Sri Chinmoy antwortet, Teil 10

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Teil I

Der Sucher, der Strebende und der Gott-Liebende1

Ich will heute über den Unterschied zwischen einem Sucher, einem Strebenden und einem Gott-Liebenden sprechen.

Der Sucher kann im Herzen, im Verstand, im Vitalen und im Körper beten oder meditieren. Doch der Strebende will nur im Herz beten und meditieren. Der Strebende fühlt, dass die Gebete und Meditationen, die im Herzen erfolgen und in ihm ihren Ursprung haben, den kürzesten und schnellsten Weg zum Ziel anbieten.

Es gibt auch einen Unterschied zwischen dem Sucher und dem Gott-Liebenden. Der Sucher betet und meditiert ganz ergeben und seelenvoll, um die höchste Höhe zu erreichen, wo es ihm möglich ist, Gott von Angesicht zu Angesicht sehen zu können. Doch der Gott-Liebende will, dass Gott zu ihm kommt und in seinem Herzensgarten verweilt, damit sie beide dort singen, spielen und tanzen können.

Der Unterschied zwischen dem Strebenden und dem Gott-Liebenden ist folgender: Der wahrhaftig Strebende hat ein zu erreichendes Ziel, doch wenn er ein Opfer unstrebsamer Kräfte wird und er eine Stufe von seinem Bewusstseins-Niveau herabsteigen muss, bricht seine ganze Welt zusammen. Er will alle unstrebsamen Kräfte in seinem Leben besiegen. Doch wenn er keinen Erfolg hat, will er vor anderen damit nicht bloßgestellt werden; er will nicht, dass andere seine Schwächen sehen. Er will seine spirituelle Würde nicht verlieren; er will, dass seine spirituelle Höhe in den Augen anderer gewahrt bleibt. Wenn ihm also ein Fehler unterläuft, wenn ihn die vitalen Kräfte angreifen und dadurch sein Bewusstsein fällt, ist ihm das sehr unangenehm und er fühlt sich schlecht.

Der aufrichtige Gott-Liebende hat ebenso sein Ziel vor Augen. Doch anders als der Strebende, ist der Gott-Liebende immer fröhlich und glücklich, ganz gleich, was geschieht. Auch wenn er tagelang mit gewissen Dingen erfolglos bleibt, ist er nicht traurig oder deprimiert. Solange seine Liebe zu Gott stark ist, ist er glücklich. Für ihn ist seine Liebe zu Gott wichtiger als alles andere. Er läuft schnell, schneller, am schnellsten. Wenn er stolpert und sich aufgrund seiner Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit verletzt, gibt er dennoch nicht auf. Er weiß, dass seine Verletzungen nach einer gewissen Zeit verheilt sein werden und er dann auch wieder laufen kann.
Also, ganz gleich, wie oft er scheitert, ganz gleich, wie viele Dummheiten er macht oder wie oft er in ungöttliche Welten eintritt, seine Liebe zu Gott ist so stark, dass er bereit ist, immer wieder aufzustehen. Er fühlt, dass seine einzige Aufgabe darin besteht, Gott ergeben, selbstgebend und bedingungslos zu lieben. Er weiß, dass wenn er Gott wirklich liebt, all sein Scheitern und all seine Unzulänglichkeiten Gott nicht traurig machen, denn es ist Gottes Pflicht, ihn vollkommen werden zu lassen.

Der Strebende empfindet nicht auf diese Weise. Wenn er sich eine Verletzung zuzieht, verflucht er sich und weist sich selbst die Schuld zu. Wenn ihm in seiner Strebsamkeit grobe Fehler unterlaufen, wenn er sein Ziel zu dem von ihm ausgewählten Zeitpunkt nicht erreicht, wird er unzufrieden mit sich und zornig auf Gott; er fühlt, dass Gott ihn nicht gerecht behandelt hat. Das wiederum lässt die Bereitschaft in ihm entstehen, das spirituelle Leben aufzugeben oder eine kurze oder längere Auszeit zu nehmen. Doch der wahrhaftig Gott-Liebende macht weiter und weiter, ganz gleich, wie viele Fehler und Missgeschicke ihm unterlaufen, denn seine Liebe zu Gott ist unendlich stärker als all seine mannigfaltigen Schwächen. Der Gott-Liebende ist dem Gott-Suchenden und dem Gott-Strebenden auf jede nur erdenkliche Art überlegen. Wir alle sollten versuchen, Gott-Liebende zu sein.


SCA 366. 10. Mai 1996

Teil II

SCA 367-375. Sri Chinmoy gab am 18. Januar 1996 während einer Konzert-Tournee in Südafrika eine Pressekonferenz im SOUTH BEACH HOLIDAY IN in Durban. Der folgender Text ist eine Mitschrift.

Frage: Würden Sie uns bitte etwas über Ihre Philosophie und Ihr Leben erzählen?

Sri Chinmoy: Jeder Mensch ist ein Sucher der Wahrheit und ein Liebender Gottes – entweder bewusst oder unbewusst. Wir gehören in diesem Falle zu der ersten Kategorie. Wir versuchen bewusst, schlaflos und atemlos Gott-Suchende und Gott-Liebende zu sein.

Unsere Natur weist viele gute Dinge, aber auch viele ungöttliche und unstrebsame Dinge auf. Wir versuchen unsere guten Eigenschaften zu vergrößern und zu vervielfachen und zugleich – kraft unserer Gebete und Meditationen – unsere ungöttlichen Eigenschaften zu verringern und letzen Endes auszumerzen. Wir trachten nicht nach der Zerstörung unserer schlechten Eigenschaften, sondern nach ihrer Transformation und Erleuchtung. Dunkelheit muss in Licht umgewandelt werden. Die Unwissenheit, die wir seit undenklichen Zeiten gepflegt haben, muss erleuchtet werden.

Gemäß unserer traditionellen indischen Philosophie ist Gott der Schöpfer, der Erhalter und der Zerstörer. Doch wir empfinden, dass Gott, der der Urheber alles Guten und die Quelle unendlichen Mitleids ist, seine Schöpfung eigentlich nicht zerstören kann und nicht zerstören wird. Wir empfinden, dass Er, zu dem von Ihm bestimmten Zeitpunkt, alles Unstrebsame in uns transformieren und es göttlich machen, es erleuchten und erfüllen wird. So etwas wie Zerstörung gibt es dann eigentlich nicht. Alles ist Erleuchtung und Transformation zu jener Stunde, die Er für uns festlegt. Auf unserem Weg erfährt das physische Leben eine angemessene Bedeutung. Im Physischen befindet sich die Seele, welche eine direkte Vertreterin Gottes ist. Der Körper ist der Tempel und im Tempel befindet sich die Seele, der Altar. Beide müssen in guten Zustand erhalten werden, sowohl der Tempel, als auch der Altar. Wir fühlen, dass unser inneres Leben der Strebsamkeit und unser äußeres Leben der Widmung Hand in Hand gehen müssen. So wie eine Blume und ihr Duft, so können auch diese beiden nicht voneinander getrennt werden; sie müssen als zwei sich ergänzende Realitäten angenommen werden. Meine Schüler praktizieren Meditation und folgen dem spirituellen Leben, aber zur gleichen Zeit gehen sie auch ihren jeweiligen Berufen nach. Wir leben in der Welt und für die Welt.

Frage: Die meisten Menschen hier in diesem Abschnitt Südafrikas leiden sehr viel unter der alltäglichen Gewalt. Mich würde Ihre Meinung zu den Ursachen dieser Gewalt interessieren, und ob Sie eine Botschaft für uns haben, wie wir dagegen vorzugehen haben.

Sri Chinmoy: Die Ursache von Gewalt liegt in den Trennungen, die der Verstand erschafft. Der Verstand trennt immer; durch Abspaltung und Abtrennung der Wirklichkeit erhält er immense Zufriedenheit. Da er sich selbst als von den anderen Menschen getrennt wahrnimmt, will der Verstand immer seine Überlegenheit anderen gegenüber demonstrieren. Innerlich ist der Verstand gleichbedeutend mit Rastlosigkeit, die letzten Endes in Zerstörung endet. Lange bevor sich die Gewalt auf der äußeren Ebene manifestiert, findet sie in Form von Gedanken im Verstand statt.
Wenn der Verstand uns befiehlt, jemanden zu schlagen und wir auf ihn hören, dann hat er ab diesem Zeitpunkt die Vorherrschaft über uns gewonnen. Doch zu jeder Zeit gibt es etwas in uns, das uns daran erinnert, dass wir einen anderen Vorgesetzten haben: das Herz. Ganz anders als der Verstand, will das Herz nur Nähe und Einssein mit anderen errichten; es findet seine Zufriedenheit nicht in der Abspaltung, sondern in der Vereinigung. Das Herz sagt uns: „In der Zerstörung einer Person liegt nicht die geringste Freude, doch wenn du diese Person liebst, wirst du bleibende Freude erhalten.“

Wir müssen also beten und meditieren, um unseren rastlosen Verstand still werden zu lassen und um unseren unstrebsamen Verstand zu erleuchten. Wenn wir den Verstand verwandeln und im Herzen leben können, kann Gewalt nicht existieren.

Frage: Sind Ihre Friedenskonzerte auf irgendeine Art politisch?

