Initiation
Frage: Was ist Initiation?Sri Chinmoy: Das Sanskritwort für Initiation ist Diksha. Was bedeutet Diksha? Es bedeutet ‘geben', oder ‘das Sich-Selbst-Anerbieten.' Wenn der Meister jemanden einweiht, gibt er diesem Menschen einen Teil seines Lebensatems, und der Schüler gibt sein seelenvolles Versprechen, dass er bis zum Ende seines Lebens dem Meister völlig treu sein und ihm bedingungslos dienen werde.
Zur Zeit der Initiation legt der Guru dem individuellen Sucher und Gott ein feierliches Versprechen ab, dass er sein Bestes tun werde, um dem Suchenden in seinem spirituellen Leben zu helfen, dass er sein Herz und seine Seele darbringen werde, um den Schüler in den höchsten Bereich des Jenseits zu bringen. Der Meister sagt zu Gott: „Bis ich dieses Kind zu Dir gebracht habe, werde ich es nicht verlassen; solange soll mein Ziel nicht vorüber sein.“ Und zum Schüler sag er: „Von nun an kannst du auf mich zählen, du kannst an mich als ganz dein Eigen denken.“
Zur Zeit der Initiation nimmt der Meister all die unzähligen Unvollkommenheiten vom gegenwärtigen wie von vergangenen Leben des Schülers auf sich. Natürlich gibt es sowohl wahre und aufrichtige wie auch falsche spirituelle Meister. Hier spreche ich über die wahren Meister, die nur einen Schüler im Monat initiieren. Nachdem sie den Schüler angenommen haben, werden sie krank und leiden schrecklich, weil sie wirklich die Unvollkommenheiten des Schülers auf sich genommen haben. Dies ist wahre Einweihung. Dann gibt es wiederum spirituelle Meister, die viele Schüler einweihen können ohne zu leiden, weil sie die Fähigkeit haben, die Unvollkommenheiten ins universelle Bewusstsein zu werfen. Es gibt aber auch falsche Meister, die fünfzig, sechzig oder hundert Schüler auf einmal einweihen oder die durch einen Stellvertreter initiieren. Initiationen sind nicht wie Pillen, die zu Tausenden und Millionen auf einmal aus der Fabrik kommen. Diese Art der Masseninitiation ist eine absurde Täuschung.
Der Guru kann den Schüler auf verschiedene Weisen initiieren. Er kann die Initiation nach der indischen Tradition vollziehen, während der Schüler meditiert. Er kann ihn auch initiieren, während der Schüler schläft oder in seinem normalen Bewusstsein, jedoch ruhig und still ist. Der Guru kann den Schüler durch die Augen allein initiieren. Er blickt den Schüler an, und dieser ist augenblicklich eingeweiht, doch niemand weiß es. Ein Meister kann auch eine körperliche Initiation vollziehen, indem er auf den Kopf, das Herz oder ein anderes Körperteil des Schülers drückt. Er versucht dabei, das physische Bewusstsein spüren zu lassen, dass die Initiation stattgefunden hat. Doch gleichzeitig mit dieser äußerlichen Handlung initiiert der Guru den Schüler auf eine psychische Weise. Der Guru sieht und fühlt dabei die Seele des Schülers und wirkt auf sie ein. Die Initiation kann auch durch okkulte Prozesse vollzogen werden.
Initiation kann auch in einem Traum stattfinden. Wenn zu der Zeit kein spiritueller Meister verfügbar ist, kann Gott selbst in deinem Traum oder während deiner Meditation eine lichterfüllte, menschliche Gestalt annehmen und dich initiieren. Aber das ist sehr selten. Meistens wird die Initiation durch einen Meister vollzogen.
Meine Schüler brauchen mich nicht darum zu bitten, sie äußerlich zu initiieren, denn ich weiß, was für sie am besten ist, d.h. ich weiß, ob eine äußerliche Initiation ihren inneren Fortschritt beschleunigen wird oder nicht. Sehr häufig initiiere ich meine Schüler durch mein drittes Auge, welches nach meinem Gefühl der überzeugendste und wirksamste Weg ist. Viele Male hast du meine Augen beobachtet, wenn ich in meinem höchsten Bewusstsein bin. Zu dieser Zeit werden meine gewöhnlichen, menschlichen Augen mit meinem dritten Auge völlig eins und erhalten Licht von meinem dritten Auge. Sie empfangen vom dritten Auge unendliches Licht und nehmen es in sich auf. Dieses Licht dringt dann von meinen göttlich strahlenden Augen in die Augen des Suchers ein. Das Licht durchfließt sofort den ganzen Körper des Suchers und funkelt dort von Kopf bis Fuß. Dann sehe ich das Licht, mein eigenes Licht, das Licht Gottes, im Körper des Schülers leuchten. Mein Licht dringt in die Unwissenheit des Schülers ein, und diese Unwissenheit anerbietet ihre Dankbarkeit. Sie sagt: „Nun, da ich dein geworden bin, da du mich zu deinem Eigen gemacht hast, werde ich für immer dir gehören.“ Ich werde dafür verantwortlich, eure Unwissenheit zu erleuchten, und ihr werdet für meine Manifestation verantwortlich.
