Frage: Wie können wir an strenger Disziplin Freude finden?

Sri Chinmoy: Was der Verstand Disziplin nennt, nennt das Herz einen Prozess, durch den wir etwas erreichen oder gewinnen. Die Seele nennt es nicht einmal einen Prozess. Die Seele fühlt, dass das, was wir Disziplin nennen, nicht nur die Wirklichkeits-Glückseligkeit verkörpert, sondern die Wirklichkeits-Glückseligkeit ist.

Wann immer wir etwas tun möchten, legt der Verstand sein Veto ein. Selbst wenn der Verstand dieselbe Sache zwei Tage oder zwei Jahre zuvor selbst wollte, ist er nun bereit, sein Veto einzulegen. Das ist unser trickreicher Verstand. Selbst wenn er gestern etwas gewünscht hat, zieht er heute seine bewusste Bereitwilligkeit zurück. Mit unserem Herzen oder unserem Vitalen möchten wir etwas, aber der Verstand sagt sofort: „Nein, nimm es nicht“. Deshalb hat Disziplin in unserem normalen Leben nichts mit Bestrafung zu tun – aus dem einfachen Grund wegen dieser Unwilligkeit unseres Verstandes.

Hier in Amerika hat niemand an Malaria gelitten und ich hoffe, dass niemand je an dieser Krankheit leiden wird. Wie sehr habe ich an Malaria gelitten als ich noch in Indien war! Einmal wurden mein Bruder und ich am selben Tag davon befallen. Man kann sich nicht vorstellen, wie schmerzhaft diese Krankheit ist. Alle Nerven, selbst die subtilen Nerven beginnen zu tanzen. Es ist unglaublich schmerzhaft! Man ruft und schreit einfach nur. Zuvor konnte man vielleicht keine akrobatischen oder besonderen Körperübungen vollbringen, aber sobald man Malaria bekommt, wird man ein Experte darin. Unsere besten Akrobatik-Künstler könnte man mit diesen Übungen herausfordern. Der Schmerz veranlasst einen dazu, es zu tun. Wenn man mich zu einem anderen Zeitpunkt gebeten hätte, diese akrobatischen Übungen auszuführen, hätte ich geantwortet: „Das ist unmöglich“. Doch als ich Malaria bekam, hatte ich solche Schmerzen, dass ich alle möglichen akrobatischen Übungen ausführte.

Die einzige Medizin, die gegen Malaria hilft, ist Chinin. Diese Medizin ist sehr, sehr bitter. Keine andere Medizin ist so bitter wie Chinin, aber durch sie kommt die Rettung. Wie sollten wir unser Fieber bekämpfen, wenn wir diese Medizin nicht einnehmen? Im Augenblick ist Unwissenheit unser Gebieter. Unwissenheit ist unser Meister, aber wir wollen diesen Meister nicht mehr. Wir brauchen jemanden, der stärker ist als unser jetziger Meister, jemand der ihn überwältigen kann. Wir wollen, dass Wissen unser Meister wird. Wissen kommt in Form von Disziplin, welche wie Chinin ist. Wir können die Unwissenheit nur dann besiegen, wenn wir diese Disziplin akzeptieren. Aus diesem Grund müssen wir der Disziplin erlauben, unser neuer Meister, unser neuer Führer, unser neuer Erlöser zu sein. Deshalb lasst uns der Disziplin den höchsten Posten geben.

Wenn wir an Disziplin denken, haben wir das Gefühl, dass dies nichts anderes als eine Bestrafung ist, welcher wir ständig ins Auge blicken. Doch stattdessen sollten wir fühlen, dass Disziplin unsere Hilfe, unser Führer, unsere Inspiration, unser inneres Streben, ja selbst unsere Verwirklichung ist. Es ist Disziplin, die unsere ungöttlichen Kräfte in und um uns herum besiegen kann und wird. Deshalb sollten wir die Disziplin als neuen Meister betrachten, der uns hilft, etwas Neues, Bedeutungsvolles, Seelenvolles und Fruchtbares zu erlernen, so dass wir nichts mehr von unserem alten Meister lernen müssen. Unser alter Meister war Lethargie, Dunkelheit, Unwissenheit und all die negativen Kräfte. Nun müssen wir unserem neuen Meister, der Disziplin, die größtmögliche Aufmerksamkeit schenken. Disziplin verkörpert Licht und ist mehr als bereit, uns Licht anzubieten. Wenn wir dies fühlen können, werden wir keine Angst mehr vor der Disziplin haben. Lasst uns deshalb daran denken, dass sie uns das geben wird, was wir im Augenblick nicht haben. Wenn wir diese Art von Vergleich anstellen, werden wir erkennen, dass wir in einem Meer der Unwissenheit schwimmen und die Disziplin zu uns sagt: „Armes Kind, warum leidest du? Ich habe grenzenloses Licht, grenzenlose Glückseligkeit, grenzenlosen Frieden und grenzenlose Wonne. Komm her, es ist alles für dich.“

Lasst uns dorthin gehen, wo es nur Licht und Glückseligkeit gibt. Wer gibt uns dieses Licht und diese Glückseligkeit? Die Disziplin, unsere Führung, unsere Rettung.

Sri Chinmoy, Zehn göttliche Geheimnisse, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2018
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