Sri Chinmoy antwortet, Teil 8

Teil I

SCA 305-323. Folgende Fragen wurden in den Jahren 1995 und 1996 beantwortet.

Frage: Wenn dich die Seelen deiner Schüler aufsuchen, wie oft bitten sie dich um Segen und wie oft bringen sie Beschwerden vor?

Sri Chinmoy: Die Seelen meiner Schüler bitten mich sehr, sehr oft um Segen; selten bringen sie Beschwerden vor. Obwohl du in deinen Gedanken während eines langen Jahres kein einziges Mal um meinen Segen bittest, verlangt deine Seele jeden Tag nach meinem Segen. Doch sie hat keinen Grund, sich täglich zu beschweren. Ich glaube, keiner meiner Schüler benimmt sich derart schlecht, dass seine Seele öfters kommen würde, um sich zu beklagen statt um Segen zu bitten. Manche Seelen hätten wahrhaftig einen Grund zur Klage, doch sie bringen diese Klage nicht jeden Tag vor. Das Problem des Schülers gleicht einer chronischen Krankheit. Wenn man unter chronischen Schmerzen leidet, beschwert man sich nicht fortwährend, auch wenn die Schmerzen sehr stark sind.

Wenn du deiner Seele keinen Grund zur Beschwerde geben willst, musst du in deinem Leben der Liebe, der Ergebenheit und der Hingabe sehr schnell laufen. Liebe, Ergebenheit und Hingabe sind wie ein Einhundert-Meter-Sprint. Vergleichen wir die ersten dreißig Meter mit Liebe, die nächsten dreißig Meter mit Ergebenheit und die letzte Strecke mit Hingabe. Die meisten Läufer steigern ihre Geschwindigkeit nach den ersten dreißig Metern. Manchen gelingt ein sehr guter Start, manchen nicht. Andere sind auf sechzig, siebzig Meter beeindruckend schnell; ihre Liebe und Ergebenheit sind wirklich bemerkenswert, doch wenn der letzte Abschnitt des Rennens beginnt - die Hingabe - verlieren sie plötzlich ihre ganze Energie und Schnelligkeit. Aber es gibt auch Menschen, die vom Anfang bis zum Ende die Geschwindigkeit halten können. Ganz gleich, wie schnell man eine der Teilstrecken zurücklegen kann, wenn man sich für die 100 Meter entschieden hat, muss man die gesamte Distanz bewältigen – Liebe, Ergebenheit und Hingabe.

Einige benötigen ein paar Jahre, um gut laufen zu können. Andere bewähren sich gerade in den ersten fünf oder zehn Jahren sehr gut, aber dann läuft etwas in ihrer Entwicklung schief. Nach einer gewissen Zeit können sie jedoch ihre vorherige Geschwindigkeit wieder aufnehmen.

Ganz gleich, wie gut du laufen kannst, wenn du ein wirklicher Champion werden willst, musst du deine Liebe, deine Ergebenheit und deine Hingabe täglich üben. An manchen Tagen wird dir die erste Teilstrecke gut gelingen, aber die zweite misslingen; dann wird es genau umgekehrt sein. Aber es wird auch Tage geben, an denen du alle drei Teilstrecken mit höchster Geschwindigkeit zurücklegen und vom Anfang bis zum Schluss sehr gute Leistungen erbringen kannst. Alle meine Schüler haben bereits – gemäß ihrer Fähigkeit – Liebe, Ergebenheit und Hingabe erfahren. An solch einem Tag wart ihr wie ausgewechselt. Meistens rückte dann aber wieder der Verstand in den Vordergrund und ihr habt dieser Errungenschaft keine Bedeutung zugemessen. Deswegen sind eure Schnelligkeit und euer Fleiß auch wieder verschwunden. Aber wenn ihr in der Seele verweilen könnt, werdet ihr immer am schnellsten laufen und eure Seele wird nicht das Geringste zu beanstanden haben – sie wird nur voll Freude sein.

Manche Menschen konnten in ihrer Jugend sehr schnell laufen, doch nach fünfzehn oder zwanzig Jahren auf dem spirituellen Weg verloren sie leider viel an Geschwindigkeit. In einem äußeren Rennen kann man das wohl erwarten, denn der physische Körper unterliegt dem Alterungsprozess. Doch im inneren Rennen sollte das nicht geschehen, denn hier gibt es keine Einschränkungen durch das Alter. Du befasst dich mit der Ewigkeit, daher solltest du jeden Moment versuchen, deine Fähigkeit zu steigern. Es liegt an dir, ob du dich selbst als jugendlich oder als alt betrachtest. Nur dein Verstand hält sich an diese Einteilung; deine Seele kümmert sich nicht um das irdische Zeitschema. Sie ist vor allem an deiner Bereitschaft und an deinem Willen, schnell voran zu kommen interessiert; und diese hängen gänzlich davon ab, in welchem Ausmaß du das Licht deiner Seele aufnehmen kannst.

Frage: Ist die Hingabe an den Willen Gottes vielleicht mit einer Emigration in ein neues Land vergleichbar – eines Tages ist man in diesem Land und verlässt es nie wieder?

Sri Chinmoy: Es ist nicht, als ob man in ein neues Land käme; es ist vielmehr eine Rückkehr in unsere Heimat, in unser eigenes Zuhause. Es ist die Rückkehr zu unserem Ursprung. Wenn wir uns nur zögerlich und zaghaft überantworten können, werden wir unseren Ursprung nicht erreichen; bevor wir zuhause ankommen, verirren wir uns. Können wir uns jedoch fröhlich überantworten, werden wir unseren Ursprung – die Glückseligkeit – erreichen, und für eine gewisse Zeit da verweilen. Man könnte es mit dem Betreten einer Blumenhandlung vergleichen – sofort sind wir vom Duft der Blumen umgeben. Wenn wir einen Ort betreten, an dem Glückseligkeit und Licht herrschen, werden uns diese Eigenschaften auch gewiss durchströmen.

Aber jene Intensität oder jener hohe Grad an Freude, den wir durch eine fröhliche Hingabe erreichen, ist nicht derselbe, wie wir ihn durch bedingungslose Hingabe erreichen können. Bedingungslose Hingabe, auch wenn sie nur eine Minute lang währt, bringt uns die süßeste Freude. Ich spreche hier nicht nur von der Idee der Hingabe, sondern von der tatsächlich ausgeführten Hingabe. Wenn wir uns während einer Handlung oder Tätigkeit bedingungslos hingeben können, werden wir auch noch Tage später stolz darauf sein. Wenn wir uns über mehrere Wochen oder Monate, täglich ein paar Minuten lang bedingungslos hingeben könnten, wäre das eine Errungenschaft, die wir bis an unser Lebensende schätzen würden, selbst wenn die Hingabe nicht jeden Tag stattgefunden hätte und in ihrer Dauer unterbrochen worden wäre. Jedes Mal, wenn wir uns die Situation in Erinnerung rufen würden, wären wir überaus glücklich und stolz.

Jeder einzelne meiner Schüler konnte sich zumindest einmal in diesem Leben, ein paar Minuten oder eine Stunde lang bedingungslos dem Willen Gottes hingeben. Doch ich habe so meine Zweifel, dass es jemandem schon für die Dauer eines ganzen Tages gelungen wäre. Für euch ist das im Moment einfach noch nicht möglich; eure Hingabe läuft nach einer gewissen Zeit in eine falsche Richtung.

Frage: Wie kann man die aufkommende Nervosität besiegen, wenn man vor Publikum singt?

Sri Chinmoy: Betrachte das ganze Publikum als eine einzige Person und fühle, dass du selbst diese Person bist. Es ist ganz natürlich, nervös zu werden, wenn man sich von Menschen beobachtet fühlt. Man weiß, sie beurteilen und kritisieren. Doch du wirst nicht nervös sein, wenn du in all diesen Personen dich selbst erkennen kannst. Wenn du nur für dich singst, wirst du nicht nervös, auch wenn du falsch singen solltest, denn es ist niemand außer deiner Person hier, die zuhört. Du bist der Sänger und zugleich der Zuhörer. Wenn du also vor Publikum singst, betrachte es als eine Person, und erkenne diese Person als dich selbst. Ab diesem Zeitpunkt wird die Nervosität verschwinden.

Frage: Wie sollen wir uns verhalten, wenn Mitglieder unserer Singgruppe falsch singen?

Sri Chinmoy: Wenn du selbst wirklich seelenvoll singst, stimmst du mit deiner eigenen tiefen Wirklichkeit überein. Dann vermag dich nichts zu erschüttern, denn du bist von deiner eigenen Stimme auf göttliche Weise angetan; du erfreust dich ihres Duftes und ihrer Schönheit. Selbst wenn die Person unmittelbar neben dir falsch singen sollte, hinterlässt das keinen bleibenden Eindruck auf dein Bewusstsein. Doch wenn du dich in deinem Alltagsbewusstsein befindest, empfindest du es als störend, wenn jemand nicht die richtige Note trifft. Versuche also, dein Bewusstsein und deine Strebsamkeit sowohl höher als auch tiefer werden zu lassen. Erst dann wirst du nicht mehr unter der Unfähigkeit oder Inkompetenz anderer Menschen leiden. Mit dieser geheimen und heiligen Methode gelingt es uns, über die geringen Fähigkeiten bedauernswerter Sänger hinwegzusehen.

Frage: Einige deiner Lieder sind sehr lang. Gibt es eine Methode, sie zu erlernen?

Sri Chinmoy: Es gibt nicht nur eine, sondern mehrere Methoden, ein langes Lied zu erlernen.

Nehmen wir mein längstes Lied: Dylok chariye als Beispiel. Eine Methode wäre, das Lied nicht Seite für Seite durchzunehmen und zu versuchen, die Verse in der richtigen Reihenfolge zu lernen, sondern abwechselnd einmal eine Seite hier und eine Seite da zu lernen. So wird es uns leichter fallen. Beginne zum Beispiel mit dem Erlernen der beiden ersten Seiten und lerne dann die beiden letzten. So vermittelst du deinem Verstand, dass du die Reise sowohl begonnen und als auch beendet hast.

Was du noch tun könntest ist, dass du jene Zeilen oder Verse zuerst lernst, die dir am leichtesten fallen oder die du am melodischsten findest. Sobald dir die Worte oder die Melodie zusagen, fällt es dir leichter, sie zu erlernen. Schreibe dir dann von jedem Vers die ersten zwei und die letzten zwei Worte auf und lerne nur diese vier. Auf diese Weise kannst du mit deinem Verstand jonglieren.

Noch etwas kannst du tun. Über die Jahre hast du einen Teil meiner Schriften auswendig gelernt. Wenn dir eine Zeile oder ein bestimmtes Gedicht aus einem meiner Bücher besonders gut gefällt, wiederhole es zehn- oder zwanzigmal, bevor du beginnst, das Lied zu üben. Dein Erinnerungsvermögen wird dir viel Freude bereiten.

Wenn du fühlst, eine Seite gründlich gelernt zu haben, kannst du sie, anstatt zu singen, dreimal rezitieren. Deine eigene Rezitation wird dir Kraft geben. Der Verstand wird sich zu gut dazu sein: „Oh, warum muss ich das jetzt dreimal aufsagen, wo ich es doch auswendig gelernt habe?“ Doch du musst den Stolz des Verstandes unterbinden. Einerseits ist der Verstand in seinem Erinnerungsvermögen sehr beschränkt, andererseits, wenn er denkt, er hätte etwas gelernt, liegt es unter seiner Würde, das Gelernte zu wiederholen. Also musst du den Stolz des Verstandes brechen und das Herz stattdessen arbeiten lassen. Zu diesem Zeitpunkt fühle, du lernst das Lied, weil du es magst und nicht, weil du es lernen musst.