Sri Chinmoy: Es gibt einige Wege, um Weltfrieden zu etablieren. Mein Weg ist zu beten, zu meditieren und meditative Friedenskonzerte anzubieten. Politik ist mir völlig fremd und ich werde die politische Arena auch nicht betreten. Meine Liebe für die Menschen schließt natürlich die Politiker mit ein, doch über ihre politischen Anschauungen wage ich keine Meinung abzugeben.

Seit meiner Kindheit praktiziere ich Spiritualität. Ich bin ein Mann des Gebetes. Ich bin ein Student des Friedens. Ich widme mich der Kunst der Selbstentdeckung und fordere meine Schüler auf, dasselbe zu tun. Menschen suchen mich auf, wenn sie nach innerem Frieden, innerem Licht und innerem Segen hungern. Politiker besuchen mich sehr, sehr oft, ebenso wie andere Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen, um mit mir gemeinsam zu beten und zu meditieren oder um in einem meditativen Bewusstsein meinen Konzerten zu lauschen.

Frage: Als Hindu glaube ich an die Gottverwirklichung als die höchste Wahrheit. Wie erreichen wir unser Ziel?

Sri Chinmoy: Gottverwirklichung ist ein äußerst schwieriges Fach. Man kann es mit der Besteigung des Himalayas vergleichen, allerdings keine einmalige Besteigung, sondern unzählige Besteigungen des Himalayas. Auf diesem Planeten leben Millionen von Menschen, doch wie viele davon wagten eine Besteigung des Himalayas? Die meisten von uns wagten nicht einmal einen Versuch; wir empfinden es als ein Ding der Unmöglichkeit. Glücklicher­weise müssen wir unsere Existenz hier auf Erden nicht durch eine Besteigung des Himalayas rechtfertigen, doch die inneren Berge müssen wir alle erklimmen. Gott wird keinem Menschen erlauben, unver­wirklicht zu bleiben.

Im äußeren Leben gibt es viele Hindernisse, die zu überwinden sind. Jeder Tag stellt in seinem hektischen Ablauf unzählige Anforderungen an uns. Wenn wir nicht allen Anforderungen nachkommen, so macht das nichts. Wenn wir zum Beispiel mit Leichtathletik nichts anzufangen wissen, ist es für uns nicht notwendig, Fußball zu spielen oder zu versuchen, der beste Läufer der Welt zu werden. Für unsere Entwicklung oder unser individuelles Wachstum brauchen wir nicht an einem äußeren Wettkampf teilnehmen. Doch selbst wenn wir nicht bewusst an einem äußeren Wettkampf teilnehmen, müssen wir wissen, dass unser Verstand immer läuft und immer in Bewegung ist, völlig ziellos, wie ein wildgewordener Elefant. Unser Verstand läuft diesen Weg, dann jenen Weg, und baut gleichzeitig feste Mauern, die uns von den anderen trennen.

Es gibt auch einen inneren Wettlauf – den zu unserem inneren Ziel. Die Christen nennen dieses Ziel Erlösung. Die Buddhisten nennen es Erleuchtung. Hinduisten gaben ihm den Namen Gottverwirklichung. Wir glauben, dass jeder Einzelne Gott zu seiner ihm vorbestimmten Zeit verwirklichen wird. Wenn für mich die Zeit reif ist, wird mich Gott definitiv mit der Gottverwirklichung segnen; wenn deine Zeit gekommen ist, wird Gott dich mit der Gottverwirklichung segnen.

Wenn unser Ziel Gottverwirklichung heißt, ist es unsere Aufgabe, dem regelmäßigen Gebet und der regelmäßigen Meditation höchste Priorität einzuräumen. Wir müssen aber auch wissen, wofür wir beten. Beten wir um Geld, für ein Haus, ein zweites Haus, ein drittes Haus? Wenn wir schon ein Auto besitzen, beten wir für ein zweites und drittes?

Wenn wir zu Gott beten, dass Er uns mit mehr materiellen Besitztümern segnen möge, befinden wir uns noch immer im Leben der Begierde, und die Gottverwirklichung liegt in weiter Ferne.
Es gibt einen anderen Weg, den wir das Leben der Strebsamkeit nennen. Im Strebsamkeitsleben beten wir zu Gott, uns nur jene Dinge zu geben, die wir wirklich benötigen; nicht jene Dinge, die wir haben wollen. Das höchste Gebet im Strebsamkeitsleben lautet: „Gott, Du weißt was ich brauche. Wenn es Deinem Willen entspricht, mir jene Dinge zu geben, die ich wirklich brauche, dann segne mich damit zu der von Dir festgelegten Stunde. Wenn Du mir nichts geben willst, so ist das ebenso alleine Deine Entscheidung. Ich will nur Dich auf Deine eigene Art und Weise zufrieden stellen.“

Wenn wir uns in einem Leben der Strebsamkeit befinden, beten wir zu Gott um die Fähigkeit, Ihn auf Seine Art und Weise zufrieden stellen zu können. Wenn wir das tun, haben wir den richtigen Weg eingeschlagen. Gottverwirklichung stellt sich zum richtigen Zeitpunkt ein, vorausgesetzt, wir gehen auch den richtigen Weg. Wenn wir also beten und meditieren, um Gott auf Gottes Art und Weise zufrieden zu stellen, wird die Gottverwirklichung definitiv zu uns kommen.

Frage: Engagieren Sie sich auch irgendwie politisch, um Frieden zu schaffen?

Sri Chinmoy: Ich mag mich nicht mit der Welt der Politik auseinandersetzen, denn sie gehört der Welt des Verstandes an. Ich will nur im Herzen leben und ich will in jedem einzelnen Land ein Meer des Friedens entdecken. Einige Länder führen zur Zeit Kriege; vielleicht beteiligen sich auch bald andere Länder an den Kriegen. Die Menschen erklären: „Wir wollen nie wieder Kriege führen.“ Doch solange wir im Verstand leben, der nicht vollständig erleuchtet ist, wird es immer Konflikte und Kriege geben. Der Verstand bleibt vielleicht für einige Tage, einige Monate oder sogar einige Jahre still, doch seine ureigenste Natur ist es, seine Überlegenheit zu demonstrieren.

Niemals würde ich den Versuch wagen, die Probleme in Bosnien oder in anderen Ländern mit politischen Mitteln zu lösen. Ich gehe meinen eigenen Weg, um Frieden zu schaffen; den Weg des Gebetes und der Meditation. Aber ich werde auch niemals jene verurteilen, die einen anderen Weg eingeschlagen haben. Alle Politiker sind meine Brüder und Schwestern, wir verfolgen dasselbe Ziel. Wenn sie das Ziel vor uns erreichen können, werde ich der glücklichste Mensch sein. Oder wenn sie, nachdem sie das Ziel erreicht haben, uns bitten, den Weg mit ihnen gemeinsam zu gehen, werden wir ihrer Bitte definitiv nachkommen. Doch zum momentanen Zeitpunkt fühlen wir, dass sie ihren und wir unseren Weg gehen müssen. Gott alleine weiß, welcher der bessere Weg ist! Doch tief in unserem Herzen empfinden wir, dass der Weg des Gebetes und der Meditation für uns der beste Weg ist.

Frage: Empfinden Sie, dass die Menschen dieser Welt sich von einem Leben der Spiritualität entfernen oder meinen Sie, dass ein schrittweises Erwachen in die Spiritualität stattfindet?

Sri Chinmoy: Es ist meine eigene, persönliche Überzeugung, dass die Menschheit heutzutage offener ist und sich dem Licht mehr zuwendet als früher. Vor zwanzig, dreißig Jahren war Frieden einfach nur ein Wort im Wörterbuch. Die Menschen verwendeten dieses Wort, doch sie meinten es nicht; sie wollten nicht einmal wissen, was es eigentlich bedeutet. Doch nun gibt es viele Menschen auf dieser Welt, die vollkommen aufrichtig an den Frieden glauben und ein Leben des Friedens führen wollen. Wir sind immer noch nicht vollständig erwacht, doch zumindest empfinden wir jetzt die erhabene Notwendigkeit des Weltfriedens.

Die Welt macht in jenem Ausmaß Fortschritt, wie sie Frieden und Licht annehmen kann. Einige wenige Menschen nehmen diese Botschaft bewusst an, während andere sie unbewusst akzeptieren. Wieder andere sind sich ihrer gar nicht bewusst und haben auch kein Interesse daran. Doch wenn wir von der Mehrheit sprechen, so kann ich völlig aufrichtig behaupten, dass sich jetzt mehr Menschen dem Licht zuwenden als früher.

Frage: Was inspirierte Sie, diesem Weg des Friedens zu folgen?

Sri Chinmoy: Wenn wir beten und meditieren, kommt eine Zeit, in der wir innere Botschaften wahrnehmen können. Wir könnten es auch so ausdrücken: etwas in uns zwingt uns gewisse Dinge zu tun. Ich bete und meditiere seit vielen Jahren. Tief in mir vernahm ich eine innere Stimme, die wir die Stimme des Inneren Führers oder die Stimme Gottes nennen, und sie befahl mir, Ihm zu dienen, indem ich meine Gebete und Meditationen der gesamten Welt anbiete und mit anderen Menschen die Botschaft des Friedens teile.

Wir alle hier sind Schüler des Friedens. Frieden ist ein gemeinsames Fach, das wir alle in derselben Schule erlernen – die Schule unseres Herzens. Was ich auch immer über Frieden gelernt habe, ich bin hier, um genau das mit euch zu teilen. Aber ich bin auch hier, um von euch zu lernen. Ich bin nicht nur ein Lehrer, sondern auch ein Lernender. Immer noch lerne und lerne ich, denn Frieden ist umfangreicher als jedes andere Fach.

