Frage: Wenn Buddhas Theorie lautete, den persönlichen Gott abzulehnen, galt dies dann ebenso für den persönlichen Guru?
Sri Chinmoy: Wenn man Bücher über das Leben Buddhas liest, wird man bemerken, dass manche behaupten, dass er sich um den persönlichen Aspekt seines Lebens gekümmert hat. Einige sagen, dass er im Alter von achtundsiebzig Jahren gestorben ist; andere behaupten, er war bereits über achtzig Jahre alt. Mit ungefähr fünfundsiebzig Jahren konnte er nicht mehr richtig gehen. Er wurde lahm und litt unter verschiedenen Krankheiten. Trotzdem pflegte er weiterhin Predigten zu halten. Das zog sich zwei, drei Jahre lang hin.Buddha hatte einige bedauernswerte Schüler. Nachdem sie seine Reden gehört hatten, suchten sie andere spirituelle Lehrer auf, einfach nur um einen Vergleich anzustellen. Wenn sie dann fanden, dass die Vorträge von Buddha besser waren, gingen sie wieder zu ihm zurück.
Hätte sich Buddha nicht um den persönlichen Aspekt bemüht, hätte er gesagt: „Was kümmert mich das? Ich habe euch meine Weisheit angeboten. Das ist das Wichtigste. Wenn ihr im anderen Lehrer mehr Weisheit vermutet, dann geht zu ihm. Es ist alles unpersönlich.“ Aber Buddha hat anders gehandelt. Er fühlte sich schlecht, nicht weil er seine Schüler verloren hatte, sondern weil sie ständig ihren Lehrer wechselten. Mit seinen Reden hat er sie dann wieder zurückgeholt.
Das Persönliche und das Unpersönliche sind untrennbar, doch wir ziehen eines dem anderen vor – das ist alles. In ihrer Essenz sind sie untrennbar eins, doch wir mögen eines mehr als das andere. Die meisten Menschen ziehen den persönlichen Gott vor.
In Buddhas Fall war es nicht so, dass der unpersönliche Gott zu ihm kam. Es hat sich kein unpersönlicher Gott vor ihn hingestellt, nein. Alles wurde von innen her vollständig erleuchtet, wie von einer Ein-Millionen-Watt-Glühbirne. Gott war innen, außen, überall. Die inneren Wesen von Buddha waren vollständig erstrahlt, erleuchtet. Er trennte sich von seinen inneren Wesen. Er betrachtete seine inneren Wesen, die sich direkt vor ihm befanden und er sah, dass sie völlig erleuchtet waren. Er nahm sie als seinen eigenen unpersönlichen Aspekt wahr. Dies ist der Weg Buddhas: zu fühlen, dass man innerlich vollständig erleuchtet und ein weiterer Gott ist.
Ein anderer Weg besteht darin, zu fühlen, dass man mit Hilfe von Liebe, Ergebenheit und Selbsthingabe, die man dem persönlichen Gott entgegenbringt, alles erhalten wird. Betrachten wir einen Lehrer und dessen Schüler. Oftmals hat der Schüler bereits alles gelernt, was der Lehrer weiß, doch der Schüler besitzt eine derartige Bescheidenheit, Bewunderung und Verehrung, dass er diesen Menschen weiterhin als seinen Lehrer behalten möchte. Manchmal übertrifft der Schüler den Lehrer bei weitem. Er weiß mehr, doch er möchte dies verbergen, denn der Lehrer hat ihn so viele Jahre lang mit größter Zuneigung, Mitgefühl und Güte unterrichtet.
Mein ältester Bruder war ein Sanskritgelehrter. Der Dorfpriester führte Zeremonien durch und beging dabei einige Fehler, doch mein Bruder berührte immer seine Füße, da es dieser Dorfpriester gewesen war, der ihm die ersten Sanskritkenntnisse vermittelt hatte.
Als seine inneren Wesen erleuchtet waren, war Buddha vollkommen zufrieden. Er kümmerte sich nicht um den persönlichen Aspekt. Er brauchte ihn nicht. Sobald er sich selbst als Höchsten wahrnahm, war er völlig zufrieden gestellt.
In meinem Fall, als ich Gott verwirklicht hatte, wusste ich, dass da noch Jemand war, doch es gab keinen Unterschied zwischen meinem Höchsten und diesem Jemand. Aus diesem Höchsten kam ich. Aber ich betrachte das Höchste in Form von Verwirklichung und das Höchste in Form von Manifestation als zusammengehörig. Buddha nahm wohl das Höchste in Form von Verwirklichung an, doch am Höchsten in Form von Manifestation lag ihm nichts. Ich nehme sofort beides an – Verwirklichung und Manifestation. In diesem Moment, wenn ich mich in der Form der Verwirklichung befinde, wird Jemand in mir und durch mich manifestiert. Im nächsten Moment, wenn ich die Rolle der Manifestation übernehme, verleiht Jemand der Verwirklichung in mir und durch mich Ausdruck. Buddha ging den Weg der Verwirklichung, nicht den Weg der Manifestation. Dies ist der Grund, warum sich seine Philosophie ein wenig von meiner unterscheidet. Doch letzten Endes ist es genau das Gleiche, das Allergleiche.
Wir befinden uns hier im Land Buddhas, dem Licht Asiens. Darum sprechen wir über ihn und meditieren auf ihn. Ich bringe jedem Avatar größte Bewunderung und Verehrung entgegen, doch meine größte Liebe gilt Sri Krishna. Zum Vergleich: Sri Ramakrishna hatte alle kosmischen Götter und Göttinnen verwirklicht, doch Mutter Kali reichte für ihn völlig, er brauchte nicht mehr.