verschiedene Wege. Wenn Sie von irgendwo in Europa nach Rom kommen wollen, können Sie entweder mit dem Auto, dem Schiff oder dem Flugzeug dorthin gelangen. Wenn Sie das Flugzeug nehmen, sind Sie am schnellsten. Doch wenn Sie das Schiff wählen, weiß nur Gott, wie lange es dauern wird. Und wenn Sie zu Fuß gehen, wird die Straße niemals enden!

Es gibt zwei Hauptwege im spirituellen Leben, die uns an unser Ziel bringen können. Einer davon ist der absolut längste Weg. Dieser Weg verläuft zickzack und ist eine Serpentinenstraße. Das ist die Straße des Verstandes. Die andere Straße ist die des Herzens. Es ist die kürzeste aller kurzen Straßen. Man kann sie als sonnenerleuchtete Straße bezeichnen.

Wenn Sie die Straße des Verstandes wählen, werden Sie ständig von Selbstzweifeln gejagt werden: „Mache ich das Richtige?“ Oder Sie werden die Zweifel der anderen in Ihr System eindringen lassen. Sie werden sich selbst fragen: „Was denken die anderen? Finden sie, dass ich den richtigen Weg eingeschlagen habe?“ Doch es ist ganz anders, wenn Sie dem Herzen folgen. Denn hier existiert zwischen Ihnen und Gott eine magnetische Anziehung. Er ist Ihr liebster Vater und Sie sind Sein liebstes Kind, und so verwenden Sie beide Ihre eigenen besonderen Magnete, um sich gegenseitig näher zu kommen.

Dr. Davis: Das bedeutet, ich bin auf dem richtigen Weg. Gott sei Dank, dass ich Sie aufgesucht habe. Ich habe diese Bestätigung gebraucht.

Es ist so verblüffend, so unglaublich. Ich habe begonnen, auf mein Herz zu meditieren, weil ich ein reines Herz für notwendig hielt, damit man sich selbst schützen kann. Ich strahle gerne Frieden, Liebe und Freude aus und habe es auch gerne, wenn mein Gesicht lächelt und leuchtet. Aber damit das alles möglich ist, muss ich es innerlich ebenso fühlen. Ich versuche, mein Herz immer ein offenes Gefäß sein zu lassen. Ich habe einen jugendlichen Wesenszug in mir. Mein Bestreben ist es, lebendig und energiegeladen zu sein, und ich hoffe, dass das auch nach außen strahlt.

Sri Chinmoy: Wenn Sie sich jeden Tag als ein Kind von vier oder fünf Jahren betrachten, dann werden Sie in Ihrem Leben kindliche Einfachheit, Aufrichtigkeit und Reinheit im Überfluss erhalten.

Dr. Davis: Genau diese Bilder habe ich von mir selbst. Was Sie zu mir sagen, trifft für mich vollkommen zu.

Sri Chinmoy: Ihre kindlichen Qualitäten werden die anderen Menschen immer inspirieren. Allein die Anwesenheit eines Kindes gibt uns schon Inspiration. Ein Kind bringt, wenn es einen Raum betritt, unmittelbare Freude mit sich. Und seine Freude ist ansteckend; sie tritt in ältere Menschen ein, die dort viel­leicht streiten und sich in den Haaren liegen.

Jedes Kind ist ein neuer Traum Gottes. Es bringt Liebe, reinste Liebe und nichts als Liebe. Wenn nun der Traum Gottes in ältere Menschen, die sich streiten und sich in den Haaren liegen, eintritt, dann müssen sie still sein. Wenn ein Kind hierhin oder dorthin läuft, so betrachtet es nicht Ihr Gesicht oder mein Gesicht um zu sehen, wie schön Sie sind oder wie hässlich ich bin. Es läuft einfach umher und es teilt mit jedem seine spontane Freude. Auch Ihre Existenz strahlt diese Art der Liebe aus. Sie müssen nicht jemanden anblicken; Sie müssen einfach nur da sein und die Liebe breitet sich aus.

Dr. Davis: Das ist wunderbar. Mein Mann und ich genossen Ihr Konzert. Es war so erstaunlich, Sie all die Instrumente spielen zu sehen. Von einigen Instrumenten kannte ich nicht einmal den Namen.

Sri Chinmoy: Wenn Sie diesen Mittwoch Zeit haben, könnten Sie zu unserer Meditation in der Öffentlichen Schule PS 86 kommen. Wir halten dort eine spezielle Meditation ab, zu der ungefähr vierhundert Leute kommen werden. Gemeinsam versuchen wir, durch die Kraft unserer stillen Meditation das Bewusstsein der Menschen zu heben.

Dr. Davis: Ich werde mich sehr bemühen, am Mittwoch zu kommen.

Sri Chinmoy: Wenn Sie vielleicht mit mir persönlich für drei oder vier Minuten auf der Bühne meditieren würden, so würde ich Ihnen gerne meinen besonderen Weg der Meditation anbieten.

Es wäre gut, wenn Sie zwei Stunden vor der Meditation nichts mehr essen würden. Sie können eine Tasse Tee oder ein Getränk zu sich nehmen, doch wenn Sie feste Nahrung zu sich nehmen, dann wird die Schwere, die Sie danach fühlen, Lethargie hervorrufen. Wenn wir meditieren, müssen wir dynamisch sein. Frieden ist nichts anderes als innere Dynamik. Wenn wir Frieden in uns haben, können wir in der inneren Welt zwanzig Dinge in einer Sekunde erledigen. Wenn wir diesen Frieden nicht haben, so können wir auch in zwanzig Stunden nichts vollbringen.

Dr. Davis: Ich habe bemerkt, dass jeder hier eine luftige und leichte Kleidung trägt. Ist das von Bedeutung?

Sri Chinmoy: Die Kleidung ist von großer Wichtigkeit. Wenn ein Polizist seine Uniform trägt, so tritt das Bewusstsein der Uniform in ihn ein und er kann seinem Beruf effektiver nachkommen. Wenn jemand eine Militäruni­form trägt, so erhält er auch den Geist des Militärs. Wenn ein Basketball-Champion sein Trikot anzieht, tritt das Spielbewusstsein sofort in ihn ein. Sonst mag er an seine Familie denken, an seine Frau oder an dieses und jenes. Aber sobald er sein Trikot angezogen hat, denkt er daran, wie er Treffer erzielen kann usw. Wenn diese Mädchen hier Saris anziehen, empfinden sie sofort eine Klarheit. Sie empfinden, dass etwas in ihnen selbst sie dazu inspiriert, ein spirituelles Leben, ein Leben des Friedens zu führen. Würden sie westliche Kleidung tragen, wären sie nicht auf diese Weise inspiriert. Deswegen gilt: Ganz gleich was wir unternehmen, wenn wir eine Uniform haben, wird uns diese dabei helfen, in das Bewusstsein dieser Sache einzutreten.

