Frage: Was bereitet dir an deinen Schülern im Westen am meisten Freude und was am wenigsten?

Sri Chinmoy: Am meisten erfreut mich das Einssein der Schüler – ohne jegliche Erwartungen. Ihr trennender Verstand kränkt mich am schonungs­losesten.

Einssein darf nicht dem Denken, dem Verstand, nicht einmal dem Atem entspringen, Einssein muss aus der Vorstellungskraft kommen. Wir müssen uns vorstellen, dass Gott jeden Augenblick ein Spiel spielt, indem Er in uns eintritt und wieder aus uns heraus tritt. Betrachten wir unseren Körper als einen Raum. Wir müssen uns vorstellen, dass Gott der Allmächtige, der All-Schönheit ist, diesen Raum betritt und Sein kosmisches Spiel in und durch unsere physische Existenz spielt. Wenn wir dieses Gefühl aufbringen können, dann wird Gott höchst zufrieden mit uns sein.

Ich möchte noch etwas hinzufügen. Ich habe ein Herz, und mein Herz fühlt, wie oft ihr mich nicht ernst nehmt, wenn ich über die Seele spreche. Einen Tag lang wird jemand schätzen, was ich über die Seele sage: “Oh, Guru sagt mir, dass meine Seele zufrieden oder unzufrieden mit mir ist.” Doch selbst jene, die meinen Äußerungen Glauben schenken, wollen die Gegenwart der Seele nicht fühlen oder die Realität der Seele nicht sehen. Es gibt viele Gele­genheiten, bei denen auch diese Schüler die Existenz der Seele sogar verleugnen.

Für mich ist die Seele die allerwichtigste Realität. Ich habe gesagt, dass die Seele nicht nur gefühlt, sondern auch gesehen werden kann, genauso gut, wie ich dich jetzt hier sehe. Wenn du nicht an die Realität deiner Seele glauben kannst, wie kannst du dann an Gott glauben? Gott zu verwirklichen ist unendlich viel schwieriger als mit der Seele in Kontakt zu treten. Die Seele ist wie ein Führer, der uns langsam, stetig und sicher – entsprechend unserer eigenen Ge­schwin­­digkeit – an unser Ziel bringt. Wenn du nicht an diesen Führer glaubst, wie willst du dann das Ziel erreichen, welches Gott ist?

Wenn du in siebzig, achtzig oder neunzig Jahren stirbst, wirst du klar erkennen, dass deine Seele deine dauerhafte, ewige Wirklichkeit ist. Doch um wirklichen Fortschritt zu erzielen, musst du das bereits jetzt, während du auf der Welt bist, erkennen und fühlen. Diejenigen, die nicht nur an die Existenz der Seele glauben, sondern auch die Gegenwart der Seele fühlen und die Wirklichkeit ihrer Seele sehen wollen, erfreuen mich am meisten. Und umgekehrt bin ich mit jenen, die ihrer Seele keine Aufmerksamkeit schenken, außerordentlich unzufrieden.

Ich habe so viele Centers. Täglich erhalte ich Botschaften von ihnen und ich empfange Schwingungen von dem, was vor sich geht. Wenn ich eine all­gemeine Schwingung erhalte, muss ich nicht nach jedem Einzelnen fragen. Wenn du Reis kochst und feststellen willst, ob er gar ist, brauchst du nur ein paar Körnchen essen, um zu wissen, ob der Reis schon fertig ist. Auf ähnliche Weise erhalte ich sofort von ein oder zwei starken Seelen in einem Center das richtige Gefühl, ob die anderen im Center strebsam sind oder nicht.

In diesem Leben habe ich Tausende von Schülern sowie viele Bewunderer, Freunde, Bekannte usw. Auf der physischen Ebene befasse ich mich mit ein paar tausend Menschen. Doch wenn ich mich in der inneren Welt befinde, der höheren Welt, befasse ich mich mit Tausenden und Abertausenden von Seelen. Die meisten Schüler glauben, dass ich mich in der Seelenwelt nur mit ein paar Menschen wie Agni und zehn oder zwanzig anderen Schülern befasse, die in den vergangenen Jahren starben. Das ist ein höchst bedauerlicher Irrtum. In der inneren Welt stehe ich mit unzähligen Seelen in Verbindung.