Was du noch tun kannst, ist zum Höchsten zu beten, Er möge dir die Fähigkeit geben, das Lied schnell zu lernen. Nichts ist falsch daran. Als ich noch Schüler war, besaß ich eine außergewöhnlich starke Erinnerungsgabe und lernte viele Bücher auswendig. Meine Lehrer konnten es nicht glauben, doch diese Gabe verdankte ich meinen Gebeten. Tausende und Abertausende Male wiederholte ich ein Mantra für die Göttin Saraswati, die Göttin des Lernens. In deinem Fall brauchst du die Sanskritverse nicht zu lernen; wiederhole einfach den Namen des Höchsten.

Frage: Deine Lieder sowie deine Malerei verkörpern Bewusst-sein. Kämpfen ihre Seelen jemals gegeneinander?

Sri Chinmoy: Meine Poesie besitzt eine Seele; meine Musik besitzt eine Seele; meine Kunst besitzt eine Seele. Doch die Seelen bekämpfen sich nicht, sie wachsen alle gemeinsam sehr glücklich in derselben Familie heran.

Frage: Stammen deine Poesie und deine Musik beide von derselben Welt?

Sri Chinmoy: Da gibt es keine starre Regelung. Um es einfach und allgemein auszudrücken: die Quelle meiner Poesie ist das dritte Auge. Dieses Auge der Vision schenkt dem suchenden Dichter Poesie. Die spirituellen Lieder stammen direkt vom Herzen. Alle meine Lieder kommen vom Herz, befinden sich im Herz und sind für das Herz.

Frage: Wie würdest du den Unterschied zwischen deinen Liedern und deinen Gedichten beschreiben?

Sri Chinmoy: Wenn eine Frau einen weißen Baumwollsari trägt, so werden die Menschen dessen Schönheit und Schlichtheit bewundern. Dieser ist mit meinen Gedichten vergleichbar. Wenn dieselbe Person dann einen Seidensari trägt, sieht dieser einfach wunderschön aus. Er ist mit meinen Liedern vergleichbar. Meine Lieder weisen dieselbe natürliche Schönheit wie meine Gedichte auf, doch sie besitzen mehr Glanz. Die Poesie ist in meinem Falle wie eine spontane Quelle, während meine Musik sozusagen wie ein fließender, murmelnder Fluss ist. Nur ein paar Hundert meiner bengalischen Lieder sind als Gedichte entstanden. Die meisten meiner 8.000 bengalischen Lieder waren von Anfang an als Lieder gedacht. Aber meine englischen Lieder begannen fast immer als Gedichte.

Frage: Wie können wir während des Singens die seelenvollen Qualitäten deiner Lieder am besten zum Vorschein bringen?

Sri Chinmoy: Versuche, dir in deinem Herzen einen wundervollen Garten vorzustellen. Wenn du einen schönen Garten siehst, wirst du wie von selbst von der Seele durchdrungen werden. Oder fühle, dass du alleine unter einem Baum sitzt und einen Fluss betrachtest. Das wird dir auch helfen. Doch die erste Anleitung ist wirkungsvoller; die Seele wird dich sehr schnell durchdringen.

Frage: Weisen die Seelen deiner Vogelzeichnungen alle die gleichen Eigenschaften auf oder besitzen die Seelen der kunstvoll gezeichneten Vögel andere Qualitäten?

Sri Chinmoy: Das hängt von der Empfänglichkeit der jeweiligen Seele ab. Angenommen ein Schüler hat Geburtstag und ich lade ihn ein, sich vor mich hinzusetzen und mit mir zu meditieren. Manchmal lasse ich meinen Blick lange auf ihm ruhen, weil er sehr viel aufnehmen kann. Seine Empfänglichkeit macht mich sehr glücklich, aber das wird man meinem Gesicht nicht anmerken können. In anderen Fällen übe ich mich nur in Geduld und in der Hoffnung, der Schüler könne nach fünf oder zehn Sekunden ein Fünkchen meines Lichts aufnehmen. Zum Abschluss schenke ich ihm ein Lächeln, doch niemand wird sagen können, ob ich lächle, weil der Schüler empfänglich war oder weil ich Mitgefühl mit ihm hatte und mein trauriges Gesicht verbergen wollte.

Wenn ich die Vogelzeichnungen anfertige, binde ich mich nicht an ein starres Zeitschema. Für die eine Zeichnung benötige ich vielleicht nur vier Sekunden, weil die Seele dieses Vogels in hohem Maß empfänglich ist und ich bereits nach dieser kurzen Zeit mit der Zeichnung sehr zufrieden bin. Bei einer anderen Zeichnung lasse ich mir mehr Zeit, weil der Vogel dadurch mehr Licht von mir empfangen kann. Doch wenn keine Empfänglichkeit existiert, ist eine längere Fertigungsphase unnötig. Die Seelen sind also nicht gleich. Leider oder Gott sei Dank weisen manche Vögel mehr Potential auf. Oder man könnte sagen, manche kommen von einer höheren Welt und andere kommen von einer niedrigeren Welt. Sie stammen nicht alle von derselben Ebene.

Erst kürzlich verwendete ich für meine Vogelzeichnungen tagelang immer nur weißes Papier und manchmal geschah es, dass die einzelnen Seiten unterschiedliche Empfänglichkeit aufwiesen. Du wirst dich fragen: „O Gott, wie kann eine leere Seite empfänglich sein? Die Empfänglichkeit befindet sich doch nur im Vogel-Bewusstsein.“ Doch das stimmt nicht; sogar das Papier kann empfänglich sein. Wenn ich z. B. auf eine Seite erst sechs Vögel gezeichnet habe, so erkenne ich ganz deutlich, dass ich keinen weiteren mehr zeichnen muss. Ich bin zufrieden, da die Empfänglichkeit der leeren Seite groß genug war. Manchmal zeichne ich auch zwanzig Vögel, weil ich sehe, dass die Empfänglichkeit dieser Seite noch größer ist. Doch zu anderen Zeiten bin ich mit der Empfänglichkeit eines Blattes nicht zufrieden, aber ich zeichne weiter und weiter. Und erst wenn ich zwanzig, dreißig oder vierzig Vögel zu Papier gebracht habe, bin ich zufrieden mit dem, was ich diesem bestimmten Blatt geben konnte.

Frage: Wenn ich die falsche Handlungsweise eines Schülers bemerke, will ich nicht sofort wie ein Polizist agieren. Doch manchmal fühle ich, dass ich etwas sagen sollte. Zu welchem Zeitpunkt muss ich eingreifen?

Sri Chinmoy: Ganz zu Beginn, bevor es wirklich ernst wird. Wenn du weißt, jemand unternimmt die falschen Handlungen, solltest du diese Person entweder sofort warnen oder sie mitfühlend bitten, sie möge damit aufhören. Solange die Angelegenheit noch überschaubar ist und bevor sie zu einem ernsthaften Problem heranwächst, sollte man handeln. Du solltest nicht monatelang warten, nur um zu sehen, ob diese Person ihre Einstellung ändert und den richtigen Weg einschlägt. Je weiter sich jemand vom Licht entfernt, desto schwieriger wird es für ihn, zum Licht zurückzukehren; und auch für dich wird es schwieriger, ihn zu dieser Rückkehr zu bewegen. Wenn dir eine Person also wirklich am Herzen liegt, musst du sie von Anfang an bitten, die falschen Schritte zu unterlassen.

Frage: Du hast uns gebeten, die Hände zu falten, wenn wir die Anrufung des Höchsten (Anm.: „Invocation“) singen. Doch wenn ich Wege zu erledigen haben und sie auf der Straße zu singen beginne, weiß ich nicht, was ich mich mit meinen Händen tun soll!

Sri Chinmoy: Wenn du ein Auto lenkst, darfst du deine Hände nicht vom Steuer nehmen. Du musst auf den Verkehr und auf viele andere Dinge achten. Wenn du die Hände faltest, während du die Straße entlang gehst, wird man dich in eine Nervenheilanstalt einliefern. Wenn du versuchst die Hände zu falten, während du dich kämmst, wird deine Frisur recht seltsam aussehen. Aber warum solltest du während dieser Tätigkeiten laut singen? Du kannst still singen oder ein Mantra rezitieren. Wenn du dich am richtigen Ort befindest, nämlich zu Hause vor deinem Altar oder in der Meditationshalle, sollst du für die Dauer des Liedes die Hände falten. Du musst deinen praktischen Hausverstand anwenden.

Frage: Guru, anstelle uns strenge Genügsamkeit zu lehren, willst du, dass wir immer genug essen und dass es uns an nichts mangeln solle. Warum?

Sri Chinmoy: Als Buddha kein Essen zu sich nahm, verwirklichte er da Gott? Er erlangte die Erleuchtung erst, als er den Mittelweg für sich entdeckte. Auch wir streben keine Extreme an. Mein Mitgefühl, meine Zuneigung und Freundlichkeit treten aufgrund meiner indischen Herkunft zum Vorschein. Sie veranlasst mich zu fragen: „Habt ihr gegessen?“ Ich will nicht, dass ihr unersättlichen Tieren gleich Nahrung in euch hineinstopft, sondern dass ihr so viel esst, wie euer Körper braucht. Eine bengalische Mutter wird ihr Kind zum Essen auffordern, obwohl sie ganz genau weiß, dass es bereits gegessen hat: „Für jede Süßigkeit, die du isst, bekommst du ein Geldstück.“ Dann wird sie das Kind mit der Süßspeise Rasgulla verwöhnen. Ich hatte diese Art von Mutter; sie wollte mich immer satt sehen. Das kann man entweder Zuneigung oder Dummheit nennen. Selbst nachdem das Kind gegessen hat, steckt sie ihm noch etwas Essbares in den Mund und freut sich, wenn das Kind es schluckt. Doch am nächsten Tag wird auch sie die Leidtragende sein, wenn das Kind über Bauchschmerzen klagt.

Frage: Meine Mutter stellt mir immer die Fragen: „Hast du heute schon etwas gegessen? Hast du heute etwas Gesundes gegessen?

Sri Chinmoy: Zwei Fragen, aber nur eine davon lasse ich gelten, nämlich: „Hast du heute etwas gegessen?“ Die andere Frage: „Hast du etwas Gesundes gegessen?“ ist meiner Auffassung nach nicht richtig! Bis an mein Lebensende werde ich schlecht über das sogenannte „Gesunde Essen“ sprechen, das keinen Zucker, kein Salz, kein Öl und keinen Geschmack bietet. Zu viel Zucker ist nicht gut, da stimme ich zu. Doch die Ernährung muss auch unserem Verstand Freude geben.

Der Verstand spielt für unser körperliches Wohlbefinden eine große Rolle. Heutzutage wenden sich die Menschen vegetarischen Diäten zu, weil die fleischliefernden Tiere sehr oft mit falschen Futtermitteln gefüttert werden. Doch wenn wir uns von Gemüse ernähren, muss unser Verstand die Überzeugung besitzen, dass wir etwas sehr Nahrhaftes zu uns nehmen. Der Verstand muss fühlen, im Gemüse sei eine gewisse Kraft vorhanden. Sobald wir z.B. an Blumenkohl oder Kartoffeln denken, bekommt der Verstand das Gefühl von etwas Festem. Aber wenn wir an ein Blattgemüse wie Spinat oder Kohl denken, bekommt der Geist zu diesem Zeitpunkt kein Gefühl von Stärke. Wenn wir an das Blatt-Bewusstsein denken, verschwindet unsere ganze Kraft.

