Frage: Warum gab Jesus keinem seiner Jünger Verwirklichung?

Sri Chinmoy: Wäre nur einer seiner Jünger bereit gewesen, wäre Jesus der erste gewesen, ihm seine Verwirklichung zu schenken, denn dann hätte er einen Teil seiner Lasten auf dessen Schultern legen können. Wenn wir auf der physischen Ebene etwas besitzen, geben wir anderen vielleicht nichts, weil wir nicht wollen, dass sich die anderen desselben Besitzes rühmen können. Wir sind unsicher. Doch auf der spirituellen Ebene verhält es sich nicht so. Wenn ich auf der spirituellen Ebene etwas erhalten, gebe ich es gerne weiter. Ich weiß, dass derjenige, der es erhält, wirklich für den Supreme arbeiten kann. In der spirituellen Welt ist es jedoch nur möglich, etwas zu geben, wenn die Person auch bereit ist zu empfangen.

Ein Guru zu werden ist der schlimmstmögliche Fluch. Das Leiden, durch das ein wirklicher Guru geht, indem er mit seinen Schülern eins wird, ist wirkliche Qual. Ramakrishnas Theorie war, dass man immer ein Sucher, ein Kind bleiben sollte. Wenn man einmal ein Guru wird, muss man lernen, jeden Augenblick Gift zu trinken. Natürlich kann man im inneren Leben Nektar trinken, doch im äußeren Leben muss man Gift schlucken. Jesus wäre der erste gewesen, seinen Jüngern Verwirklichung zu schenken, doch welcher von ihnen war bereit, sie zu empfangen? Der eine verriet ihn, der andere verleugnete ihn, ein dritter zweifelte an ihm. Seine Schüler taten ihm alles mögliche an. Einige von ihnen erhielten keine Gelegenheit dazu, sonst hätten auch sie Ungöttliches getan. Dies ist das Schicksal aller spirituellen Meister.

Sri Chinmoy, Avatare und Meister, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
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