Frage: Meister Eckhardt, der große katholische Mystiker, sagte einmal: „Ich und mein Vater sind eins in unserem Vorgehen.“ Die katholische Kirche wollte ihn daraufhin auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Für die Kirche war es reine Gotteslästerung. In welchem Maße hat ein Mensch das Recht zu behaupten: „Ich und mein Vater sind eins“, wenn er die Selbstverwirklichung erreicht?

Sri Chinmoy: Was wir Selbstverwirklichung nennen, hat verschiedene Ebenen. Es gibt Leute, die Gott auf der vitalen Ebene verwirklicht haben. Andere haben Ihn auf der physischen, mentalen oder intuitiven Ebene verwirklicht. Einige haben Ihn auf der supramentalen Ebene verwirklicht, die sich jenseits des „Overmind“ und weit jenseits der mentalen Ebene befindet. Doch die größten Yogis haben Gott auf allen Ebenen verwirklicht, von der höchsten bis zur niedersten. Sie handeln immer vom göttlichen Bewusstsein, vom Bewusstsein Gottes her. Da sie vom göttlichen Bewusstsein her handeln und mit Gottes kosmischem Spiel völlig eins geworden sind, haben sie jedes Recht zu behaupten, sie seien eins mit Gott. Es ist das Geburtsrecht jeder Seele, völlig eins mit Gott zu sein.

Christus hatte völlig recht, als er sagte: „Ich und mein Vater sind eins“. Sri Ramakrishna, ein Verehrer der Mutter Kali, identifizierte sich in seinen späten Jahren so sehr mit Kali, dass seine Gefährtin, Sarada Devi, ihn als Kali ansprach. Auch seine Schüler sagten, er und Kali seien eins. In seinen frühen Meditationsjahren betete Rama­krishna glühend zu Kali. Als er seine Verwirklichung auf allen Ebenen vervollständigt hatte, wurde er bewusst und vollkommen eins mit Kali. Seine Schüler und seine Gefährtin sagten und fühlten, dass er kein menschliches Wesen war, sondern die Göttin Kali selbst. Kali ist eine Göttin, die höchste Göttin. Wenn jemand Gott auf allen Ebenen des Bewusstseins verwirklicht und von Gottes höchstem Bewusstsein her handeln kann, dann kann man wirklich sagen, er und Gott seien eins. Das gilt aber nur für die absolute, bewusste Identifikation mit Gott, dem Göttlichen, dem Höchsten.

Sri Chinmoy, Avatare und Meister, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
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