Der Begriff "Salat" wird uns zum Beispiel niemals das Gefühl von Stärke vermitteln, aber heute essen alle Salat. Ein dicker Mensch isst Salat, um Gewicht zu verlieren, ein dünner Mensch, um nicht dick zu werden. Doch der dicke Mensch nimmt leider weiterhin an Gewicht zu! Wenn Salat für uns wirklich nahrhaft sein soll muss allein vom Namen die Vorstellung, er sei äußerst nahrhaft und wirke wie eine Medizin, die alle Krankheiten heilen wird, in unseren Verstand eintreten.

Das Wort ‚Brot’ trägt wirkliche Stärke in sich, denn über die Jahrhunderte hinweg stellte es für uns ein verlässliches Nahrungsmittel dar. Dasselbe gilt für Reis. Wenn wir die Worte ‚Brot’ oder ‚Reis’ aussprechen, empfinden wir eine bestimmte Zufriedenheit. Ausgehend von den Fußsohlen bis hin zu den Haarspitzen können wir das Gefühl eines elektrischen Flusses wahrnehmen, und dieses Gefühl überzeugt uns, etwas wirklich Gutes zu essen. Wenn wir die Worte ‚Brot und Butter’ aussprechen, kann das Wort ‚Butter’ zusätzlich nichts mehr vermitteln, außer vielleicht Fettleibigkeit. Doch sobald wir das Wort ‚Brot’ aussprechen, wird unser gesamtes Wesen genährt.

Frage: Weil du an einem 27sten geboren wurdest, empfinde ich immer, wenn ich diese Zahl höre, enorme Freude. Hat Dein Geburtsdatum eine besondere Bedeutung?

Sri Chinmoy: Für sich allein stehend, hat der 27ste keine besondere Bedeutung. Unzählige Katzen und Hunde wurden ebenfalls an diesem Tag geboren. Doch wenn du dich mit mir und meinem Geburtstag identifizieren kannst, wird dir der 27ste innere Freude schenken und dadurch können deine Liebe, Ergebenheit und Hingabe an den Höchsten in mir wachsen. Auch dein eigenes Geburtsdatum sollte für dich ein Grund der Freude sein. Gott bestimmte für dich ein gewisses Datum und darüber solltest du dich freuen.

Frage: Deine Familie nennt dich Madal, deine Schüler nennen dich Guru und die Welt nennt dich Sri Chinmoy. Hast du noch weitere Namen?

Sri Chinmoy: Im Ashram besaß ich viele Namen. Mein engster Freund damals, der lange Zeit vor allen anderen Menschen etwas in mir wahrnehmen konnte, nannte mich stets Chinny. Wieder ein anderer Freund rief mich Chinny-moyda. ‚Chinny’ bedeutet Zucker und ‚moyda’ Pulver. Einige Personen fanden mich als Kleinkind sehr niedlich und gaben mir deswegen einen Namen, der so viel wie ‚Japanische Puppe’ bedeutet. Dann trug ich einen Namen, der übersetzt ‚Feuer’ hieß, weil meine Augen immer rot, weit geöffnet und sehr feurig waren. Vor allem die Mädchen nannten mich so; sie sagten, in meinen Augen sei kein Mitgefühl. Andere nannten mich Jogisamrat, Jogibar oder Jogiraj. Jeder kann Namen vergeben. Sind meine Schüler mit mir zufrieden, nennen sie mich bei einem Namen; sind sie mit mir unzufrieden, nennen sie mich bei einem anderen. Jeden Tag können sie mir verschiedene Namen geben, ich bin bereit, sie alle anzunehmen. In der Vergangenheit besaß ich diese äußeren Namen. Nun besitze ich auch sehr viele innere Namen, doch sie sind nicht dazu bestimmt, den Schülern mitgeteilt zu werden. Einige außergewöhnliche Seelen und auch einige meiner Schüler gaben mir Namen, doch diese Informationen muss ich zurückhalten.

Frage: Was können wir als deine Schüler hier und jetzt unternehmen, um uns in zukünftigen Inkarnationen an dieses Leben zu erinnern, das wir gemeinsam mit dir verbracht haben?

Sri Chinmoy: Wenn ein Schüler den Meister aus ganzem Herzen zufrieden stellen kann, während sich beide noch auf dieser Welt befinden, wird dieser Schüler in seiner nächsten Inkarnation gleich von Kindheit an innere Erfahrungen oder spirituelle Träume haben. Jene, die in diesem Leben eine äußerst seelenvolle Verbindung zu mir aufbauen, werden mich in ihrer nächsten Inkarnation von Kindheit an in ihrem Herzen wahrnehmen können. Sie werden in eine Familie geboren, die ein Bild von mir im Haus aufbewahrt. Unzählige Familien haben Bilder von Krishna oder anderen spirituellen Persönlichkeiten und in manchen Fällen empfinden die Kinder, sobald sie diese Bilder sehen, eine starke Zuneigung zu der darauf gezeigten Person. Auf ähnliche Weise werden jene Schüler, die in diesem Leben eine enge Verbindung zu mir aufbauen können, in zukünftigen Leben Zuneigung und große Freude empfinden, wenn sie ein Bild von mir sehen oder meinen Namen hören. Das Ausschlaggebende ist die Seelenverbindung, die der Schüler zu dem Meister aufbauen muss, während dieser noch lebt. Empfindet der Schüler keinen inneren Hunger, wird der Meister nicht viel geben können – ganz gleich, wie groß die Fähigkeiten des Meisters sind. Als Buddha und Krishna noch lebten, wussten einige Menschen sehr wohl, wer sie wirklich waren, aber sie wiesen ihr Licht zurück. Buddha verkörperte unendliches Mitgefühl, doch die Menschen sagten: „Ich brauche dieses Mitgefühl nicht und es ist mir egal, ob er in der inneren Welt der reichste Mann ist. Mir gefällt es, ein Bettler auf der Straße zu sein.“

Frage: Woher kommt es, dass du immer wieder neue Schüler annehmen willst, während andere Meister mit einer geringen Anzahl von Schülern bereits zufrieden waren?

Sri Chinmoy: Jeder Meister geht seinen eigenen Weg. Einige nehmen ab einer gewissen Schüleranzahl keine weiteren mehr an. Ich in meinem Fall will jedem Menschen dienen, der sich nach Licht sehnt. Du kannst mich als gierig bezeichnen. Ganz gleich, wie viele Schüler ich bereits habe, ich werde weiterhin erklären: „Ich bin noch immer hungrig, ich bin noch immer hungrig.“ Manche Meister mögen einen kleinen Garten mit nur wenigen Blumen. Ich mag einen großen Garten, in denen viele Blumen wachsen können, in der Hoffnung, dass unter ihnen ein paar Blumen sind, die überaus schön und wohlduftend sind. Das würde mir sehr viel Freude bereiten.

Frage: Werden einige deiner Schüler zu wahren Brüdern und Schwestern der Menschheit werden?

Sri Chinmoy: Als der Lebensabend meines Vaters herangebrochen war, übergab er all seine Verantwortung und seine Aufgaben meinem Bruder Chitta. Die letzten zehn oder zwölf Jahre seines Lebens schickte er alle, die ein Problem hatten, das die Familie betraf, zu ihm: „Geh zu Chitta. Er kennt sich besser damit aus als ich.“ Mein Vater brachte Chitta sehr viel Vertrauen entgegen! Es ist eine große Hilfe, wenn jemand aus der eigenen Familie die Arbeit übernehmen kann. Und hat man es ihm auch noch selbst beigebracht, empfindet man darüber enorme Freude. Ich hoffe, dass auch ich diese Art von Schülern habe. Ich meine damit nicht nur jene, die in der Manifestation gute Arbeit leisten. Nein, nein! Ich beziehe mich hier auf jene Schüler, die eine derartige Liebe, Hingabe und Überantwortung empfinden können, dass sie zu auserwählten Instrumenten unseres geliebten Höchsten werden. Ihr habt keine Vorstellung, wieviel Freude ich fühle, wenn einige meiner Schüler wirklich gut und vollkommen werden können. Ihr Beispiel lehrt die anderen in der inneren und äußeren Welt. Ungleich meinem Vater werde ich meine Verpflichtungen nicht in ihre Hände legen. Nein, ich werde einfach nur glücklich sein, Schüler zu finden, die mich zufrieden stellen, indem sie Gott bedingungslos auf Gottes eigene Weise dienen.

Teil II

SCA 324-328. Die folgenden Fragen und Antworten sind Auszüge von Stellungnahmen, die Sri Chinmoy im Frühjahr 1996 gegenüber seinen Schülern, die an den Vereinten Nationen tätig sind, äußerte.

Frage: All die unklugen Dinge berücksichtigend, die innerhalb der Vereinten Nationen passieren, betrachtest Du sie immer noch als ein Instrument, um Weltfrieden zu erlangen?

Sri Chinmoy: Um den Frieden für die Welt zu etablieren, stellen für mich die Vereinten Nationen noch immer bei weitem das beste Instrument dar. Es tut nichts zur Sache, wie viele Menschen mit falscher Gesinnung in, mit und für die Vereinten Nationen arbeiten oder welche ungünstigen Situationen durch sie hervorgerufen werden. Wenn die Vereinten Nationen tatsächlich scheitern würden, bezweifle ich, dass eine andere Weltorganisation oder Institution Erfolg haben könnte. Der Traum der Vereinten Nationen, die Vision der Vereinten Nationen und die Wirklichkeit der Vereinten Nationen kommen direkt vom Höchsten, dem absolut Höchsten. In ihrem Ziel, Weltfrieden zu etablieren, sucht die UN als Tempel, als Altar, als Herz und als Seele ihresgleichen. Die Vereinten Nationen sind nicht nur ein Gebäude; die Vereinten Nationen sind ein Reservoir göttlichen Lichts, um Weltfrieden zu manifestieren. Wenn jedoch die Instrumente nicht die richtigen Handlungen setzen oder die richtige Einstellung annehmen wollen, können die Dinge natürlich eine unvorhersehbare Wendung nehmen. Was kann der bedauernswerte Steuermann der Vereinten Nationen dafür, wenn die Instrumente unwillig sind?

Frage: Welche Erwartungen setzt du in deine Schüler, die an den Vereinten Nationen arbeiten?

Sri Chinmoy: Nicht nur ich, sondern auch die Seele der Vereinten Nationen setzt hohe Erwartungen in meine Schüler, die an den Vereinten Nationen arbeiten. Ich erwarte ein Verhalten von euch, das nicht dem Verhalten gewöhnlicher Angestellten einer Fabrik, einer Bank oder einem Restaurant gleicht. Ihr dürft nicht automatisch arbeiten, wie Computer, denen alles vorgegeben ist und die bloß in mathematischen Formeln funktionieren. Nein, ich will, dass ihr eure göttlichen Eigenschaften hervorbringt, um die erleuchtende Seele und das emporstrebende Herz der Vereinten Nationen zufrieden zu stellen.

Ich will, dass meine an der UNO arbeitenden Schüler zu Blumen werden, die spontan ihre Schönheit verschenken, indem sie täglich aufs Neue erblühen und ihren Duft verströmen. Jeden Morgen, wenn ihr in eurem Büro eintrefft, sollt ihr eure eigene Herzensblume auf dem Altar der Vereinten Nationen darbringen. Wie? Wiederholt zwei Minuten oder auch nur zwei Sekunden lang: „O Vereinte Nationen, ihr habt das höchste Ziel. Ich will zu einem Teil dieses höchst erhabenen Ziels werden.“

Jeden Tag erwarte ich, dass ihr euch mit dem erhabensten Ziel der Vereinten Nationen identifiziert. Mit diesem Ziel meine ich jene Vision, die im Jahre 1945 geboren wurde; nicht die Ziele eines Generalsekretärs oder sonstigen hochrangigen UN-Funktionärs. An den Vereinten Nationen zu arbeiten, ist wie einer großen Universität anzugehören. Es gibt viele Universitäten, doch es stellt ein besonderes Privileg dar, Student in Harvard, Yale, Princeton, Cambridge oder Oxford zu sein. Andere Universitäten können die Ideale und Visionen dieser besonderen Universitäten leider nicht darstellen. Man kann auf keinen Fall behaupten, sie seien keine richtigen Universitäten, aber die Höhe, die die zuvor genannten erreicht haben, wurde von diesen nicht erreicht. Manche werden jetzt einwenden, diese besonderen Universitäten könnten ihrem Ruf nicht mehr gerecht werden. Dennoch werden sie weltweit als führend angesehen.