Frage: Sie erwähnten den Kampf zwischen dem Herzen und dem Verstand. Wenn wir nun ein Gebiet, wie Kwa Zulu Natal betrachten, wo so viele Menschen getötet und die Herzen vieler Menschen entweder verhärtet oder gebrochen wurden, ist es für diese Menschen viel schwieriger dem richtigen Weg zu folgen, als für andere Menschen, die ein friedlicheres beziehungsweise ein normales Leben führen?

Sri Chinmoy: Das hängt ganz und gar von der einzelnen Person ab. Jene Personen, denen der Frieden durch äußere Umstände oder durch ungöttliche Menschen verwehrt wird, empfinden oftmals einen größeren inneren Hunger nach Frieden als jene, die bereits mehr oder weniger Frieden gefunden haben. Menschen, die unnötiges Leid erfahren mussten, haben mehr Bereitschaft, zu Gott zu beten und Sein Licht zu empfangen, als jene, die bereits über einen gewissen Frieden im Verstand verfügen. Während sich also die Glücklicheren an den Vergnügungen erfreuen, die der begrenzte Frieden ihnen bietet, werden jene, die durch Leid einen gewaltigen inneren Hunger nach Frieden entwickelten, früher von Gott mit ausreichendem Frieden gesegnet.

Wenn unschuldige Opfer aus dem innersten Winkel ihres Herzens rufen, wird ihr Ruf Gottes Herz schmelzen lassen. Doch es stellt sich die Frage, ob jemand einen wahren Hunger nach Frieden empfindet oder ob derjenige sich einfach seinem Schicksal ergeben hat. Manche Menschen verlieren ihren Glauben an Gott, wenn ihre Verwandte von ungöttlichen Menschen getötet werden. Sie sagen sich: „Meine Lieben haben nichts verbrochen. Wenn Gott tatsächlich unendliches Mitleid hat, warum hat Er dann zugelassen, dass sie getötet wurden?“ Diese Menschen könnten sich innerlich auflehnen und behaupten, Gott sei weder dynamisch noch aktiv, dass Er vielleicht sogar schlafe. Sie könnten über den Tod ihrer Lieben auch dermaßen aufgebracht sein, dass sie sich sogar zu der Behauptung hinreißen lassen: „Es gibt keinen Gott!“ Diese Menschen suchen leider nicht das Licht. Sie beten nicht um Licht, damit es jene erleuchte, die ihre Lieben attackierten. Würden sie das tun, würde Gott die Geisteshaltung der ungöttlichen Menschen definitiv verwandeln. Der aufrichtige Ruf der Opfer nach Erleuchtung der Missetäter würde Gottes Herz erreichen. Wenn wir also zu Gott auf die richtige Art beten, werden sowohl jene, die falsch gehandelt haben, wie auch jene, die in naher Zukunft falsch handeln würden, erleuchtet.

Frage: Ich habe herausgefunden, dass Musik die Fähigkeit hat, Menschen zu ändern, obwohl ich jetzt nicht die politische Veränderung meine. Ich würde gerne Ihre Meinung über Musik hören.

Sri Chinmoy: Wir müssen unterscheiden zwischen einer Musik, die dahin tendiert, unsere Nerven und unseren subtilen Körper zu zerstören, und einer gebetserfüllten Musik, die uns reine Freude zu geben vermag und uns inspiriert, bessere Bürger dieser Welt zu werden. Gebetserfüllte und seelenvolle Musik wird uns definitiv behilflich sein, Weltfrieden und Einssein in der Weltgemeinschaft zu etablieren, denn diese Musik übt eine gewisse Anziehung auf das Herz aus. Es erweckt und vertieft unsere Sehnsucht nach einem besseren Leben. Wenn wir göttliche Musik selbst spielen oder ihr zuhören, oder wenn wir göttliche Lieder singen, wird es für uns leichter, das Licht in uns zu erkennen. Sie hilft uns auch, genau dieses Licht zu steigern und es hervor zu bringen, damit wir jene Dunkelheit, die der Verstand hat und ist, transformieren können.

Teil III

SCA 376-377. Am 25. Mai 1996 beantwortete Sri Chinmoy einige Fragen, die von dem Fernsehproduzenten und Autor Joel Martin gestellt wurden.

Frage: Haben jene Botschaften, die Hinterbliebene von Verstorbenen erhalten, für uns hier auf der Erde irgendeine Bedeutung? Und kann man – wenn man eine solche Botschaft erhält, diese der Welt einfach mitteilen?

Sri Chinmoy: Diese Botschaften haben eine Bedeutung für uns, ganz besonders, wenn wir uns hier auf der Erde befinden. Die Seelen, die in die andere Welt gegangen sind, können uns viel lehren. Unglücklicherweise hören wir sehr, sehr selten auf sie; genauso wenig, wie sie selbst auf ihre Freunde und Verwandten hörten, solange sie selbst noch auf der Erde weilten. Sogar wenn sie uns Botschaften vom Himmel oder von einer sehr hohen Bewusst­seinsebene übermitteln, hören wir sehr oft nicht auf sie.

Mein lieber Bruder-Freund Joel, ich bin auf der äußeren Ebene kein Millionär und ich werde auch niemals einer sein, da Gott es nicht will. Doch auf der inneren Ebene, hier spreche ich die inneren Erfahrungen an, bin ich ein Multimillionär. Mit den Seelen Verstorbener erlebte ich Millionen von Erfahrungen. Doch diese Erfahrungen kann ich der Öffentlichkeit nicht preisgeben. Kraft meiner persönlichen Verwirklichung der höchsten Wahrheit, besitze ich freien Zugang zu den verstorbenen Seelen, ganz gleich, wie wichtig oder unwichtig diese Personen waren. Doch ich missbrauche meine Fähigkeit nicht. Ich halte mich einfach an die Befehle meines inneren Führers. Nur wenn Er will, dass ich ihre Botschaften anderen mitteile, gehorche ich Ihm treu und ergeben.

Frage: Was sagt ein spiritueller Meister und Gelehrter wie Sie zu einem westlich orientierten Wissenschaftler, der schon alleine die Idee von Botschaften, die uns die Toten überbringen sollen, als Einbildung oder Halluzination abtut?

Sri Chinmoy: Es gibt viele Dinge auf der Welt, die wir äußerlich nicht beweisen können. Aber nur, weil uns die notwendigen Mittel fehlen, es zu beweisen, dürfen wir nicht einfach behaupten, etwas existiere nicht. Sagen wir, ich hätte eine absolut köstliche Mango verzehrt. Wenn Sie mir entgegnen: „Beweisen Sie es!“, wie sollte ich das tun? Meine Freude liegt im Verzehr der Mango, nicht in der Beweisführung. Wenn ein Wissenschaftler etwas beweisen will, führt er uns in sein Labor. Wenn wir auf der spirituellen Ebene etwas beweisen wollen, müssen wir den Wissenschaftler in die innere Welt mitnehmen. Um in die innere Welt eintreten zu können, benötigen wir ein Ticket. Es ist vergleichbar, wie wenn wir von New York nach Indien fliegen wollten. Ohne Flugticket können wir nicht fliegen. Und hier ist es genauso. Ohne Gebet und Meditation – welche unser inneres Ticket verkörpern – können wir nicht in die innere Welt gelangen. Gibt es einen Wissenschaftler, der bereit ist, wie ein wahrer Sucher und Gottliebender zu beten und zu meditieren? Wenn dem so ist, wird er erkennen, dass eine Kommunikation mit Wesen aus anderen Welten zweifellos wahr ist.

Wissenschaftler erhalten enorme Freude, indem sie ihre Theorien beweisen; doch ein spiritueller Meister erhält nur dann Freude, wenn er den Befehlen des Absoluten Höchsten Herrn atemlos und schlaflos gehorcht. Er kann ganz leicht mit den in die andere Welt gegangenen Seelen kommunizieren und er kann auch noch viel mehr. Wenn andere das nicht sehen können und es deswegen nicht glauben, so macht das dem Meister nicht das Geringste aus. Die wahren spirituellen Meister kommen nicht in diese Welt, um die Authentizität ihrer Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nein, sie kommen in diese Welt, um Gott zu dienen. Mögen die Wissenschaftler durch ihre eigene Annäherungsweise an ihre Wirklichkeit, die ihnen bestimmt ist, Freude finden! Und mögen die spirituellen Meister bei der Ankunft an ihrem Bestimmungsort auf ihre eigene, unnachahmliche Weise Freude finden.

Teil IV

SCA 378-388. Am 19. Februar 1996 fand ein Treffen zwischen Sri Chinmoy und dem japanischen Komponisten und Konzertpianisten Masanobu Ikemiya in dem Restaurant ANNAM BRAHMA in Queens, New York, statt. Die folgenden Fragen stellten Herr Ikemiya und seine Freunde.

Frage: Wenn Sie die verschiedenen Instrumente spielen, drücken Sie dann verschiedene Qualitäten aus?

