Frage: Kannst du den Unterschied zwischen spiritueller Kraft und okkulter Kraft erklären?

Sri Chinmoy: Spirituelle Kraft ist sehr weit und leuchtend. Sie dehnt ständig sowohl das Endliche als auch das Unendliche aus. Wenn etwas klein ist, dann wird es durch die spirituelle Kraft größer. Wenn etwas bereits sehr groß ist, wird es durch die Spiritualität noch größer. Okkulte Kraft ist von anderer Art. Man kann sagen, sie sei eine direkte, zielgerichtete, unmittelbare Kraft – sehr scharf, wie die Schneide eines Schwertes.

Wenn man spirituelle Kraft anwendet, ist alles voller Frieden, voller Harmonie. Wenn bei uns jemand spirituelle Kraft anwendet, fühlen wir eine dynamische Kraft, die jedoch gleichzeitig frei von Aggression ist. Es ist, wie wenn man auf das Meer schaut, wenn es ruhig und still ist. Wenn es Wellen schlägt und schäumt, hat man Angst. Doch wenn das Meer ruhig ist, haben wir keine Angst. In beiden Fällen ist die gleiche Kraft vorhanden. Wenn man in das Bewusstsein des Meeres eintritt, so sieht man, dass es gewaltige, grenzenlose Kraft hat. Spirituelle Kraft ist ruhig und besitzt eine unendliche Ausdehnung wie ein ruhiges Meer ohne jede aggressive Bewegung. Doch sie besitzt solide Stärke – dynamische, solide Kraft.

In der okkulten Kraft hingegen besteht eine Art Bewegung, die fast immer rastlos ist. Ein Kind hat Kraft, ein Erwachsener hat ebenso Kraft. Die Kraft eines Kindes ist immer dabei zu enthüllen oder zu manifestieren; das Kind möchte seine Kraft ständig ausdrücken. Eine erwachsene Person hingegen weiß, dass sie Kraft hat und sie auch nach Belieben anwenden kann und hat deshalb kein Bedürfnis, sie ständig auszudrücken. Ein Mensch mit okkulter Kraft hat selten Frieden, wohingegen ein Mensch mit spiritueller Kraft von Frieden überschwemmt ist. Ein Mensch mit okkulten Kräften macht eine gewaltige äußere Schau aus seinem Okkultismus; ein Yogi mit spiritueller Kraft versucht innerlich das Gesicht der Welt zu verändern.

Okkulte Kraft wird sehr oft in negativer Weise angewendet. Die Kraft des Okkultismus ist der eines alles verschlingenden Raubtieres sehr ähnlich. Wenn die Menschen okkulte Kraft nicht auf weise Art anwenden, führt sie nur zur Zerstörung. Sie kann nur dann positiv wirken, wenn sie von einem spirituellen Meister gelenkt wird. Okkulte Kraft zu besitzen ist wie auf einem Drahtseil zu gehen – sehr gefährlich und riskant. Spirituelle Kraft zu haben ist wie auf einer gepflasterten Straße zu wandern, wo keine Gefahr besteht. Wenn man sowohl spirituelle als auch okkulte Kraft besitzt, dann gibt es ebenfalls keine Schwierigkeiten oder Gefahren. Spirituelle Kraft befähigt uns dazu erfolgreich zu sein – langsam, stetig und unbeirrbar. Wir werden unfehlbar tun können, was wir uns vorgenommen haben. Mit okkulter Kraft können wir etwas sofort und direkt tun – falls wir sie richtig verwenden. Wenn die große Geschwindigkeit des Okkultismus das Bedürfnis empfindet, sich dem Weisheitslicht der spirituellen Kraft unterzuordnen, dann ist Okkultismus ein wirklicher Segen der Menschheit. Es ist eine echte Gunst von Gott, denn die Menschheit besitzt keine Geduld, sie will alles augenblicklich erhalten. Aber wenn sich der Okkultismus gegen die spirituelle Kraft stellt, dann verneint er die Wahrheit selbst. Wenn er die Wahrheit verneint, erzeugt er in der Menschheit und für die Menschheit Zerstörung.