Ähnlich verhält es sich auch bei spirituellen Meistern. Manchen wird höchster Respekt entgegengebracht. Ein spiritueller Sucher findet große Freude in der Identifikation mit einem Meister höchsten Ranges. Wenn du an Krishna, Buddha, Jesus Christus oder an einen anderen großen spirituellen Meister dieser Welt denkst, empfindest du Freude. Wenn du dich mit lebenden spirituellen Meistern, die das Höchste verwirklicht haben, identifizieren kannst, empfindest du enorme Befriedigung. Deswegen bitte ich auch meine Schüler, die an den Vereinten Nationen arbeiten, sich mit den erhabensten Idealen der Vereinten Nationen zu identifizieren und ihnen als göttliche Instrumente zu dienen.

Frage: Manchmal, wenn ich arbeite, bin ich in den Anordnungen meines Chefs dermaßen gefangen, dass ich mein spirituelles Leben völlig vergesse.

Sri Chinmoy: Du konntest während der letzten fünf, zehn oder zwanzig Jahre deine eigene Spiritualität kultivieren, doch nun schließt du Kompromisse, um deinen Chef zufrieden zu stellen. Ich vertrete immer den Standpunkt: das spirituelle Leben ist kein Leben der Kompromisse. Entweder du akzeptierst Gott zu den Bedingungen, die Gott stellt, oder du akzeptierst das äußere Leben zu den Bedingungen, die das äußere Leben stellt. Du kannst nicht zu fünfzig Prozent für Gott und zu fünfzig Prozent für die gewöhnliche, nicht strebende Welt sein. Wenn du auf diese Weise Kompromisse eingehst, befindest du dich auf keiner der beiden Seiten, du stehst zwischen ihnen und die Sache ist für dich gelaufen.

Du solltest genau auf jene Dinge stolz sein, die du aus Angst, einer deiner Mitarbeiter würde dich lächerlich machen oder dein Chef würde dich nicht unterstützen, von dir weist. Wenn du deine eigene Spiritualität, deine eigene Göttlichkeit nicht schätzt, wird niemand auf der Welt sie schätzen. Aus Angst, deinen äußeren Reichtum zu verlieren, was aber nicht passieren wird, kannst du deinen inneren Reichtum nicht schätzen. Dein wahrer Schatz ist dein innerer Reichtum, doch du misst ihm nicht mehr Bedeutung zu als einem Sandkorn.

Du musst deinem inneren Reichtum jeden Augenblick Bewunderung schenken. Du musst ständig zur emporstrebenden Sehnsucht deines Herzens und dem erleuchtenden Lächeln deiner Seele werden. Jede Sekunde musst du deiner inneren Sehnsucht erlauben, dich zu führen, dich anzuweisen, dich zu formen und gestalten. Die aufsteigende, innere Sehnsucht deines Herzens will das Höchste erklimmen, doch zwecks äußerem Erfolges und äußerer Bequemlichkeit zerstörst du ihren Aufwärtsflug. Du opferst deine innere Sehnsucht oder übergießt sie mit kaltem Wasser und lässt sie somit verstummen. Deine innere Sehnsucht ist wie eine Leiter, auf der du immer höher steigen kannst, doch du benützt diese Leiter nicht. Das ist ein schwerer Fehler, den du bis an dein Lebensende bereuen wirst!

Frage: Manche Schüler scheinen Angst zu haben, ihre Chefs und Kollegen könnten ihnen ihr spirituelles Leben vorwerfen und es als eventuellen Grund für eine Nicht-Beförderung angeben.

Sri Chinmoy: Sie werden euch deswegen keine Vorwürfe machen. Im Gegenteil, wenn du mit deinem Leben sehr streng bist, werden dich die anderen dafür respektieren, denn du hältst dich an die Wahrheit, die du erkannt und gefühlt hast. Wenn du von der Richtigkeit dessen, was du tust, sagst und wirst, überzeugt bist, kommt eine Zeit, wo dich andere ebenfalls schätzen, da du das Richtige tust. Tatsache ist, dass jene Menschen, die dich lächerlich machen oder dich als nutzlos bezeichnen, letzten Endes mehr wahre Göttlichkeit in dir sehen werden, als du selbst in dir wahrnehmen kannst. Ich konnte das schon öfters beobachten. Wenn jemand seinen eigenen Überzeugungen treu bleibt, werden jene Menschen, die ihn erst lächerlich gemacht haben, Glauben an ihn entwickeln – sogar mehr Glauben, als diese Person sich selbst gegenüber hat.

Ich will auf keinen Fall, dass ihr nicht befördert werdet. Ich will, dass ihr eure Beförderung bekommt, indem ihr hart dafür arbeitet. Natürlich sollt ihr euren Chef zufrieden stellen, aber nur auf eine Weise, die man auch von euch verlangen kann. Wenn von euch Pünktlichkeit erwartet wird, seid pünktlich. Wenn man von euch Sorgfalt erwartet, seid sorgfältig. Wenn man von euch erwartet, dass ihr euch einer Sache besonders annehmt, um einen Zeitrahmen einzuhalten, so nehmt euch dieser Sache an. Es gibt so viele essentielle Dinge, die ihr erledigen müsst. Doch um das äußere Leben zu erfüllen, dürft ihr das innere Leben nicht aufgeben.

Tatsache ist, dass ihr euren Chefs eine viel größere Hilfe sein könntet, wenn ihr euer gesamtes göttliches Potential manifestieren würdet. Jeder meiner Schüler besitzt und verkörpert viele göttliche Eigenschaften, die vom Höchsten kommen. Er hofft, dass Er sich selbst mit diesen göttlichen Qualitäten in und durch uns manifestieren kann. Wir müssen Ihm für diese Eigenschaften sehr, sehr dankbar sein und sie auf göttliche Weise einsetzen. Wenn du diese göttlichen Qualitäten in deine Arbeit einfließen lassen kannst und sie auf diese Weise der Welt anzubieten vermagst, wird es dir gelingen, deinem Chef und deinen Kollegen viel mehr zu helfen und zufrieden zu stellen, als du es jetzt kannst. Dann wirst du in ihren Augen nicht nur ein guter, sondern ein ausgezeichneter Mitarbeiter sein.

Im Moment gibst du ihnen bloß deine Klugheit, doch deine göttlichen Qualitäten hältst du zurück, weil du befürchtest, missverstanden zu werden. Du denkst, andere könnten deine göttlichen Eigenschaften als Verrücktheit oder Dummheit bezeichnen und sie ins Lächerliche ziehen. Doch wenn deine Kollegen und dein Boss deine Göttlichkeit wahrnehmen können, wird sie sofort in ihre Herzen eindringen. Wenn sie Licht in dir wahrnehmen können, während du ein Blatt Papier berührst oder während du mit ihnen sprichst, wenn sie in deinem Gesicht eine wunderschöne Blume erkennen können und ein Leuchten in deinen Augen und deinen Bewegungen, werden diese Qualitäten in ihre Herzen eintreten.

Frage: Wie können wir dein Licht unter unseren Kollegen an den Vereinten Nationen verteilen?

Sri Chinmoy: Wenn du nicht imstande bist, in meinem göttlichen Bewusstsein zu verweilen oder an mich zu denken, wie sollst du dann mein Licht anderen anbieten können? Wenn du in meinem Bewusstsein verweilen und die innere Nahrung empfangen kannst, die deine Seele dir eifrig zu geben sucht, wirst du in der Lage sein, mein Licht mit anderen zu teilen. Doch wenn du mein Licht nicht aufnehmen kannst, weil du nicht danach hungerst, wie solltest du es verteilen können? Manche Menschen behaupten, Licht geben zu wollen, sehnen sich selbst aber nicht danach. Nur wenn du ein Dynamo meines Lichts werden kannst, darfst du hoffen, es anderen anbieten zu können. Wenn du in deinem spirituellen Leben wirklichen Fortschritt erzielst, wirst du das Licht und die anderen göttlichen Eigenschaften, die du von deinem inneren Leben erhältst, deinen Kollegen und Kolleginnen und deinen Vorgesetzten spontan geben können. Deine eigene Höhe wird sich ganz natürlich manifestieren – du wirst sie nicht zur Schau stellen, sondern völlig spontan ausdrücken. Wenn du dich ein paar Stunden in einem Garten oder einem Blumengeschäft aufhältst, treten die Schönheit und der Duft der Blumen in dein Bewusstsein ein und verweilen in dir. Wenn du dann ausgehst, werden dich die Menschen, die dir begegnen, als eine wunderschöne Blume wahrnehmen. Sie werden in deinen Augen, deinem Gesicht und in deinem Lächeln einen wunderbaren inneren Duft erkennen.

Teil III

SCA 329-332. Die folgenden vier Fragen wurden von jüngeren Schülern Sri Chinmoys gestellt, die ihn Anfang September 1994 am „Aspiration-Ground“ (Anm.: jene örtliche Gegebenheit, wo die Treffen zwischen Sri Chinmoy und seinen Schülern stattfinden) in New York besuchten.

Frage: Wenn ich hier in New York in deiner physischen Gegenwart bin, empfinde ich deine Gnade und deinen Schutz stärker als zu Hause in England. Bilde ich mir das bloß ein oder verhält es sich tatsächlich so?

Sri Chinmoy: Das hängt von deiner Liebe und deinem Einssein mit mir ab. Der Schutz des Höchsten in mir ist allgegenwärtig. Doch wenn du hier bist und mich mit deinen eigenen Augen wahrnehmen kannst, empfindest du diesen Schutz stärker. Das ist ein Vorteil, wenn man sich in meiner Nähe aufhält, aber der Schutz ist eigentlich überall gegeben. Wenn du in mir den Menschen wahrnehmen kannst, der Gott verwirklicht hat, wirst du fühlen, dass der Höchste in mir dich voller Mitgefühl und Zuneigung wegen deines andächtigen und seelenvollen Lebens beschützt, ganz gleich, wo du dich in der Welt aufhältst.

Wenn du die richtige Einstellung zu der physischen Gegenwart des Meisters haben kannst, wirst du den höchsten Gewinn daraus erzielen. Doch wenn dem nicht so ist, bekommt der Verstand Gelegenheit, recht tückische Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Du wirst mich humpeln sehen und dein zweifelnder Verstand wird sofort sagen: „Oh, er kann ja nicht einmal richtig gehen, wie sollte er mich dann beschützen können?“ Doch wenn dein strebendes Herz zum Vorschein kommt, wird es sagen: „Auch wenn mein Guru aus innerlichen oder äußerlichen Gründen nicht gehen kann, weiß ich, dass er mit dem Höchsten eins ist, deswegen glaube ich an ihn.“

Der Vorteil, mich in New York zu besuchen, liegt in der Erneuerung eurer Inspiration und Strebsamkeit. Die zwei Wochen, die ihr für die April- und Augustfeierlichkeiten hier seid, sind zweifelsohne eine Wiederauffüllung eures Treibstofftanks. Viele kommen praktisch ohne Inspiration hier an, doch sie gehen mit neuer Inspiration und neuer Strebsamkeit zurück.

