Teil IV — Probleme der Schülerschaft

Frage: Wie gelingt es uns, nicht zuerst an uns selbst zu denken?

Sri Chinmoy: Wie es dir gelingt, nicht zuerst an dich selbst zu denken? Das ist eine gute Frage. Aber ich sage dir, wenn du es schwierig findest, nicht zuerst an dich selbst zu denken, ist das nicht so schlimm. Aber denke nicht an andere Mädchen oder Jungs und werde nicht eifersüchtig auf sie. Das Beste ist es, an Gott zu denken. Wenn du dies schwierig findest, dann denk an dich selbst. Aber wenn das nicht möglich ist, dann ist das beklagenswert. Denke nicht an die Errungenschaften anderer oder an ihre Unvollkommenheiten.

Nun, wie gelingt es dir, nicht an dich selbst zu denken? Du hast die letzten dreiundzwanzig Jahre an dich gedacht. Was hat dir das Denken an dich selbst eingebracht? Du hast die Universität absolviert und hast eine Karriere, das ist alles. Gut, du hast schon fast deinen Doktortitel. Aber dein spiritueller Bruder, der neben dir sitzt, hat auch seinen Doktortitel. Warum verlangt er nach etwas anderem? Ist er zufrieden mit seinem Doktortitel? Wenn du ihn fragst, wird er antworten: „Nein, nein, nein.“ Er ist nicht zufrieden. Er will etwas anderes. Stell dir nun jemanden vor, der seinen Doktor der Philosophie hat, oder jemanden der ein wirklich großartiger Gelehrter ist. Es kann vorkommen, dass diese Person tatsächlich das spirituelle Leben will, wie Dr. Radhakrishnan, der einer der Präsidenten Indiens gewesen ist. Doch es gab viele große Gelehrte, die nicht in das spirituelle Leben eingetreten sind. Sie haben sich nur für Bücher, Bücher und nochmals für Bücher interessiert. Wenn du dich mit Hilfe deines eigenen inneren Strebens in diese Gelehrten hineinversetzt, wirst du merken, dass du in dieser Inkarnation, obwohl du erst dreiundzwanzig Jahre alt bist, bereits viel mehr Freude erhalten hast, als sie es haben. Wenn du an die Gebete und Meditationen denkst, die du in den letzten drei bis vier Jahren hattest, wirst du erkennen, dass du viel mehr Freude in der inneren Welt erhalten hast. Wenn du an dein eigenes inneres Leben denkst, wirst du feststellen, dass du, mindestens zehnmal mehr wirkliche Freude, wirklichen Frieden, wirkliche Liebe oder wirkliches Licht erhalten hast. Die Tiefe, die Tiefgründigkeit, die Intensität von Frieden, die du gespürt hast, haben diese Gelehrten oder hochintellektuellen Leute nie erfahren. Ich sage dir, sie haben Millionen von Büchern gelesen, sie haben Hunderte von Büchern geschrieben, aber diese intensive Freude, diese erhabene Freude von Frieden, die du in diesen drei Jahren gespürt hast, selbst wenn nur für eine flüchtige Sekunde war, haben diese sogenannten Gelehrten nicht gespürt. Das kann ich dir kraft meiner eigenen Verwirklichung sagen. Meine Verwirklichung weiß, wieviel Freude oder wieviel Frieden diese sogenannten Gelehrten besitzen. Sie besitzen keine mentale Zufriedenheit, und lasst uns sagen, sie haben die Welt mit ihrer mentalen Fähigkeit erleuchtet, aber deine innere Freude kann das ganze Universum nähren und beherbergen, wohingegen deren mentale Errungenschaften dies nicht vermögen. Mentale Errungenschaft wird noch nicht einmal in der Lage sein, den Gelehrten selbst zu nähren. Die Person, welche großartige mentale Leistungen hervorbringt, wird noch nicht einmal in der Lage sein, sich selbst für eine einzige Sekunde zu nähren.

Folglich kannst du durch das Erlangen von Dingen auf der physischen Ebene, der vitalen Ebene oder der mentalen Ebene, niemals Zufriedenheit erlangen. Du bist stolz auf dich selbst, weil du diesen Abschluss hast, was nötig war, in deinem Fall absolut notwendig. Ich habe dir geraten, du sollest studieren und du hast es getan. Aber du solltest dir bewusst sein, dass nichts, was du hier auf Erden bekommst, dir bleibende Zufriedenheit geben kann. Du sagst: „Ich will das“, aber nachdem du es bekommen hast, wirst du erkennen, dass es dir keine Befriedigung gibt. Letztendlich wird eine Zeit kommen, wo du sagst: „Ich habe es auf meine eigene Weise mit der begrenzten Fähigkeit meines Verstandes probiert. Nun will ich es mit Hingabe an Gottes Willen üben, an den Willen des Supreme. Lass mich etwas anderes versuchen, da ich mein Bestes probiert habe, und obwohl ich die Dinge, die ich wollte, erhalten habe, konnte ich keine bleibende Zufriedenheit finden. Ich will Gott bitten, alles für mich zu tun. Ich will Ihn bitten, dass Er an mich denkt. Ich habe so viel an mich gedacht. Nun habe ich erkannt, dass es mir keine wirkliche Freude schenkt. Um was immer ich auch gebeten habe, ich habe es erhalten; aber ich konnte keine bleibende Zufriedenheit finden.“ Das ist die Zeit für dich, um zu Gott, zum Supreme zu beten, und Ihn an dich denken zu lassen. Sage zu Gott: „Ich habe bis jetzt nur an mich gedacht; ich habe einen Narren aus mir gemacht. Nun bete ich zu Dir, damit Du an mich denkst.“ Dann wird Gott an dich denken.