Wenn man Okkultismus ausüben will, um das Bewusstsein der Menschheit aufzuwecken, dann muss man zuerst die Angst besiegen; die physische, vitale, mentale und psychische Angst. Wenn man Okkultismus ausüben will, um dem Höchsten, um der Gottheit in der Menschheit zu dienen, muss man das niedere Vitale, das wir Sexualität nennen, besiegen. Dieser unreine, unerleuchtete Drang in unserer menschlichen Natur muss völlig überwunden werden. Wenn man die Einsicht erlangen kann, dass man in diesem flüchtigen Leben ein ewiges Leben führt, können Unendlichkeit, Ewigkeit und Unsterblichkeit, die man in seinem Wesen oder in seinem Bewusstsein errungen hat, dazu gebraucht werden, der Menschheit auf göttliche Weise zu dienen. Wenn wir soweit sind, wird die okkulte Kraft ein wirklicher Segen sein. Ich möchte, dass meine Schüler, die sich für okkulte Kräfte interessieren, sich folgendes einprägen: Zuerst Spiritualität und dann Okkultismus, zuerst die Gottheit und dann die Menschheit. Nur wenn man die Gottheit kennt und in der Gottheit verbleiben kann, kann man der Menschheit dienen. Manifestation ohne Verwirklichung ist überhaupt keine Manifestation. Es ist wie ein Körper ohne Leben.

Wenn ich das Ziel einmal erreicht habe und zum Ziel geworden bin, dann ist alles in meinem Inneren. Nichts kann mich stören, nichts kann mich zerstören, nichts kann mich irgendwie beeinträchtigen. Ich kann alles in Gottes Schöpfung sehen, fühlen und annehmen. Der verwirklichte Mensch ist in der Lage, sowohl mit spiritueller als auch mit okkulter Kraft umzugehen. Nachdem man die Wahrheit verwirklicht hat, muss man alle Ebenen einschließlich der okkulten zu Hilfe ziehen, während man die Wahrheit auf der Erde manifestiert.

Die Spiritualität ist dem Okkultismus weit überlegen. Das okkulte Gebiet und die okkulte Praxis sind auch Teil von Gottes Schöpfung. Doch wir müssen nicht durch das Okkulte hindurch, wenn wir Gottverwirklichung wollen. Wenn man Gott und Gott allein will, dann finden wir im Okkultismus keine Hilfe für die Gottverwirklichung. Spiritualität hingegen ist absolut notwendig, um Gott zu verwirklichen.

Ein wahrer spiritueller Sucher sollte sich überhaupt nicht um Okkultismus kümmern. Auf seinem Weg zum Höchsten kommt die okkulte Kraft manchmal von selbst zu ihm als Prüfung, um zu sehen, ob er sich davon beeindrucken lässt und der Welt seine Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, zeigen will oder ob er sie sachgemäß und göttlich anwendet. Bei einem Strebenden, der an der Schwelle zur Verwirklichung steht, kommen manchmal Kräfte von verschiedenen Ebenen zu ihm und berühren seine Füße. Sie sagen: „Meister, benütze uns. Wir stehen dir zu Diensten. Wir werden keinen Unsinn anstellen. Benütze uns allein zur Erfüllung deiner Verwirklichung.“ Dies war bei einer Reihe von spirituellen Meistern der Fall. Auch euer Meister ist einer von ihnen.

Ich habe viele, viele Male okkulte Kraft verwendet, aber nur, wenn ich vom Höchsten in mir darum gebeten wurde. Wenn ich sie gebrauche, dann nur, um innerlich zu helfen. Es widerstrebt mir, meine okkulte Kraft äußerlich zu gebrauchen, denn ich würde falsch verstanden werden. Auch werde ich sie nie verwenden, um jemanden zu strafen oder zu plagen. Okkulte Kraft ist sehr dynamisch, doch die Menschen interessieren sich meist kaum für ihre Dynamik. Stattdessen bedienen sie sich ihrer Aggression und benützen diese aggressive Kraft, um andere zu schädigen oder um ihre persönlichen Wünsche zu befriedigen.