Sri Chinmoy: Jedes Instrument besitzt seine eigene einzigartige Seele. Und jedes Mal, wenn wir ein Instrument spielen, drückt die Seele dieses bestimmten Instrumentes eine andere Eigenschaft aus. Aber auch unsere eigene Seele kann, während wir ein Instrument spielen oder singen, jeden Augenblick eine weitere Eigenschaft hervorbringen. Die Seele kann ihre Kleidung sehr schnell wechseln. In diesem Moment trägt sie diese Kleidung; im nächsten Moment trägt sie eine andere. Doch eigentlich ist es nicht eine Kleidung; es ist der Duft der Seele, der sich verändert.

Während du spielst, bietet deine Seelenblume einen seelenvollen und gebetserfüllten Duft an. Dann vollzieht sich in deinem Bewusstsein eine Veränderung und die Seelenblume bietet einen anderen Duft an. Es ändern sich weder Melodie noch Musik, nein! Dein eigenes Bewusstsein ändert sich; und so manifestiert oder drückt deine Seele eine andere Qualität aus. Die Seele besitzt zahllose Eigenschaften; welche sie zu welchem Zeitpunkt ausdrückt, hängt vom Bewusstsein des Musikers ab.

Frage: Spüren Sie die Qualitäten, wenn Sie spielen?

Sri Chinmoy: Wenn ich spiele versuche ich zur Verkörperung dessen zu werden, was meine Seele ausdrücken will. Ich spiele vielleicht ganz falsche Noten, aber meine Seele kümmert sich nicht darum. Meine Seele fragt nicht nach meiner Perfektion. Sie will, dass ich gebetserfüllt und seelenvoll spiele. Sie will nur wissen, wie groß das Ausmaß meiner mentalen Reinheit ist und wie weit ich ein psychisches Einssein mit meinem inneren Leben herstellen konnte. Die Seele kümmert sich nicht im geringsten um die Spielfertigkeit; sie schaut nur, in welchem Ausmaß ich mit der inneren Welt übereinstimme.

Frage: Als Pianist fühle ich mich manchmal in der Technik so gefangen, dass ich die Seele verliere; oder dass ich vergesse, was ich ausdrücken will.

Sri Chinmoy: Wenn Sie drei oder vier Minuten lang meditieren können, bevor Sie zu spielen beginnen, wird Ihr Verstand von Licht durchdrungen werden. Dann wird Ihr Verstand klar sein und die Verwirrung wird es nicht wagen, in ihn einzutreten. Dann werden Sie nicht an die Technik denken; diese wird sich von alleine einstellen. Alles kommt vom Licht – sogar die Technik. Das Licht wird die Fingerfertigkeit anziehen.

Wenn der Besitzer eines Restaurants einen seiner Angestellten um einen Gefallen bittet, wird dieser sofort versuchen, ihn zufrieden zu stellen. Auf ähnliche Art und Weise wird, wenn Sie selbst Licht verkörpern, das Licht in Ihnen der Technik befehlen, für Sie zu spielen, und Sie gehen weit über den Bereich der Technik hinaus. Nun denken Sie über die Technik nach; Sie bitten sie, für Sie zur Verfügung zu stehen. Doch dann wird die Technik sich danach verzehren, Ihnen zu dienen und Sie zufrieden zu stellen, denn dann sind Sie der Chef.

Eine oder zwei Minuten in Stille zu verbringen, bedeutet, ein wenig Taschengeld zu besitzen. Wenn Sie etwas Geld in Ihrer Geldbörse haben, können Sie im Supermarkt die Dinge kaufen, die Sie haben wollen. Wenn Sie zwei, drei Minuten lang meditieren, sammeln Sie einen inneren Reichtum an – Frieden, Licht und Glückseligkeit. Wenn Sie dann vor Ihrem Publikum stehen – noch bevor Sie zu spielen beginnen – teilen Sie diesen Reichtum ganz spontan mit Ihren Zuhörern.

Das heißt, bereits bevor Sie zu spielen begonnen haben, konnten Sie Ihr Publikum schon zufrieden stellen. Und es wird Ihnen freundlich gesinnt bleiben, selbst wenn Sie einige Noten nicht treffen sollten.

Man kann es mit einer Mutter und ihrem Kind vergleichen. Wenn ein Kind ein Instrument spielt, unterlaufen ihm unzählige Fehler, doch die Mutter denkt sich: „Oh, es spielt ausgezeichnet.“ Die Liebe, die die Mutter für ihr Kind empfindet, lässt sie fühlen, dass was immer das Kind auch vorführt, ausgezeichnet ist. Wenn Sie also Ihren inneren Reichtum, noch bevor Sie spielen, austeilen können, wird das Publikum Sie nicht verurteilen, denn es ist bereits zufriedengestellt. Sie können spielen, wie Sie wollen, das Publikum wird mit Ihnen zufrieden sein.

Wenn ich für meine Schüler spiele, kümmern sie sich nicht um meine Fehler. Warum? Weil ich – bevor ich spiele – mit ihnen meditiere und wir ein gegenseitiges Einssein errichten. Zu diesem Zeitpunkt sind sie innerlich so glücklich und zufrieden, dass ihr Verstand und ihr Herz glücklich bleiben, ganz gleich, wie schlecht meine äußere Aufführung auch ist. Wenn du glücklich und von innerer Wonne durchdrungen bist, siehst du keine Fehler. Wenn man sich in einem sehr hohen Bewusstseinszustand befindet, kann einem nichts anhaben; alles ist Freude.

Es ist wie mit einem Gastgeber, der versucht, seine Gäste zufrieden zu stellen, sobald sie eintreten. Wenn der Gastgeber am Tor steht und ihnen eine Blume überreicht oder sie anlächelt und mit ihnen spricht, ist bereits die halbe Schlacht gewonnen. Ganz gleich, was er sonst noch unternimmt, alles ist gut, weil er bereits das Herz seiner Gäste gewonnen hat. Doch wenn die Gäste hereinströmen und der Gastgeber befindet sich an einem anderen Ort, werden sie sagen: „Schau sich das einer an! Er zeigt weder Gefühl noch Verantwortungsbewusstsein!“

Frage: Wir sind alle furchtbar nervös, wenn wir die Bühne betreten, aber wir lassen es uns nicht anmerken.

Sri Chinmoy: Jeder empfindet Nervosität, doch kraft unserer Gebete und Meditationen können wir sie größtenteils, wenn nicht sogar ganz, besiegen. Zusätzlich zu Gebet und Meditation gibt es noch etwas, das Sie praktizieren können. Anstelle im Publikum Tausende Menschen zu erblicken, stellen Sie sich vor, dass es nur eine Person gibt, einen Zuhörer. Dann fühlen Sie, dass diese eine Person nicht einmal ein Musiker ist. Es ist niemand, der Sie kritisieren wird, sondern ein ganz gewöhnlicher Mensch. Da Sie selbst der viel, viel bessere Musiker sind, weswegen sollten Sie sich dann Sorgen machen?

Oder fühlen Sie, dass er Ihr größter Bewunderer ist, und Sie spielen nur aus reinem Mitgefühl für ihn. Das sollten Sie jedoch nicht auf eine aggressive, sondern auf eine verständnisvolle Weise tun. Reduzieren Sie also die tausend Menschen im Publikum auf eine Person und empfinden Sie, dass diese Person Ihr höchst aufrichtiger Bewunderer ist.

Frage: Ich habe Probleme, mein Leben zu organisieren. Fällige Rechnungen zu bezahlen und die alltäglichen Arbeiten zu erledigen nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass für die Musik nicht genügend Zeit übrig bleibt. Es existieren so viel unnötige Dinge in meinem Leben; es gleicht beinahe meinem Verstand. Ich sehne mich danach ein einfaches Leben zu führen, doch um in dieser Welt bestehen zu können, muss man so vieles erledigen.

Sri Chinmoy: Sie brauchen die Stille, nicht den Klang. Der Klang kann durch die Stille selbst still gemacht werden. Wenn man meditiert, gelangt man zum Reich der Stille. Auf der Oberfläche gibt es riesige Wellen, doch diese bilden nur einen kleinen Teil des Ozeans. Auf dem Grund des Ozeans existiert tiefe Stille.

Sie sprechen über zu bezahlende Rechnungen und die vielen anderen Dinge, die zu erledigen sind. Sie müssen sich diese Dinge als kleine Äffchen vorstellen, die Sie beißen wollen; sie beißen jedoch nicht Ihren Körper, sondern Ihren Verstand. Wenn Sie nun einen großen, dicken Stock zur Hand nehmen, fürchten sich die Äffchen und hören auf zu beißen. In diesem Fall ist der Stock Ihre innere Stille. Wenn Sie Ihren Verstand absolut stillhalten können, werden Sie erkennen, welche Dinge die höchste Priorität haben. Sie sind Musiker, kein Sekretär oder Politiker. Wenn Sie bestimmte Briefe nicht beantworten, wird die Welt nicht aufhören, sich zu drehen. Doch wenn Sie der Musik nicht Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken, werden Sie auf der ganzen Linie verlieren.

Andererseits müssen Sie auch praktisch denken und Ihre Rechnungen bezahlen. Doch das dazu notwendige Geld kommt durch Ihre Musik. Man muss sich also immer der Quelle zuwenden. Musik ist die Quelle Ihres inneren Lebens und ebenso die Quelle Ihres äußeren Lebens.

