Part I — GEBETS-WELT

DAS BEDÜRFNIS NACH GEBET

Gebet und Meditation sind die Medizin, die uns heilt. So wie wir zum Arzt gehen, um von ihm eine Medizin zu erhalten, die unseren physischen Körper heilt, so sind Gebet und Meditation die Medizin, die unser inneres Leben heilt.

Am Anfang ist für jeden das Gebet wichtig, Meditation kommt später. Durch Beten wächst jeder auf seinem Weg in die höchste Göttlichkeit. Doch wenn wir beten ist stets ein subtiler Wunsch nach irgendetwas vorhanden. Wir mögen es inneres Streben nennen, weil wir darum beten, gut zu werden, etwas Gutes zu sagen oder zu tun, um etwas Göttliches zu erhalten, das wir noch nicht haben oder auch um frei zu sein von Furcht, Eifersucht, Zweifel und so weiter. In der Meditation tun wir das nicht. Wir erlauben uns lediglich, bewusst in den Glanz des Lichtes einzutreten oder wir rufen das universelle Licht an, um unsere Unwissenheit in Weisheit umzuwandeln.

In der westlichen Welt haben viele Heilige Gott verwirk- licht. Sie haben zwar der Meditation keine Beachtung geschenkt, doch sie haben mit größter Intensität gebetet. In der westlichen Welt sprechen wir mehr über Gebet als über Meditation. Im Osten richten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf die Meditation. Zwischen Gebet und Meditation besteht folgender Unterschied: Wenn ich bete, spreche ich und Gott hört zu. Wenn ich meditiere, spricht Gott und ich höre zu.

Wenn wir zwischen Gebet und Meditation unterscheiden wollen, können wir sagen, dass Gebet das bewusste Empor- steigen des menschlichen Bewusstseins ist, wogegen Meditation eine Einladung an das Unendliche oder ein Anerbieten an das Unendliche ist. Jeder muss für sich entscheiden, ob er durch Gebet oder durch Meditation schnellen Fortschritt machen will.

Wir benutzen auch den Ausdruck inneres Streben. Inneres Streben ist sowohl im Gebet als auch in der Meditation zu finden. Wer betet, fühlt eine tiefe inner Sehnsucht, um Gott zu erreichen, um Gott zu verwirklichen. Wenn wir beten, steigen wir immer höher. Wer meditiert, fühlt die Notwendigkeit, Gottes Bewusstsein in sein Wesen, in sein eigenes Bewusstsein hinein- zubringen. Inneres Streben ist der einzige Schlüssel für beides, für Gebet und Meditation. Entweder gehen wir hinauf zu Gott oder Er kommt zu uns herab. Letztendlich ist es das Gleiche. Gott lebt im dritten Stock, doch wenn Er in den ersten Stock herab kommt, ist es immer noch der gleiche Gott. Ein Streben- der mag hinaufgehen, um Ihn zu erreichen, ein anderer mag Ihn herabholen. Wenn wir beten, gehen wir hinauf und berühren Ihn; wenn wir meditieren, bringen wir Ihn herab in unser Bewusstsein.

Sri Chinmoy, Gebetswelt, Mantrawelt, Japawelt, The Golden Shore Verlagsges.mbH, 2018
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