Dr. Davis: Für mich hat es ganz den Anschein, dass schlechte Dinge in stärkerem Maße auf einen treffen, sobald man den spirituellen Weg betritt.

Sri Chinmoy: Manchmal passiert es, dass uns feindlich gesinnte Kräfte heftig angreifen, sobald wir in das spirituelle Leben eintreten. Wir treten in das spirituelle Leben ein, um mit Gottes Willen eins zu werden. Dabei greifen uns negative Kräfte an und sagen: „Wir erlauben das nicht!“ Gott sagt zu uns: „Du willst jetzt bewusst mit Mir eins werden. Dann beweise, dass du nur Meine Liebe alleine brauchst.“ So beten und meditieren wir, und Gott durchdringt uns mit Seinem Mitgefühl und Seiner Gnade, damit wir gegen diese feindlichen Kräfte kämpfen.

Ich empfand es so ähnlich für Ihre Seele, als Sie uns das letzte vereinbarte Treffen absagten. In der inneren Welt sah ich, dass Ihre Seele kommen wollte. Ich fragte mich: „Wie kann es sein, dass der Verstand nicht auf das Herz und auf die Seele hört?“

Dr. Davis: Sie gaben mir gerade zu jener Zeit die Gelegenheit zu kommen, als ich es wirklich gebraucht hätte. Doch eine Lawine von Problemen, die ich lösen musste, brach über mich herein. Doch als heute mein Assistent hereinkam und sagte: „Sri Chinmoy hat Sie eingeladen, aber ich weiß, Sie können nicht gehen...“ , sagte ich sofort: „Doch, ich werde hingehen.“ Als er Ihren Namen erwähnte, beschloss ich, alles andere abzusagen.

Als ich begann, die Meditation auszuüben, besuchte ich religiöse Buchläden, um Ihre Bücher zu kaufen. Bereits in Georgia und Minnesota kannte ich Ihren Namen. Ich las Ihre Bücher, ohne Sie zu kennen. Ich war so erstaunt zu hören, dass Sie in New York leben. Ich habe gesagt: „Sri Chinmoy ist in Jamaica, New York! Ich fasse das nicht!“ Ich glaubte, man müsse auf den Hima­laya gehen, um Sie zu sehen.

Für mich ist dieses heutige Treffen spirituelle Nahrung. Wann immer wir etwas mit dem Verstand beginnen, lassen wir den Verstand wieder stark werden und fragen uns, ob wir das Richtige tun. Soll ich aufgeben oder weitermachen? Ein Treffen wie dieses hier sagt mir: „Du machst das Richtige.“ Nun habe ich die Bestätigung. Darf ich Sie noch fragen, welche Rolle Kerzen und Räucherstäbchen spielen?

Dr. Davis: Darf ich Sie noch fragen, welche Rolle Kerzen und Räucherstäbchen spielen?

Sri Chinmoy: Beide haben einen spirituellen Wert. Wenn wir Räucherstäbchen anzünden, gibt uns das Reinheit, und die Kerzenflamme repräsentiert unseren intensiven, inneren Schrei. Unsere Strebsamkeit oder unser innerer Schrei steigt wie die Kerzenflamme hoch, höher, am höchsten. Unsere innere Flamme steigt auf, um die allerleuchtende innere Sonne zu erreichen, und tritt dann in die Sonne ein und wird eins mit ihr. Deswegen sollten Sie unbedingt eine Kerze zur Meditation verwenden. Wenn Sie die Flamme betrachten, fühlen Sie bitte, dass sie in Ihrem Herzen brennt und nicht im Verstand.

Dr. Davis: Spielt die Farbe eine Rolle?

Sri Chinmoy: Verwenden Sie irgendeine Farbe, die Sie gerne mögen. In jeder Seele gibt es eine vorherrschende Farbe. In Ihrem Fall wird Ihnen die Farbe Himmelblau mehr Freude geben, als es andere Farben vermögen. Meine Lieblingsfarbe ist ebenfalls Blau. Diese Farbe bedeutet Unendlichkeit. Blau steht für die wunderbare, spirituelle Weite. Obwohl Blau Ihre Hauptfarbe ist, können Sie irgendeine Farbe tragen. Und genauso können Sie irgendwelche Blumen für Ihren Altar auswählen. Sie mögen vielleicht eine Rose, während ich einen Lotus bevorzuge.

Dr. Davis: Der Lotus ist meine Lieblingsblume. Ich verwende den Lotus als Symbol für mein Leben. Ich erzählte Ihnen schon früher, dass – wenn ich über mein Leben nachdenke – ich mich als im Wasser verwurzelt bezeichne.

Sri Chinmoy: Der Lotus ist meine absolute Lieblingsblume.

Dr. Davis: Ich wählte den Lotus als mein Lebenssymbol, weil ich auf dem Grund des Wassers verankert sein und die fließende Bewegung um mich herum haben will. Er reicht so tief. Ich sage zu den Menschen, dass ich den Lotus als Symbol meines Lebens gewählt habe, weil ich in meiner Familie und in Gott verankert sein will.

Sri Chinmoy: Wasser bedeutet Bewusstsein.

Dr. Davis: Wenn ich am Morgen meditiere, gehe ich ans Wasser.

Sri Chinmoy [Überreicht ihr einige Bücher]: Für mich gibt es nur eine Religion: die Liebe zu Gott. Sie sind vielleicht Christin, ich vielleicht ein Hindu, doch unsere Liebe zu Gott ist die einzige Religion.

Teil III

SCA 135-147. Am 24. April 1993 traf Sri Chinmoy Russell Wilson, den damaligen Stabschef der Abteilung für asiatische und pazifische Angelegenheiten des US-Außenministeriums. Das folgende inoffizielle Gespräch fand im Restaurant Annam Brahma in Queens, New York statt.

Russell Wilson: Ich will Ihnen nur sagen, dass ich Sie sehen musste! Ich habe eines Ihrer Bücher gelesen und auch einige Ihrer Gedichte, und ich empfand sie außerordentlich inspirierend. Ich empfand es als eine Notwendigkeit, Sie zu sehen, damit ich von Ihnen lernen kann.

Sri Chinmoy: Ich danke Ihnen für Ihren freundlichen Brief. Ich konnte daraus ersehen, dass Sie bereits seit einigen Jahren meditieren. Ich bin sehr stolz auf Sie, auf Ihre Aufrichtigkeit, Ihre Klarheit, auf den Glanz Ihres Verstandes und auf Ihre echte Herzensliebe zu Gott. Sie besitzen ein Leben der Reinheit und Sie sind hin­ge­bungsvoll mit der Welt der Strebsamkeit vereint. In den wenigen Minuten, die wir hier gemeinsam meditierten, habe ich Ihre große Empfänglichkeit bemerkt. Sie haben genau das erhalten, was Ihnen das Göttliche in mir anbieten wollte. Das macht mich sehr glücklich und stolz auf Sie und ich bin Ihnen sehr dankbar dafür.