Wenn Sie Ihrer Musik Ihre ganze Aufmerksamkeit schenken, werden Sie von Ihrer Musikwelt enorme Freude erhalten. Wenn Sie dann diese Freude empfinden, nehmen Sie einen Brief, den Sie vor drei oder sogar schon vor sechs Monaten erhalten haben, und beantworten ihn. Nehmen Sie nichts in Angriff, wenn Sie unglücklich sind. Zuerst lassen Sie sich durch Ihre Musik mit Freude beschenken. Sobald Ihr Verstand mit Freude durchdrungen ist, kommt alles andere wie von selbst. Doch wenn Sie den wirklich wichtigen Dingen – in Ihrem Fall die Musik – nicht den ersten Platz einräumen, wird alles schief gehen.

Ich habe ein bestimmtes Lied, das die Quelle all meiner Musikstücke ist; ich nenne es die INVOCATION (Anrufung). Ich singe und spiele die Invocation jeden Tag oder höre sie mir auf einer Kassette an. Vorher meditiere ich. Auch jeder einzelne meiner Schüler singt früh am Morgen vor seinem Altar die Invocation. Dadurch schwingen sich ihre äußere und innere Welt auf die universelle Harmonie ein. Für mich und meine Schüler stellt die Meditation die höchste Form der Musik dar. Ein Leben ohne Meditation stimmt nicht mit der inneren Harmonie überein.

Frage: Wie schaffen Sie es, jeden Tag dasselbe Ausmaß an Inspiration zu fühlen?

Sri Chinmoy: Ich in meinem Fall verhandle mit der Quelle, die unerschöpflich ist. Jeden Tag trete ich in meinen Herzensgarten ein, in dem es sehr viele und sehr schöne, duftende Blumen gibt. Wenn wir durch unsere Gebete und Meditationen jeden Tag in unseren Herzensgarten einzutreten vermögen, werden wir fortwährend mit einem Nachschub an innerer Schönheit und innerer Reinheit versorgt. Wenn es uns nicht gelingt, in die Tiefe unseres Herzens vorzudringen, wenn wir nur den Dschungel des Verstandes betreten können, werden wir nur gelegentlich Blumen finden. Um jederzeit Blumen um sich zu haben, müssen wir in das Herz eindringen. Das Herz verfügt immer über Neuheit und Frische, weil es mit dem universellen Geist eins geworden ist. Jeden Tag bietet es uns eine neu erblühende Morgenröte an.

Frage: An manchen Tagen fühle ich mich völlig niedergeschlagen und dann wieder befinde ich mich in Hochform.

Sri Chinmoy: An einem Tag klettern wir den Lebensbaum hinauf, am anderen Tag klettern wir herab. Wir müssen weise sein. Wenn wir den Baumwipfel erklimmen können, müssen wir uns vorstellen, dass wir Früchte pflücken. Wenn wir dann wieder hinabklettern, müssen wir – anstelle uns elend zu fühlen – die Empfindung hervorrufen, dass wir die eingesammelten Früchte verteilen. Es existiert Freude im Nehmen und es existiert Freude im Geben. Wenn wir oben sind, nehmen wir; wenn wir unten sind, geben wir. Doch wenn wir uns diese Lebenseinstellung nicht aneignen können, werden wir uns, wenn wir hinabgeklettert sind, elend fühlen, weil wir nichts zu tun haben. Doch das stimmt nicht, wir haben etwas zu tun – wir müssen unseren Reichtum mit dem Rest der Welt teilen.

Frage: Ist das Geben genauso wichtig wie das Empfangen?

Sri Chinmoy: Wenn der Vater dem Kind ein Bonbon gibt und das Kind schenkt dem Vater ein süßes Lächeln, wird dieses Lächeln das Herz des Vaters erobern. Für das Kind ist das Lächeln alles, was es hat. Wenn es also den Vater anlächelt, gibt es dem Vater all seinen Reichtum.
Wenn wir dem spirituellen Leben folgen, erkennen wir, dass wir niemals etwas an eine dritte Person geben; der Gebende und der Empfangende sind ein- und dieselbe Person.

Gott ist in jedem. Diesen Moment übernimmt Gott die Rolle des Gebenden in mir, im nächsten Moment übernimmt Er die Rolle des Empfangenden in dir. Dann findet es auf umgekehrte Weise statt. Es ist so, als gebe die linke Hand etwas der rechten Hand. Allerdings kann Gott, der Gebende erst dann glücklich sein, wenn Gott, der Empfangende das Angebotene annimmt. Wenn der Vater dem Kind etwas geben will und das Kind es aber nicht nimmt, ist der Vater traurig. Doch wenn das Kind es nimmt und damit glücklich ist, ist es der Vater ebenso. Es ist ein beidseitiges Glück, bei dem der Gebende und der Nehmende gleich wichtig sind.

Wenn Sie ein Meisterstück spielen, das Publikum dafür aber nicht empfänglich ist, sind Sie sehr traurig. Nur wenn das Publikum sehr, sehr aufmerksam ist und Freude durch Ihre Aufführung erhält, empfinden auch Sie enorme Freude. Die Freude muss also auf beiden Seiten vorhanden sein. Im Leben müssen wir alles teilen. Was Sie haben, müssen Sie mit mir teilen. Was ich habe, muss ich mit Ihnen teilen. Sonst gibt es kein Glücklichsein.

Frage: Da Teilen allen Freude schenkt. bin ich derjenige, der damit beginnen muss?

Sri Chinmoy: Jemand muss beginnen. In einem Staffellauf gibt es vier Läufer. Doch einer muss starten. Wenn alle gleichzeitig starten, werden sie kollidieren und ein Chaos wird ausbrechen. Einer läuft die Runde zu Ende, dann beginnt der nächste. Die ganze Welt funktioniert auf diese Weise. Doch einer muss mit seinem selbst-gebenden Herzen beginnen.

Frage: So viele Menschen in diesem Land schätzen die Musik, die Poesie oder den Tanz nicht mehr. Sie sehen darin keinen Wert. Glauben Sie, dass sich das ändern wird?

Sri Chinmoy: Das ist nur eine Frage der Zeit. Der Fleiß und die Selbsthingabe der Musiker, Dichter und Künstler wird letzten Endes die Ruhelosigkeit oder Unwilligkeit des Publikums besiegen. Wenn der Aufführende über Bereitschaft, Willigkeit und Fleiß verfügt, wird er bestimmt das Herz des Publikums für sich gewinnen können. Zum momentanen Zeitpunkt ist das Publikum wie ein unartiges Kind, doch wenn die Mutter ein extrem freundliches Herz und unendliche Geduld besitzt, wird die Mutter letztendlich gewinnen. Die mitleidsvollen Tränen der Mutter oder ihr Lächeln werden letztlich das Herz des Kindes erobern.

Frage: Genauso müssen wir mit unserem eigenen Verstand auch verfahren!

Sri Chinmoy: Genau! In all unseren Handlungen benötigen wir Geduld. Wenn ein kleines Kind beginnt, das Laufen zu lernen, fällt es immer wieder hin. Nach einer Weile könnte das Kind den Entschluss fassen: „Nein, jetzt versuche ich nicht mehr aufzustehen!“ Doch es empfindet innerlich einen extrem starken Zwang das Laufen zu lernen. Es sieht seinen Vater, seine Mutter, seinen älteren Bruder gehen, und so will es selbst auch gehen können. Diese Geduld, die ein Kind unbewusst ausübt, muss ein Erwachsener bewusst ausüben. Geduld ist für ein Kind völlig natürlich, denn es lebt ständig in seinem Herzen.

Die Erwachsenen leben im Verstand. Deswegen müssen sie sehr hart an sich arbeiten, um diese Herzensqualität wieder zurück zu erlangen. Wenn wir uns im Verstand befinden, verkümmert alles und wird verdreht. Wir müssen deshalb den aufsässigen Verstand unter die Kontrolle des Herzens bringen.

Teil V

SCA 389-394. Die folgenden Fragen wurden am 26. Mai 1996 beantwortet:

Frage: Guru, hattest Du vor Deiner Gottverwirklichung viele hohe Erfahrungen?

Sri Chinmoy: Ich hatte einige Erfahrungen, bevor ich meiner Gottverwirklichung gewahr wurde. Ein paar dieser Erfahrungen brachte ich bereits zu Papier. Eine meiner höchsten Erfahrungen war, wie ich die Erde verlassen wollte. Aber Mutter Erde mich bat, hier zu bleiben, um für die Manifestation zu arbeiten. Auch die Erfahrungen, die ich in den Gedichten ‚The Absolute’ und ‚Immortality’ festhielt, waren sehr hohe Erfahrungen.

Eine hohe Erfahrung hatte ich auch ungefähr drei Monate nach meinem Eintritt in den Sri Aurobindo Ashram. Die jungen Burschen und Mädchen im Ashram hatten selbstlosen Dienst zu verrichten, und meine Aufgabe war es, im Reisfeld zu arbeiten. Während ich dort meine Arbeit versah, bemerkte ich, dass sich einer der Mangobäume zur Erde neigte. Ich blickte den Baum an und überall im Baum – in allen Früchten und Blättern – sah ich meinen Lord Krishna. Krishna war hier, Krishna war dort; überall sah ich Lord Krishna! Vor dieser Erfahrung dachte ich nie an Lord Krishna; ich meditierte auf Sri Aurobindo und die Mutter. Doch ich war so begeistert, als ich überall Lord Krishna wahrnehmen konnte. Mein liebster Kindheitsfreund befand sich damals mit mir auf dem Felde. Ich sagte zu ihm: „Schau nur, schau nur, was ich sehe!“

Er hatte mich so gerne, dass er nicht einmal daran dachte, einen Beweis zu verlangen, oder meine Vision als eine mentale Halluzination abzutun. Er selbst sah nichts. Diese Erfahrung werde ich niemals vergessen.

