Frage: Analytiker sagen uns, wir könnten emotionell reif werden, wenn wir unsere Sex-Begierden and die Oberfläche bringen und sie ausdrücken könnten. Doch spirituelle Meister sagen, Sex-Begierden würden dem inneren Wachstum im Wege stehen. Wer hat recht?
Sri Chinmoy: Freud behauptete, Sex gebe es in fast allen zwischenmenschlichen Beziehungen, angefangen bei der Mutter- Kleinkind-Beziehung. Ich bin damit nicht einverstanden. Freud hat die süße Reinheit und die selbstgebende Eigenschaft echter Mutterliebe nicht erkannt. Obwohl Freud ein Pionier auf seinem Gebiet war, sind andere sowohl in seiner Zeit als auch seither viel weiter gegangen. Einer seiner Kollegen, Carl Jung, stimmte der begrenzten Ansicht von Freud nicht zu. Jung legte mehr Gewicht auf das Erblühen der Seele, der Blume in uns. Er sagte, in der Seele liege die Intuition, die Psyche und die Einflüsse des Unbewussten mit seinem angesammelten Wissen und seinen Erfahrungen vieler Lebzeiten. Die Seele ist die Quelle des Heilens und des inneren Wachstums und steht in direktem Kontakt mit der Weisheit des Jenseits.Es ist lächerlich zu versuchen, alle menschlichen und göttlichen Impulse auf den sogenannten Sex-Trieb zu reduzieren. Wenn wir in das spirituelle Leben eintreten, kann uns allein unser inneres Streben nähren, stützen und das Bewusstseins-Licht in unser Leben bringen. Dann reagieren wir auf alle Erfahrungen anders. Die Vorkommnisse des Lebens werden bewusst im Licht der Seele betrachtet, statt sie als aufkommende Probleme zu betrachten, die ständig zu lösen sind.
Sri Chinmoy, Der Reinheits-Fluss gewinnt, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2018