Frage: Kann ein spiritueller Meister okkulte Kräfte dazu verwenden, um falsche Kräfte zu zerstören und um den Fortschritt eines Suchers zu beschleunigen?

Sri Chinmoy: In der Vergangenheit benutzten die Meister ihre okkulten Kräfte selten, um das Bewusstsein der Schüler zu heben, sondern viel mehr, um falsche Kräfte zu zerstören. Zerstörung ist sehr einfach. Man benötigt nur ein paar Minuten, um ein Gebäude zu zerstören. Doch wenn man das Gebäude wieder aufbauen und verbessern will, dann braucht man sehr viel Zeit. Diesen Körper, diese Lebenskraft und diesen Verstand haben wir über viele Jahre hindurch aufgebaut. Wenn im Körper, im Vitalen oder im Verstand eine Erschütterung stattgefunden hat, dann versuchen wir, diese zu beheben. Wir versuchen das Haus zu reparieren und ein gutes, starkes Haus daraus zu machen.

Das ist es, was die spirituellen Meister heutzutage versuchen. In der Vergangenheit besaßen sie nicht diese Art von Mitleid oder Geduld. Sie erklärten dem Sucher vielleicht ein- oder zweimal, was er tun soll und wenn er nicht darauf hörte, dann wurde einfach zerstört! Im zwanzigsten Jahrhundert besitzen wir ein wenig mehr Weisheit. Wir geben jemandem viele Chancen und wenn er nicht das Notwendige unternimmt, dann gestatten wir ihm, sich Zeit zu lassen und zurück zu bleiben, ohne viel Fortschritt zu machen. Die Meister übernehmen nicht den Teil der Zerstörung. Einige hatten an mir einen sehr kraftvollen Ausdruck während meiner Meditation bemerkt. Ihr habt vielleicht gesehen, wie ich auf jemanden voller Kraft meditierte. Doch ihr habt keine Vorstellung von jener Art der Macht, die ihr hättet sehen können, wenn ich mein drittes Auge geöffnet hätte!

Vor vielen Jahren, als ich noch ein Teenager war und im Ashram lebte, zeigte ich dem stärksten Jungen im Ashram diese Kraft. Er war ein enger Freund von mir und mochte mich sehr gerne, glaubte aber nicht an okkulte Kräfte. Er betrachtete alle Swamis und Saddhus als Schwindler. Ich bestand auf der Tatsache, dass einige Menschen okkulte Kräfte haben, doch er glaubte mir nicht; er forderte mich heraus, ihm diese Kräfte zu zeigen. Und so musste ich es tun. Ich sagte ihm, er solle am nächsten Morgen in das kleine Zimmer in der Bibliothek kommen, wo ich gewöhnlich arbeitete. Als er kam, bat ich ihn, sich an die Wand zu stellen und dann benützte ich meine okkulte Kraft, um all seine Kraft wegzunehmen. Ich dachte, dass er einfach gegen die Wand fallen und nichts Ernsthaftes geschehen würde. Doch nach drei oder vier Sekunden brach er vor meinen Füßen völlig bewusstlos zusammen. Als er später wieder aufwachte, war er verängstigt und lief davon. Er erzählte den Leuten, ich hätte versucht, ihn mit meinen Augen zu töten. Nach diesem Vorfall hatte er ständig Angst vor mir. Wenn er mich auf dem Gehweg sah, wechselte er die Straßenseite. So verlor ich einen guten Freund, weil ich meine okkulte Kraft falsch einsetzte.

In dieser Inkarnation verwende ich meine okkulte Kraft nicht oft, weil ich die Menschheit liebe. Doch okkulte Kräfte existieren. Nur weil du selbst keine Million Dollar besitzt, kannst du nicht behaupten, dass es keine Millionäre auf der Welt gibt. Jene Kraft, die ich anwende, um meinen Schülern zu helfen, ist keine okkulte Kraft, sondern die spirituelle Kraft. Spirituelle Kraft ist unendlich mächtiger als die okkulte Kraft, doch sie zerstört nicht und benötigt normalerweise mehr Zeit, um zu wirken. Okkulte Kraft ist wie eine gewaltige Welle, während die spirituelle Kraft wie der Ozean ist. Man kann den Unterschied zwischen einer kräftigen, turbulenten Welle und dem gesamten Ozean sehen.

Die spirituelle Kraft hat nur eine Aufgabe: das Bewusstsein der Menschheit zu heben. Die okkulte Kraft macht das nicht; sie zerstört hauptsächlich. Wenn die okkulte Kraft richtig eingesetzt wird und der Sucher bereit ist, so kann sie im Handumdrehen die falschen Kräfte im Sucher zerstören. Doch wenn sie falsch eingesetzt wird, kann sie auf unkontrollierbare Weise sehr zerstörend wirken. Die spirituelle Kraft ist langsamer, doch langsame Beständigkeit gewinnt das Rennen.

Sri Chinmoy, Sri Chinmoy antwortet, Teil 5, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2004
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