Ein anderes Mal, als ich in der Meditationshalle des Ashrams meditierte, stieg mein inneres Wesen hoch, höher, am höchsten empor. Ich schwamm geradezu in einem Meer der Ekstase. Ich sagte zu mir selbst: „Ich kann nicht mehr höher steigen.“ Ich war so zufrieden mit dieser Höhe. Aber, oh Gott, dann erkannte ich, dass diese Höhe bloß der Ausgangspunkt war! In einem flüchtigen Moment stieg ich noch viel höher. So ging es für zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde dahin. Jedes Mal, wenn ich eine neue Höhe erreichte, war das Menschliche in mir so zufrieden. Das Menschliche in mir sagte: „Es ist genug, genug, genug!“ Doch ich stieg immer noch weiter hinauf. Jedes Mal, wenn ich eine bestimmte Höhe erreichte, welche das Menschliche in mir mehr als ausreichend zufrieden stellte, gab das Göttliche mir einen weiteren Anstoß, noch höher aufzusteigen. Auch diese besondere Erfahrung werde ich niemals vergessen.

Ich habe auch schon oft erzählt, wie Mutter Saraswati mir all ihre Weisheit und inneren Fähigkeiten schenkte. Sie kam herab und spielte für mich, dann brach sie ihre Vina in Stücke und entleerte sie in mich. Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich in meinem absolut, absolut höchsten Bewusstsein.

Diese inneren Erfahrungen halfen mir in einem beträchtlichen Ausmaß. Wenn du einmal diese Art hoher, solider Erfahrungen erhältst, weißt du, dass du in Sicherheit bist, und dass du eines Tages das Höchste verwirklichen wirst. Wenn du dann deine vollkommene Verwirklichung erreicht hast und du in ihr völlig verwurzelt bist, verschwinden viele dieser früheren Erfahrungen. Es ist möglich, sich sogar an alle weniger hohen Erfahrungen zu erinnern, aber im Grunde genommen lässt man sie einfach los. Wenn du Tausende Hundert-Dollar-Noten bekommst, wirst du nicht anfangen, deine Dimes, Nickel und Penny zu zählen. Nach deiner Verwirklichung empfindest du die meisten deiner Erfahrungen so nichtssagend wie kleine Tropfen. Sogar die höchsten Erfahrungen sind vor der Gottverwirklichung wie kleine Tropfen. So ist das.

Frage: Sind innere Erfahrungen eine Grundvoraussetzung für die Gottverwirklichung?

Sri Chinmoy: Manche Menschen werden mit Hunderten oder noch mehr Erfahrungen gesegnet. Manche haben zehn oder zwanzig Erfahrungen. Wieder andere haben vor der Gottverwirklichung nur ein paar bedeutende Erfahrungen, aber diese sind in ihrem Leben äußerst wichtig. Doch es ist üblich, dass man – bevor man die Gottverwirklichung erreicht beziehungsweise sich an die Gottverwirklichung erinnert, die man in einer früheren Inkarnation erreicht hat – zumindest vier bis fünf bedeutende Erfahrungen erlebt.

Manche Personen machen diese bedeutenden Erfahrungen, die dann tage- oder wochenlang anhalten, doch anschließend fällt ihr Bewusstsein und sie können für eine lange Zeit keinerlei hohe Erfahrungen mehr machen. In dieser Zeit fühlen sie sich völlig miserabel. Vivekananda durchlief Trockenperioden von einer Dauer bis zu sechs Monaten. Doch er pflegte sich selbst auszutricksen. Er machte es sich zur Gewohnheit, sich an seine höchsten Erfahrungen der Vergangenheit zu erinnern – zum Beispiel wie Sri Ramakrishna ihn am Kopf berührte – und er zwang sich selbst, diese Erfahrungen wieder zu durchlaufen. Eine oder zwei Stunden befand er sich nur in der Welt der Imagination, Imagination, Imagination. Er besaß eine derartig starke Willenskraft, dass diese Erfahrungen wieder sichtbar und zum Leben erweckt wurden. Und es gelang ihm, sie noch einmal durchzuleben.

Wenn ihr also im Moment keine Erfahrungen macht, versucht euch an eure bereits durchlaufenen Erfahrungen zu erinnern und wendet eure Vorstellungskraft an, um sie zurück zu bringen. Dann werden diese Erfahrungen nicht nur zurückkehren, sondern sie werden euch auch dabei helfen, vorwärts, zur nächsten Erfahrung zu gehen, die unendlich stärker, erleuchtender und schöner sein wird. Man braucht keine fünfzig oder hundert innere Erfahrungen, um die Gottverwirklichung zu erlangen, doch sie sind uns dabei definitiv behilflich. Wenn wir während unserer Reise auf der Straße der Ewigkeit schattenspendende Bäume und schöne Blumen sehen, erhalten wir enorme Freude. Manche empfinden, dass diese schönen Blumen und Bäume bloß Versuchungen sind. Sie sagen: „Wenn ich an den Blumen rieche, befürchte ich, dass mich der Duft umfängt und festhält. Während ich die Schönheit der Blumen bewundere, werden mich jene, die bisher mit mir gereist sind, überholen. Diese Art Erfahrung will ich mir ersparen.“

Doch manche besitzen Weisheit. Sie sagen: „Wenn bereits hier die Blumen so schön sind, werden die Blumen an dem Ort meiner Bestimmung noch viel schöner und wohlriechender sein.“ Und so betrachten und schätzen sie die Schönheit der Blumen, um dann weiterzugehen.
Innere Erfahrungen helfen uns; sie schenken uns eine Art Frucht. Wenn wir eine bestimmte Erfahrung nicht mögen, können wir sie einfach wegwerfen. Und wenn wir eine bestimmte Erfahrung mögen, können wir versuchen, sie noch einmal zu erleben. Manche Erfahrungen haben eine derartige Kraft und Macht, dass sie die menschliche Natur völlig transformieren können. Wenn uns solch eine Erfahrung zuteil wird, kann sie unser ganzes Leben – innerlich und äußerlich – völlig ändern.

Einige meiner Schüler sind bereits seit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren auf unserem Weg und sind vielleicht während dieser Zeit nicht allzu schnell gelaufen. Doch wenn sie eine einzige solch hohe Erfahrung erleben und diese ein oder zwei Wochen lang aufrecht erhalten könnten, würden sie in diesen zwei Wochen mehr Fortschritt erzielen, als in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren. Unglücklicherweise haben wir keine Ahnung, zu welchem Zeitpunkt so eine Erfahrung eintreten wird. Es ist wie das Anzünden eines Streichholzes. Wenn wir mit dem Streichholz nicht über die richtige Fläche der Schachtel streichen, wird es sich nicht entzünden. Oder wenn wir bei einem Gasherd den Schalter nicht in die richtige Position bringen, wird sich die Flamme nicht entzünden. Wenn wir den Schalter nur ein klein wenig drehen kommt keine Flamme; doch sobald wir ihn noch ein Stück weiterdrehen, entzündet sich die Flamme.

Frage: Eine der Schülerinnen erzählte mir, dass je länger sie die Spiritualität praktizierte, desto mehr verstärken sich ihre schlechten Eigenschaften. Wie ist das möglich?

Sri Chinmoy: Manche Schüler auf unserem Weg sagen: „Das erste oder zweite Jahr, nachdem ich diesem Weg beigetreten bin, war ich voller Liebe, Ergebenheit und Selbsthingabe. In dieser Zeit versuchte ich, die Eifersucht zu besiegen; ich versuchte, die Unsicherheit zu besiegen. Auf jede nur erdenkliche Weise versuchte ich, göttlich zu sein.“ Doch nachdem sie zwanzig oder dreißig Jahre spirituell lebten, begannen diese unglücklichen Schüler zu glauben, dass diese Schwächen Teil der menschlichen Natur seien. Sie denken: „Wenn ich meine Eifersucht, meine Unsicherheit und so weiter in diesen dreißig Jahren nicht besiegen konnte, warum sollte ich dann glauben, dass sich der Erfolg nach weiteren dreißig Jahren einstellen wird?“

Und was noch schlimmer ist, in manchen Fällen wurden mit der Zeit diese negativen Kräfte stärker. Manche Schüler fühlen, dass sie jetzt mehr Eifersucht, mehr Unsicherheit, mehr Unreinheit haben, als wie vor zwanzig oder dreißig Jahren. Wie konnte das geschehen? Ein Grund dafür ist, dass sich Nachlässigkeit in ihrem Leben breit gemacht hat und sie diesen Kräften gegenüber nicht mehr wachsam sind. Und in manchen Fällen haben die Schüler einfach aufgegeben und sich diesen Kräften ergeben. Wenn wir uns den feindlichen Kräften ergeben, werden sie natürlich stärker.

Frage: Kann uns der Verstand helfen, Gottes Willen zu entdecken?