Russell Wilson: Ich empfinde Sie als in mir weilend, Guruji.

Sri Chinmoy: In dem Augenblick, in dem ich hereinkam und Sie das erste Mal sah, trat ich in die Tiefen Ihres Herzens ein, in das zentrale Wesen Ihres Lebens. Haben Sie eine besondere Frage auf dem Herzen? Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung.

Russell Wilson: Ich fühle mich geehrt, Sir. Ich empfinde Ihre Gegenwart so stark, dass mir das Sprechen schwer fällt. Doch es ist ein sehr angenehmes und schönes Gefühl. Ich suche inneren Frieden und empfinde eine sehr starke Verbindung mit Ihnen. Wenn Sie es gestatten, würde ich gerne von Ihnen lernen.

Sri Chinmoy: Alles beruht auf Gegenseitigkeit. Mit einer Hand können wir nicht klatschen; dazu brauchen wir zwei Hände. Und hier erkennen wir eben­falls die gegenseitige Annahme unserer beider Herzen. Wenn Sie jenseits der Reichweite Ihres erdgebundenen Verstandes verweilen können, kann diese Annahme ständig erleuchtend und erfüllend sein. Das Herz errichtet sein Einssein kraft seiner Reinheit, Schönheit und Göttlichkeit. Doch da der mensch­liche Verstand bis jetzt noch nicht durch das Licht des Himmels oder durch das innere Licht erleuchtet wurde, neigt er dazu, die Reinheit, die Schönheit und die Göttlichkeit, die wir in unserem Herzen wahrnehmen, anzuzweifeln. Unser eigener Verstand zweifelt alles Göttliche in uns an.

Angenommen Sie haben eines Tages früh am Morgen eine sehr tiefe, erhebende Meditation. Ihr Verstand kann diese sofort anzweifeln: „Wie kann ich eine so gute Meditation haben? Das kann nicht sein. Erst gestern war ich im Strudel der Politik gefangen und hatte so viele Probleme zu lösen. Wie sollte es mir möglich sein, heute in einem Meer des Friedens zu schwimmen?“ Doch das Herz wird sagen: „Nein! Ganz gleich wie tief ich in die Probleme der äußeren Welt verstrickt bin, in mir ist etwas Ewiges und Unsterbliches, das davon nicht betroffen ist.“

Das Herz übermittelt uns ständig die ermutigende, inspirierende und erleuchtende Botschaft des Jenseits. Das Herz ruft uns immer in Erinnerung, was wir in der inneren Welt wahrhaftig sind, während der menschliche Verstand seine eigene, so begrenzte Fähigkeit ständig verurteilt und kritisiert.

Meine Bitte an Sie wäre folgende. Halten Sie, wenn Sie beten und meditieren, die Türe Ihres Verstandes fest verschlossen und versuchen Sie das Licht, das Sie in Ihrem Herzen tragen, hervorzubringen. Ihr Herzensraum ist immer mit Licht im Überfluss versorgt, deswegen sollten Sie so viel Zeit wie möglich dort verbringen. Und dann, wenn die Stunde Gottes schlägt, werden Sie das Licht Ihres Herzensraumes in Ihren Verstandesraum bringen, der noch Erleuchtung braucht. Der Elektriker hat das Licht in Ihren Herzensraum gebracht. Er hat die Kabel verlegt und sie verbunden. Nun wird derselbe Elektriker in einen anderen Raum – Ihren Ver­stan­desraum – gehen und dort ebenfalls das Licht hinbringen. In diesem Fall ist Ihre eigene Seele der Elektriker. Und wenn einmal Ihr Verstandesraum erleuchtet ist, werden Ihr Herz und Ihre Seele zusammenarbeiten können.

Sie müssen Ihren Verstand gebrauchen, wenn Sie von Ihren vielfältigen Aktivitäten in Anspruch genommen werden. Bitte versuchen Sie zu erkennen, wie viel Aufrichtigkeit, Einfachheit und Reinheit vorhanden sind, während Sie den Verstand gebrauchen. Ihr Verstand wird mehr und mehr erleuchtet werden, wenn Sie die Gegenwart einer dieser genannten göttlichen Eigenschaften oder anderer göttlichen Eigenschaften fühlen können. Und letzten Endes wird es Ihnen gelingen, die Göttlichkeit Ihres Herzens in Ihren Verstand zu bringen, so dass Ihr Verstand ebenfalls göttlich erleuchtet sein wird.

Wenn Sie von Ihren täglichen Aktivitäten nicht in Anspruch genommen werden, wenn Sie beten und meditieren, versuchen Sie bitte ständig in Ihrem Herzensraum zu verweilen. Je länger Sie dort verweilen können, desto leichter werden Sie Ihre innere Schönheit, Ihre innere Reinheit und Ihre innere Göttlichkeit vergrößern. Sie können nur dann innerlich glücklich sein, wenn Sie in Ihrem spirituellen Leben Ihrem Herzen die volle Bedeutung beimessen. Wenn Sie Ihrem Herzen augenblicklich auch keine hundertprozentige Wichtigkeit beimessen können, so sollten Sie versuchen, es zu­mindest zu achtzig oder zu neunzig Prozent zu tun. Und wenn dann die Zeit kommt, werden Sie den inneren Reichtum, der sich in Ihrem Herzen befindet, nehmen und ihn in den Raum Ihres Verstandes bringen.

Wenn Sie den inneren Reichtum Ihres Herzens in Ihren Verstand bringen, wird das Herz nicht leiden. Nicht im geringsten. Wenn Sie im äußeren Leben aus dem einen Zimmer etwas herausnehmen und es in ein anderes bringen, dann gibt es diese Sache im ersten Zimmer nicht mehr. Doch der Reichtum, den Sie in Ihrem Herzen haben ist grenzenlos. Die Freude, der Frieden, das Licht, die Liebe, die Ergebenheit zu Gott und all die anderen göttlichen Eigenschaften, die Sie in Ihrem Herzen haben, sind grenzenlos. Wenn Sie die Liebe Ihres Herzens nehmen und Sie zu Ihrem Verstand bringen, so wird sich diese Liebe in Ihrem Herzen nur noch vergrößern. Ihr Herz wird ständig neu gefüllt. Je mehr das Herz gibt, desto mehr vergrößert sich die Empfänglichkeit des Herzens und desto leichter fällt es ihm, Gottes Göttlichkeit zu empfangen und zu behalten.

Russell Wilson: Wie gelange ich in das Herz?

Sri Chinmoy: Fühlen Sie nicht, dass Sie erst zum Herzen gelangen müssen. Fühlen Sie nur, dass Sie das Herz sind. Wir verwenden den Ausdruck ‚Herzensgarten‘. In unserem Herzensgarten befinden sich all unsere göttlichen Eigenschaften. Sie sind wie schöne, duftende Blüten.