Für jene, die mich angenommen haben und die mir in dieser Welt nahe stehen, werde ich auch in der anderen Welt, nachdem sie gestorben sind, gemäß ihrer Annahme und ihrer Nähe verantwortlich sein. Manche, die mich in dieser Welt nicht zufrieden stellen, leben im Glauben, dass sie, sobald sie in die andere Welt übertreten, mir auf einmal nahe, näher, am nächsten sein werden. Doch so ist es nicht. Ihr bereitet euch nicht vor. Nicht dass ich an euren Tod denke – nie, niemals! Doch wenn ich mich in einer anderen Existenz befinde, werden die meisten von euch zurückkommen und wieder und wieder durch das Leben und den Tod gehen müssen. Mein geliebter höchster Herr, mein Supreme hat mir jedoch versprochen, dass dies meine letzte Inkarnation sein wird. Wenn ihr euch also in den zukünftigen Inkarnationen eine starke Verbindung zu mir wünscht, müsst ihr mir jetzt nahe sein und mich jetzt erfreuen.

Was geschieht mit denjenigen, die nicht an die höheren Regionen denken, sondern nur an ihr irdisches Leben und ihre materiellen Bedürfnisse? Was wird aus ihnen? Wenn sie kein inneres Streben nach den höheren Welten besitzen, wird das Leben der Begierde sie binden. Je mehr ich sehe, dass ihr nur an die materielle Welt denkt und nicht an die innere Welt, desto entmutigender ist es für mich. Jeder von euch kann sich während seiner Meditation vorstellen, dass es eine andere Welt gibt, in die ihr eines Tages gehen müsst, freiwillig oder unfreiwillig. Wenn du für mich arbeiten und mir dienen willst, wenn du in diese Welt eintrittst, dann verschwende jetzt nicht deine Zeit damit, nur an die materielle Welt zu denken.

Es gibt unendlich viel mehr auf dieser Welt, was mich nicht zufrieden stellt als das, was mich zufrieden stellt. Das entspricht der Wahrheit, ob ich die Schüler nun einzeln betrachte oder alle gemeinsam. Glücklich macht mich nur, wenn ich sehe, dass jemand nicht aufgegeben hat. Wenn jemand weiter darum kämpft, ein besserer Mensch zu werden, ein besserer Sucher, ein besserer Schüler, dann bin ich wirklich glücklich. Viele, viele haben aufgegeben; sie sind noch im Boot, schlafen und schnarchen, sie halten sich für hoff­nungs­lose Fälle. Wenn es darum geht, Fortschritt zu machen, vorwärts zu gehen, tiefer zu tauchen, weiter zu springen und höher zu fliegen - sie tun es nicht.

Ich will, dass meine Schüler nicht aufgeben. Derjenige, der nicht aufgegeben hat, diejenige, die nicht aufgegeben hat - sie sind es, die mich zufriedenstellen. Diejenigen, die aufgegeben haben und behaupten, dass sie ein hoffnungsloser Fall sind, sind bereits nutzlos. Doch jene, die immer noch kämpfen, um gute Schüler zu werden, bessere Schüler, die besten Schüler zu werden, stellen mich definitiv zufrieden. Ich selbst habe sie nicht aufgegeben, doch in manche Schüler habe ich mehr Vertrauen als in andere.

Andererseits, wie ich schon vorher sagte, das letzte Vertrauen, das höchste Vertrauen, das erhabenste Vertrauen habe ich in jeden einzelnen Menschen, denn ich sehe jeden Einzelnen ganz deutlich als den wahren Gott. Sri Ramakrishna pflegte zu sagen, dass er Vivekananda als Gott sah. Manchmal, wenn ich auf euch, meine Schüler, meditiere, sehe ich euch in meinem eigenen, höchsten, göttlichen Bewusst­sein definitiv als meinen erhabenen, geliebten Herrn. Ich sehe euch nicht als menschliche Wesen mit mensch­lichen Unvollkommenheiten. Zu diesem Zeit­punkt verschwinden eure äußeren Körper, und ich erkenne eure Seelen als die vollkommensten Vertreter unseres höchsten, geliebten Herrn. In die­sem Augenblick fühle ich das größtmögliche Glück. Ich schwimme im Meer der Ekstase.

Sri Chinmoy, Sri Chinmoy antwortet , Teil 1, The Golden Shore Verlagsges.mbH, Nürnberg, 2004
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