Frage: Sind innere Erfahrungen eine Grundvoraussetzung für die Gottverwirklichung?
Sri Chinmoy: Manche Menschen werden mit Hunderten oder noch mehr Erfahrungen gesegnet. Manche haben zehn oder zwanzig Erfahrungen. Wieder andere haben vor der Gottverwirklichung nur ein paar bedeutende Erfahrungen, aber diese sind in ihrem Leben äußerst wichtig. Doch es ist üblich, dass man – bevor man die Gottverwirklichung erreicht beziehungsweise sich an die Gottverwirklichung erinnert, die man in einer früheren Inkarnation erreicht hat – zumindest vier bis fünf bedeutende Erfahrungen erlebt.Manche Personen machen diese bedeutenden Erfahrungen, die dann tage- oder wochenlang anhalten, doch anschließend fällt ihr Bewusstsein und sie können für eine lange Zeit keinerlei hohe Erfahrungen mehr machen. In dieser Zeit fühlen sie sich völlig miserabel. Vivekananda durchlief Trockenperioden von einer Dauer bis zu sechs Monaten. Doch er pflegte sich selbst auszutricksen. Er machte es sich zur Gewohnheit, sich an seine höchsten Erfahrungen der Vergangenheit zu erinnern – zum Beispiel wie Sri Ramakrishna ihn am Kopf berührte – und er zwang sich selbst, diese Erfahrungen wieder zu durchlaufen. Eine oder zwei Stunden befand er sich nur in der Welt der Imagination, Imagination, Imagination. Er besaß eine derartig starke Willenskraft, dass diese Erfahrungen wieder sichtbar und zum Leben erweckt wurden. Und es gelang ihm, sie noch einmal durchzuleben.
Wenn ihr also im Moment keine Erfahrungen macht, versucht euch an eure bereits durchlaufenen Erfahrungen zu erinnern und wendet eure Vorstellungskraft an, um sie zurück zu bringen. Dann werden diese Erfahrungen nicht nur zurückkehren, sondern sie werden euch auch dabei helfen, vorwärts, zur nächsten Erfahrung zu gehen, die unendlich stärker, erleuchtender und schöner sein wird. Man braucht keine fünfzig oder hundert innere Erfahrungen, um die Gottverwirklichung zu erlangen, doch sie sind uns dabei definitiv behilflich. Wenn wir während unserer Reise auf der Straße der Ewigkeit schattenspendende Bäume und schöne Blumen sehen, erhalten wir enorme Freude. Manche empfinden, dass diese schönen Blumen und Bäume bloß Versuchungen sind. Sie sagen: „Wenn ich an den Blumen rieche, befürchte ich, dass mich der Duft umfängt und festhält. Während ich die Schönheit der Blumen bewundere, werden mich jene, die bisher mit mir gereist sind, überholen. Diese Art Erfahrung will ich mir ersparen.“
Doch manche besitzen Weisheit. Sie sagen: „Wenn bereits hier die Blumen so schön sind, werden die Blumen an dem Ort meiner Bestimmung noch viel schöner und wohlriechender sein.“ Und so betrachten und schätzen sie die Schönheit der Blumen, um dann weiterzugehen.
Innere Erfahrungen helfen uns; sie schenken uns eine Art Frucht. Wenn wir eine bestimmte Erfahrung nicht mögen, können wir sie einfach wegwerfen. Und wenn wir eine bestimmte Erfahrung mögen, können wir versuchen, sie noch einmal zu erleben. Manche Erfahrungen haben eine derartige Kraft und Macht, dass sie die menschliche Natur völlig transformieren können. Wenn uns solch eine Erfahrung zuteil wird, kann sie unser ganzes Leben – innerlich und äußerlich – völlig ändern.
Einige meiner Schüler sind bereits seit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren auf unserem Weg und sind vielleicht während dieser Zeit nicht allzu schnell gelaufen. Doch wenn sie eine einzige solch hohe Erfahrung erleben und diese ein oder zwei Wochen lang aufrecht erhalten könnten, würden sie in diesen zwei Wochen mehr Fortschritt erzielen, als in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren. Unglücklicherweise haben wir keine Ahnung, zu welchem Zeitpunkt so eine Erfahrung eintreten wird. Es ist wie das Anzünden eines Streichholzes. Wenn wir mit dem Streichholz nicht über die richtige Fläche der Schachtel streichen, wird es sich nicht entzünden. Oder wenn wir bei einem Gasherd den Schalter nicht in die richtige Position bringen, wird sich die Flamme nicht entzünden. Wenn wir den Schalter nur ein klein wenig drehen kommt keine Flamme; doch sobald wir ihn noch ein Stück weiterdrehen, entzündet sich die Flamme.