Zuerst wiederholen Sie für sich selbst: „Ich bin im Garten meines Herzens.“ Versuchen Sie all die schönen Blumen, die sich darin befinden, zu sehen und zu fühlen. Dann sagen Sie: „Ich bin mein Herzensgarten. All die göttlichen Blumen in meinem Herzensgarten sind ein wesentlicher Bestandteil meiner selbst.“

Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben Sie Ihr Eins­sein mit der Wirklichkeit, die Sie in Ihrem äußeren Leben wahrnehmen, errichtet. Doch nun wollen Sie Ihr Einssein mit der liebsten und reinsten Existenz Ihrer selbst etablieren, die Ihr inneres Leben, das Leben Ihres Herzens ist.

Wenn Sie während Ihrer Meditation zufällig auf Ihre Schulter oder Ihr Knie blicken, sagen Sie bitte zu sich selbst: „Das ist mein Herz.“ Wenn Sie einen guten Gedanken während Ihrer Meditation erhalten, dann versuchen Sie bitte sofort, die Existenz Ihres Herzens in diesem Gedanken zu fühlen. Doch wenn Sie einen falschen Gedanken haben, einen unin­spirierenden Gedanken, dann legen Sie diesen Gedanken sofort wieder ab. Fangen Sie nichts mit dieser Art von Gedanken an.

[Es entsteht eine lange, stille Pause, in der Sri Chinmoy meditiert.]

Sie besitzen ein sehr schönes Herz. Ich will Ihnen nicht schmeicheln. Die innere Sehnsucht Ihres Herzens ist ganz wahrhaftig. Je mehr Sie nach Gott verlangen und Tränen um Seinetwillen vergießen, desto größer wird die Fähigkeit Ihres äußeren Lebens zu strahlen und zu lächeln. Ihre äußere Existenz muss sich auf Ihre innere Existenz gründen – nicht umgekehrt. Die innere Existenz ist wie ein Samenkorn. Dieses Samenkorn befindet sich in Ihnen – in den Tiefen Ihres Herzensgartens. Beobachten wir nun, wie dieses Samenkorn zu einer Pflanze heranwächst und dann zu einem riesigen Baum mit wunderschönen Blüten und köstlichen Früchten wird.

Russell Wilson: Guruji, Ihre Philosophie war bereits eine Quelle der Inspiration für mich. In meinem Büro habe ich eines Ihrer Gedichte. Ich zeige es jedem, der in mein Büro kommt. Und wenn ich in mir selbst Zorn oder Unmut bemerke, lese ich es. Wenn ein Problem auftaucht, lese ich zuerst Ihr Gedicht und wende mich danach der Lösung des Problems zu. Es zeigt mir jedes Mal die grundlegende Wirklichkeit auf, dass man eigentlich gar nichts verbessern kann, solange man sich nicht selbst verbessert. Auch meiner Frau zeigte ich das Gedicht. Sie arbeitet als Physiotherapeutin mit sehr schwer kranken Kindern.

Sri Chinmoy: Sie besitzt so viel Mitgefühl. Einige von uns sind körperlich krank. Doch viele von uns sind mental krank. Wenn wir Gott nicht lieben, sind wir mental krank. Wenn wir Gott nicht lieben können, wenn wir nicht das Richtige tun können und wenn wir nicht die richtige Art von Mensch werden wollen, dann ist unsere innere Gesundheit sicherlich nicht im besten Zustand.

Russell Wilson: Als ich Ihr Gesicht auf dem Video sah, fühlte ich irgendeine Anziehung, die von Ihnen ausging. Ich kann mir das nicht erklären.

Sri Chinmoy: Das ist die magnetische Anziehungskraft des Herzens. Der innere Schrei Ihres eigenen Herzens ist die magnetische Anziehung. Ihr Herz zieht mich zu Ihnen und mein Herz zieht Sie zu mir. Das ist das Einsseinslied unserer Herzen.

Russell Wilson: Sie lesen meine Gedanken, Guruji. Sie wissen, wie aufrichtig ich bin. Darf ich Sie bitten, meinen Ehering zu segnen, den ich immer trage? [Sri Chinmoy hält den Ring in seiner Hand und segnet ihn.]

Russell Wilson: Guruji, über das Video erfuhr ich, dass Sie und U Thant sich sehr nahe standen.

Sri Chinmoy: Sobald U Thant mich sah, erkannte er etwas in mir und ich erkannte etwas in ihm. Seine erste Äußerung, die er mir gegenüber machte, war: „Ich hörte schon so viele gute Dinge über Sie und nun sehe ich, dass alles der Wahrheit entspricht.“ Später entwickelte sich eine echte Freundschaft zwischen uns. Er war ein Buddhist und ich entstamme einer Hindufamilie, doch sobald man das spirituelle Leben völlig aufrichtig akzeptiert hat, geht man über die Domäne der Religion hinaus. Religion ist wie ein Haus. Ich lebe in meinem Haus und Sie leben in Ihrem Haus. Doch wir erhalten beide in derselben Schule Unterricht, und diese Schule ist die Liebe zu Gott. So überschritt er seine Religion und ich überschritt meine Religion; unsere einzige Religion war unsere Liebe zu Gott. Er war mein enger Freund, ein ausgezeichneter Freund. Sie wissen auch, dass ich meinem Bruder, Gary Ackerman, Mitglied des Repräsentantenhauses, sehr viel Liebe und Bewunderung entgegenbringe.

Russell Wilson: Er empfindet für Sie ebenso.

Sri Chinmoy: Über all die langen Jahre durfte ich mich in der Sonne seiner Zuneigung wärmen. Er ist ein so guter Freund, fast wie ein Bruder. Schon alleine, wenn ich nur an seinen Namen denke, wird mein Herz sofort von grenzenloser Liebe und grenzenloser Dankbarkeit erfüllt.

Russell Wilson: Zu der Zeit, als ich mich das erste Mal dazu entschlossen hatte, Sie zu sehen, habe ich nicht gewusst, dass Sie ihn kennen.

Sri Chinmoy: Alles hängt von der Stunde Gottes ab. Wenn die Stunde schlägt, erkennen wir die Wirklichkeit, fühlen wir die Wirklichkeit und wir werden zu dieser Wirklichkeit. Um Gary Ackerman zu ehren, komponierte ich vor vielen Jahren ein Lied. Meine Schüler werden es nun singen. Sie alle kamen aus der ganzen Welt hierher, um den Jahrestag meiner Ankunft in Amerika vor neunundzwanzig Jahren zu feiern. Sie kommen aus Großbritannien, Frankreich, Österreich, Japan und aus ein paar anderen Ländern.

