Frage: Hat Buddha Gott gesehen?

Sri Chinmoy: Ich heiße nicht Buddha! Alles was ich behaupte, wird meiner Vorstellungskraft entspringen. Ich kann nur dies sagen: Vermagst du einmal das Persönliche zu sehen, wird es sofort zum Unpersönlichen. Es ist wie mit Eis und Wasser. Du kennst den Unterschied. In dem einen Moment ist es Eis, im nächsten Moment ist es Wasser. Wenn du das Eis betrachtest, kannst du dir nicht vorstellen, dass darunter Wasser ist. Wenn du das Wasser betrachtest, kannst du dir nicht vorstellen, dass es zu Eis wird. Ein Mensch liebt das Eis, ein anderer liebt das Wasser. Buddha zog das Unpersönliche dem Persönlichen vor.

Ich in meinem Fall sehe beides, doch ich bevorzuge das Persönliche. Ich bin einhundert Prozent für das Persönliche. Einmal, in Woodstock, sah ich den unpersönlichen Gott. Ich befand mich an einer Bushaltestelle. Ich wartete dort auf den Bus, um von Woodstock wieder zurück nach New York zu fahren. Der Bus hatte Verspätung. Ich wünschte den Bus herbei, damit ich nicht zu spät kommen würde. Ich hielt die ganze Zeit über Ausschau nach dem Bus.

Dann sah ich den unpersönlichen Supreme. Ich sagte: „Ich brauche nicht das Unpersönliche. Ich sterbe vor Sehnsucht nach dem Persönlichen!“ Dann sah ich sofort den persönlichen Supreme. Irgendwann bemerkte ich, dass der Bus bereits gekommen war. Möglicherweise hat er nur noch auf mich gewartet.

Zum persönlichen Gott kannst du sprechen. Beim unpersönlichen Gott ist es, als ob du zu einer Wand sprichst. Wenn du dich dem Einen persönlich zu nähern vermagst, kannst du alles tun, was du möchtest – du kannst sprechen, weinen, Schelte bekommen und noch vieles mehr. Wenn du mit dem unpersönlichen Gott sprichst, ist alles mentale Halluzination!

Ich gebe euch ein Beispiel. Einige Schüler sind mit mir unzufrieden. Innerlich meinen sie, sie brauchen einen besseren Guru, da ich mich nicht um sie kümmere. Vor einigen Tagen, hier im Hotel, sprach ich zu Gott: „O mein höchster Herr, was habe ich falsch gemacht? Du hast mich mit einigen ungöttlichen Schülern gesegnet. Kannst Du sie innerlich nicht dazu bewegen, mein Boot zu verlassen?“

Er antwortete: „Sei still! Halte den Mund!“
Ich sagte zum Supreme: „Du bittest mich den Mund zu halten, wenn ich Dich bitte, einige Leute aus meinem Boot zu nehmen. Warum bringst Du mir keine Sympathie entgegen, warum?“

Er sprach: „Du Narr! Du hast eine bewusste, bedingungslose Verpflichtung Mir gegenüber. Du hast Mich verwirklicht. Wo befinden sie sich? Verwirklichung liegt für sie noch in weiter Ferne. Sie sind noch nicht einmal eine unbewusste oder bedingte Verpflichtung mir gegenüber eingegangen. Aber auf deiner Verpflichtung basierend sage Ich dir: „Halte den Mund!“ Basierend auf ihren Standard, sage Ich zu ihnen: „Probiert andere Boote aus, probiert andere Boote aus. Und wenn ihr Meine Hilfe braucht, so werde Ich euch helfen.“

Dies war keine Halluzination. Es hat sich vor nur drei oder vier Tagen hier, an diesem berühmten Platz, zugetragen. Wenn es sich um den persönlichen Supreme handelt, so kann ich mit Ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen. Beim unpersönlichen Gott werde ich auf taube Ohren stoßen.

Sri Ramakrishna war voller Hingabe für Mutter Kali. Manchmal war er wütend und aufgebracht und richtete bittere Worte an Mutter Kali. Hätte er solche Worte zu einem unpersönlichen Gott gesprochen? Er wusste, dass der unpersönliche Gott ihm nicht zugehört hätte.

Ich befinde mich in der körperlichen Welt. Wenn einige meiner Schüler auf mich wütend sind, beziehen sie sich sofort auf das Persönliche. Zu diesem Zeitpunkt denken sie nicht an meine innere Weite, an meinen Frieden und an mein Licht. Das Bewusstsein eines Menschen sinkt und ich nehme – wenn ich an diesem Menschen Anteil nehme oder Mitgefühl für ihn empfinde – seinen Zorn oder seine Eifersucht in der Form eines Angriffs auf mich, auf meinen physischen Körper. An diesem Morgen, sieben oder acht Minuten vor vier Uhr, stand ich in meinem Zimmer und war gerade dabei, mit meinem Fitness-Training zu beginnen, als ich sehr, sehr starke Schmerzen in meinem rechten Knöchel spürte. Was für ein Angriff! Jemand in New York erwies mir die ‘Gunst', mich mit falschen Kräften anzugreifen.

Ich werde euch eine weitere Begebenheit erzählen. Heute hätte meine Karriere als Gewichtheber einige Monate lang vorbei sein können. Ich bin ins Auto gestiegen und habe die Türe geschlossen. Leider wurde mein linker Daumen dabei eingeklemmt. Das war sehr schmerzhaft. Ich stieg wieder aus dem Auto und weinte vor Schmerzen. In diesem Fall kam der Angriff von meiner eigenen Nachlässigkeit. Da mein rechter Arm schmerzt, versuche ich, mehr mit meinem linken Arm zu heben. Hätte ich meinen linken Daumen beschädigt, hätte ich lange Zeit mit dem Gewichtheben aussetzen müssen. Doch das Mitgefühl meines Supreme rettete meinen Daumen.

Auf diese Weise befasst sich der persönliche Aspekt mit dem Mitgefühl. Der unpersönliche Aspekt ist wie eine feste Mauer. Da kommt keine Antwort.

Buddha befürwortete den Mittelweg und das Vermeiden der Extreme. Dies war die Verwirklichung Buddhas. Er fastete viele Tage lang, nahm aber letzten Endes die Süßigkeiten an, die ihm von Sujata angeboten wurden. Er erklärte: „Geht nicht in die Extreme. Geht weder in Richtung Selbstnachgiebigkeit noch in Richtung Entsagung.“ Die Philosophie von Buddha ist der Mittelweg.

Sri Chinmoy, Du gehörst Gott, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2018
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