Die Krawatte und das Taschentuch

Eines Tages hatten eine Krawatte und ein Taschentuch einen unglückseligen Streit. Obwohl das Taschentuch sich nicht streiten wollte, begann die Krawatte mit einem Streitgespräch.

Die Krawatte sagte zu dem Taschentuch: „Du bist zu nichts nütze! Du versteckst dich nur in der Tasche vor den Leuten, ich hingegen zeige der Welt, wie großartig ich bin. Ich bewirke, dass die Person, die mich trägt, großartig ausschaut! Ich bin sehr würdevoll, aber du versteckst dich nur! Die ganze Welt bewundert mich, und du bist so unbedeutend!“

Das Taschentuch sagte: „Was du da sagst, stimmt mich ganz traurig. Gott hat mich demütig gemacht. Wenn Leute Tränen vergießen, wische ich sie weg. Die Leute brauchen mich, und ich bin sehr glücklich, ihnen helfen zu können. Wenn die Menschen schwitzen, nehmen sie mich aus ihren Taschen heraus, um sich die Stirn abzuwischen. Wenn sie husten, benutzen sie mich. Wenn sie mich dann nicht mehr brauchen, stecken sie mich wieder ein. Ich möchte stets ein demütiger Helfer sein.“

Die Krawatte antwortete: „Du bist wirklich zu nichts nütze! Sieh nur, wie die Leute mich schätzen und bewundern. Sobald mich jemand trägt, werde ich von aller Welt bewundert. Ich kann mir nicht vorstellen, wie du jemals glücklich sein kannst.

Das Taschentuch erwiderte: „Ich helfe ganz auf meine eigene, demütige, bescheidene Art. Ja, ich bin sehr glücklich. Wenn es dir Freude schenkt, die Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen, dann sei bitte auf deine Art glücklich.“

„Ich sage es dir noch einmal. Du bist schlimmer als nutzlos!“, rief die Krawatte aus.

Genau in diesem Augenblick erschien Gott vor ihnen. Die Krawatte begann damit, Gott zu erzählen: „Ich bin so großartig! Alle bewundern mich.“

Das Taschentuch sagte: „Herr, ich bin sehr dankbar, dass Du mir die Gelegenheit gegeben hast, den Menschen zu dienen, indem ich ihre Tränen trockne und ihnen helfe, wenn sie schwitzen und husten. Du hast mir diese goldene Gelegenheit gegeben, Dir zu dienen, mein Herr. Ich bin sehr dankbar.“

Die Krawatte war sehr stolz! „Ich bin so großartig! Ich ziehe die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf mich.“

Die Krawatte fügte hinzu: „Gott, sag uns! Wer ist bedeutender - ich oder dieses äußerst unscheinbare Taschentuch?“

Gott sagte: „Mein Kind, mein Taschentuch ist unendlich bedeutender, denn es ist demütig. Ich erschuf die Welt zum demütigen Dienst. Das ist es, was mein Taschentuch tut; wohingegen du der Menschheit nicht dienst. Du gibst nur an. Entsprechend meiner Beurteilung ist ein Taschentuch unendlich viel bedeutender als eine Krawatte. Ich möchte, dass ein jeder Meiner Schöpfung mit äußerster Demut dient.“

Sri Chinmoy, Der Verstandes-Dschungel und der Herzens-Garten des Lebens, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2019
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