[Die Schüler von Sri Chinmoy singen das Lied, das Gary Ackerman gewidmet wurde]

Sri Chinmoy: Ich bin ein echter Fan von Gary.

Russell Wilson: Er empfindet dasselbe für Sie, Guruji. Das ist unglaublich – wirklich unglaublich!

Russell Wilson: Ich muss Ihnen sagen, dass mein Leben, schon bevor ich Sie getroffen habe, von Ihrer strahlenden Poesie und Philosophie berührt wurde. Ich wusste, dass Sie ein ganz besonderer Mensch sind und ich wollte wirklich von Ihnen lernen. Doch ich fühlte, dass ich Sie dazu treffen musste. Ich danke Ihnen, dass Sie mir die Ehre erwiesen haben, Sie zu treffen. Ich will Ihnen einfach nur sagen, wie sehr ich Ihren Scharfsinn bewundere und wie sehr Sie mein Leben berührt haben.

[Es folgt eine lange Pause, in der Sri Chinmoy mit Russell Wilson meditiert. Anschließend überreicht Sri Chinmoy ihm einige seiner Bücher für ihn selbst und für seine Frau Laurie.]

Sri Chinmoy: Spielen Sie vielleicht Tennis oder üben Sie einen anderen Sport aus?

Russell Wilson: Ich war Mitglied der Nationalmannschaft im Fechten und jetzt bin ich der Vorsitzende der Schiedsrichterkommission der Fechter in den Vereinigten Staaten. Zehn Jahre meines Lebens verbrachte ich als professioneller Fechter, doch jetzt mache ich nichts mehr. Jetzt werde ich leider von meiner Arbeit völlig in Anspruch genommen, zum Beispiel versuchen wir in Nordkorea Nuklearprobleme zu lösen, und zwischen Pakistan und Indien spielen wir die Feuerlöscher. Ich kann dem Fechten leider keine Zeit mehr widmen, aber es ist ein wunderbarer Sport. Als ehemaliges Mitlied der Nationalmannschaft kann ich Ihnen versichern, dass jene Dinge, die Sie tun, den Menschen, die auf ein Ziel hin trainieren, unglaublich viel Inspiration übermitteln.

Sri Chinmoy: Ich versuche, der Menschheit zu dienen. Unsere Philosophie ist, dass Fitness und spirituelle Aktivitäten Hand in Hand gehen sollen. Wir wollen nicht unbedingt Weltklasseathleten werden, aber wir wollen, dass sich der Körper in einem guten Zustand befindet. Nur dann kann es uns gelingen, die Botschaft des Geistes zu erhalten, wenn sie in den Körper eintritt. Um der Botschaft des Geistes gerecht zu werden, muss der Körper in einem perfekten Zustand sein. Es ist nicht unser Ziel, ein Champion zu werden; unser Ziel ist es, in allem was wir tun, ein gutes Instrument Gottes zu werden.

Früher waren die Eltern Ihre Welt. Dann wurden Ihr Dorf, Ihre Stadt, Ihr Land zu Ihrer Welt. Nun wurde die ganze Menschheit Ihr eigen. Die Menschen wurden zu Ihren Brüdern und Schwestern. Sie empfinden all die Länder als Äste des einen Lebensbaumes. Sie betrachten diesen Lebensbaum und sehen, dass ein Ast etwas verkümmert ist. Sie empfinden es als Ihre Pflicht, diesen Ast zu stützen, damit der Baum wieder vollkommen wird. Dann erkennen Sie, dass ein anderer Ast Probleme verursacht, und mit der Liebe Ihres Herzens nehmen Sie sich seiner an. Sobald Sie am Baum eine Unzulänglichkeit feststellen, wendet sich Ihr Herz dieser Stelle zu und hilft dem Ast, wieder vollkommen zu werden. Aus diesem Grunde bin ich sehr stolz, sehr, sehr stolz auf Sie.

Russell Wilson: Es ist unglaublich schwer, ohne spirituelle Erfüllung diese Arbeit zu verrichten.

Sri Chinmoy: Wenn man innere Ausgeglichenheit und innere Freude besitzt, kann man der Menschheit glück­lich und fröhlich dienen. Doch wenn man innerlich nur eine öde Wüste vorfindet, so ist es unmöglich, fröhlich zu geben. Wir können nur das geben, was wir besitzen. Wenn ich Freude habe, so kann ich Ihnen dienen. Doch wenn ich nichts in mir habe, das ich Ihnen geben könnte, was werden Sie dann von mir erhalten können? Ich kann Sie vielleicht ein oder zwei Tage an der Nase herumführen, doch letzten Endes werden Sie mich durchschauen und mich dann zurechtweisen. Ich kam in diese Welt, um die Welt zu lieben und um mit ihr eins zu werden. Wenn ich Ihnen diene, und Sie nehmen meinen Dienst liebevoll und herzlich an, dann erhalte ich durch Sie genauso viel Freude wie Sie durch mich. An diesem Punkt bieten sich der Gebende und der Empfangende gegenseitig dieselbe Freude an. Wenn ich Ihnen ein Lächeln schenke und Sie empfangen es mit Freude und mit Liebe, dann sind Ihre Freude und meine Freude gleich. Deswegen befinden sich der Gebende und der Em­pfangende auf derselben Stufe. Ich nehme etwas mit meiner rechten Hand und lege es in meine linke Hand; im nächsten Moment wird meine linke Hand etwas in meine rechte Hand legen. Und so gehören der Gebende und der Empfangende immer zusammen.

Wir haben heute gemeinsam meditiert. Doch Ihnen muss bewusst sein, dass ich nicht der Guru bin. Es gibt nur einen Guru, und das ist unser geliebter Höchster Herr, der Supreme. Er ist Ihr Guru, mein Guru, der Guru eines jeden Menschen. Aber es kann sein, dass ich mich auf dem besonderen Gebiet der Spiritualität ein wenig besser auskenne als Sie, genauso wie Sie sich auf dem Gebiet der Politik besser auskennen als ich. Wenn ich etwas über die Politik erfahren möchte, dann muss ich zu Ihnen gehen. Nur – ich will nichts über die Politik erfahren. Sie übersteigt mein Auffassungsvermögen.

Russell Wilson: Dann sind wir schon zwei, Guruji.

Sri Chinmoy: Ich sehe, dass in der Politik sehr viel Verwirrung herrscht, und ich versuche, der Verwirrung fern zu bleiben. Doch wir müssen auch versuchen, Erleuchtung in die Welt der Politik zu bringen. Von der Politik verstehe ich nichts, doch ich liebe die Menschen, die sich um dieses Gebiet bemühen. Aus diesem Grunde treffe ich mich mit politischen Führern und tausche mit ihnen Gedanken aus. Ich hoffe, dass meine Liebe, die ich jenen entgegenbringe, die Politik studieren, eines Tages auch in die Politik selbst eindringen wird.