Okkulte Kräfte sind nicht an und für sich schlecht. Gewisse Leute sagen, wenn jemand okkulte Kräfte erhalte, würde er andere irreführen und sich selbst ruinieren. In Indien gibt es spirituelle Leute, die sich überhaupt nicht für okkulte Kräfte interessieren. Aber diese Kräfte sind nicht an und für sich schlecht; es kommt nur darauf an, wie man sie anwendet. Wenn man Feuer hat, kann man sich daran verbrennen oder kann es benutzen, um ein Essen zuzubereiten. Wenn man ein Messer besitzt, kann man jemanden erstechen oder es dazu benützen eine schöne Statue zu schnitzen. Bis zu einem gewissen Grad ist es wahr, dass man nichts Schlechtes tun kann, wenn man kein Messer hat. Aber es gibt unzählige gute Dinge, die man ebenfalls nicht tun kann. Wir sind es, die die okkulten Kräfte auf eine weise Art gebrauchen müssen, wenn wir sie geschenkt bekommen.

Einige spirituelle Meister in Indien raten ihren Schülern, sich überhaupt nicht um okkulte Kräfte zu kümmern, sondern zuerst ein spirituelles Leben zu führen. Sie sagen, so erlange man spirituelle Kraft, die nie Probleme schaffen könne. Spirituelle Kraft hat von Natur aus nicht die aggressive oder destruktive Eigenschaft der okkulten Kraft. Doch selbst spirituelle Kraft kann missbraucht werden, wenn man nicht auf die Weisungen seines inneren Wesens oder des Höchsten hört.

Es gibt auch spirituelle Sucher, die Spiritualität und Okkultismus zusammen ausüben. Sie sagen, während des Tages solle man sich der Spiritualität widmen und während der Nacht dem Okkultismus – Spiritualität und Okkultismus sollten Seite an Seite gehen. Dieser Pfad ist ein wenig gefährlich. Viele haben es versucht und den meisten ist es misslungen, die beiden miteinander in Einklang zu bringen Der sicherste und wirksamste Pfad besteht darin, den spirituellen Weg einzuschlagen und sein eigenes Bewusstsein in die Unendlichkeit und in die Ewigkeit auszuweiten. Hat man das erreicht, wird man auch über die okkulte Welt volle Meisterschaft haben.

Wenn ein spiritueller Meister die Fähigkeit besitzt, spirituelle Kraft zu gebrauchen, dann fragt ihr euch vielleicht, ob er auch fähig ist, okkulte Kraft anzuwenden ohne einen Fehler zu begehen. Die Antwort ist nein. Wenn ein spiritueller Meister spirituelle Kraft anwendet, benützt er sie normalerweise richtig. Aber wenn er okkulte Kraft anwendet, so missbraucht er sie nicht eigentlich – er weiß oft einfach nicht, wie man mit ihr umgeht. Es gibt einen gewaltigen Konflikt zwischen spiritueller und okkulter Kraft, wenn der betreffende Meister kein Meister höchsten Ranges ist. Was tut ein solcher Meister in diesem Fall am besten? Er sollte seine okkulte Kraft völlig beiseite schieben. Er sollte sagen: „ Ich will sie nicht. Sie ist zu gefährlich. Ich will nur spirituelle Kraft benützen, die ein unendliches Meer von Licht und Seligkeit ist. Dieses Licht und diese Seligkeit sind völlig ausreichend für mich.

