Frage: Ich möchte, offen gesagt, wissen, was Indiens Spiritualität je für das Land getan hat. Wie kommt es, dass Indien trotz seiner Yogis und Heiligen immer noch ein armes und rückständiges Land ist?

Sri Chinmoy: Zuerst müssen wir verstehen, wie diese Situation entstanden ist. Im alten Indien lehnte man das materielle Leben nicht ab. In jenen Tagen strebten die Menschen einer Synthese von Geist und Materie an, was ihnen zu einem gewissen Grad auch gelang. Doch zwischen jenen weit zurückliegenden Zeiten und der heutigen Gegenwart liegt eine große Kluft.

In späteren Perioden der Geschichte Indiens gelangten die Seher und Heiligen zu der Auffassung, dass das materielle und das spirituelle Leben nicht miteinander vereinbar seien und dass sie dem äußeren Leben entsagen müssten, um zu Gott zu gelangen. Daher wurde das äußere Leben vernachlässigt. Dies führte zu Eroberungen durch andere Völker und vielen anderen Problemen. Selbst in der heutigen Zeit ist in Indien die Meinung noch weit verbreitet, materielles Wohlergehen und Schönheit seien abzulehnen. Diese Meinung trägt viel zu seiner fortwährenden Armut bei.

Doch heute gibt es in Indien auch große spirituelle Persönlichkeiten, die davon überzeugt sind, dass Gott in seiner Ganzheit verwirklicht werden muss, dass Schöpfer und Schöpfung eins sind und nicht voneinander getrennt werden können. Sie befürworten die Annahme des Lebens und betonen die Notwendigkeit von Fortschritt und Vervollkommnung in allen Bereichen des menschlichen Daseins. Diese neue Auffassung wird im modernen Indien weitgehend akzeptiert.

Indien mag heute voller Armut sein, doch durch seine neue Bewusstheit und sein Aufstreben wird es rasche Fortschritte machen. Indien besitzt nicht nur ein großes Herz, sondern auch genügend Kraft, um die Stärke seiner Seele zum Vorschein zu bringen und durch sie alle seine Probleme zu lösen.

Sri Chinmoy, Yoga und das spirituelle Leben, The Golden Shore Verlagsges. mbH, Nürnberg, 2007
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