Ich schrieb einen Artikel über Politik und Spiritualität, der in einer indischen Zeitschrift publiziert wurde. Darin behaupte ich, dass wir die Politik nicht ablegen können, da sie einen Zweig des Lebens darstellt. Doch wenn wir die Spiritualität in die Politik bringen können, so könnte sie eine höchst bedeutsame Rolle in der Erfüllung von Gottes Willen spielen. Wenn das Oberhaupt eines Landes spricht, so sind seine Worte enorm gewichtig, selbst wenn sein Volk das nicht gern hat. Wenn nun das Lan­des­oberhaupt die richtigen Entscheidungen trifft, so ist es imstande, seinen Landsleuten und der gesamten Welt Erleuchtung anzubieten. Wir beten zu Gott, Er möge in den politischen Führern Empfänglichkeit für Seinen Willen schaffen, damit unsere Welt ein vollkommener Garten für Gott, den Gärtner wird, den Er bewundern und schätzen kann. Wir beten und beten zu Gott, dass Er die Politiker spirituell werden lässt, damit sie der Welt stets Erleuchtung anbieten können.

Russell Wilson: Guruji, ich habe eine sehr schwierige Frage an Sie. Warum gibt es in Indien, von dem manche annehmen, dass es das Zentrum aller Religionen ist und wo die Spiritualität solch eine große Bedeutung hat, so viel Streit und Spannungen?

Sri Chinmoy: Ich kann diese Frage beantworten, weil ich selbst Inder bin. Vor langer Zeit war Indien ein Land des Friedens. Nun stehen Streit und Kampf auf der Tagesordnung. Warum? Die Antwort ist sehr einfach. Gott gewährt uns Freiheiten und wir missbrauchen sie. Wir Menschen können jeden Augenblick wählen, das Richtige oder das Falsche zu tun. Ich kann früh am Morgen aufstehen und beten und meditieren, damit ich ein guter Mensch werde; oder ich kann bis zehn oder elf Uhr schlafen und dann aufstehen, wenn es sogar für die Arbeit zu spät geworden ist. Angenommen, ich habe sechs Monate lang das Licht vom Himmel empfangen und meine Aufrichtigkeit, meine Integrität und meine Liebe zu Gott drängten mich, früh morgens aufzustehen und zu meditieren. Doch wenn ich nach sechs Monaten aufhöre strebsam zu sein und an Gott zu denken und deswegen früh morgens nicht mehr aufstehe, bleibe ich äußerlich dieselbe Person, doch mein inneres Leben hat sich verändert.

Früher in der ehrwürdigen Vergangenheit pfleg­ten die Landesführer zu spirituellen Meistern zu gehen, um Segen und Erleuchtung zu erhalten. Einer der größten Helden Indiens, Shivaji, besuchte regelmäßig seinen spirituellen Meister und fragte ihn um Rat. Irgendwann hatte Shivaji dann von der Politik und seinem Land genug. Er sagte: „Alles ist Korruption. Ich will das nicht länger erdulden.“ Doch sein spiritueller Lehrer zwang ihn, in der Politik zu bleiben. Er sagte: „Wenn du aufgibst, wer wird dann diese Welt transformieren? Behalte deinen Posten, aber denke nur an mich. Der Höchste in mir wird das Land in dir und durch dich führen.“

Es gab eine Zeit, in der Indien Ausgeglichenheit besaß und Frieden im Verstand. Doch damit war es nicht zufrieden. Es wollte mit Amerika wetteifern. Als Indien in die Welt des Wettkampfes eintrat, begann es unglücklicherweise seine Spiritualität zu verlieren. Auf deiner eigenen Höhe zu verweilen und dann das zu geben, was du hast und zu empfangen, was jemand anderer hat, ist eine Sache. Doch Indien wurde gierig und begann, sich mehr und mehr für den äußeren Reichtum zu interes­sieren, anstatt seine ursprüng­liche Reinheit und Göttlichkeit aufrecht zu erhalten. Es wollte so reich werden wie Amerika und legte kein Gewicht mehr auf seinen inneren Reichtum. Das war Indiens größter Fehler.

Wenn Gott mir etwas gibt, sollte ich das schätzen. Und wenn dann die richtige Stunde schlägt, wird Gott mir etwas anderes geben, weil Er mit mir zufrieden ist. Doch wenn ich das von Gott Gegebene zurückweise und immer etwas anderes haben will, dann werden mich meine guten Eigenschaften irgend­wann einmal verlassen, und ich werde zum Bettler werden. Indien hätte Gott dankbar sein sollen für alles, was er Indien gegeben hat. Anstatt den Westen zu imitieren, hätte es seine eigenen göttlichen Eigenschaften schätzen sollen. Doch meine Mutter Indien verlor etwas äußerst Wertvolles, als sie begann, sich mehr um den äußeren als um den inneren Reichtum zu bemühen.

Und etwas Ähnliches geschieht nun mit der früheren Sowjetunion. Präsident Gorbatschow ist dafür verantwortlich, dass das Bewusstsein der Sowjetunion erwacht ist. Nachdem er die Sowjets aufgeweckt hatte, sagte er: „Wir haben viele Jahre lang geschlafen und sind nun aufgewacht. Deshalb gehen wir langsam, aber beständig und unbeirrbar auf unser Ziel zu. Wenn dann die Zeit kommt und wir unsere Fähigkeit vergrößern, werden wir marschieren, und später werden wir laufen.“ Doch die Menschen hörten nicht auf ihn. Sie wurden sehr gierig und wollten dem Westen einfach ebenbürtig sein. Sie wollten gleich von Beginn an laufen, obwohl sie nicht die Fähigkeit dazu hatten. Und so wählten sie einen anderen Politiker, der sofortige Resultate versprach. Wir wollen alle sofortige Verwirklichung. Wir wollen alles in einem Augenblick erhalten – aufbereitet, wie einen löslichen Pulverkaffee.

Ein Kind benötigt eine gewisse Zeit, um laufen zu lernen. Wenn ich dem Kind sage, dass es genauso schnell laufen kann wie sein älterer Bruder, so wird das Kind ermutigt sein und es versuchen. Doch es wird sich leider nur seine Füße brechen. Eine Mutter wird ihrem Kind immer sagen: „Langsam, mein Kind, gehe langsam. Dein Bruder ist fünf Jahre alt und du bist gerade mal ein Jahr alt. Wie kannst du dann erwarten, genauso schnell zu sein wie dein Bruder?“

Russell Wilson: Darf ich Ihnen noch einige Fragen über die Meditation stellen? Welche Zeit eignet sich am besten für die Meditation und wie lange soll ich meditieren?

