Frau Kovanda: Sollte ich still beten oder laut?

Sri Chinmoy: Laut zu beten ist immer besser. Wenn Sie laut sagen: „O Gott, bitte segne mich mit Gesundheit. Gewähre mir Liebe, Freude und Frieden“, dann wird Ihr physischer Verstand überzeugt. Doch Sie müssen keine Wände zum Einstürzen bringen. So laut muss es nicht sein. Obwohl ich als Hindu geboren wurde, liebe ich ebenso die Moslems und empfinde sie als meine Brüder. Doch wenn sie in den Moscheen beten, tun sie das in so einer solchen Lautstärke, dass man sie auch noch in weiter Entfernung hören kann. Wir Hindus sagen, sobald man das Gebet mit den eigenen Ohren vernehmen kann, ist man überzeugt, dass man betet, und das ist genug.

Während Sie beten und Wörter aussprechen, wie: „O Gott, gib mir dieses, gib mir jenes. Mache dieses, mache jenes“, können Sie mit angemessener Geschwindigkeit sprechen – so, wie wir jetzt sprechen. Beten Sie laut genug, damit Sie sich selbst hören und in normaler Sprechgeschwindigkeit. Doch wenn das Gebet in eine Meditation übergeht, sollten Sie keinen Versuch unternehmen, Wörter und Gedanken zu formulieren; sondern versuchen, den Verstand leer zu halten. Lassen Sie jeden Gedanken und jede Idee, die in ihren Verstand eintritt, still werden. Wenn die Gedanken nicht verstummen wollen, versuchen Sie einfach, die Geschwindigkeit der Gedanken zu drosseln. Wenn ein Gedankenstrom sehr schnell in Sie eintritt und Sie ihn nicht aufhalten können, dann versuchen Sie zumindest, ihn zu verlangsamen. Letztlich können Sie dann wieder versuchen, ihn verebben zu lassen. Um den Verstand stiller werden zu lassen, hilft es auch, sich etwas sehr Friedvolles vorzustellen, wie zum Beispiel den weiten Himmel am Morgen und den abendlichen Sonnenuntergang. Sie können sich auch vorstellen, dass Sie sich auf dem Meeresgrund oder auf einem Berggipfel des Hima­laya befinden.

Während Sie beten, sprechen Sie zu Gott und Gott hört Ihnen zu. Während Sie meditieren, spricht Gott und Sie hören zu. Während Sie beten, steigt Ihr Gebet empor, hoch und immer höher. Während Sie meditieren, tritt Gottes Liebe, Sein Licht, Sein Frieden und Seine Glückseligkeit in Sie ein. Das ist der Unterschied zwischen Gebet und Meditation.

Es gibt noch einen Unterschied. Wenn Sie beten, sollten Sie versuchen, sich vollkommen hilflos zu fühlen. Sie müssen beten wie eine Bettlerin, die für Almosen bettelt: „Gott, gib mir dies.“ Doch Sie müssen aufrichtig empfinden, dass Sie das, worum Sie beten, auch wirklich brauchen. Sie müssen empfinden, dass Ihre ganze Welt aus den Fugen gerät, wenn Sie es nicht erhalten. Solange Ihr Gebet nicht erfüllt ist, werden Sie völlig hoffnungslos sein.

Auf der anderen Seite, wenn Sie meditieren, müssen Sie sich selbst als eine Prinzessin, als eine Königin oder als die liebste Tochter Gottes betrachten, die einen unendlichen Reichtum in ihrem Herzen hat. Wenn Sie meditieren, bringen Sie Ihre eigene Göttlichkeit und Ihren inneren Reichtum – Ihren eigenen inneren Frieden, Ihre innere Glückseligkeit, innere Liebe und innere Freude zum Vorschein. Sie erfinden diese Dinge nicht; sie gehören Ihnen und Sie entdecken sie.
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Sri Chinmoy, Sri Chinmoy antwortet, Teil 4, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
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