Frage: Ich fühle, dass eine Woche bevor ich nach New York komme, mein Bewusstsein fällt.

Sri Chinmoy: So siehst du es. Ich will dir nicht schmeicheln, aber ich sehe, dass deine Strebsamkeit sehr hoch ist, wenn du hier bist – wirklich vom ersten Tag an. Ich will nicht, dass andere auf dich eifersüchtig werden, doch wenn ich dich hier sehe, bin ich sehr zufrieden mit dir, sehr zufrieden! Wenn dein Bewusstsein dir Probleme bereitet, bevor du nach New York kommst, dann versuche so oft wie möglich – am Tag und in der Nacht – dir vorzustellen, du seiest bereits hier bei uns. Denk nur an diesen Ort hier und an deinen Guru; träume von allem, was dir hier Inspiration schenkt. Physisch hältst du dich noch in deinem Land auf, doch innerlich und spirituell wirst du bereits in New York sein. Wenn du das zustande bringst, ist dein Problem gelöst.

Frage: Wie kann ich meine Unreinheit überwinden?

Sri Chinmoy: Reinheit ist bereits in deinem Herzen vorhanden – im Herzen eines jeden. Dem Verstand mangelt es an Reinheit. Deswegen musst du deine Vorstellungskraft, die ihre eigene Realität besitzt, zu Hilfe nehmen. Stelle dir vor, dass dein Verstand eine wunderschöne Blume ist. Nun gut, du weißt vielleicht nicht, was eigentlich mit Verstand gemeint ist. Doch du kennst deinen Kopf; er ist ein solides Objekt. Stelle dir also deinen Kopf als eine wunderschöne Blume vor – als die Blume, die du am liebsten magst, die dir die größte Freude schenkt. Stelle dir vor, du hättest weder Nase, noch Ohren, noch Augen; fühle anstelle deines Kopfes diese wunderschöne, wohlduftende Blume.

Dann betrachte dein Blumengesicht im Spiegel. Wenn du die Blume ein paar Sekunden lang liebevoll betrachtest, kannst du keine ungöttlichen Gedanken haben. Wenn die Schönheit und der Duft der Blume in deinen Verstand eintreten, kannst du nicht an ungöttliche Dinge denken. Rufe dir also immer diese Blume in Erinnerung.

Es existieren noch andere Wege, um Reinheit zu erlangen, aber dies ist der einfachste.

Die Unreinheit entsteht nicht in dir; sie kommt von außen – vom ungöttlichen Bewusstsein der äußeren Welt. Sie beginnt mit dem Atem, während du einatmest. Unsere Unreinheit fängt nicht erst unterhalb des Nabels an; sie beginnt beim Einatmen in der Nase und bewegt sich dann abwärts. Wenn du also einatmest, musst du fühlen, dass eigentlich die Blume einatmet; du musst fühlen, dass die Schönheit und der Duft der Blume alles empfangen, was in dich eintritt.

Frage: Manchmal habe ich Angst vor der Meditation. Warum ist das so?

Sri Chinmoy: Angst entsteht durch das Gefühl des Getrenntseins; du empfindest nur deshalb Angst vor einer Person oder vor einer Sache, weil du dein Einssein mit ihnen nicht hergestellt hast. Für ein kleines Kind ist der Vater ein Riese; doch es hat keine Angst, denn es empfindet Liebe und Zuneigung für ihn. Es fürchtet sich nicht davor, seinen Vater zu packen, denn es weiß, der Vater wird es nicht schlagen. Du musst die Meditation als deinen Freund betrachten, als deinen besten Freund, der dich zu Gott bringt. Gebet ist dein Freund und Meditation ist dein Freund. Diese Freunde werden immer nur das Richtige für dich tun. Sie werden dich zu deinem Höchsten bringen. Vor der Meditation braucht man keine Angst zu haben; sie ist etwas, das man lieben, pflegen und schätzen kann. Wenn du die Meditation auf positive Weise betrachtest, als etwas, das dir Zuneigung, Liebe und Anteilnahme entgegenbringt, kannst du keine Angst davor haben.

Teil IV

SCA 333-339. Allgemeine Fragen

Frage: Ist es für deine Schüler in Ordnung, selbst seelenvolle Lieder zu komponieren oder sind deine Lieder schon mehr als ausreichend für uns?

Sri Chinmoy: Ihr braucht die Mühe nicht auf euch zu nehmen, andächtige Lieder oder Gedichte zu schreiben, um damit eure Gefühle auszudrücken oder eure Ergebenheit zu steigern; ich habe, sozusagen stellvertretend für euch, schon mehr als genug geschrieben. Viele meiner Gedichte und Lieder entstanden durch meine Identifikation mit euch – mit euren Gedanken und Gefühlen. In einem bestimmten Gedicht drücke ich meine Hilflosigkeit und Nutzlosigkeit aus, doch ich selbst befinde mich zu diesem Zeitpunkt nicht in einem niederen Bewusstsein. Nein! Und wenn ich dann in einem Gedicht oder Lied Gott um Vergebung anflehe, tue ich das ebenfalls mit absoluter Aufrichtigkeit, denn zu diesem Zeitpunkt habe ich mich mit einer weiteren Person vollständig identifiziert.

Über die Jahre habe ich sehr viele Gedichte und Lieder geschrieben, die von der Liebe, Hingabe und Überantwortung des Herzens, von Vergebung und Dankbarkeit handeln, um der Welt Inspiration und Strebsamkeit anzubieten. Wenn du dich selbst nun mit meinen Liedern, meinen Schriften, meiner Strebsamkeit und meiner Verwirklichung identifizieren kannst, werden sie alle zu deinem Eigentum. Aber wenn du selbst Lieder schreiben willst, so ist das in Ordnung. Wenn du fühlst, es steigere deine Strebsamkeit, so mache es auf jeden Fall. Doch empfinde keine Traurigkeit, wenn du die Gabe des Komponierens nicht besitzen solltest. Es ist für deinen spirituellen Fortschritt nicht notwendig, da du dieselbe Inspiration und Strebsamkeit erhalten kannst, indem du dich mit dem Autor und Komponisten in mir identifizierst.

Obwohl Gott unendlich, unsterblich und ewig ist, kann ich Ihn aufgrund meiner Liebe als mein Eigen, ganz mein Eigen beanspruchen. Wenn du nun eines meiner Lieder äußerst seelenvoll singst, wenn du fühlen kannst, dieses bestimmte Lied wurde zu einem Teil deines Lebens und jeder deiner Atemzüge wohnt in diesem Lied, was könnte dich dann davon abhalten, dieses Lied als dein Eigentum zu betrachten? Ich würde niemals sagen: „Du stiehlst den Lebensatem meines Liedes.“ Das Gegenteil ist der Fall, ich werde sehr glücklich sein, wenn du meine Lieder als die deinen betrachtest.

Während des gestrigen Friedenskonzertes brachte ich spürbaren Frieden, Licht und Glückseligkeit herab. Während ich meditierte, erzitterte ich förmlich unter diesen göttlichen Wirklichkeiten. Wenn jemand auch nur ein Fünkchen dieses Reichtums empfangen kann, so macht mich das zum glücklichsten Menschen. Der Erschaffer ist nicht Sri Chinmoy, sondern der Höchste in mir. Wenn Er also Seine Inspiration, Strebsamkeit und Verwirklichung mit mir teilt, warum sollte ich sie dir dann nicht angedeihen lassen? Es ist wie das Teilen einer Frucht. Wenn ich eine Mango mit dir teile, erhalte ich noch mehr Freude. Der Höchste schenkte mir einige äußerst köstliche Mangos und bat mich, sie mit der restlichen Welt zu teilen. Und obwohl es der Höchste war, der mir diese Dinge gab, betrachte ich sie als mein Eigen. Aufgrund meines Einsseins mit Ihm, empfinde ich nicht, dass ich diese göttlichen Wirklichkeiten von einer dritten Person erhalten habe.

Einige spirituelle Meister fordern ihre Schüler auf, ihrer Kreativität Ausdruck zu verleihen. Sie sagen: „Wenn du schöpferisch tätig bist, lernst du den kreativen Prozess kennen und erlangst Zufriedenheit.“ Die zugrunde liegende Idee ist, dass wenn man etwas im Schweiße seines Angesichts erlangt, man es tiefer schätzen kann. Wenn du dein eigenes Geld verdienst, wirst du erkennen, dass du hart dafür arbeiten musst und du wirst es mit mehr Weisheit ausgeben. Doch auch folgende Theorie hat ihre Gültigkeit: wenn dein Vater dir inneren Reichtum schenkt, versorgt dich dein spirituelles Leben – sprich deine Meditation und Strebsamkeit – ebenso mit der erforderlichen Weisheit, diesen Reichtum richtig anzuwenden.

Frage: Da es sehr viele Menschen gibt, die sich nach Licht sehnen, frage ich mich, welche spirituellen Eigenschaften brauchen wir Schüler, um das Licht des Höchsten besser manifestieren zu können und um das spirituelle Leben mehr Menschen zugänglich zu machen?

Sri Chinmoy: Das ist eine Frage der Bereitschaft und des Fleißes jener Schüler, die an der Verbreitung und Manifestation des Lichts des Höchsten arbeiten. Einige von ihnen sind bereit und fleißig. Andere sind bereit, aber nicht fleißig und manche sind innerlich eigentlich noch nicht bereit. Die Situation ist ähnlich mit der einer Schulklasse. Einige sind sehr schlechte, andere sind sehr gute und ein paar wenige sind ausgezeichnete Schüler. Und doch befinden sich alle gemeinsam in derselben Klasse und werden vom Lehrer im selben Fach unterrichtet. Der Lehrer kann sich des Erfolges nicht sicher sein, solange nicht jeder Schüler ein ausgezeichneter Schüler ist.

Manche Schüler beteiligen sich nur aus Spaß; es gefällt ihnen, Poster aufzuhängen oder ähnliche Jobs zu erledigen. Spirituell betrachtet jedoch erkenne ich, dass sie nur ihre kostbare Zeit verschwenden. Sie dienen dem Höchsten in ihrem Guru und für diesen Dienst bin ich dankbar. Doch wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, ihr Bewusstsein befindet sich nicht auf einer höheren Stufe. Spirituell erhalten sie nichts, weil sie in ihren Herzen weder eine intensive Aufrichtigkeit noch eine intensive Ergebenheit fühlen. Jedes Mal, wenn du ein Poster aufhängst, musst du zwanzig oder fünfzig Menschen dort visualisieren. Für jedes Poster stelle dir fünfzig Herzen vor, die sich nach Licht sehnen und die dieses Poster sehen werden. Viele von euch arbeiten leider nur mechanisch. In Indien erhält man einige Rupees für ein paar Stunden Arbeit. Ich in meinem Fall gebe euch kein Geld; ich gebe euch meine Liebe, meine Zuneigung, meinen Segen. Doch da euren Herzen eine intensive Aufrichtigkeit fehlt, ist dieser indische Meister tief in seinem Herzen nicht mit euch zufrieden. Ihr habt eure Arbeit weder andächtig oder hingebungsvoll, noch mit einem reinen Herzen ausgeführt.

