Frage: Wie kann man wissen, welches Versprechen die Seele Gott gab, bevor sie auf die Erde kam?

Sri Chinmoy: Du kannst das Versprechen deiner Seele an Gott nur dann kennen, wenn du ständig fühlst, dass du nicht der Körper, nicht der Verstand, ja nicht einmal das Herz, sondern nur die Seele bist. Wenn du fühlst, dass du gar keinen Körper besitzt, sondern einzig und allein die Seele hast und bist, dann wirst du durch die Augen deiner Seele sehen und das Versprechen deiner Seele augenblicklich erfahren. Im Gegensatz zum Verstand ist sich die Seele ihres Versprechens immer bewusst. Wenn sie jedoch die Gelegenheit erhält, im Leben eines Menschen zum Vorschein zu kommen, wird auch der Verstand davon überzeugt sein. Wenn sich der Verstand und das Herz mit der Seele identifizieren, werden sie fühlen, dass das Versprechen der Seele auch ihr eigenes Versprechen ist.

Im Augenblick lebst du im Körper und deshalb konzentrieren sich auch alle deine Probleme auf die physische Welt: Wo du wohnen wirst, was du essen wirst, mit wem du dich treffen willst und so weiter. Da du im physischen Bewusstsein lebst, ist auch ein Großteil deiner Probleme physischer Natur. Lebst du hingegen in der Seele, dann hast du die so genannten Probleme der Seele. Wenn ich mich als spirituellen Meister betrachte, habe ich alle möglichen Schwierigkeiten mit meinen Schülern und Meditationszentren. Sehe ich mich hingegen als Dichter an, werde ich viel weniger Probleme haben. Manche Menschen mögen meine Gedichte schätzen und andere nicht, aber ich werde nicht viel Verantwortung übernehmen müssen. Lebe ich jedoch in der Seele, dann wird die ganze Welt zu meinem Problem.

Das Versprechen der Seele besteht darin, Gott in jedem Augenblick auf Seine eigene Weise zu enthüllen, zu manifestieren und zu erfüllen. Gott auf der Erde vollkommen zu enthüllen und zu manifestieren ist das einzige Versprechen, das die Seele jedes Menschen ablegt. Sie legt dieses Versprechen bewusst und unaufhörlich ab, doch der Mensch enthüllt und manifestiert nur gemäß seiner Empfänglichkeit, gemäß dem Potenzial seiner Seele. Bleibe also in der Seele, fühle, dass du die Seele bist, und du wirst unweigerlich wissen, was das Versprechen deiner Seele war, ist und immer sein wird.

Aber du musst auch weise sein. Wenn du meinst, du könntest alle möglichen unspirituellen Dinge tun und dich dann der Verantwortung entziehen, indem du sagst: „Ich bin die Seele, ich bin die Seele“, dann täuschst du dich nur selbst. Wenn du eine weite Strecke mit dem Taxi fährst, wird natürlich auch der Fahrpreis sehr hoch sein und du kannst am Ende nicht einfach sagen: „Ich stehe über solchen Dingen. Ich bin doch die Seele!“ Das wäre absurd.

Im Augenblick musst du nur in Erinnerung behalten, dass du ein göttliches Instrument bist. Du betest zu Gott, dir Licht zu schenken, damit du der Unwissenheit entrinnen kannst. Du magst zwar sagen, dass du die Seele bist, aber wenn dich jemand anschreit, wird deine „Seelenverwirklichung“ schnell wieder dahin sein! Es genügt also nicht, vom Verstand her zu sagen: „Ich bin die Seele, ich bin die Seele.“ Nur wenn du wirklich bedeutsame Erfahrungen der inneren Höhen machst und es dir auch gelingt, diese im Alltag umzusetzen, kannst du fühlen, dass du wirklich die Seele bist. Steckst du hingegen tief in der Unwissenheit, nützt es dir nichts zu sagen: „Ich bin Brahman. Ich verkörpere die höchste Höhe“, nur weil du in einem Buch gelesen hast, dass alles Brahman ist.

Wenn du also nicht spontan fühlen kannst, dass du die Seele bist, dann gebrauche zuerst deine Vorstellungskraft. Bete danach äußerst aufrichtig, meditiere aufrichtig und hingebungsvoll und versuche, dieses Gefühl in deinem Leben zu verankern.

Sri Chinmoy, Die Seele und der Vorgang der Wiedergeburt, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2007
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