Sri Chinmoy: Es gibt zwei Tageszeiten, die besonders wichtig und zum Meditieren geeignet sind. Zum einen ist das der Morgen, bevor Sie in die Hektik des Lebens eintreten, und dann der Abend, wenn alles ruhig und still ist. Am Abend, bevor Sie zu Bett gehen, können Sie zehn Minuten lang den universellen Frieden in Ihr Wesen herabrufen. Wenn Sie am Morgen meditieren bedeutet das, ein spirituelles Gehalt zu verdienen. Sie meditieren fünfzehn Minuten lang oder eine halbe Stunde und verwahren den spirituellen Reichtum, den Sie dadurch erhalten, in Ihrem Herzen. Wenn Sie während des Tages mit Ihren Kollegen sprechen, die argumentieren, streiten und in der Welt der Verwirrung stecken, dann können Sie etwas von Ihrem Frieden, Ihrer Liebe und Ihrem Licht, das Sie früh am Morgen aufgenommen haben, nehmen und diesen Menschen geben. So wie Sie Geld aus Ihrer Geldbörse nehmen, können Sie spirituellen Reichtum von Ihrer Herzensgeldbörse nehmen und ihn anbieten. Auf diese Weise nützen wir unseren spirituellen Reichtum, um Weltfrieden zu schaffen. Es wäre auch von Vorteil, wenn Sie während des Tages zu Beginn jeder Stunde kurz meditieren könnten. Es muss nicht genau zur vollen Stunde sein. Reservieren Sie sich nur eine oder zwei Minuten, um an Gott zu denken und zu Ihm zu sprechen. Niemand wird bemerken, was Sie tun. Äußerlich mögen Sie mit Ihrem Kollegen sprechen, doch innerlich sprechen Sie mit Gott. Sie können den Namen Gottes wiederholen. Dabei können Sie ‚Gott‘, ‚Su­preme‘ oder einen anderen Namen für Gott sagen. Jene, die unserem Lebensstil folgen, verwenden den Begriff ‚Supreme‘. Wenn ich Supreme sage, fühle ich eine stärkere innere Verbindung zu Gott – so wie in Kind ein vertrauteres Gefühl erhält, wenn es seinen Vater ‚Papa‘ nennt. Doch wenn Sie beten oder meditieren, können Sie Gott so nennen, wie Sie es gerne möchten.

Russell Wilson: Befürworten Sie die Meditation mit geöffneten oder mit geschlossenen Augen?

Sri Chinmoy: Die Augen sollten halb geöffnet sein. Wenn Sie die Augen ganz geöffnet halten, dann tritt eine enorme Spannung ein. Andererseits, wenn Sie die Augen ganz geschlossen halten, könnten Sie sich selbst täuschen. Sie denken vielleicht, Sie hätten zehn Minuten meditiert, doch in Wirklichkeit haben Sie zehn Minuten geschlafen. Es geht nicht darum, eine im voraus festgelegte Zeit lang zu meditieren. Nein. Das Wichtigste ist, so lange zu meditieren, bis Sie Frieden im Verstand erhalten, bis Sie fühlen können, dass Liebe, Freude und Reinheit in Ihr System eingetreten sind und Sie von diesen Eigenschaften erfüllt sind. Wenn Sie die Augen halb geöffnet halten, können Sie beide Welten kontrollieren, die innere und die äußere. Die Hälfte Ihres Bewusstseins befindet sich in der inneren Welt und die andere Hälfte in der äußeren Welt. Das ist die sogenannte Löwenmeditation. Meinen Schülern rate ich, mit halbgeöffneten Augen zu meditieren, damit sie mit beiden Welten perfekt kommunizieren können. Das ist der sicherste Weg.

Teil IV

SCA 148-152. Die folgenden Fragen stammen von Frau Noemi Kovanda, der Gattin des tschechischen Botschafters an den Vereinten Nationen. Sie wurden während eines Treffens mit Sri Chinmoy im Restaurant Annam Brahma am 13. Juni 1994 gestellt.

Frau Kovanda: Ich muss Ihnen erzählen, dass unser Baby uns täglich mehr und mehr Freude schenkt. Ich wünschte, ich könnte seine Gefühle nachempfinden.

Sri Chinmoy: Ihr Sohn überrascht Sie jeden Tag mit neuer Freude. Er ist eine wunderschöne Blume mit vielen Blütenblättern, und sie erblüht Tag für Tag, Blatt für Blatt. Jeden Tag erblüht eine neue Blume in seinem Herzensgarten und jeden Augenblick, bei Tag und bei Nacht, entfalten sich die Blütenblätter. Wenn Sie seine Gefühle nachempfinden wollen, so können Sie auf sein Herz meditieren, besonders dann, wenn er schläft.

Frau Kovanda: Würden Sie mir bitte genau erklären, wie ich auf das Baby meditieren soll?

Sri Chinmoy: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo er noch ein so kleines Baby ist, ist es besser, wenn Sie für ihn beten. Gebete werden im Augenblick noch effektiver und fruchtbarer sein als Meditationen. Sobald er sechs oder sieben Jahre alt ist, können Sie beginnen, sich auf ihn zu konzentrieren und auf ihn zu meditieren. Doch jetzt empfinde ich das Gebet für Sie als ratsam. Beten Sie für all die Dinge, die Ihr Sohn haben soll. Sie können täglich sehen, wie viele gute Eigenschaften er besitzt. Beten Sie zu Gott, Er möge diese guten Eigenschaften vergrößern. Durch die Kraft Ihrer Gebete können Sie versuchen, die guten Eigenschaften, die Sie bereits in ihm wahrnehmen, zu stärken. Sie können aber auch zu Gott beten, ihm jene Eigenschaften zu geben, die er noch nicht besitzt, die Sie aber für wichtig halten. Sie können Gott bitten, dass Er diese Eigenschaften zu seinen bereits vorhandenen guten Eigenschaften hinzufügt. Bitte beten Sie neben Ihren eigenen Gebeten noch für zwei weitere Dinge für Ihr süßes Kind: für Frieden und Glückseligkeit. Beten Sie zu Gott, dass Er den Kopf des Kindes mit Frieden und sein Herz mit Liebe durchströmen möge. Vielleicht ist es für das Kind schwierig, sich Glückseligkeit vorzustellen, doch Liebe kann ihr Sohn verstehen. Er liebt seine Mutter und seinen Vater so sehr. Sobald er Sie oder seinen Vater erblickt, fühlt er starke, grenzenlose Liebe. Glückseligkeit kommt von der Liebe. Wo Liebe ist, ist Glückseligkeit. Während Sie die Gebete für Ihr Kind sprechen, können Sie noch etwas tun. Beobachten Sie bitte, wie Ihr Sohn ein- und ausatmet. Sobald er beginnt einzuatmen, werden Sie ihr Gebet beginnen; und wenn er ausatmet, werden Sie versuchen, Ihr Gebet zu be­enden. Sie müssen sehr schnell beten. Manchmal werden Sie Ihr Gebet seinem Atem angleichen können, wenn Sie ihn in Ihrem Schoß halten, oder ihn auf Ihren Schultern tragen. Aber es macht auch nichts, wenn Ihre Vorstellung nicht ganz mit seinem Atemrhythmus übereinstimmen sollte. In einigen Tagen werden Sie Ihr Gebet mit seinem Atem synchronisieren können. Das wird für Sie der wirkungsvollste Weg sein, um für all jenes zu beten, das er einmal haben soll.