Es gibt noch viele andere Dinge, die ich bemerke. Ich sehe, wie viel Reinheit ihr in eurem Verstand, in eurem Vitalen und in eurem Herzen habt. Wenn zum Beispiel deine Gedanken unrein sind, wenn du denkst, ein anderer hätte einen besseren Job als du oder kann dem Meister näherkommen als du, ist das der Anfang vom Ende! Auch eure Inspiration muss reiner werden. Oft, wenn ihr zu einer Aktivität motiviert seid, ist eure Motivation schwer – angefüllt mit Nachlässigkeit, Routine und Gleichgültigkeit. Inspiration ist zumeist vorhanden, doch diese Inspiration muss einen auf das Ziel gerichteten Fleiß in sich tragen. Ich bemerke auch, wie viel Unsicherheit ihr in euch tragt. Während ihr arbeitet, denkt ihr: „Guru schätzt diese oder jene Person vielleicht mehr als mich.“ Wen glaubt ihr, an der Nase herumführen zu können? Mich nicht! Ihr brecht nur mein Herz.

Die Botschaft kam herab, dass sieben-, zehn- oder dreizehntausend Seelen sich innerlich nach dem Licht sehnen, das wir bei einem Friedenskonzert anbieten können. Die Stunde Gottes hat geschlagen. Doch die mir zur Verfügung stehenden Instrumente sind spirituell und innerlich weder bereit noch fleißig. Leider bin ich ein Bettler und ein Bettler hat keine Wahl. Das Göttliche in mir ist hungrig und das Göttliche in dir ist ebenfalls hungrig. Doch dem Göttlichen in uns beiden wird eine derart kleine Portion Nahrung vorgesetzt, dass unser Hunger noch nicht gestillt ist. Wie lange noch wird die Welt in diesem unstrebsamen Bewusstsein verweilen?

Diese Situation kann man mit folgender indischen Geschichte veranschaulichen: Ein König befiehlt seinen Untertanen, einen Brunnen mit Milch zu füllen. Jeder denkt bei sich: „Wenn ich Wasser anstatt Milch in den Brunnen gieße, so macht das nichts! Die anderen werden Milch hineingießen und der König wird nichts bemerken.“ Letztlich hat niemand von ihnen Milch in den Brunnen gegossen.

Man fühlt sich selbst niemals betroffen. Man ist der Meinung, der Andere sollte das Richtige tun. Doch dieser Andere existiert nicht! Jeder Handelnde ist wie das Blütenblatt einer Blume. Jedes Blütenblatt ist nur für seine eigene Schönheit zuständig; es trägt keine Verantwortung für die anderen Blütenblätter. Doch wenn die Blume schön sein und einen Wohlgeruch verströmen soll, müssen alle Blütenblätter schön und wohlduftend sein. Wenn also jedes Blütenblatt aufrichtig versucht, die erforderliche Reinheit, Schönheit und den Duft zu besitzen, dann wird die Blume vollkommen werden.

Diese Dinge sind vonnöten, um Frieden auf jene Weise herabzubringen, wie wir ihn herabbringen wollen. Andere Menschen haben eine andere Vorgehensweise, um Zuhörer zu bekommen, aber Friede spielt bei ihren Bemühungen keine Rolle. Jazzmusiker vermögen Tausende und Abertausende Menschen anzuziehen, doch ihr Standard unterscheidet sich von unserem grundlegend. Ihnen gelingt dieser Erfolg, weil sie auf einem bestimmten Bewusstseinsniveau arbeiten. Wir hingegen wollen Frieden und Göttlichkeit auf einem anderen Niveau etablieren.

Frage: Guru, bei dem Morgengebet, das wir täglich aufsagen sollen, heißt es: „Erblicke ich meines Meisters göttlich lächelnde Augen, erblüht die Hoffnung meiner Gottverwirklichung....“ Da ich keine Vorstellung von der Gottverwirklichung habe, fehlt mir der richtige Bezug zu diesem Abschnitt des Gebetes.

Sri Chinmoy: Eine visuelle Vorstellung bestimmter Dinge ist im spirituellen Leben nicht immer erforderlich. Wir haben Gott nicht gesehen, doch unsere Seele, wie auch unsere Eltern lehren uns von Kindheit an, dass Gott existiert. Wir wissen, Gott ist voll Freundlichkeit und Zuneigung und Er verkörpert jede göttliche Eigenschaft. Gott und Gottverwirklichung sind jeweils Teil des anderen. Sie sind wie die Blume und ihr Duft. Wenn Gott der Duft ist, ist Gottverwirklichung die Blume, ebenso umgekehrt. Wenn du sagst, du hättest keine Vorstellung von der Gottverwirklichung, werde ich dir sagen: „Du hast auch keine Vorstellung von Gott, wie kannst du also an Gott denken und Gott lieben; wie kannst du beten und meditieren? Doch du kannst Gott lieben und du tust es auch; du kannst beten und meditieren und du tust es auch, obwohl Gott für dich im Moment einfach nur eine vage Vorstellung ist.

Bevor wir einen Lernstoff durchnehmen, haben wir davon nicht die geringste Ahnung. Und genau diese Tatsache ist der Grund, warum wir ihn durchnehmen. Im Falle der Gottverwirklichung studieren wir diesen Gegenstand mit Hilfe unserer Gebete, Meditationen und anderer Disziplinen. Dieser Lernstoff weist den höchsten Schwierigkeitsgrad auf, doch jeder der aufrichtig, ja selbst der, der unaufrichtig betet und meditiert, studiert diesen Lernstoff der Gottverwirklichung. Um die Früchte eines äußeren Studiums zu ernten, zum Beispiel den Titel eines Magisters, benötigen wir einige Jahre. Schrittweise bewegen wir uns vom Kindergarten hin zur Universität. Auch im spirituellen Leben gibt es einen Anfang, dieser sind Gebet und Meditation. Später werden wir nach innen tauchen und die Kontemplation erlernen, und eines Tages werden wir unsere Reise beenden. Doch wenn wir unsere innere Reise beenden, entdecken wir zu unserer großen Überraschung, dass wir uns am Anfang einer weiteren Reise befinden. Das spirituelle Leben bietet uns immer wieder einen völlig neuen Beginn. Es ist, als ob man einen wunderschönen Garten entdecken würde. Wir fühlen, einen noch schöneren könne es nicht mehr geben. Doch Gott sagt: „Nein, es gibt noch einen viel schöneren Garten.“

Vor der Gottverwirklichung haben wir nur eine äußerst vage Vorstellung, wer und was Gott ist. Nur nach der Gottverwirklichung wird Gott für uns zu einer absolut lebendigen Realität. Ab diesem Zeitpunkt wird das universelle Bewusstsein zu unserem eigenen Bewusstsein; wir selbst werden zu einem Teil dieses universellen Bewusstseins. Sollten dann irgendwo im Universum Dinge geschehen, die wir in Erfahrung bringen wollten, stünde uns diese Möglichkeit offen. Es gibt noch unzählige andere Dinge, die eine gottverwirklichte Person ausführen kann, die jedoch die Fähigkeiten eines gewöhnlichen Menschen weit übersteigen. Bevor ich die Gottverwirklichung erlangt habe, konnte ich an einem Tag ungefähr fünf oder sechs Dinge erledigen. Nun vergeht kein einziger Tag, an dem ich nicht Tausende Dinge in der inneren Welt vollbringe. Das gilt für alle spirituellen Meister, die Gott verwirklicht haben. Sie können all diese Dinge vollbringen, weil sie nicht mit ihrem Verstand arbeiten. Mit unserem Verstand können wir nur ein Ding nach dem anderen erledigen. Der Verstand kann sehr schnell arbeiten; er kann ein, zwei, drei Dinge sehr schnell vollbringen. Doch er kann keine zwei Dinge zur selben Zeit erledigen, während eine gottverwirklichte Seele viele, viele Dinge simultan zu vollbringen vermag.

Gottverwirklichung bedeutet Einssein mit dem Willen Gottes. Bevor wir das spirituelle Leben annehmen, kümmern wir uns nicht um den Willen Gottes; wir machen das, wonach uns gerade der Sinn steht. Doch sobald wir ein spirituelles Leben beginnen, versuchen wir jeden Moment, Gottes Willen in Erfahrung zu bringen. Wenn wir die Spiritualität auszuüben beginnen, stellt sich Gott zwar nicht vor uns hin, um uns Seinen Willen mitzuteilen, aber in uns befindet sich immer jemand, der uns das Richtige rät und uns dazu anhält, das Richtige zu tun, und dieser jemand ist Gott. Während unserer Gebete und Meditationen teilt uns unsere Seele oder der Höchste mit, was getan werden soll. Wenn wir es ausführen, schreiten wir dem Licht entgegen; doch wenn wir nicht auf die Seele hören, wandeln wir weiter in der Dunkelheit.

Wenn dem Sucher das Glück geneigt ist, sendet Gott einen Repräsentanten, der Seinen Willen verkündet: einen spirituellen Meister. Doch selbst dann können beim Schüler noch immer Zweifel auftreten. Er könnte sich sagen: „Wenn Gott hier vor mir stehen würde, hätte Er vielleicht eine andere Botschaft für mich.“ Oder er könnte denken: „Dieser Meister stellt mich nicht zufrieden; er erfüllt nicht meinen Wunsch. Vielleicht hört Gott mein Gebet gar nicht und kennt meinen Wunsch nicht.“ Der Schüler kann sich selbst auf verschiedenste Weise an der Nase herumführen; z.B. wenn er auf ein Getrenntsein zwischen Gott und seinem Meister besteht und denkt, Gott befände sich an einem anderen Ort. Doch wenn der Schüler spirituelle Reife besitzt, wird er wissen, dass Gott und der Meister seine Wünsche kennen; und wenn sie diese nicht erfüllen, so nur aus dem einen Grund, da es nicht dem Willen Gottes entspricht.

Wenn die Strebsamkeit des Schülers sinkt und er innerlich oder äußerlich beginnt, falsche Dinge zu tun, denkt er vielleicht: „Oh, der Meister weiß nicht, was ich tue.“ Aber der Meister weiß es; nur spricht er nicht darüber. Wenn der Meister sieht, dass der Schüler sich schlecht benimmt und in der Dunkelheit wandelt, wird er letztlich zu einem stillen Zeugen; ganz still beobachtet er alles. Es ist wie mit unseren menschlichen Eltern. Sie sagen uns, dass wir richtig handeln sollen, doch wir hören sehr selten auf sie. Letztlich sagen sie nichts mehr und beobachten einfach nur.

Ich erzähle euch jetzt einen Vorfall, der sich heute Morgen um etwa 6 Uhr 40 ereignete. Fünf Schüler waren auf mich böse; ihre Namen will ich jetzt nicht nennen. Während ich mich vor dem Spiegel rasierte, erhielt ich in der inneren Welt heftige Schläge gegen meinen Kopf – einen nach dem anderen! Glücklicherweise habe ich mich beim Rasieren nicht geschnitten! Ich öffnete mein drittes Auge, um zu sehen, wer mich schlug. Die Verursacher mögen jetzt sagen: „Zu dieser Zeit habe ich geschlafen.“ Es stimmt, sie haben noch geschlafen, doch letzte Nacht waren sie derart aggressiv oder unzufrieden mit mir, dass einige schlechte Kräfte über sie in mich eingedrungen sind und mir diese Schläge versetzt haben.

Durch diese Art von Erfahrungen müssen fast alle spirituellen Meister gehen. Wir müssen Schläge einstecken, wie seinerzeit Muhammad Ali. Manchmal will ich gar nicht wissen, wer der Verursacher dieser Schläge ist, denn wenn ich sehe, dass eine nahestehende Person dafür verantwortlich, fühle ich mich noch schlechter. Das Beste ist, die Schläge einzustecken, ein paar Minuten zu leiden und dann diese Erfahrung in das Universelle Bewusstsein zu werfen, sofern man das vermag. Heute Morgen habe ich nicht länger als zwei Minuten unter diesem Angriff leiden müssen. Ich war stark genug, um die Sache zu regeln und es war nicht notwendig, den Angriff in das Universelle Bewusstsein zu werfen. Im Anschluss kam ich hierher und führte meine Übungen durch.