Sri Chinmoy: Meistens haben wir keine Ahnung, wie der Wille Gottes lautet. Der Verstand tritt hervor und erzählt mir: „Der Wille Gottes lautet so und so.“ Doch wenn wir tief nach innen tauchen, erkennen wir, dass sich der Verstand hundertprozentig irrt. Auch das Herz kann sich irren. Und das Vitale und das Physische liegen sowieso immer falsch. Doch wenn man die Seele zu sehen vermag und während der Meditation mit ihr sprechen kann, wird die Seele uns sagen: „Dies ist richtig, dies ist falsch.“

Der Verstand ist wie ein Volksschullehrer. Es gibt viele Fragen, die ein Volksschullehrer nicht beantworten kann. Das Herz ist wie der Lehrer an einer weiterführenden Schule. Dann kommt die Seele, sie ist wie ein Lehrer an einer Akademie; dann kommt der Supreme, Er ist wie ein Universitätsprofessor. Der Verstand ist so schlimm; er unternimmt alles in seiner Macht stehende, um zu verhindern, dass das Herz uns etwas beibringt. Er sagt: „Erst wenn du alles von mir gelernt hast, sollst du die nächste Unterrichtsstunde besuchen.“ Wenn dann der Verstand erkennt, dass jemand ein guter Schüler und bereit ist, aufzusteigen, lässt der Verstand ihn berechnender Weise durchfallen, um ihn länger bei sich zu halten.

Nach ein paar Jahren entwickelt der Schüler einen Widerwillen; er denkt, er könne sowieso niemals über die Volksschule hinauskommen. Das ist der Zeitpunkt, an dem viele, viele Sucher das spirituelle Leben aufgeben. Sie geben auf, weil der Verstand sie empfinden lässt, dass sie nicht einmal in eine weiterführende Schule aufsteigen können, ganz zu schweigen von einer Akademie.

Der Verstandeslehrer weiß sehr oft keine Antwort, doch er vermittelt uns das Gefühl, dass er sie weiß. Eine Frage aus den Tiefen unseres Herzens kann der Verstand niemals beantworten. Doch er lässt uns empfinden, dass er alles weiß. Er erteilt uns ständig fehlerhafte Lektionen, und trotzdem sagt er uns: „Meine Antworten sind perfekt, perfekt, perfekt!“ Uns unterlaufen ständig Fehler, weil wir unser ganzes Leben dem Verstand anvertrauen.

Der Verstand will nur auf eine ganz bestimmte Art und Weise Freude empfinden. Er sagt: „Das ist der einzige Weg. Es gibt keinen anderen Weg.“ Wie ein Diktator; der Verstand hat gesprochen!

Doch dann kommt die Seele oder ein Meister zu uns und sie zeigen uns einen anderen Weg. Der Verstand sagt sofort: „O mein Gott, das ist unmöglich, unmöglich.“ Der Verstand hält eine Türe offen und befiehlt uns, durch diese Türe zu gehen; er erlaubt uns nicht, andere Wege zu betreten. In einem großen Haus kann es viele Türen geben, doch der Verstand erlaubt uns nicht, sie auszuprobieren; er hält diese Türen verschlossen. Doch wenn die Seele erkennt, dass wir verzweifelt versuchen, über den Verstand hinaus zu gehen, öffnet sie uns so manche Tür. Es muss sich dabei nicht einmal um eine Tür handeln, nein! Selbst wenn die Seele uns bloß ein Fenster öffnet, sind wir schon überaus glücklich!

Wenn wir die Grenzen des Verstandes nicht überschreiten können, sitzen wir in einer Falle. Es ist, als ob wir in ein Gefängnis gesperrt wären. Das einzige, was wir tun können, ist zu jemanden zu beten, damit er komme und uns befreien möge, und dieser jemand ist entweder der Meister oder der Supreme. Es ist gleich, an wen wir unsere Gebete richten, denn die Gnade des Supreme wirkt auch in und durch den Meister.

Ich vertrat schon immer die Ansicht, dass kein höheres Gebet als das des Erlösers Jesus Christus existieren kann: „Dein Wille geschehe.“ Doch wenn ein Bauer einfach nur in seiner Hütte sitzt, und die Worte wiederholt: „Dein Wille geschehe“, wird es ihm nie möglich sein, eine reiche Ernte einzubringen. Nein, der Bauer muss sein Feld pflügen, es bewässern und düngen und auch alle anderen notwendigen Arbeiten erledigen. Erst dann, nachdem er alles in seiner Macht stehende unternommen hat, ist er berechtigt, zu sagen: „Dein Wille geschehe“. Dieses Gebet sollte erst dann über unsere Lippen kommen, wenn wir wirklich alles getan haben, was wir tun konnten, und nur nachdem wir alle Fähigkeiten, die Gott uns geschenkt hat, auch aus­­­­ge­schöpft haben. Ab diesem Zeitpunkt dürfen wir sagen: „Oh Gott, Du hast mir die Fähigkeit gegeben, gewisse Dinge zu tun, und ich habe sie getan. Nun kann ich nicht mehr weiter, höher oder tiefer gehen. Dein Wille geschehe.“ Dann kommt Gott und vergrößert unsere Fähigkeiten – sowohl innerlich als auch äußerlich.

Frage: Die meisten spirituellen Meister vertraten die Ansicht, dass man ohne Enthaltsamkeit keine Verwirklichung erlangen könnte, doch Ihre Philosophie lautet, dass man das Leben annehmen und transformieren muss.

Sri Chinmoy: Unsere Philosophie ist jene der Annahme. Wir müssen das Leben annehmen und transformieren. Das ist vollkommen richtig. Doch um eine Sache annehmen zu können, muss man vielleicht eine andere Sache zurückweisen. Als Lord Buddha den hohen Ruf vernahm, entsagte er seiner Frau und seinem Kind, da er das gesamte Universum als ihm gehörend empfand. Doch wenn er das gesamte Universum als sein eigen, ganz sein eigen betrachtet, akzeptiert er dann nicht auch seine Frau und sein Kind, die ein Teil des Universums sind?

Wir müssen uns also im Klaren sein, was Annahme wirklich bedeutet. Wenn wir die Weite annehmen wollen, gibt es ein paar Dinge, denen wir entsagen müssen. Doch eigentlich entsagen wir ihnen nicht; wir weisen sie nur an den richtigen Platz, damit auch sie nach dem Licht streben können. Sagen wir, in diesem Moment bin ich bereit, nach dem Licht zu streben. Doch wenn ich auf meinen Bruder oder meine Schwester oder auf sonst jemanden warte, wird Gott sagen: „Du Narr! Ich habe dich gerufen; deine Stunde ist gekommen. Warum zögerst du? Wenn die Stunde für einen deiner Verwandten gekommen ist, werde ich auch ihn rufen.“

Wenn die Stunde Gottes schlägt, sind es nicht wir, die die Entscheidung treffen, Gottes Seite einzunehmen. Nein, Gott selbst stellt sich einfach auf unsere Seite. Er zündete eine Atombombe aus Licht, und wir sind überaus glücklich, mit Seinem Willen eins geworden zu sein. Als Lord Krishna auf seiner Flöte spielte, liefen die Gopis zu ihm, weil sie bereit waren. Doch die Menschen, die nicht bereit waren, kamen nicht. Er spielte für alle auf seiner Flöte, doch nur jene, die bereit waren, liefen zu ihm. Die Gnade Gottes kommt herab; das göttliche Licht kommt herab. Einige Menschen sind bereit, Türen und Fenster zu öffnen, andere sind es nicht. So manche rufen das Licht an, damit es in sie eintreten möge, doch Millionen und Milliarden von Menschen tun das nicht. Sie sagen: „Wir brauchen es nicht.“ Für sie hat die Stunde Gottes noch nicht geschlagen.

Frage: Wie kann man die Unsicherheit besiegen?

Sri Chinmoy: Unsicherheit tritt in Erscheinung, wenn wir uns selbst von den anderen absondern und fühlen, dass sie uns überlegen oder stärker sind als wir. Doch wenn wir uns ein kindliches Herz bewahren und unser Einssein mit den anderen fühlen können, werden wir niemals unsicher sein. Ein fünf- oder sechsjähriger Junge ist nicht unsicher, wenn er die Kraft seines Vaters sieht. Nein, der Junge fühlt, dass die Kraft seines Vaters zu Gänze auch ihm gehört. Wenn sein Vater ein neues Auto kauft, erzählt er allen: „Das ist mein Auto.“ Er identifiziert sich derart mit seinem Vater, dass er nicht im geringsten zögert, das Auto seines Vater als sein eigen zu bezeichnen. Der Vater wird nicht sagen: „Du Narr, das soll dein Auto sein?“ Im Gegenteil, der Vater ist sehr stolz, dass das Kind den Besitz des Vaters als sein eigen betrachtet. Und so verhält es sich auch mit Gott. Wenn wir Ihn als uns gehörend beanspruchen, wird Er uns Seine Unendlichkeit, Seine Unsterblichkeit, Sein Alles geben.

Doch leider ist es so, dass wir Ihn nicht als uns gehörend betrachten; wir versuchen nur einen Tropfen Nektar-Wonne von Ihm zu erhalten, doch dann ziehen wir uns sofort zurück. Aus diesem Grund sind wir unsicher.

Teil VI

SCA 395-399. Die folgenden Fragen wurden Sri Chinmoy am 6. Januar 1995, während seines Besuches in Myanmar von seinen Schülern gestellt.

Frage: Welche Zukunft hat die Religion?

Sri Chinmoy: Die Religion repräsentiert den irdischen Aspekt jener Göttlichkeit, die der Erlöser Jesus Christus, Sri Krishna, Lord Buddha und auch andere verkörperten. Sie repräsentiert den Körper oder die äußere Kleidung ihrer Göttlichkeit. Der Körper hat keinen Fortbestand; nur das Bewusstsein, die innere Göttlichkeit, die durch Jesus Christus, Lord Buddha und andere manifestiert wurde und immer manifestiert werden wird, hat einen ewigen Fortbestand.