Frau Kovanda: Was soll ich für meinen Mann tun?

Sri Chinmoy: Natürlich können Sie die Konzentration und die Meditation auch für Ihren Mann und sich selbst ausüben. Für Ihren Mann können Sie sich entweder auf Ihr Herz oder auf Ihr drittes Auge konzentrieren, welches sich etwas oberhalb der Augenbrauen in der Mitte Ihrer Stirn befindet. Sie wählen aus, was spontan kommt. Früh am Morgen, bevor er zur Arbeit geht, wäre es gut, sich auf ihn zu konzentrieren. Ihre Konzentrationskraft wird in ihn eintreten und ihm während des Tages helfen. Er hat so viele wichtige Dinge zu tun und er kann nicht die ganze Zeit über eine starke Konzentration aufrecht erhalten. Wenn die Hektik der Politik in ihn eindringt, kann er sich mit Hilfe Ihrer zusätzlichen Konzen­trationskraft höchst wirkungsvoll konzentrieren und sich auf das Wichtigste ausrichten. Am Ende des Tages, wenn er müde und erschöpft nach Hause kommt und die ganze politische Welt mitbringt, können Sie auf Frieden meditieren, damit er in ihn eindringe. Wenn er verzweifelt versucht, die Politik aus seinem Gedächtnis zu verbannen, und er von seiner Frau und seinem Kind nur Liebe haben will, so ist das die richtige Zeit für Sie, um auf Frieden zu meditieren. Dann gibt es keine Politik, keinen Verstand; alles ist nur Herz. Also, die Konzentration wird benötigt, um ihm während des Tages im Büro zu helfen, und die Meditation wird benötigt, wenn er nach Hause kommt, damit er all den Frieden, die Liebe und die Freude mit seiner Familie erfahren kann.

Frau Kovanda: Mir fällt es sehr schwer, um etwas anderes als um Gesundheit zu beten, denn die Gesundheit ist so wichtig. Ich fühle mich selbstsüchtig, wenn ich um etwas anderes bete.

Sri Chinmoy: Sie machen genau das Richtige. Wenn Sie für Gesundheit beten, beten Sie nicht nur für den physischen Körper, sondern auch für den Verstand, für die Lebenskraft, für das Herz und für alles andere. Wenn Sie nicht gesund sind, wenn Sie unter Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen oder unter einer anderen Erkrankung leiden, wie können Sie dann glücklich sein? Der Schmerz wird den Verstand umschließen; Ihr Herz wird brechen. Am besten ist es, zuerst hauptsächlich um Gesundheit zu beten. Später kann man dann für andere Dinge beten.

Frau Kovanda: Sollte ich still beten oder laut?

Sri Chinmoy: Laut zu beten ist immer besser. Wenn Sie laut sagen: „O Gott, bitte segne mich mit Gesundheit. Gewähre mir Liebe, Freude und Frieden“, dann wird Ihr physischer Verstand überzeugt. Doch Sie müssen keine Wände zum Einstürzen bringen. So laut muss es nicht sein. Obwohl ich als Hindu geboren wurde, liebe ich ebenso die Moslems und empfinde sie als meine Brüder. Doch wenn sie in den Moscheen beten, tun sie das in so einer solchen Lautstärke, dass man sie auch noch in weiter Entfernung hören kann. Wir Hindus sagen, sobald man das Gebet mit den eigenen Ohren vernehmen kann, ist man überzeugt, dass man betet, und das ist genug.

Während Sie beten und Wörter aussprechen, wie: „O Gott, gib mir dieses, gib mir jenes. Mache dieses, mache jenes“, können Sie mit angemessener Geschwindigkeit sprechen – so, wie wir jetzt sprechen. Beten Sie laut genug, damit Sie sich selbst hören und in normaler Sprechgeschwindigkeit. Doch wenn das Gebet in eine Meditation übergeht, sollten Sie keinen Versuch unternehmen, Wörter und Gedanken zu formulieren; sondern versuchen, den Verstand leer zu halten. Lassen Sie jeden Gedanken und jede Idee, die in ihren Verstand eintritt, still werden. Wenn die Gedanken nicht verstummen wollen, versuchen Sie einfach, die Geschwindigkeit der Gedanken zu drosseln. Wenn ein Gedankenstrom sehr schnell in Sie eintritt und Sie ihn nicht aufhalten können, dann versuchen Sie zumindest, ihn zu verlangsamen. Letztlich können Sie dann wieder versuchen, ihn verebben zu lassen. Um den Verstand stiller werden zu lassen, hilft es auch, sich etwas sehr Friedvolles vorzustellen, wie zum Beispiel den weiten Himmel am Morgen und den abendlichen Sonnenuntergang. Sie können sich auch vorstellen, dass Sie sich auf dem Meeresgrund oder auf einem Berggipfel des Hima­laya befinden.

Während Sie beten, sprechen Sie zu Gott und Gott hört Ihnen zu. Während Sie meditieren, spricht Gott und Sie hören zu. Während Sie beten, steigt Ihr Gebet empor, hoch und immer höher. Während Sie meditieren, tritt Gottes Liebe, Sein Licht, Sein Frieden und Seine Glückseligkeit in Sie ein. Das ist der Unterschied zwischen Gebet und Meditation.

Es gibt noch einen Unterschied. Wenn Sie beten, sollten Sie versuchen, sich vollkommen hilflos zu fühlen. Sie müssen beten wie eine Bettlerin, die für Almosen bettelt: „Gott, gib mir dies.“ Doch Sie müssen aufrichtig empfinden, dass Sie das, worum Sie beten, auch wirklich brauchen. Sie müssen empfinden, dass Ihre ganze Welt aus den Fugen gerät, wenn Sie es nicht erhalten. Solange Ihr Gebet nicht erfüllt ist, werden Sie völlig hoffnungslos sein.

Auf der anderen Seite, wenn Sie meditieren, müssen Sie sich selbst als eine Prinzessin, als eine Königin oder als die liebste Tochter Gottes betrachten, die einen unendlichen Reichtum in ihrem Herzen hat. Wenn Sie meditieren, bringen Sie Ihre eigene Göttlichkeit und Ihren inneren Reichtum – Ihren eigenen inneren Frieden, Ihre innere Glückseligkeit, innere Liebe und innere Freude zum Vorschein. Sie erfinden diese Dinge nicht; sie gehören Ihnen und Sie entdecken sie.

+

From:Sri Chinmoy,Sri Chinmoy antwortet, Teil 4, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/sca_4