König Shibis Mitgefühl4
Ich habe diese Geschichte bereits vor vielen Jahren erzählt, aber jetzt, da das Alter auf mich niedergekommen ist, erzähle ich sie mit neuer Weisheit.Es gab einmal einen sehr großen König. Dieser König war inkarnierte Güte, inkarniertes Mitgefühl und inkarniertes Selbst-Geben. Nicht nur seine eigenen Untertanen, auch die Untertanen anderer Könige schätzten ihn sehr. Niemand konnte ihm an Tugendhaftigkeit nahe kommen. Er besaß eine Galaxie an Tugenden.
Nun, es konnte manchmal geschehen, dass Lord Indra von seiner Eifersucht gequält wurde. Er war der König der kosmischen Götter, und so war es zu viel für ihn, dass ein einfacher Mensch von der ganzen Welt so hoch geschätzt, bewundert und verehrt werden konnte. Er beschloss, König Shibi zu testen.
Brahma und Indra waren sehr enge Freunde. Daher ging Indra zu Brahma, um seine Meinung und seinen Rat einzuholen. Brahma gab Indra sofort einen Ratschlag. Anschließend nahmen beide die Gestalt von Vögeln an und statteten der Erde ihren Besuch ab. Indra spielte die Rolle einer schönen Taube, und Brahma nahm die Form eines Falken an.
Indra, die Taube, flog nach unten und fiel auf König Shibis Schoß. Der Vogel schrie um Schutz, er war völlig hilflos. Warum? Er wurde von einem Falken verfolgt, der ihn töten und fressen wollte.
Die Taube bettelte und flehte Shibi um Schutz an. Shibi sagte: „Keine Sorge! Du bist jetzt in meinen Händen. Niemand wird dich töten können. Ich werde dich beschützen, ich werde dir Schutz bieten.“
Die Taube war so glücklich. Sie sagte zum König: „Ich habe gehört, dass du der größte Selbst-Gebende bist. Hier ist der Beweis.“
Noch einmal sagte Shibi: „Ich werde dich beschützen.”
Da kam der Falke und sagte: „Ja, es ist deine Pflicht, o König. Es ist deine Pflicht, die Leidenden und die Bedürftigen zu schützen. Aber wo ist deine Gerechtigkeit? Diese Taube gehört mir. Ich habe die Taube gefunden, und sie ist meine Beute. Ich bin so hungrig! Ich bin so hungrig! Wirst du nicht an mich denken? Hast du keine Anteilnahme für mich? Ich muss fressen, ich muss fressen! Wirst du meinem Hunger keine Beachtung schenken? Das ist nicht meine Gier, sondern mein echter Hunger. Ich habe den Vogel gejagt und jetzt gehört er mir.“ Der Falke argumentierte, dass er das Recht habe, die Taube zu ergreifen.
Zuerst war König Shibi sehr überrascht, dass diese beiden Vögel die Fähigkeit hatten, wie Menschen in einer Sprache zu sprechen, die er verstehen konnte. Dann sagte er zu dem Falken: „Können wir das Fleisch mit dem einer anderen Kreatur ersetzen? Bist du damit einverstanden?“ Dies war nichts anderes als die selbstgebende Edelmütigkeit von König Shibi.
Der Falke antwortete: „Ich werde nur zustimmen, wenn du es mit dem Fleisch eines Menschen ersetzt – insbesondere mit deinem Fleisch!“
Alle, die anwesend waren, wurden wütend. Sie wollten den Falken umbringen. Welche Frechheit besaß er, um nach dem Fleisch ihres geliebten Königs zu fragen!
Es dauerte nicht lange, bis König Shibi sagte: „Ich bin bereit. Wenn du mein Fleisch als Ausgleich willst, werde ich es dir geben, was immer du von meinem eigenen Körper verlangst.“
Dann sagte der Falke: „Es muss die gleiche Menge sein. Auf der Waage muss es ausbalancieren. Was immer das Gewicht der Taube ist, dafür musst du die gleiche Menge Fleisch aus deinem Körper opfern.“
„Ach, das ist nichts!“ sagte Shibi. Dann fing er an, Fleisch von seinem eigenen Körper abzuschneiden und auf die Waage zu legen. Shibis Frau, seine ganze Familie und die Mitglieder des Hofes weinten alle mitleiderregend. Sie schimpften und verfluchten den Falken, aber sie konnten nichts unternehmen, um das, was gerade geschah, zu verhindern. Auf der einen Seite der Waage befand sich die Taube, auf der anderen Seite das Fleisch von Shibi. Er schnitt sein Fleisch weiter ab, bis die beiden Seiten gleich schwer wurden.
Dann, ganz plötzlich verschwanden die Taube und der Falke. Indra und Brahma hatten wieder ihre eigene Form angenommen. Indra segnete Shibi und sagte zu ihm: „Ich bin wirklich zufrieden mit dir. Du bist so ehrenwert, so mutig, so voller Mitgefühl und Großherzigkeit. Und du hältst dein Versprechen.“ Im Handumdrehen gab Indra Shibi seinen perfekten Körper zurück. Shibi erlangte seine volle und robuste Gesundheit zurück.
POK 39. Sri Chinmoy erzählte die folgende Geschichte am 6. Mai 2007 am Aspiration-Ground in Jamaica, New York. 1973 hatte Sri Chinmoy die gleiche Geschichte als ein Ein-Akt-Theaterstück mit dem Titel: „Das erhabene Opfer von King Shibi” veröffentlicht.↩