Ich glaube fest daran, dass jene Menschen, die in der Zukunft eine Gottesverehrung praktizieren werden, sich der Tatsache, dass wir alle einer spirituellen Familie angehören, mehr bewusst sind. Es gab eine Zeit, in der schon alleine diese Vorstellung für die Welt einfach zu viel war. Heute können wir zumindest bereits darüber sprechen. Es ist wie mit der Vorstellung des Friedens. Vor fünfzig Jahren wurde der Begriff Frieden nicht so wie heute verwendet; damals zog man andere Worte dafür heran. Doch die letzten neun, zehn Jahre spricht jeder über Frieden. Obwohl unter Umständen ein Land dem anderen Bomben schickt, ist ‚Frieden’ noch immer unser Mantra! Der Tag wird kommen, an dem nicht nur der Rest der Welt über dieses Land lachen wird, sondern sogar dieses Land wird beginnen, über sich selbst zu lachen. Es wird erkennen, dass es zwar über Frieden spricht, aber völlig gegensätzlich handelt. Ab diesem Zeitpunkt wird es versuchen, sich selbst zu verbessern.

Die Bedrohung der nuklearen Zerstörung wird nicht andauern, denn schon in dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren wird die Macht des Herzens viel, viel größer sein. Es gibt große Hoffnung, dass sich die Politik letzten Endes der Spiritualität unterordnen wird. Die Geschichtsschreibung zeigt schon einige individuelle Fälle auf. Zum Beispiel der indische König Shivaji. Zuerst handelte er ganz nach seinem eigenen Willen, später ergab er sich der Spiritualität. Die innere Welt ist also am Erwachen. In der gegenwärtigen Welt gewinnt in einigen Fällen die innere Macht mehr an Bedeutung und ist äußerlich erkennbar. Man kann sehen, in welchem Ausmaß Russland unter der politischen Situation leidet, doch in der inneren Welt ist Russland erwacht. Russlands innere Kraft und inneres Erwachen wird viele Überraschungen bringen und Verwunderung hervorrufen.

Frage: Warum hast du so viele Reisen unternommen und so viele Länder und auch so viele einzelne Personen geehrt?

Sri Chinmoy: Einige spirituelle Meister werden in den diversen Ländern akzeptiert, weil dort die Manifestation ihrer Göttlichkeit in einem größeren Ausmaß stattfand, als anderswo. Doch in meinem Fall, ich suchte sehr viele Orte auf. Ich reiste von Land zu Land, gab Friedenskonzerte, meditierte und komponierte Lieder über die Seelen der Länder. Du fragst nach dem Warum. Für mich ist die Seele eines jeden Landes Wirklichkeit, für mich ist das Herz eines jeden Landes Wirklichkeit. Ich erkenne die Göttlichkeit, die in und durch jedes Land, in und durch jede Person die Manifestation anstrebt. Und in meinen Liedern ehre ich dieses Streben und versuche, es zum Vorschein zu bringen.

Wenn man ein Herz besitzt, das verehren und schätzen kann, ist alles schön; man erkennt die Schönheit und Einzigartigkeit jedes einzelnen Blütenblattes einer Blume. Mein kleiner Finger ist nicht so kräftig wie mein Zeigefinger, aber ich finde ihn niedlich. Und der Daumen, er ist so stark! Ich bewundere also jeden Finger, den ich betrachte. Vielleicht betrachtest du das viele Reisen als reine Zeitverschwendung. Doch wenn ich von Land zu Land reisen und Personen ehren kann, die der Menschheit eine Inspiration sind oder die etwas Großartiges geleistet haben, dann empfinde ich, dass ich wirklich etwas Wertvolles getan habe. Die Inspiration ist es, die das gesamte Universum aufrecht erhält. Gott selbst empfand Inspiration, genau deswegen erschuf Er das Universum.

Frage: Wie kann zukünftig die Reinheit und die Essenz deines Weges erhalten bleiben?

Sri Chinmoy: Ich muss mir über die Zukunft keine Sorgen machen, nicht einmal dann, wenn ich keinen einzigen vollkommenen oder erstklassigen Schüler, ganz zu schweigen von einem bedingungslos ergebenen Schüler, zurücklassen kann. Warum? Weil meine Werke für mich sprechen. Es stimmt, einige meiner Schriften, meiner Bilder, meiner Vogelzeichnungen, meiner Lieder und so weiter sind vielleicht dritt- oder viertklassig, vielleicht weisen manche überhaupt keine Klasse auf. Doch einige andere Werke haben die Höhe der Göttlichkeit berührt. In meinen Schriften wird man die Quintessenz vieler heiliger Bücher finden können, und ich habe viele Lieder, die seelenvoll und von Gebeten durchdrungen sind, komponiert. Die Seelenvögel, die von mir gezeichnet wurden, besitzen inneres Licht in Hülle und Fülle. Und so werden meine Schriften, meine Malerei und meine Musik, die alle meine Kinder sind, fortfahren, mein Licht zu manifestieren.

Frage: Du sagst, dass dein Weg eben nur ein Weg sei, keine Religion. Doch sobald ein Meister die Erde verlässt, wird sein Weg zu einer Religion, wie zum Beispiel der Buddhismus, und steht im Gegensatz zu anderen Religionen.

Sri Chinmoy: Ich in meinem Fall spreche nur über die Seele. Meine Philosophie ist, dass die Seele die einzige Realität ist und dass wir jeden Moment auf unsere Seele hören müssen. Ich sprach kein einziges Wort gegen irgendeine Religion. Das Gegenteil ist der Fall, ich brachte gegenüber dem Erlöser Christus, gegenüber Buddha, Sri Krishna und den spirituellen Meistern anderer Religionen meine tiefste Liebe, Verehrung und Bewunderung zum Ausdruck. Warum sollte also mein Weg zu einer Religion werden und sich gegen andere Religionen richten? Meine Schriften werden völlig klar darlegen, dass ich kein Mann war, der auf direkte oder indirekte Weise versucht hat, eine neue Religion zu gründen. Nachdem ich diese Welt verlassen haben werde, wird die Welt nur meine Schöpfungen sehen.

Frage: Sollten deine Schüler vor allem versuchen, den Supreme in dir wahrzunehmen und auf den Supreme in dir zu meditieren?

Sri Chinmoy: Da ich schon ein bisschen weiter fortgeschritten bin als ihr, kann ich meinen geliebten Supreme in jedem Einzelnen von euch erkennen. Sri Ramakrishna pflegte zu Vivekananda zu sagen: „Ich sehe in dir Gott selbst. Ich kann mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen.“ War er ein Lügner höchsten Grades? Niemals! Das war seine zuverlässige innere Erfahrung.

Du kannst es ihm gleichtun. Versuche zuerst dir den Supreme in mir vorzustellen. Dann kannst du versuchen, Seine Gegenwart in mir zu fühlen. Genau derselbe Supreme ist auch in dir, doch für dich ist es viel, viel schwieriger, die Gegenwart des Supreme in dir selbst zu fühlen als Seine Gegenwart in deinem Guru zu fühlen oder sie dir vorzustellen. Für dich ist es viel leichter, den Supreme in mir zu finden und zu bekommen. Versuche also bitte kraft deiner Vorstellung und Inspiration, den Supreme zuerst in mir zu fühlen. Erst dann wirst du fähig sein, Ihn auch in dir selbst zu sehen und zu fühlen. Zu diesem Zeitpunkt wird das Spiel vollendet sein.

Teil VII

SCA 400-401. Die folgenden Fragen wurden am 28. Dezember 1994 beantwortet.

Frage: Hattest du irgendwelche inneren Erfahrungen, als du in Myanmar eingetroffen bist?

Sri Chinmoy: Ich war bereits in vielen, vielen Ländern, und die Seele eines jeden Landes schenkte mir eine enorme Zuneigung, Liebe, Wertschätzung, Verehrung und sogar Bewunderung. Durch von der Seele Burmas erhielt ich ein neue Erfahrung. Diesen Morgen, so gegen 4.30 Uhr, besuchte mich die Seele mit großer Zuneigung und begann – zu schimpfen. Sie fragte: „Warum hast du mich nicht besucht, in all den Jahren warst du nicht einmal hier.“ Sie schimpfte mich so kraftvoll und gefühlsbetont, doch mit so viel Zuneigung! Sie sprach zu mir wie eine Tante: „Du hattest Indien so oft besucht, doch deine Tante hast du kein einziges Mal besucht!“ Kein anderes Land hat jemals mit mir geschimpft, doch dieses Land segnete mich wirklich mit seiner emotionalen Zuneigung.

Frage: Fühlst du in Burma das Bewusstsein Buddhas?

Sri Chinmoy: Lord Buddha wurde in Nepal geboren, doch wenn es um das Bewusstsein Lord Buddhas geht, kann ich sagen, dass das gesamte Land Burma von den Mitleidstränen Lord Buddhas durchdrungen ist. Hier in Burma spüre ich das Bewusstsein Buddhas sogar wenn ich die Straße entlanggehe. Gott alleine weiß, wie es in der politischen Sphäre zugeht, doch vom religiösen und spirituellen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist Burma das Land des Herzens Lord Buddhas.

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