Nun, dass ich dich initiiert habe, heißt noch nicht, dass du deinerseits jemand anderen initiieren könntest. Es ist nicht dasselbe, wie wenn ich dir eine Wahrheit mitgeteilt habe, du sie jemand anderem weitersagen kannst. Oft höre ich, dass ein Meister jemanden initiiert hat, und dann hat der Schüler das Gefühl, er wisse jetzt die Wahrheit und geht hin und initiiert jemand anderen, und dieser andere geht seinerseits noch einmal zu jemand anderem – wie bei Nachkommen einer Familie. Doch diese Art der Initiation ist wertlos. Wahre Initiation muss immer von einem gottverwirklichten Meister vollzogen werden; sie kann nicht von einem Vertreter ausgeführt werden. Wenn ein Meister die spirituelle Macht hat, einen Schüler direkt auf der okkulten Ebene zu initiieren, dann ist dies in Ordnung. Aber wenn er sagt, er könne jemanden durch einen Schüler initiieren, der noch ein Anfänger ist, so ist diese Art von Initiation absurd. Wenn wir hier in den Vereinigten Staaten Leute sehen, die sagen, sie seien von ihrem spirituellen Meister in Indien beauftragt worden, andere Leute zu initiieren, dann könnt ihr sicher sein, dass dies alles andere als Initiation ist; es ist bloße Täuschung. Eine Initiation muss direkt vom Meister vollzogen werden, entweder auf der körperlichen oder auf der inneren Ebene.
Wenn der Guru einen Schüler initiiert, akzeptiert er den Schüler uneingeschränkt und bedingungslos. Selbst wenn der Schüler ihn nach der Initiation verlässt, weil er im Guru Fehler sieht, wird der Guru auf immer in und durch diesen Schüler handeln. Der Schüler kann sogar zu anderen Gurus gehen, aber der Guru, der ihn eingeweiht hat, wird diesem Sucher in der inneren Welt immer helfen. Und wenn der neue Guru vornehm genug ist, wird er dem ursprünglichen Guru erlauben, in und durch den Schüler zu wirken. Obwohl die äußere Beziehung mit dem ursprünglichen Guru abgebrochen ist und der Guru den Schüler nicht körperlich sieht, ist er spirituell dazu gezwungen, ihm zu helfen, weil er Gott, dem Höchsten, ein Versprechen gegeben hat. Selbst wenn der Schüler nicht zu einem anderen Guru geht, sondern schlicht vom Pfad der Wahrheit abfällt, muss sein ursprünglicher Guru sein Versprechen halten. Der Schüler mag für eine, zwei oder sogar für viele Inkarnationen vom spirituellen Weg abkommen, aber sein Guru wird, ganz gleich, ob er im Körper oder in den höheren Regionen lebt, den Schüler ständig beobachten und auf die Gelegenheit warten, ihm aktiv zu helfen, sobald der Schüler wieder auf den spirituellen Weg einschwenkt. Der Guru ist in Wirklichkeit ungebunden, aber bloß weil er dem Schüler und Gott im Schüler ein Versprechen gegeben hat, wartet der Guru unbeschränkt lange auf eine Gelegenheit, den Schüler ans Ziel zu bringen.
Einige meiner Schüler, die meinem Pfad einmal mit großer Aufrichtigkeit gefolgt sind, haben mich mit ebenso großer Aufrichtigkeit verlassen. Aber wenn sie in der inneren Welt meine Schüler sind, wenn ich sie bereits angenommen hatte und sie meine wirklichen Schüler waren, dann möchte ich ihnen sagen, dass ich sie nicht vergessen habe. Sie mögen eine, zwei, fünf oder sechs Inkarnationen brauchen, um zu einem strebsamen Leben zurückzukehren, aber ich werde unabhängig davon, wie lange es geht, ihnen auf ihrem Marsch zur Gott-Verwirklichung helfen.
Der hauptsächliche Zweck der Initiation ist es, die Seele zum Vorschein zu bringen. Ohne Initiation kann die Reinigung des Körpers, des Verstandes, des Herzens und des Vitalen nie vollständig sein. Ohne die Initiation kann das Höchste Ziel nie verwirklicht werden. Jene, die mir nahe stehen, haben das Aufblühen ihrer Initiation in dem Augenblick gespürt, in dem sie von ganzem Herzen ihr gesamtes Leben – Körper, Vitales, Verstand, Herz und Seele – dem Höchsten in mir gewidmet haben. Dieses Aufblühen der Initiation ist in Wirklichkeit mehr als Initiation. Es ist die Enthüllung der eigenen inneren Göttlichkeit des Schülers. In diesem Augenblick fühlen sie, dass sie und ihr Guru völlig eins geworden sind. Der Guru und der Schüler erfüllen einander gegenseitig und spüren, dass diese Erfüllung direkt von Gott kommt. Das größte Geheimnis, das der Schüler vom Guru gelernt hat, ist dies, dass er nur dann den Rest der Welt erfüllen kann, wenn er zuerst Gott erfüllt.
Wie kann der Guru Gott erfüllen? Der Guru spielt seine Rolle, indem er Unwissenheit, Unvollkommenheit, Dunkelheit, Unreinheit und Unwilligkeit vom Schüler wegnimmt und ihn treu und ergeben zum Höchsten führt. Der Schüler erfüllt Gott, indem er ständig im Boot des Gurus und in den innersten Gefilden seines Herzens bleibt, und indem er fühlt, dass er allein für die Erfüllung seines Meisters existiert. Ihn zu erfüllen, ihn zu manifestieren ist der einzige Sinn, der einzige Zweck, die einzige Bedeutung des Lebens des Schülers.