Wenn du Gott erlaubst an dich zu denken, ist Gott jederzeit bereit, an dich zu denken. Aber sobald Er sich dir nähert, um an dich zu denken, bemerkt Er, dass du bereits damit beschäftigt bist, an andere oder an dich selbst zu denken. Gott ist ein Gentleman. Wenn du Ihm nicht erlaubst in dich einzutreten, wird Er die Tür nicht aufbrechen. Er wird vielleicht an deine Tür klopfen; soviel wird Er tun, aber Er wird die Türe nicht aufbrechen. Er wird bemerken, dass du entweder bereits deine Freunde eingeladen hast und die Türe verriegelt hast oder dass du ganz allein bist und keine Besucher haben möchtest.

Fühle immer, was du durch das Denken an dich selbst erreicht hast und was du erreichen kannst, wenn du an Gott denkst, wenn du an den Supreme denkst. Das beste Ergebnis erzielst du, indem du voller Liebe, Ergebenheit und Hingabe auf Ihn meditierst oder zu Ihm betest, damit Er an dich denkt. Dies macht Er bereits sowieso, doch du musst dir der Tatsache bewusst werden, dass Er an dich denkt. Jetzt bist du noch der Meinung, dass ich einmal in sechs Monaten an dich denke. Wenn du dir vorstellst, dass ich nur alle sechs Monaten einmal an dich denke, wie willst du dann Fortschritt machen? Wenn du hingegen fühlen kannst: „Guru meditiert jeden Tag auf mich,“ dann wirst du den schnellsten Fortschritt machen. Am besten ist es, wenn du fühlen kannst: „Da Guru ein spiritueller Meister ist, will ich ihm glauben, wenn er sagt, dass er einige Emanationen, das heißt mehrere Repräsentanten, hat. Da er für uns der Repräsentant des Supreme ist, hat er folglich auch mehrere innere Wesen, Hunderte von inneren Wesen. Ich will ihm meinen Glauben schenken. Er hat mindestens ein inneres Wesen, das für mich ist, das auf mich meditiert und an mich denkt.“ Wenn du dieses Vertrauen in mich hast und mir vertraust, dass ich dich nicht zum Narren halte und dich nicht täusche, dann wirst du sehr guten Fortschritt machen. Anstatt zu denken, dass ich nur einmal in sechs Monaten oder alle Jubeljahre an dich denke, solltest du versuchen dir vorzustellen, dass ich zumindest einmal am Tag an dich denke. Auf diese Weise wirst du guten Fortschritt machen. Doch wenn es dir gelingt zu denken, dass ich jede Stunde an dich denke, dann kannst du sehr guten Fortschritt machen. Der nächste Schritt ist, sich zu sagen: „Mein Guru hat jemanden, der jede Minute an mich denkt. Sein physischer Verstand mag sich dessen überhaupt nicht bewusst sein, aber wen interessiert der physische Verstand?“ Fühle nur, dass ich in mir Hunderte und Millionen von inneren Wesen trage. Diese inneren Wesen nenne ich Emanationen. Ich habe viele göttliche Soldaten bei mir, somit wird einer von ihnen immer Sorge für dich tragen. Wenn du dieses Gefühl haben kannst, wirst du den schnellsten Fortschritt machen.

Die Schüler, die den schnellsten Fortschritt machen sind jene, die denken, dass ich viel, viel mehr an sie denke, als sie an mich denken. Wenn du den Glauben hegst, dass ich nur alle zwei Monate einmal an dich denke, während du jede Minute, jede Sekunde deines Lebens an mich denkst, dann hältst du dich selbst zum Narren. Niemand denkt soviel an mich. Aber wenn du fühlen kannst, dass ich viel mehr an dich denke, als du an mich denkst, wenn nicht gar die ganze Zeit, dann machst du dir nicht selbst was vor. Vielleicht lässt es dein Verstand nicht zu, dass du das Gefühl hegst, dass ich jeden Augenblick an dich denke. Du denkst: „Er isst gerade, das heißt, er denkt jetzt nicht an mich. Er läuft gerade, das heißt er denkt jetzt nicht an mich.“ Wenn du hingegen den Gedanken hegen kannst: „Er besitzt viele innere Wesen. Sein physisches Wesen läuft vielleicht gerade, doch sein inneres Wesen denkt an mich,“ dann ist das, was du fühlst die absolute Wahrheit. Dies gilt für alle, die mich mit ganzem Herzen angenommen haben. Sie sind meine wahren Schüler. In deinem Fall, so möchte ich dir sagen, bist du ein wirklicher Schüler von mir und du hast auch eines meiner inneren Wesen. Und genau wie bei dir, so haben all meine wirklichen Schüler eines meiner inneren Wesen. Mein physischer Verstand mag sich dessen, was du gerade tust, überhaupt nicht bewusst sein. Ich muss mir dessen auch nicht bewusst sein, es ist überhaupt nicht notwendig. Wenn es dir gelingt zu fühlen, dass ich viel mehr an dich denke, als du an mich denkst, dann wirst du den schnellsten Fortschritt machen.

Sri Chinmoy, Gehorsam oder Einssein, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg", 2007
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