Ein spiritueller Meister rettet den anderen

Es gab einen sehr, sehr hohen spirituellen Meister. Nennen wir ihn Meister Balakrishna. Eines Tages meditierte er äußerst kraftvoll in einem Wald. Leider war der Wald extrem trocken und es brach ein Feuer aus. Dabei wäre Meister Balakrishna selbst fast zu Asche verbrannt.
Ein anderer spiritueller Meister – nennen wir ihn Lalit – wurde sich der Notlage bewusst, in der sich Balakrishna befand. Lalit hatte das Feuer besiegt; daher konnte ihm Feuer nichts anhaben. Er nahm eine andere Form an, so dass Balakrishna ihn nicht erkennen konnte. Er ging zu Balakrishna, nahm ihn wie ein Kind in die Arme und trug ihn vom Feuer weg. Auf diese Weise rettete Lalit Balakrishna das Leben.

Viele Jahre später ging Balakrishna zu Lalit, weil Lalit ein so großer spiritueller Meister war. Als Lalit Balakrishna sah, sagte er: „Erinnerst du dich an den Vorfall, als du in einem Wald meditiertest und dort Feuer ausgebrochen ist?“

„Was ist dann passiert?“ erkundigte sich Balakrishna.

„Jemand kam und….“

„Ja!“ rief Balakrishna aus. „Jemand kam aus heiterem Himmel. Er packte mich und brachte mich aus dem Wald in Sicherheit. Diese Person hat mir das Leben gerettet!“

Lalit fragte: „Wer war diese Person?” Dann nahm er die gleiche Form an, die er angenommen hatte, als er Balakrishna rettete. „Siehst du“, sagte er, „ich bin derjenige, der dich gerettet hat.“

Balakrishna wusste, dass jemand gekommen war und ihn vor dem Feuer gerettet hatte, aber er hatte keine Ahnung, wer es war. Es gab überhaupt keine Ähnlichkeit zwischen Lalits gewöhnlicher Form und der Form, die er angenommen hatte, als er in den Wald ging, um Balakrishna zu retten.

Nach dieser Offenbarung standen Balakrishna und Lalit einander sehr nahe. Lalit wollte immer, dass Balakrishna viel höher geht und seine eigene gegenwärtige spirituelle Höhe überschreitet. Er pflegte Balakrishna zu sagen: „Du kannst immer noch viel höher, viel höher gehen! Warum gehst du nicht so hoch, wie du kannst?”

Zu dieser Zeit hatte Balakrishna viele Schüler. Ihnen gegenüber kritisierte Lalit auch Balakrishna. „Ihr habt einen so schlechten Meister!”, pflegte er zu sagen. „Er geht nicht annähernd so hoch, wie er gehen könnte.” Seine Schüler ärgerten sich sehr darüber. Sie pflegten zu sagen: „Du hast kein Recht, schlecht über unseren Meister zu sprechen. Wie kannst du es wagen, ihn zu kritisieren!” Die Zeit kam, als Lalit beschloss, sein irdisches Dasein zu beenden. Er sagte zu Balakrishna: „Wenn ich den Körper verlasse, möchte ich, dass du dich um meinen Ashram und alle meine Jünger kümmerst.” Balakrishna war fassungslos. „Nein, das kann ich nie tun“, sagte er. „Du sagst immer so schlimme Dinge über mich. Du kritisierst mich ständig. Wie kann ich mich um deine Jünger kümmern?“

Meister Lalit sagte: „Nein, nein, nein! Meine Jünger sind dir nicht gewachsen. Du bist viel, viel weiter entwickelt als sie, nur möchte ich, dass du noch höher gehst. Deshalb habe ich dich vor deinen Jüngern kritisiert.“

Meister Balakrishna antwortete: „Ich will deine Position nicht einnehmen. Das werde ich nicht tun.“

„Alles in Ordnung, alles gut”, sagte Lalit. „Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du aufrichtiger betest und meditierst.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte Balakrishna viel okkulte Kraft erworben und er hatte viele, viele hohe, höhere und höchste spirituelle Erfahrungen gemacht. Er hatte auch viele eigene Jünger. Er hatte drei oder vier Meister, die ihm sehr geholfen haben. Er hatte für ein paar Jahre einen Meister, und nahm sich anschließend jemand anderen als Meister. Doch er akzeptierte nie einen einzigen spirituellen Meister.

Sri Chinmoy, Die Kraft der Güte und andere Geschichten, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2020
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