Wenn ihr neben eurem eigentlichen inneren Streben und Meditieren noch ein wenig Kundalini-Yoga ausübt – sagen wir fünfzehn Minuten täglich – werdet ihr bemerken, dass sich eure psychischen oder okkulten Zentren öffnen. Aber wenn ihr nur deshalb in das innere Leben eintretet, um okkulte Kräfte zu erlangen, so dass ihr der Welt eure Fähigkeiten zeigen könnt, dann wird die wirkliche Spiritualität in eurem Leben nie aufblühen. Wenn ihr euer Herzzentrum öffnen und Wunder vorführen wollt, so dass die Menschen euch würdigen und bewundern und wenn ihr der Annahme seid, ihr würdet von ihrer Würdigung und Bewunderung mehr Inspiration erhalten, dann, möchte ich euch sagen, begeht ihr einen Fehler. Wenn ihr auf anderen Gebieten etwas tut und dann in den Himmel gelobt werdet, inspiriert euch das möglicherweise dazu, es besser zu machen. Wenn ihr ein wenig von eurer okkulten Kraft vorführt und andere euch würdigen, dann kann ich euch versichern, dass euch das zu Fall bringt. Ihr werdet euch nicht inspiriert fühlen, im Gegenteil, statt tief in euch zu gehen, um wirkliche Verwirklichung zu erlangen, werdet ihr weitermachen und eure okkulten Kräfte vermehren. Okkulte Kräfte sind reine Versuchung.

Je mehr okkulte Kraft ihr zur Schau stellt, desto schneller werdet ihr sie verlieren, weil ihr euch nicht mit der Quelle vereinen könnt. Die Quelle der okkulten Kraft ist Licht. Recht spärliches Licht zwar, aber dennoch reinstes Licht. Darum sage ich immer, dass man mit spirituellem Licht umgehen sollte, wenn man schon mit Licht umgehen will. Es macht nichts, wenn dieses Licht begrenzt ist. Es wird keine Gefahr heraufbeschwören. Man bekommt vielleicht Kopfschmerzen, wenn man zu viel Licht herabzieht, aber es wird einen nicht zerstören. Selbst wenn man zu viel spirituelle Kraft herunterbringt, so dass man sie gar nicht aufnehmen kann, wird sie einen nicht völlig zerstören. Aber wenn man zu viel okkulte Kraft in sein System hineinzieht, wird man in einer Irrenanstalt enden. So gefährlich, so zerstörerisch ist sie.

Unser erster Wunsch sollte sein, Gott zu gefallen. Um Ihm zu gefallen, müssen wir Ihm unser gesamtes inneres Streben geben und alles zu Seinen Füßen legen. Wenn wir Ihm einmal gefallen haben, liegt es an Ihm, ob Er uns spirituelle oder okkulte Kraft oder beides geben will. Wenn Er uns okkulte Kraft geben will, schön und gut. Wenn wir uns Seinem Willen unterworfen haben und Er uns okkulte Kraft gibt, dann ist es auch sicher, dass Er uns die Fähigkeit geben wird, sie sachgemäß für Ihn einzusetzen.

Wenn ihr Gott auf eure eigene Art gefallen wollt, werdet ihr viele unaufrichtige Dinge tun. Ihr werdet versuchen, ihm auf Biegen und Brechen zu gefallen. Ihr werdet sogar so weit gehen zu versuchen, Ihm zu schmeicheln oder Ihn zu bestechen. Wenn eure Natur rein ist, völlig rein, schneeweiß, dann werden ihr versuchen, Ihm so zu gefallen, wie Er es haben will. Wenn ihr das tun könnt, wenn ihr Gott auf Seine eigene Weise gefallen könnt, dann wird alle okkulte und spirituelle Kraft euch zu Füßen liegen und euch dienen. Was die Welt nötig hat ist Gott zu gefallen. Wenn sie Ihn zufrieden stellen würde, wäre sie bereit für die Erleuchtung. Aber die Welt ist zur Enttäuschung verurteilt, weil sie nach Macht verlangt. Wenn die Welt Gottes Liebe haben wollte, dann wäre sie heute gerettet, erleuchtet, vervollkommnet und unsterblich.

Sri Chinmoy, Astrologie, das Übernatürliche und das Jenseits, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2009
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