Das ist keine Phantasiegeschichte, das könnt ihr mir glauben! Eines Tages werdet ihr mein Schicksal teilen. Ihr werdet euch fragen, was ihr getan habt, um plötzlich derartige Schläge einstecken zu müssen. Um diese Erfahrung zu machen, muss man kein spiritueller Meister sein. Ein ganz normaler Mensch stolpert plötzlich, ohne eine äußere Ursache dafür zu finden. Oder während du sitzt, verspürst du plötzlich ein Ziehen in den Muskeln. Das geschieht nicht, weil in deinem Körper etwas nicht stimmt, sondern weil in der inneren Welt ganz bestimmte Dinge stattfinden. Jemand hat bewusst und überlegt seine starken, ungöttlichen Gedanken auf dich gerichtet, während du dir dessen nicht bewusst warst. Dein Körper konnte den Angriff nicht abwehren und du musstest ihn erdulden, da dein gesamtes Wesen weder energetisiert noch dynamisch war. Sehr, sehr oft leiden wir unter einer plötzlich auftretenden physischen Erkrankung. Doch es ist keine physische Erkrankung; jemand hat dich attackiert! Dieses Spiel geht immer weiter und weiter.

Um auf deine Frage zurückzukommen über die „göttlich lächelnden Augen des Meisters“, ich zeigte diese „göttlich lächelnden Augen“ viele, viele Male; sie sind kein Schwindel. Die Zeit wird kommen, da jeder einzelne meiner Schüler die Wahrheit meiner Worte erkennen wird, ob er mich jetzt ernst nimmt oder nicht. Je höher ihr aufzusteigen vermögt, desto klarer wird euch, wer ich bin und desto mehr Glaube, Liebe und Ergebenheit werdet ihr empfinden können. Aber andererseits, je tiefer ihr sinkt, desto mehr Verwirrung werdet ihr vorfinden. Doch wenn der Tag eurer Gottverwirklichung kommt, wird jemand da sein und euch diese Verwirklichung geben. Zu diesem Zeitpunkt werdet ihr kein fremdes Gesicht, keine fremde Gestalt sehen; nein, mein Gesicht, meine Gestalt wird da sein! Doch das bezieht sich nur auf die nahen Schüler; ich kann es nicht für alle tun.

Frage: Werden wir dich sehen, wenn wir sterben?

Sri Chinmoy: Wenn meine nahestehenden Schüler ihren Körper verlassen, werden sie diesen Körper, diese Gestalt, dieses Gesicht sehen. Vielleicht sende ich einen meiner Repräsentanten – eines meiner inneren Wesen, das mein Gesicht, meine Augen und alles andere von mir annehmen wird. Vielleicht wiederholst du zum Zeitpunkt deines Todes als Mantra das Wort ‚Höchster’, doch du wirst diesen Körper, diese Gestalt, dieses Gesicht sehen, da mich der Höchste schickt. In mir befindet sich Gott, in dir befindet sich Gott. Doch wenn du in deiner letzten Stunde aufrichtig zum Höchsten betest, Er möge dich heilen oder dich bei Ihm aufnehmen, wirst du dieses Gesicht und diesen Körper sehen. Ganz gleich, ob du mich nun in meinem Sportanzug, in meiner indischen Kleidung oder in meinen Shorts wahrnimmst, du wirst mich auf alle Fälle sehen. Einige nahestehende Schüler sind bereits verstorben. Wenn sie während eines Traumes zu dir kommen sollten, richte die Frage an sie: „Ist Guru gekommen? Ist Guru gekommen, um dich abzuholen?“ Ich versichere dir, Guru ist gekommen, selbst wenn er auf der physischen Ebene zu diesem Zeitpunkt Tennis gespielt haben sollte. Ich besitze sehr viele innere Wesen und ich versichere dir, eines dieser Wesen nahm exakt meine Gestalt an und führte diese Person von dieser Welt in die andere. Aber dazu muss ich sagen, diese Erfahrung ist nicht für alle bestimmt, nicht für alle. Der Höchste entsendet in jedem Fall ein Wesen; wir können es als Engel bezeichnen. Manchmal erscheinen sogar viele Wesen. Aus Mitgefühl können sie die Gestalt jenes Menschen annehmen, der der sterbenden Person am nächsten stand, ob das nun Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Ehemann oder Ehefrau war. Der geliebte Mensch befindet sich vielleicht gar nicht mehr im Himmel; er könnte schon sein nächstes Leben, vielleicht sogar auf einem anderen Kontinent begonnen haben. Aber wenn die sterbende Person aufrichtig weint und Angst vor dem Tod hat, kann das Wesen, das der Höchste entsendet, genau das Gesicht und die Gestalt dieses Menschen annehmen. Wenn der Sterbende die Welt verlässt und sieht, dass seine Mutter gekommen ist, um ihm den Weg zu zeigen, warum sollte er dann noch Angst empfinden? Er wird fühlen, dass er an einen sicheren Ort geführt wird und seine Furcht wird nachlassen.

Frage: Wenn es einem schwer fällt, voller Aufrichtigkeit auf das höchste Ziel zuzugehen, ist es dann besser, das höchste Ziel unaufrichtig anzustreben oder ist es besser, sich auf ein dazwischenliegendes Ziel zu konzentrieren, dafür aber aufrichtig?

Sri Chinmoy: Ein dazwischenliegendes Ziel gibt es nur für jene, die das spirituelle Leben nicht angenommen haben. Für Menschen, die im gewöhnlichen Leben gefangen sind. Diese befinden sich bereits auf einer niedrigeren Ebene, da sie an ihre Kinder, ihre Männer oder Frauen, an ihr irdisches Leben denken müssen. Sofern keine Strebsamkeit vorhanden ist und man die Notwendigkeit, innere Berge zu erklimmen, nicht verspürt, ist man natürlich zufrieden, wenn man einen Hügel erklimmen kann. Doch sobald man zu streben beginnt und ein spirituelles Leben anfängt, muss unser Ziel das Höchste sein. Unaufrichtige Sucher können sich an einem dazwischenliegenden Ziel orientieren, doch für jene, die Gottes wahre Instrumente sein wollen, und die den inneren Mut besitzen, zu sagen: „Ich bin in diese Welt gekommen, Gott auf Seine eigene Weise zufrieden zu stellen“, darf es dieses Ziel nicht geben. Sie müssen auf den höchsten Ast des Strebsamkeits-Lebensbaumes klettern. Vielleicht rutschen sie ab und fallen, nachdem sie ein paar Meter erklimmt haben; vielleicht fallen sie auch immer wieder, doch ihr Ziel muss weiterhin das Höchste sein.

Sobald wir anfangen, mit dem äußeren Leben Kompromisse einzugehen, beenden wir damit unser spirituelles Leben. Wenn wir denken, wir könnten uns in das äußere Leben völlig einbringen, halten wir uns bloß selbst zum Narren. Bevor wir Notiz davon nehmen, wird uns das äußere Leben beherrschen und unser inneres Leben wird enden. Wenn wir unsere Ernsthaftigkeit im spirituellen Leben verlieren, ist es das Ende.

Zuerst sagen wir zu Gott: „Ich stelle dich zu fünfzig Prozent zufrieden und Du stellst mich auch zu fünfzig Prozent zufrieden.“ Doch letzten Endes werden wir sagen: „Gott, stelle Du mich zu neunzig Prozent zufrieden, denn ich bin zu schwach.“ Und unsere letzte Botschaft wird lauten: „Gott, ich bin so nutzlos! Du musst mich zu neunundneunzig Prozent zufrieden stellen.“ Dann ist das Spiel aus. Wenn wir mit einer einprozentigen Verbindung zu unserem inneren Leben, zu unserer Quelle zufrieden sein können, ist unser spirituelles Leben ein totaler Misserfolg.

An jenem Tag, an dem wir das spirituelle Leben angenommen haben, hegten wir die Hoffnung und besaßen den Eifer, das Höchste zu erreichen. Niemand trat unserem spirituellen Pfad bei mit dem Gedanken: „Es reicht, ein bisschen Freude zu erhalten oder meine Eifersucht und meine Zweifel ein bisschen zu verringern.“ Nein, jeder kam mit dem Eifer, der Bereitschaft und der inneren Notwendigkeit, eine vollkommen göttliche Person zu werden. In seltenen Fällen kamen manche, um zu sehen, wie der Pfad ist, welche Art von Blumen wir anbieten und ob diese Blumen wirklich schön und wohlduftend sind. Doch in den meisten Fällen traten die Schüler diesen Pfad bei, um das Höchste zu erreichen, und das wäre, Gott auf Gottes eigene Weise durch Liebe, Hingabe und Überantwortung zufrieden zu stellen. Wenn das unser Ziel ist, müssen wir innerlich den höchsten Berg erklimmen. Das Problem ist, wir vergessen aus Überlegung heraus - und somit vorsätzlich - unser Ziel. Es stimmt, die jeweilige Höhe der Menschen ist unterschiedlich, aber die Bereitschaft aller Personen kann die gleiche sein. Der eine Schüler hat die Fähigkeit, nur eine Meile mit dem Meister zu gehen, während ein anderer mit dem Meister einen Marathon laufen kann. Doch gemeinsam mit der Fähigkeit sind auch Bereitschaft und Fleiß von enormer Bedeutung. Wenn jemand nur über geringe Fähigkeiten verfügt, so rechnet Gott doch die Bereitschaft dieser Person an. Wenn Gott aufrichtige Bereitschaft erkennt, wird er sofort die Fähigkeit dieser Person steigern. So viele Personen hier sind nur zwei Meilen pro Tag gelaufen und später konnten sie doch einen Marathon zu Ende bringen. Alles aufgrund ihres Fleißes. Bevor ich selbst meinen ersten Marathon bewältigt habe, lief ich höchstens drei oder vier Meilen in einem Stück. Doch mein Fleiß brachte mich an mein Ziel.

Frage: Wie kann ich mehr Disziplin aufbringen?

Sri Chinmoy: Vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren gab es eine Zeit, in der einige meiner Schüler in einem durchgehenden Zeitraum von ein paar Monaten, von morgens bis abends voller Überzeugung alles richtig und gut machten. Wie schafften sie das? Durch Disziplin! Jeden Morgen pflegten sie um sechs Uhr aufzustehen, zu beten und meditieren und sie gewöhnten es sich an, ihre Abende mit spirituellen Aktivitäten zu verbringen. In dieser Zeit kümmerten sie sich nur um ihr inneres Leben. Sie sagten: „Ich werde es mir selbst nicht erlauben, meine Zeit mit unstrebsamen Menschen zu verbringen. Ich werde mich nicht in der vergnüglichen Welt der Unwissenheit bewegen!“ Da sie ein diszipliniertes Leben führten, waren ihre Liebe, Hingabe und Überantwortung an Gott sehr stark. Doch über die Jahre wurden sie nachlässig und unachtsam; sie schätzten das disziplinierte Leben und seine Vorteile immer weniger. Mit der Zeit gewann ihr äußeres Leben mehr Bedeutung als ihr inneres. Schrittweise verringerten sich ihre Liebe, Hingabe und Überantwortung, bis sie ganz verschwunden waren. Nun sind sie davon überzeugt, dass diese Eigenschaften nicht einmal mehr existieren und der Vergangenheit angehören. Die meisten haben aufgegeben; sie fühlen, es sei nicht möglich, diese Qualitäten zurück zu erhalten oder sie empfinden gar, es lohne sich nicht, diese Qualitäten zu besitzen. Sie sind entweder der Meinung, das spirituelle Leben könne ihnen nichts mehr bieten oder es sei jetzt zu schwierig für sie geworden.

