Frage: Gibt es irgendeinen Unterschied zwischen den Lehren von Jesus und den Lehren des Yogas?

Sri Chinmoy: Letztendlich gibt es keinen Unterschied. Jesus verwirklichte Gott und er bot Gott der Menschheit an. Auch im Yoga ist es das letzte Ziel, Gott zu verwirklichen und ihn der Menschheit anzubieten.

Im Yoga kennen wir vier Wege. Die ersten drei sind Hauptwege und der vierte ist eine Art Hauptast eines dieser Wege, jedoch ebenfalls sehr stark. Die drei Hauptwege sind: Karma-Yoga oder der Yoga des selbstlosen Handelns, Bhakti-Yoga oder der Yoga der Liebe, Ergebenheit und Selbsthingabe und Jnana-Yoga oder der Yoga der Weisheit. Im Jnana-Yoga gibt es einen bedeutenden Zweig, den man Raja-Yoga nennt, den Yoga der Mystik. Diese vier Wege führen uns alle zum vorausbestimmten Ziel.

Da die Lehre von Jesus auf Liebe und Mitgefühl gegründet ist, gehört sie in die Kategorie des Bhakti-Yoga. Wir müssen jedoch erkennen, dass Liebe selbst Weisheit ist. Es ist falsch zu behaupten, Liebe sei eines und Weisheit etwas anderes. Derjenige, der Gott liebt, besitzt die größte Weisheit. Liebe und Weisheit können nicht getrennt werden. Auch Liebe und Dienst können nicht getrennt werden. Wenn ich jemanden liebe, diene ich ihm fortwährend. Der eigentliche Sinn und Zweck meines Lebens besteht darin, dem Menschen, den ich liebe zu dienen. Liebe ist Dienst und Liebe ist Weisheit. Wenn wir jedoch die Wege voneinander unterscheiden wollen, dann können wir sagen, dass dieser Weg Liebe, jener Weisheit, ein dritter Dienst verkörpert und so weiter.

Um auf deine Frage zurück zu kommen: letzt­lich gibt es keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Lehren. Doch selbst wenn es sich um dasselbe Thema handelt, hat jeder Lehrer seine eigene Art, die Wahrheit zu interpretieren oder darzustellen. Wenn zwei Lehrer dasselbe lehren, werden sie es auf verschiedene Weisen tun. Doch die Prüfung wird dieselbe sein. Die höchste Lehre von Jesus und die höchste Lehre unseres Yoga ist bewusstes Einssein mit Gott. Christus sagte: „Ich und mein Vater sind eins“. Wir Inder sagen: „Ich bin das Brahman“. Das Brahman ist die absolute transzendentale Wirklichkeit und Wahrheit.

Jesus vollbrachte vierundvierzig Wunder und hielt eine zutiefst fruchtbare, seelenvolle Predigt. Doch nicht wegen seiner Wunder ist er zum Herzen, zum Haupt und zum Lebensatem der Menschheit geworden, sondern weil er eines gesagt hat: „Vater, Dein Wille geschehe.“ Die Welt hat ihn wegen diesem göttlichen Ausspruch angenommen. Die Welt schätzt und verehrt ihn für diese göttliche Äußerung: „Vater, Dein Wille geschehe.“

Die spirituellen Meister versuchen sich den Umständen, dem erwachenden Bewusstsein jedes Einzelnen anzupassen. Gewisse Menschen finden es leichter, den Weg der Liebe zu gehen, während es anderen leichter fällt, dem Weg der Weisheit zu folgen. Wieder andere finden es einfacher, den Weg des selbstlosen Handelns zu gehen. Doch das Ziel, das ewige Ziel, bleibt dasselbe. Jene, die den traditionellen indischen Pfaden des Yogas folgen und jene, die dem Christentum, dem Weg von Jesus Christus folgen, werden letztlich am selben Ziel ange­langen. Gott ist immer eins, doch die Wege können verschieden sein.

Sri Chinmoy, Avatare und Meister, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2005
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