Wie kannst du deinen verlorenen inneren Wohlstand zurückerlangen? Indem du dich daran erinnerst, wie viel Freude und Zufriedenheit er dir geschenkt hat! Als du ein diszipliniertes Leben geführt hast und deine Liebe, Hingabe und Überantwortung stark waren, hast du unendlich mehr Freude und Zufriedenheit empfunden als jetzt. Damals hattest du Kraft und du warst wieder Kind. Deine gesamte Existenz war wie eine Blume. Nicht, dass du vor einer Blume gestanden wärest, nein, du selbst wurdest zu einer wunderschönen Blume. Jeden Moment hattest du ein hohes, höheres, höchstes Ziel. Gute Gedanken strömten ständig in deinen Verstand, in dein Herz, in dein Leben.

Wenn du noch einmal voller Aufrichtigkeit jene Freude, die du durch deine Disziplin erhalten hast, schätzen kannst, wirst du diese Art von Leben wieder zurückerhalten. Wenn du den Geschmack der einst verspeisten Mango schätzt, wirst du alles unternehmen, um diese Zufriedenheit wieder zurück zu erlangen. Du wirst in verschiedenen Geschäften solange nachfragen, bis du das Gewünschte findest: „Haben Sie Mangos, haben Sie Mangos?“ Wenn dein Verlangen aufrichtig ist, wird Gott dir gewiss geben, was dein Herz begehrt. Als das disziplinierte Leben für dich wichtig war, gab Gott dir die Möglichkeit und die Notwendigkeit, solch ein Leben zu führen. Wenn du es noch einmal aufrichtig schätzen kannst, wird Gott dir neuerlich die Möglichkeit geben, dein diszipliniertes Leben zurück zu erhalten und auch die Freude, die Überzeugung und die Sicherheit, die es mit sich bringt.

Frage: Welche Bedeutung hat die Stadt Philadelphia für dich?

Sri Chinmoy: Für mich ist Philadelphia die Hauptstadt Amerikas. Von einem spirituellen Standpunkt aus betrachtet, ist nicht Washington die Hauptstadt Amerikas, sondern Philadelphia. Allein der Name wirkt wie klingende Glocken, die uns verzaubern und zugleich erleuchten und erfüllen. Sobald ich das Wort „Philadelphia“ höre, ganz gleich, wer es ausspricht, vernehme ich eine läutende Glocke – ähnlich dem indischen Tempel-Gong oder der amerikanischen Kirchenglocke. Für mich wird Philadelphia immer die Wirklichkeit der Göttlichkeit verkörpern.

Teil V

SCA 340-345. Folgendes Gespräch fand am 11. Mai 1996 zwischen Sri Chinmoy und Akuli im Annam Brahma statt, einen Tag nach Akulis Geburtstag.

Stelle mir bitte zwei Fragen

Sri Chinmoy: Stelle mir bitte zwei Fragen: Die erste Frage beantworte ich, weil du mich in meiner Dichtkunst so kräftig unterstützt. Gleich zu Beginn meiner Poesieschöpfung hast du mir die meisten dichterisch ausgedrückten Ideen zukommen lassen! Niemand kann sich darin mit dir vergleichen. Die zweite Frage werde ich beantworten, weil du den Salat so köstlich zubereiten kannst. Nun, du hast zwei Fragen.

Akuli: Wenn jemand eine besonders hervorstechende Charaktereigenschaft besitzt, deutet das auf seine Seele hin? Wenn jemand z. B. sehr eigensinnig ist oder eine ganz außergewöhnliche Qualität besitzt, in welcher Verbindung steht das mit der Seele?

Sri Chinmoy: Eigensinn kommt meistens vom Vitalen. Das Vitale ist sehr eigensinnig und der Verstand sehr unbeweglich. Von der Seele kommen jedoch nur die guten Qualitäten. Das Herz, das Vitale, der Verstand und der Körper nehmen die guten Eigenschaften von der Seele auf. Das Herz kann viel mehr als der Verstand aufnehmen. Manchmal vermag auch das Vitale mehr als der Verstand aufzunehmen. Der Körper kann jedoch nur ein geringes Maß an Licht empfangen. Er gleicht einem indischen Ochsengespann, er will immer nur ruhen; sein liebster Freund heißt Lethargie. Wenn das Vitale dynamisch wird, dann zieht und stößt es den Körper, damit Bewegung in ihn kommt. Der Körper wird erst göttlich, wenn ihn das Vitale wie ein Militär-Befehlshaber kommandieren kann. Auch das Herz vermag den Körper zu inspirieren, wenn es an Stärke gewonnen hat.

So stammt jede göttliche Qualität, die du in und durch dein Leben ausdrückst, von der Seele. Manchmal kann eine bestimmte, gute Eigenschaft auf mehreren Ebenen Form annehmen. Sie kann sich selbst auf der psychischen, der mentalen, der vitalen oder der physischen Ebene Ausdruck verleihen. Hingabe z. B. kann durch das Herz, den Verstand, das Vitale und den Körper ausgedrückt werden. Wenn eine göttliche Eigenschaft, die von oben herab- oder aus der Seele hervorkommt, auf jeder Ebene – physisch, vital, mental und psychisch – offenbart wird, zeichnet das den Sucher aus.

Schlechte Eigenschaften existieren ebenfalls. Doch diese stammen entweder vom Verstand, dem Vitalen oder dem Physischen, niemals von der Seele. Betrachten wir z. B. Unreinheit; sie stammt weder von der Seele noch vom Herzen. Doch wenn vom Vitalen und vom Verstand zu viel Unreinheit in das Herz eintritt, verkörpert das arme Herz natürlich auch ein gewisses Maß an Unreinheit. In so einem Fall bemüht sich die Seele, das Herz zu retten, denn sie fühlt, das Herz ist von Natur aus gut. Sie lässt Licht in das Herz fließen und reinigt es. Sie bringt ihm enorme Liebe, Anteilnahme und Mitgefühl entgegen – mehr als dem Verstand, dem Vitalen und dem Körper, denn diese legen sehr oft ein schlechtes Benehmen an den Tag, das die Seele empört und enttäuscht; und so wartet die Seele einfach ab, bis diese Familienmitglieder für ihr Licht bereit sind.

Akuli: Die nächste Frage stelle ich aus reiner Neugier.

Sri Chinmoy: Erinnere dich an meine Geschichte, wo die Neugier so gute Dienste geleistet hat! Aus reiner Neugier wollte der Dieb die Hochzeit der Prinzessin sehen. Seine Neugier wurde aufgedeckt und er wurde zu einem Heiligen!

Akuli: Ich habe ein Buch über den Dalai Lama gelesen und habe mich gefragt, ob ich eine Verbindung zu Tibet habe.

Sri Chinmoy: Warum willst du die Vergangenheit kennen? Sie ist bloß Staub. Hast du in deinen vergangenen Inkarnationen Gott verwirklicht? Dein Ziel ist die Gottverwirklichung! Wenn deine Vergangenheit dir keine Gottverwirklichung ermöglicht hat, welchen Nutzen hätte dann das Wissen um sie? Dumme Neugier ist nutzlos. Manchmal beginnen wir mit Neugier. Dann treten wir in die wirkliche Spiritualität ein, und zwei Möglichkeiten tun sich für uns auf: Frustration, die mit Zerstörung einhergeht, oder Hoffnungsblumen, deren Schönheit wächst und wächst. Letzten Endes werden wir die Wirklichkeit erkennen und wahrhaftige Befriedigung erhalten.

Akuli: Welche Frage stellt dir meine Seele?

Sri Chinmoy: Warum denkst du bei deinem jetzigen spirituellen Entwicklungsstand an deine Seele? Du hast mich – jetzt und in Ewigkeit, du musst nicht an deine Seele denken. Ich verhandle mit deiner Seele. Denke einfach an den Höchsten und bete zu Ihm. Im Moment vermagst du nicht, deine Seele zu sehen; Gott alleine weiß, wann du dazu fähig sein wirst. Doch du kannst mich sehen. Wenn du an mich glaubst, dann werde ich dich direkt zum Höchsten tragen können. Wenn du jemals sehen kannst, wie deine Seele auf mein transzendentales Foto meditiert, wirst du fragen: „Warum müssen wir noch irgendetwas tun, wenn wir doch dieses Bild besitzen?“ Je höher und tiefer du zu gehen vermagst, desto mehr wirst du mein transzendentales Foto schätzen.

Akuli: Wie können wir Harmonie erschaffen? Du hast uns bereits so viele Antworten gegeben. Existiert noch eine weitere Antwort?

Sri Chinmoy: Wer mag im Keller sein Dasein fristen, wenn er im obersten Stockwerk wohnen kann? Ein Gebäude kann unzählige Stockwerke aufweisen, doch es gibt immer einen Keller. Besitzen wir keine Harmonie, fallen wir in einen gähnenden Abgrund. Um uns herum ist nichts als Dunkelheit: wir schreien, streiten, kämpfen, würgen, boxen, treten!

Ein Mangel an Harmonie entsteht, wenn wir annehmen, gewisse Dinge besser zu können als andere. Mangel an Harmonie ist das Lied und der Tanz der Überlegenheit. Disharmonie findet jeden Augenblick Zutritt in unser Leben, weil sich einer dem anderen überlegen fühlt. Doch das Gefühl der Überlegenheit ist nichts anderes als das Gefühl der Unterlegenheit, das einen schlauen Weg des Ausdrucks gefunden hat.

Nur aus diesem einen Grund, weil wir Gott über alle Maßen unterlegen sind, suchen wir wegen jeder Kleinigkeit die Schuld bei Ihm. Wir behaupten: „Ich weiß es besser als Gott! Gott versteht meine Situation nicht! Gott bemerkt nicht, wenn ich Gutes vollbringe!“ Auf diese Weise kritisieren wir Gott fortwährend. Wenn wir wirklich erhaben wären, läge es unter unserer Würde, mit den anderen zu streiten. Gott ist uns unendlich überlegen, doch kommt Er herab, um mit uns zu streiten? Nein!

Wenn Kinder mit ihrer Mutter argumentieren, tut die Mutter so, als ob sie über kein Wissen verfüge. Das Kind absolvierte bloß die Grundschule, vielleicht auch noch eine weiterführende Schule, während die Mutter einen Universitätsabschluss besitzt. Doch das Kind nimmt an, es wisse viel mehr als seine Mutter, und es sagt alle möglichen dummen Dinge zu ihr. Die Mutter weint innerlich und betet zu Gott, Er möge ihrem Kind Erleuchtung geben, doch äußerlich sagt sie: „O, du hast recht; ich bin so dumm. Ich lerne von dir.“

Auf vergleichbare Weise sollten auch wir klug sein und ruhig bleiben, selbst wenn wir genau wissen, dass unser Gegenüber mit seinen Behauptungen völlig falsch liegt. Letztlich wird die andere Person das Licht sehen. Doch wenn wir die ganze Zeit über streiten und kämpfen, fügen wir unseren subtilen Nerven, die wir für unsere spirituelle Reise benötigen, nur Schaden zu. Wenn wir also unsere Weisheit anwenden, kommt die Auslöschung des Selbst von alleine. Die Auslöschung des Selbst ist der einfachste und effektivste Weg, Harmonie zu etablieren. Wir können auch noch Japa (Anm.: Rezitation von Mantren) praktizieren, indem wir wiederholen: „Auslöschung des Selbst, Auslöschung des Selbst.“ Wenn wir dieses Japa praktizieren, gehen wir auf einer sonnenerleuchteten Straße unserem Ziel entgegen.

From:Sri Chinmoy,Sri Chinmoy antwortet, Teil 8, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2007
Quelle https://de.srichinmoylibrary.com/sca_8